Das Problem der freiwilligen Sonderzahlungen

"Bisher gab's immer Geld, warum jetzt nicht mehr?"

16.05.2012
Wann ein Anspruch des Arbeitnehmers auf betriebliche Übung entsteht, beschreibt Stefan Schlöffel.
Manche Mitarbeiter erhalten Sonderzahlungen, obwohl dies im Arbeitsvertrag nicht festgelegt ist.
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Es ist gängige Praxis, bereits in dem Arbeitsvertrag zu vereinbaren, dass solche Zahlungen freiwillig erfolgen, um einen Rechtsanspruch der Arbeitnehmer aus dem Grundsatz der sog. betrieblichen Übung von vornherein auszuschließen. Dies gelingt jedoch nicht immer. Hierzu die Details:

I. Betriebliche Übung

Es kommt vor, dass Arbeitgeber an ihre Arbeitnehmer Sonderzahlungen leisten, obwohl eine solche Zahlung nicht im Arbeitsvertrag geregelt ist. Solche Zahlungen bezeichnen Arbeitgeber dann beispielsweise als Bonus oder als einmalige Gratifikation. Mit solchen Zahlungen wollen Arbeitgeber ihre Arbeitnehmer in sog. wirtschaftlichen guten Jahren mehr oder wenig an dem Erfolg des Unternehmens teilhaben lassen. Was sie jedoch nicht wollen, ist eine rechtliche Verpflichtung eingehen, da sie sich in wirtschaftlich schlechteren Jahren vorbehalten wollen, nicht leisten zu müssen. Es ist deshalb gängige Praxis, bereits in dem Arbeitsvertrag zu vereinbaren, dass solche Zahlungen freiwillig erfolgen, um einen Rechtsanspruch der Arbeitnehmer aus dem Grundsatz der sog. betrieblichen Übung von vornherein auszuschließen. Ein Anspruch aus betrieblicher Übung entsteht nämlich allein durch die gleichartige, wiederholte Praktizierung eines bestimmten Verhaltens des Arbeitgebers, ohne dass es dabei auf einen Verpflichtungswillen des Arbeitgebers ankommt. Aus der regelmäßigen Wiederholung bestimmter Verhaltensweisen des Arbeitgebers darf nämlich der Arbeitnehmer schließen, dass ihm die aufgrund dieser Verhaltensweise gewährten Leistungen oder Vergünstigungen auch künftig auf Dauer gewährt werden sollen. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) wird dem tatsächlichen Verhalten des Arbeitgebers mit dem Rechtsinstitut der betrieblichen Übung anspruchserzeugende Wirkung beigemessen.

II. AGB-Kontrolle

Das Problem bei der Abfassung solcher Freiwilligkeitsvorbehalte in den Arbeitsverträgen ist jedoch die Rechtsprechung des BAG. Da bereits seit 2002 für sog. Formulararbeitsverträge - in der Praxis also nahezu für alle Arbeitsverträge - die AGB-Kontrolle gilt, müssen solche Klauseln im Streitfall einer Prüfung der Arbeitsgerichte unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des BAG standhalten. Dies bedeutet, dass vom Arbeitgeber formulierte Freiwilligkeitsvorbehalte in den Arbeitsverträgen transparent sein müssen und den Arbeitnehmer auch nicht unangemessen benachteiligen dürfen.

1. Kombination Freiwilligkeits- und Widerrufsvorbehalt

Seit 2002 gibt es etliche Urteile des BAG, die sich mit der Wirksamkeit von Freiwilligkeitsvorbehalten befassen. Herauskristallisiert hat sich, dass Freiwilligkeitsvorbehalte nicht mit sog. Widerrufsvorbehalten kombiniert werden dürfen. In einem solchen Fall liegt immer ein zur Unwirksamkeit der Klausel führender Verstoß gegen das Transparenzgebot (§ 307 Abs. 1 Satz 2 BGB) vor.

