Connected Cars

Automobilhersteller müssen Services anstatt Produkte verkaufen

11.11.2015 von Alexander Zschaler
Laut den Marktforschern von Gartner wird es am Ende der Dekade über 250 Millionen vernetzte Fahrzeuge geben – dafür muss sich aber eine traditionell denkende Branche enorm verändern.

Die Automobilindustrie wird beweisen müssen, dass sie den Wandel vom Produktvertrieb hin zum Verkauf von Dienstleistungen vollziehen kann. Heute wird ein einmaliger Verkauf eines Fahrzeugs an einen aus Sicht des Herstellers oftmals anonymen Endkunden abgewickelt - die Kundendaten hat meist der Händler. Ein grundlegend neuer Ansatz ist der Aufbau langfristiger Beziehungen zwischen Marke und Fahrer in der die Frage nach einer "Wiedermotorisierung" nicht sechs Monate vor Leasing-Ende gestellt wird. "Connected Cars" und die damit einhergehenden neuen Services bieten eine einmalige Chance, diese Transformation zu tragen.

Wenn jemand heutzutage ein neues Auto kauft und vom Hof fährt, dann nimmt er den Autohersteller auf dem virtuellen Beifahrersitz gleich mit - und zwar ab der ersten Fahrt.
Foto: My Life Graphic_shutterstock.com

Im deutschsprachigen Raum wurde in den vergangenen Monaten eine ganze Reihe von Meldungen über vernetzte Fahrzeuge herausgegeben. Darin wurden Unterhaltungs-, Kommunikations- sowie sicherheitsrelevante Dienste vorgestellt, die Autos in mobile Büros oder Wohnzimmer verwandeln und die Fahrt ökologischer oder ökonomischer machen. Eine Vielzahl Subscription-basierter Datendienste werden zukünftig das Fahrerlebnis sicherer, intelligenter und angenehmer gestalten.

In den USA zahlen beispielsweise Kunden des Versicherers Metromile ihre Autoversicherung heute bereits nach gefahrenen Meilen und sparen so Tausende von US-Dollar im Vergleich zu den üblichen Monatsraten. Der Trainingsdienstleister Lytx nutzt im Fahrzeug installierte Kameras, um gefährliche Verhaltensweisen während der Fahrt zu erkennen und Berufskraftfahrer dementsprechend umzuschulen. Und der GPS-Anbieter Location Based Technologies hilft Fuhrparkleitern Geld zu sparen, indem effizientere Fahrstecken identifiziert, ungenutzte Vermögenswerte erfasst und Diebstahl vermindert wird.

Die großen Automobilhersteller springen ebenfalls auf den Zug auf. So hat Hyundai beispielweise zahlreiche neue Verbindungsmöglichkeiten für Smartphones und Wearables auf den Markt gebracht. GM Onstar hat mit "AtYourService" eine interessante neue Plattform zur Einbindung des örtlichen Handels vorgestellt und Mercedes Benz beeindruckt mit dem Prototyp eines führerlosen Fahrzeugs, dessen Innenleben wie eine First-Class-Lounge eingerichtet ist.

Die schöne neue Welt der Fahrzeugdaten

Es ist eine schöne neue Welt für Fahrzeughersteller und deren Technologiepartner - sie bietet ein fantastisches Potential. Ein Beispiel aus einer anderen Branche zeigt aber auch die neuen Herausforderungen: Die Motoren einer Boeing 737 produzieren während eines Fluges alle 30 Minuten 10 Terabyte an Daten. Wären die rund 3,5 Millionen Autos, die jedes Jahr allein in Deutschland neu zugelassen werden, bereits mit dem Internet verbunden, dann wäre die von ihnen produzierte Datenmenge schier unvorstellbar und kaum auswertbar. Autohersteller müssen also neue Wege finden. Beispielsweise könnten sie über Verhaltens- und Gebrauchsdaten der Fahrzeugnutzer mehr über ihre tatsächlichen Kunden erfahren.

Zugute kommt dieser Entwicklung, dass die Kunden bereits eine extreme Erwartungshaltung haben. Angebote der Unternehmen sollten möglichst individuell, jederzeit verfügbar, einzigartig sowie in Echtzeit adaptiv sein und einen fortlaufenden Mehrwert erfüllen. Darüber hinaus belegt eine Studie der Economist Intelligence Unit, dass sich fast 80 Prozent der Verbraucher neue Konsumformen wünschen. Spotify, Uber, Airbnb und Netflix zeigen mit ihrem Erfolg eindrucksvoll die Akzeptanz dieser neuen Konsummodelle. In der Automobilbranche lässt sich dieser Anspruch in der Verbreitung von Car-Sharing-Angeboten und der zunehmenden Konnektivität von Fahrzeugen beobachten.

