Blasser Prominententreff auf dem ICT World Forum

20.03.2003
Als "Davos der IT-Welt" war das zweitägige ICT World Forum in Hannover angekündigt worden. Doch dass die versammelteIT-Prominenz nicht viel mehr als Lieschen Müller wusste, wie der IT-Krise zu begegnen sei, hatten die wenigen Teilnehmer nicht erwartet.

Es hätte ein hochkarätiges Expertentreffen sein sollen, eines, auf dem mehr als 30 ICT-Bosse (ICT: Information and Communication Technology) mit rund angemeldeten 500 Experten hätten diskutieren und ihre von den Veranstaltern angekündigten weitreichenden Ansichten zur Zukunft der IT- und Kommunikationsbranche austauschen sollen.

Dafür waren die CEOs, etwa von Alcatel, AMD, Fujitsu Siemens Computers, Infineon, Juniper, Lucent, National Semiconductor, Philips Electronics, Samsung und Xerox, nach Hannover bugsiert worden. Sie sollten in Sessions und beim gemeinsamen Mittagessen - gemäß der Erkenntnis von Messe-Chef Ernst Raue: "Geschäfte machen Menschen, nicht Unternehmen" - debattieren, "Networking" betreiben und nicht zuletzt der Branche Hoffnung machen. Doch nach den zwei Tagen war der Katzenjammer groß. Denn die Erkenntnisse, die man von dem Forum mitnehmen konnte, waren gering. Erneut hatte der Glaube einen Dämpfer erhalten, wenigstens der ITC-Prominenz sei auf dem Papier klar, wie der zum Stillstand gekommene IT-Karren wieder in ein Hochgeschwindigkeitsvehikel verwandelt werden könnte.

Die Reaktion einiger Forum-Redner fiel bezeichnend aus. James Hall, Managing Partner Technology & Research beim Forum-Hauptsponsor Accenture, erklärte, das ICT Forum müsse "erst wachsen". Andreas Bernhardt, Deutschland-Chef von Alcatel, verhehlte seine Enttäuschung nicht. Als "zwiespältig" bezeichnete er seinen Eindruck, beklagte, dass "keiner der TK-Anbieter" da sei, und überlegte, das Forum auf den ersten Cebit-Tag zu verlegen. Anne Mulcahy, die gerade mit der mühsamen Wiedergeburt von Xerox beschäftigt ist, erklärte, sie habe auf dem Forum kaum Networking erlebt.

Viele Unternehmen sind ausgeblutet

Tatsächlich begann das Forum enttäuschend. Was sollten die etwa 200 angereisten Experten auch mit der Erkenntnis der deutschen Wissenschaftsministerin Edelgard Buhlman anfangen, "das böse Erwachen des letzten Jahres" habe eine pessimistische Grundstimmung zur Folge gehabt? Und was damit, sie hoffe nun auf einen "vorsichtigen Optimismus" in Sachen ICT?

Zudem verwies tags darauf Lucent-CEO Patricia Russo ihre Ansicht ins Reich der Fabeln. Sie rechne vielmehr mit weiteren Unternehmenspleiten und ferner damit, dass die nahe Zukunft der Unternehmen, die mit Internet- beziehungsweise Breitband-Geschäften Geld verdienen wollten, von dürftig gefüllten Kassen geprägt sein werde. Dem stünde der Zwang gegenüber, die Produktivität der Lösungen, die auf den Markt gebracht werden müssten, zu erhöhen. Kurzum, sie bereitete die Zuhörer auf einen mühsamen Spagat der ICT-Unternehmen vor.

Heimbenutzer im Fokus

Nun war bei allen Forum-Teilnehmer offensichtlich Grundwissen, dass die Internet- und digitale Revolution unumkehrbar ist. Immer mehr netztaugliche Chips halten Einzug in Alltagsgegenstände; die grundsätzliche Möglichkeit, neben und über die menschliche Kommunikation eine automatische, auf Routinen basierende Gerätekommunikation zu etablieren, wurde als so offensichtlich unterstellt, dass darüber viele Worte zu verlieren pure Zeitverschwendung gewesen wäre. Das jedenfalls sagte unwidersprochen Natsemi-Boss Brian Halla. "Wir stehen vor der Explosion." Doch ob und inwieweit diese Vernetzung von Geräten auch den vernetzten Menschen in den Genuss verbesserter Kommunikation bringt, blieb offen.

Kein Wunder, zielten die Vorträge der meist gebeutelten CEOs - etwa von AMD, Alcatel, Infineon oder Xerox - in einer merkwürdigen Verengung der allseitig vernetzten Zukunft darauf ab, möglichst schnell zahlungskräftige Privat- und Geschäftskunden für bereits vorhandene oder demnächst auf den Markt gebrachte Geräte und Dienste zu finden.

So erklärte Alcatel-Vorstand Serge Tchuruk, er wolle mit Breitband-Vernetzung, gleich ob via xDSL oder über TV-Settop-Boxen, und darauf aufsetzenden Diensten Privatkunden gewinnen. Kaum ein privater Haushalt sei heute mit "Video/TV on Demand" versorgt’ kaum einer mit der Möglichkeit, sich weitere Dienste nach Hause zu ordern. Dann legte er eine Folie auf, die nahezu ein Dutzend solcher bezahlter Dienste zeigte.