Eine solche kombinierte unwirksame Klausel lautet typischerweise:

"Sonstige, in diesem Vertrag nicht vereinbarte Leistungen des Arbeitgebers an den Arbeitnehmer sind freiwillig und jederzeit widerruflich. Auch wenn der Arbeitgeber sie mehrmals und regelmäßig erbringen sollte, erwirbt der Arbeitnehmer dadurch keinen Rechtsanspruch für die Zukunft."

Solche Klauseln sollten deshalb zukünftig vermieden werden. Zuletzt hat das BAG in seiner Entscheidung vom 08. Dezember 2010 - 10 AZR 671/09 - die Unwirksamkeit einer solchen Klausel bestätigt.

2. Reine Freiwilligkeitsvorbehalte

Bislang waren reine Freiwilligkeitsvorbehalte, also solche Vorbehalte, die nicht unzulässigerweise mit einem Widerruf kombiniert waren, von dem BAG als wirksam erachtet worden. Das BAG hatte bislang auch keine Bedenken, wenn ein umfassender Freiwilligkeitsvorbehalt vereinbart war, der alle zukünftigen im Arbeitsvertrag nicht vereinbarten Leistungen als sog. freiwillige Leistungen bezeichnete. Beispielsweise lauten solche Klauseln wie folgt:

"Sofern der Arbeitgeber neben dem in § XY vereinbarten Gehalt zukünftig weitere Leistungen an den Arbeitnehmer erbringt, handelt es sich dabei um freiwillige Leistungen des Arbeitgebers an den Arbeitnehmer, auf die ein Rechtsanspruch für die Zukunft auch nach mehrmaliger wiederholter Zahlung weder dem Grunde noch der Höhe nach besteht."

Konkludentes Verhalten

Von solchen Klauseln muss man sich nach der neuesten Rechtsprechung des BAG ebenfalls verabschieden. In seiner Entscheidung vom 14. September 2011 - 10 AZR 526/10 - hat nämlich das BAG eine ähnliche Klausel für unwirksam erachtet. Der diesbezügliche Orientierungssatz des Entscheidung lautet, dass ein vertraglicher Freiwilligkeitsvorbehalt, der alle zukünftigen Leistungen unabhängig von ihrer Art und ihrem Entstehungsgrund erfasst, den Arbeitnehmer regelmäßig unangemessen im Sinne von § 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 BGB benachteiligt und deshalb unwirksam ist.

In der vorzitierten Entscheidung äußert das BAG bereits Bedenken, ob ein solcher vertraglicher Vorbehalt dauerhaft den Erklärungswert einer ohne jeden Vorbehalt und ohne den Hinweis auf die vertragliche Regelung erfolgten Zahlung so erschüttern kann, dass der Arbeitnehmer das spätere konkludente Verhalten des Arbeitgebers (betriebliche Übung, Anmerkung des Autors) entgegen seinem gewöhnlichen Erklärungswert nicht als Angebot zur dauerhaften Leistungserbringung verstehen kann.

Entscheidend ist jedoch, dass das Bundesarbeitsgericht weiter ausführt, dass unabhängig davon seine bisherige Rechtsprechung in den Fällen eingeschränkt werden muss, in denen ein vertraglicher Freiwilligkeitsvorbehalt alle zukünftigen Leistungen unabhängig von ihrer Art und ihrem Entstehungsgrund erfassen soll. Ein solcher Freiwilligkeitsvorbehalt bezieht unzulässigerweise nach Ansicht des BAG laufende Leistungen ein und verstößt sowohl gegen den in § 305 b BGB bestimmten Vorrang der Individualabrede als auch gegen den Allgemeinen Rechtsgrundsatz, dass vertragliche Regelungen einzuhalten sind.

Ferner sind nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen unwirksam, wenn sie den Vertragspartner entgegen Treu und Glauben unangemessen benachteiligen. Eine formularmäßige Vertragsbestimmung ist danach unangemessen, wenn der Verwender durch einseitige Vertragsgestaltung missbräuchlich eigene Interessen auf Kosten seines Vertragspartner durchzusetzen versucht, ohne von vornherein auch dessen Belange hinreichend zu berücksichtigen und ihm einen angemessenen Ausgleich zu gewähren. Nach § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB ist eine unangemessene Benachteiligung im Zweifel anzunehmen, wenn eine Bestimmung mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen wird, nicht zu vereinbaren ist.

