Aktuelle Rechtsprechung

Betriebliches Eingliederungsmanagement

08.12.2015 von Renate Oettinger
Das Arbeitsgericht Berlin stellt in seiner jüngsten Entscheidung vom 16. Oktober 2015 – 28 Ca 9065/15 – an den Arbeitgeber hohe Anforderungen bei der Durchführung des bEM. Stefan Schlöffel nennt Einzelheiten.

In einer Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 13. Mai 2015 - 2 AZR 565/14 - hat das Gericht klargestellt, unter welchen Voraussetzungen der Arbeitgeber von der Durchführung eines bEM Ab-stand nehmen kann. Hat der Arbeitgeber entgegen § 84 Abs. 2 SGB IX kein bEM durchgeführt, muss er, um darzutun, dass die Kündigung dem Verhältnismäßigkeitsprinzip genügt und ihm keine milderen Mittel zur Überwindung der krankheitsbedingten Störung des Arbeitsverhältnisses als die Beendi-gungskündigung offenstanden, dessen objektive Nutzlosigkeit darlegen.

Zumutbare Umorganisationsmaßnahmen

Hierzu ist ein umfassender Sachvortrag des Arbeitgebers erforderlich. Dieser Vortrag muss enthalten, warum - auch nach gegebenenfalls zumutbaren Umorganisationsmaßnahmen - weder ein weiterer Einsatz auf dem bisherigen Arbeitsplatz noch dessen leidensgerechte Anpassung oder Veränderung möglich gewesen wäre und der Arbeitnehmer auch nicht auf einem anderen Arbeitsplatz bei geänderter Tätigkeit hätte eingesetzt werden können. Aus dem Vortrag des Arbeitgebers muss ersichtlich sein, dass auch die Durchführung eines bEM in keinem Fall dazu beigetragen hätte, neuerliche Krankheitszeiten bzw. der Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit entgegenzuwirken und das Arbeitsverhält-nis zu erhalten.

Ist ein Arbeitsverhältnis wegen Krankheit des Arbeitnehmers gestört, muss zunächst ein betriebliches Eingliederungsmanagement durchgeführt werden.
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Auch die Bewilligung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung im Sinne des § 43 Abs. 2 SGB IV belegt allein nicht die objektive Nutzlosigkeit eines bEM. Die Bewilligung dieser Rente besagt nur etwas über den zeitlichen Umfang der verbliebenen Leistungsfähigkeit des Arbeitnehmers unter den üblichen Bedingungen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. Sie schließt weder eine bis zu dreistündige tägliche Tätigkeit noch eine längere tägliche Beschäftigung zu vom Regelfall abweichenden, günstige-ren Arbeitsbedingungen aus. Eine Rente wegen voller Erwerbsminderung kann nämlich auch dann bewilligt werden, wenn dem Arbeitnehmer eine Teilzeitarbeit von bis zu sechs Stunden möglich, der übliche Arbeitsmarkt für eine solche aber verschlossen ist.

Das Arbeitsgericht Berlin stellt in seiner jüngsten Entscheidung vom 16. Oktober 2015 - 28 Ca 9065/15 - an den Arbeitgeber hohe Anforderungen bei der Durchführung des bEM. Danach soll der Arbeitgeber im Rahmen eines organisierten Suchprozesses verpflichtet sein, zu prüfen, ob und gege-benenfalls in welcher Weise der Arbeitnehmer (wieder) beschäftigt werden kann. Werde ein derartiges bEM nicht durchgeführt, könne eine krankheitsbedingte Kündigung unwirksam sein.

Organisierter Suchprozess

Zu einem organisierten Suchprozess gehört nach Auffassung des Arbeitsgerichts Berlin :

  1. das Gespräch zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, u. a. unter Einbeziehung von externem Sach-verstand

  2. (in dafür geeigneten Fällen) die stufenweise Wiedereingliederung des Arbeitnehmers im Rahmen des sog. "Hamburger Modells",

  3. die Prüfung, ob eine leidensgerechte Änderung der Betriebsanlagen, Maschinen und Geräte möglich ist sowie

  4. die Prüfung, ob eine mögliche Umgestaltung des Arbeitsplatzes, des Arbeitsumfelds, der Arbeitsorganisation und der Arbeitszeit in Betracht kommt.

Beide Entscheidungen zeigen, dass das bEM nicht auf die leichte Schulter genommen werden kann. Das stiefmütterliche Dasein des bEM muss nach diesen Entscheidungen der Vergangenheit angehö-ren.

Stefan Schlöffel ist Rechtsanwalt, Fachanwalt für Arbeitsrecht und Mitglied des VDAA Verband deut-scher Arbeitsrechtsanwälte e. V., www.vdaa.de

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