Wie viel der insgesamt eher raren Freizeit für andere Tätigkeiten übrig bleiben könne und solle, erklärte Tchuruk nicht. Es hätte auch nicht zu seinem Vortrag gepasst. Allerdings hätte er beim "Networking", bei Kaffee und Kuchen während der Vortragspausen, unweigerlich mitbekommen, dass seine Zuhörer nicht glauben wollten, dass sie künftig ihre freie Zeit vor allem vor vernetzten Geräten verbringen sollten.

Samsung-CEO Jong-Yong Jun tat es dem Alcatel-Chef nach. Er setze auf einen IP-basierten, in einem Netz vereinheitlichten Strauß von Dienstleistungen: medizinische Ferndiagnose und Online Banking, Video on demand, Community und Shopping-Zeitvertreib, versandt über ein Netz. Allerdings abhängig von der Leistungsfähigkeit des Endgeräts, umfassend oder, wie im Handy-Fall, eingeschränkt. Samsung baue bereits hochverdichtete Mobil-Chips, WLAN-Zugänge und anderes mehr. Man könne sich seine Netzvision im "Tower Palace" in Seoul ansehen, wo Bewohner mit all diesen Diensten versorgt seien. Eben "Digit All", wie die Samsung-Werbung verspricht, aber nicht zufällig offen lässt, ob der Geldbeutel der Angesprochenen da mitmachen wird.

Marketingvorträge statt Unternehmensvisionen

Man kann nun vermuten, wie ein Forum-Teilnehmer schon am ersten Nachmittag des Forums verärgert äußerte, dass die ICT-Veranstalter zu wenig Einfluss auf die Vorträge hatten. Denn auch die Vorträge, die sich mit Geschäftskunden und künftigen profitablen Geschäftsfeldern auseinander setzten, waren vor allem von der Vorstellung angeleitet, sehr schnell Geld verdienen zu wollen.

Beispielsweise erklärte Thomas Ganswindt, ICN-Chef bei Siemens und folglich massiv unter Druck, seine Abteilung wieder auf Kurs zu bringen: Mt zwei Produkten, die auf der Cebit vorgestellt wurden, könne seine Abteilung eine umfassende konvergente Lösung für Geschäftsprozesse anbieten. Und wenn dann noch, mit Hilfe von Siemens "als Lösungspartner", Anwendungen entwickelt würden, die gleich von welchem Ort der Welt, damit über jedes Netz der Welt, Probleme lösen könnten, dann sei die ICT-Welt auf dem besten Weg, Geld zu verdienen.

Dass ICN gerade wegen der zunehmenden Konvergenz der Welt seit Jahren strategisch schlingert, zuletzt von ICN mit IP-Anbieter Unisphere zum IP-losen TK-Ausrüster ICN, und folglich gerade wegen seiner Strategie kaum zu den Experten oder Vorreitern konvergenter Vernetzung zählen dürfte, ließ Ganswindt unerwähnt. Ebenso, dass ICN offensichtlich vor dem fundamentalen Dilemma steht, seinen Kunden Lösungen anbieten zu wollen, die die Abteilung als TK-Anbieter und damit die traditionelle, keineswegs unwichtige Siemens-Telefon-Abteilung tendenziell überflüssig machen würden.

Infineon-Chef Ulrich Schuhmacher sagte, er kümmere sich gerade darum, dass die Siemens-Ausgründung künftig auf Software statt auf festgebrannte ASICs-Logik setzen werde, um als System- und nicht mehr als ständig vom Markt gebeutelter Chip-Anbieter zu Markt, Umsatz und Gewinn zu kommen. Dass der Systemgedanke ein Rezept für alle Unternehmen sein könnte, verhehlte er nicht. Obwohl ihn die dauernden Auseinandersetzungen im eigenen Haus eigentlich widerlegen. Im Übrigen sprach auch er, in bekannt eloquenter Manier, vor allem über die Zukunft der Siemens-Ausgründung ...

"Marketingvorträge statt Visionen", fasste ein Teilnehmer unmutig seinen Eindruck beim nachmittäglichen Networking zusammen. Er ließ offen, ob er damit auch den bestimmt gewinnenden und lockeren Mittagsvortrag von Xerox-Chefin Anne Mulcahy meinte. In diesem kündigte sie an, Xerox werde in Richtung Anbieter von intelligentem digitalen Dokument-Workflow gehen. Zwar sei gerade Xerox in den letzten zwei Jahren in diesem Markt gescheitert, wie ein Druckerspezialist anmerkte, doch in Networking-Kreisen war man am Nachmittag des zweiten Tages offensichtlich vor allem froh, den Kongress hinter sich gebracht zu haben. "Die Zielgruppe ist verfehlt worden", befand Storagetek-Geschäftsführer Hermann-Josef Friedrich, einer der extra angereisten und durchaus neugierigen Experten, bevor er ging. Dass es sich um eine "sinnlose Veranstaltung" handelte, wie ein anderer Teilnehmer schimpfte, hörte er nicht mehr. Und auch nicht, dass eine Kellnerin meinte, IT-Kongresse seien nicht mehr so anstrengend wie früher. "Es sind viel weniger da." Auch auf einem ICT World Forum. (wl)