Das BAG kritisiert bei dem vorzitierten Freiwilligkeitsvorbehalt, dass nicht unterschieden werde, ob es sich um laufende Leistungen oder einmalige Sonderzahlungen handeln soll; eine Konkretisierung auf bestimmte Leistungen oder zumindest auf eine bestimmte Art von Leistungen sei in diesem Vorbehalt nicht enthalten. Ebenso wenig werde auf den Entstehungsgrund der Leistungen abgestellt. Der Wort-laut erfasse sowohl Fälle der betrieblichen Übung als auch konkludente, z. B. auf einer Gesamtzusage beruhende Vereinbarungen und sogar ausdrückliche vertragliche Einzelabreden. Da deshalb nach Ausschöpfung der Auslegungsmethoden ein nicht behebbarer Zweifel bliebe, ginge dies gemäß § 305 c Abs. 2 BGB zu Lasten des Verwenders, also zu Lasten des Arbeitgebers. Der die Allgemeinen Geschäftsbedingungen verwendende Arbeitgeber müsse bei Unklarheiten die ihm ungünstigste Auslegungsmöglichkeit gegen sich gelten lassen. Mit anderen Worten: die Klausel ist unwirksam. Eine solche Klausel verhindert deshalb gerade keinen Anspruch des Arbeitnehmers beispielsweise auf Sonderzahlungen, Gratifikationen, Prämien etc.

3. Künftige Freiwilligkeitsvorbehalte

Es stellt sich deshalb die Frage, wie zukünftig Freiwilligkeitsvorbehalte in Arbeitsverträgen formuliert werden sollen, damit sie wirksam sind.

Zunächst lässt sich der Entscheidung entnehmen, dass es schädlich ist, alle Leistungen über einen Freiwilligkeitsvorbehalt erfassen zu wollen. Ferner sollte klargestellt werden, welcher Entstehungsgrund durch den Freiwilligkeitsvorbehalt ausgeschlossen werden soll.

Beispielsweise könnte ein wirksamer Freiwilligkeitsvorbehalt für evtl. gezahlte Gratifikationen wie folgt lauten:

"Sollte der Arbeitgeber zukünftig neben dem Gehalt Gratifikationen gewähren, entsteht dadurch kein Anspruch des Arbeitnehmers aus betrieblicher Übung, sondern es handelt sich dann vielmehr um freiwillige Leistungen, auf die ein Rechtsanspruch für die Zukunft auch nach mehrmaliger wiederholter Zahlung weder dem Grunde noch der Höhe nach besteht. Ein Rechtsanspruch auf solche Leistungen besteht nur aufgrund schriftlicher dementsprechender Vereinbarung."

Ob letztendlich ein solcher Freiwilligkeitsvorbehalt einer Prüfung des Bundesarbeitsgerichts standhalten wird, kann nicht garantiert werden. Um das Risiko eines unwirksamen Freiwilligkeitsvorbehalts zu vermeiden, mit der Folge eines Anspruchs des Arbeitnehmers auf eine gewollte freiwillige Zahlung, gibt es nur folgende Lösung:

Der Arbeitgeber muss den Arbeitnehmer bei Zahlung einer freiwilligen Leistung in jedem Einzelfall schriftlich darauf hinweisen, dass aus dieser Leistung kein Rechtsanspruch für die Zukunft erwächst, sondern dass sie freiwillig erfolgt. Dieses Schreiben muss er sich von dem Arbeitnehmer quittieren lassen. (oe)

Der Autor Stefan Schlöffel ist Rechtsanwalt, Fachanwalt für Arbeitsrecht und Mitglied des VDAA Verband deutscher ArbeitsrechtsAnwälte e. V., c/o Haas & Partner Rechtsanwälte, Sternstraße 65, 40479 Düsseldorf, Tel.: 0211/49140220, E-Mail: schloeffel@haas-law.de, Internet: www.haas-law.de