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Blockchain-Revolution 2017?

06.06.2017 von Thomas Kaltofen
Die Blockchain-Technologie sorgt branchenübergreifend für Furore. Und Fragezeichen. Wir bringen Sie auf den Stand der Dinge.

Die Blockchain ist eine unveränderbare, hochverfügbare und dezentrale Datenbank, in der alle Informationen revisionssicher sind und via Verschlüsselung vor fremden Zugriff abgeschirmt werden können. Wichtige Anwendungen sind intelligenten Verträge (Smart Contracts), die Nachverfolgung von Gütern, das Rechtemanagement und Produkte im Finanz- und Bankensektor.

Kommt 2017 die Blockchain-Revolution?
Foto: GrandeDuc - vivat - shutterstock.com

Definition: Das ist die Blockchain

Die Blockchain ist eine neuartige Technik zum Speichern von Daten und erlaubt das sichere Management von Informationen jeglicher Art. Ihren Ursprung hat die Blockchain in der Internetwährung Bitcoin, bei der Geldwerte ohne eine zentrale Instanz, also eine Bank, überwiesen werden.

Elementare Grundeinheiten der Blockchain sind die Transaktionen. Dabei tauschen zwei Parteien Informationen miteinander aus. Anschließend werden die Daten verifiziert und validiert, wobei geprüft wird, ob eine Partei die entsprechenden Rechte für diese Transaktionen besitzt. Darauf folgt das Mining (deutsch: schürfen) wobei nach einer bestimmten Zeit die Transaktionen zu Blöcken zusammengefasst werden und darüber ein Hash-Wert gebildet wird. Danach werden die Blöcke an die Kette angehangen und über ein Peer-to-Peer Netzwerk verteilt.

Diese Vorteile bringt Blockchain

Eine Blockchain ist eine Datenbank mit zwei elementaren Eigenschaften: Zum einen ist sie aufgrund eines sehr aufwändigen Verschlüsselungsverfahrens, der sogenannten Hash-Funktion, manipulationssicher. Zum anderen sind sehr viele Kopien der Datenbank in einem Netzwerk verteilt, bei dem 51 Prozent aller Instanzen geändert werden müssten, um erfolgreich einen Datenbankeintrag zu fälschen. Mit der heutigen Technik müssten dadurch Milliardensummen investiert werden, um nur einen einzigen Eintrag in der Blockchain zu manipulieren. Das wäre komplett unwirtschaftlich und führt letztendlich zu der hohen Manipulationssicherheit der Blockchain.

Ein weiterer wichtiger Gesichtspunkt ist die dezentrale Natur der Blockchain: Fällt bei einer klassischen Datenbank der Server aus, so kann diese nicht mehr genutzt werden. Falls ein Teil der Knoten der Blockchain ausfällt, so können die übrigen teilnehmenden Knoten weiter genutzt werden.

Vorteilhaft ist weiterhin, dass die Blockchain ohne große Infrastruktur auskommt. So werden auch in Entwicklungsländern Bankgeschäfte getätigt, ohne dass eine Bank als zentrale Instanz existieren muss. Auch eine Art Grundbuch und Geburtenregister - was es nicht in allen Ländern gibt - kann über eine Blockchain abgebildet werden.

Zum Video: Blockchain-Revolution 2017?

Versicherungs-Riesen mit Blockchain-Initiative

Die fünf Versicherungskonzerne Aegon, Allianz, Munich Re, Swiss Re und Zurich haben eine gemeinsame Initiative für Blockchain-Technik gegründet. Das Projekt mit dem Namen B3i (Blockchain Insurance Industry Initiative) soll ausloten, wie die verteilten Datenbanken Versicherungen effizienter machen können. Ein erstes Pilotprojekt der Partner soll prüfen, ob sich Geschäftsprozesse der Versicherungen über die neue Technologie abbilden und verwalten lassen.

Die Blockchain-Technik reduziert den Aufwand für die Dokumentation und Verwaltung von Versicherungsverträgen beträchtlich, ferner werden Informations- und Geldflüsse beschleunigt. Derzeit gibt es allerdings weder verbindliche Branchenstandards noch ein rechtliches Rahmenwerk für diese verteilten Kassenbücher.