Diese erhöhte Erwartung der Kunden bezüglich ihrer Fahrzeuge ist das wahrscheinlich wichtigste Thema für die Automobilhersteller. Wieso kann sich ein Auto nicht selbst um Leistungsstörungen kümmern, so wie es in der Industrie 4.0 unter "Preventive Maintenance" vielfach umgesetzt wird?

Rolls Royces wartet seine Flugzeugmotoren aus einer zentralen Einsatz-Leitzentrale und optimiert für die Fluglinien somit die Standzeit, also die Kosten der Maschinen am Boden. Im Individualverkehr ist vielleicht ein "Smart-Wecker" sinnvoll, der den Nutzer über sein Wearable morgens behutsam zu der Zeit weckt, die optimal auf die Verkehrssituation zum Flughafen angepasst ist. Wird Tesla ein Feature wie autonomes Fahren per Fernwartung auf seine Fahrzeuge über Nacht aufspielen? Wird es in Zukunft vielleicht undenkbar sein, ein Auto ohne einen monatlichen Datentarif zu kaufen? Die Branche muss auf solche Fragen eingehen, wenn sie das volle Vermarktungspotential vernetzter Fahrzeuge nutzen will.

Die Autofahrer besser kennenlernen

Es gibt eine starke Verbindung zwischen dem Datenaustausch und einer Kundenbeziehung, die sich erfolgreich monetarisieren lässt. Der Schlüssel zum Erfolg ist die frühe Implementierung einer datenbezogenen Strategie. Deshalb entwickeln Fahrzeughersteller jetzt Lösungen für ein effektives und übergreifendes Management der neuen Vertragsbeziehung mit ihren Kunden, in dem physische Produkte genauso wie Services und Dienstleistungen in einer langjährigen gegenseitigen Verpflichtung gebündelt werden: "Mobilität" in der "oberen Mittelklasse" einschließlich "Mobilitätsgarantie" und "Internet-Dienstleistungspaketen" mit "Zwei Cabrio-Wochenenden" pro Jahr sind vielleicht die zukünftigen Angebote. In San Francisco sind sie übrigens bereits Realität.

Die Hersteller erkennen, dass nutzungsbezogene Informationen, welche die Fahrer erzeugen, viel wertvoller sein werden als die Kenntnis über die Autos, die sie fahren. GM und Toyota sind schon dabei, Einsatzzentralen zur Analytik derartiger Daten aufzubauen. Wenn jemand heutzutage ein neues Auto kauft und vom Hof fährt, dann nimmt er den Autohersteller auf dem virtuellen Beifahrersitz gleich mit - und zwar ab der ersten Fahrt.

Datenschutz gewährleisten - aus Eigeninteresse

Das Sammeln und die Analyse von Nutzungsdaten - mit Erlaubnis des Fahrers - führt jedoch auch dazu, dass die Grenze zwischen Leistung und Datenschutz an Schärfe verliert. Ian Robertson, Vorstandsmitglied bei BMW, hat kürzlich vor einer neuen Entwicklung gewarnt: Technologieunternehmen und Werbeagenturen übten zunehmend Druck auf die Fahrzeughersteller aus, um eine Weitergabe gesammelter Daten der Connected Cars zu Marketingzwecken zu erreichen - eine Anfrage, die er mit "Nein, Danke." beantwortete.

Automobilhersteller müssen geschlossen dafür sorgen, dass diese Informationen unter Verschluss bleiben. Nur so können sie verhindern, dass Datenschutzrechte ihrer Kunden verletzt und sie selbst ein mögliches Ziel für Hacker werden. Vielmehr sollten sie die Daten dazu benutzen, um ihre Kunden besser zu verstehen und relevante abonnementbasierte Leistungen anzubieten, die das Fahrerlebnis oder die Fahrsicherheit optimieren. Wie wäre es zum Beispiel mit einem "Fahrspurhalte-Assistenten" für eine spezielle Nachtfahrt? Oder ein Service, der den Radius des Fahrzeugs auf 25 km vom Wohnort eingrenzt, wenn das Fahrzeug über das Wochenende an einen Freund verliehen wird? Oder ein Opt-in-Navigationssystem, das mit dem persönlichen Kalender synchronisiert wird und anzeigt, wo sich Freunde und Kollegen auf ihrem Weg zum Restaurant, Event oder Meeting gerade befinden?

Es gibt nahezu unbegrenzte Möglichkeiten und eine Sache ist sicher: Das Fahren war noch nie so spannend wie heute. (bw)