Auf eigene Faust hatte die Allianz vor einigen Monaten bereits den Handel sogenannter "Katastrophen-Anleihen" auf Blockchain-Basis erprobt. Handelsabwicklung und Verwaltung dieser Wertpapiere ließen sich so erheblich vereinfachen und beschleunigen, hieß es. Besonders die Möglichkeit, Finanzprodukte als in einer Blockchain hinterlegten Programmcode ("Smart Contract") zu automatisieren, scheint den Versicherer begeistert zu haben.

Bundesbank & Deutsche Börse arbeiten an Blockchain

Bundesbank und Deutsche Börse loten gemeinsam Chancen und Risiken der Blockchain-Technologie für Finanzgeschäfte aus. "Die Deutsche Bundesbank und die Deutsche Börse haben ein hohes Interesse an der Blockchain-Technologie", sagte Bundesbank-Vorstand Carl-Ludwig Thiele bei der Vorstellung eines Prototyps für die Wertpapierabwicklung auf Basis der neuen Technologie. Beide Partner betonten, von einer Marktreife sei die Konzeptstudie weit entfernt. So dauere die Abwicklung der Transaktionen noch zu lange und sei zu speicherintensiv.

Der angedachte Prototyp der Börsen-Blockchain basiert auf dem Hyperledger-Projekt, das unter dem Dach der Linux-Foundation läuft. Die Börsen-Blockchain soll unter anderem ermöglichen, Wertpapiere gegen zentral ausgegebene Werteinheiten zu tauschen. Zudem sollen darüber auch einfache Kapitalmaßnahmen wie Zinsausschüttungen oder Rückzahlungen bei Fälligkeit eines Wertpapiers abgewickelt werden - wohl über Smart Contracts.

In naher Zukunft soll ein 40-köpfiges Projektteam der beiden Institutionen den Prototyp entwerfen. Derzeit wird allerdings davon ausgegangen, dass eine lauffähige Version eher in Jahren als in Monaten zu erwarten ist. Die Hoffnung hinter den Experimenten ist, dass Mittelsmänner wie Clearing-Häuser eingespart, Informationsflüsse beschleunigt und Verträge automatisiert werden können.

Die Blockchain im Bankensektor

42 führende, internationale Banken haben sich im September 2015 zu einem R3CEV-Konsortium zusammengeschlossen, um das Potential für das Finanzwesen auszuloten. Derzeit sind über 70 der weltweit führenden Finanzinstitute in diesem Konsortium zusammengeschlossen. Ziel des Verbundes ist es, am Ende der Entwicklung nur ein System aufzubauen, welches alle Banken nutzen können. Aktuell befindet sich das Projekt in der Konzeptionsphase. Bis eine erste Version laufen wird, werden noch ein bis zwei Jahre vergehen. Das Einsparpotential für die Infrastrukturkosten im Bankensektor wird auf 50 bis 70 Prozent geschätzt.

Erstes Produkt der Vereinigung ist die Blockchain-Variante Corda. Die neue Technologie ist speziell auf Finanz-Institutionen zugeschnitten und eine "Distributed Ledger Platform", die dafür entwickelt wurde, finanzielle Übereinkünfte zwischen regulierten Finanzinstituten zu verwalten und zu synchronisieren. Der Hauptunterschied zwischen Bitcoin und Corda ist, dass Corda nicht wie die Bitcoin Blockchain die ganze Liste aller Transaktionen auf die Knoten verteilt, sondern lediglich für die bestätigten Transaktionen.

Nachdem in den vergangenen 18 Monaten so gut wie jede relevante Bank und Börse der Welt dem Konsortium beigetreten ist, um eine Blockchain fürs Finanzwesen zu entwickeln, haben nun die ersten Banken den Rückzug angetreten. Trotz der hohen Ziele und der bisher geleisteten Arbeit steht das Projekt kurz vor dem Scheitern. Neben dem Gründungsmitglied Goldman Sachs haben auch die Bankhäuser Morgan Stanley, Santander und die National Australia Bank das Konsortium verlassen. Gerüchten zufolge sollen weitere Banken mit einem Ausstieg planen. Im Gespräch sind dabei die Finanzinstitute J.P. Morgan, Macquarie Group, U.S. Bancorp und weitere.

Es darf also bezweifelt werden, dass der Verbund je ein vermarktbares Produkt hervorbringt. Es wird diskutiert, dass der Rahmen von 70 Mitgliedern mit konkurrierenden Interessen eventuell zu groß ist, um einen Konsens für eine gemeinsame Plattform zu finden. So hätte Goldman Sachs zwar viel Geld für das Projekt zahlen müssen, aber dafür letztlich kaum noch direkten Einfluss auf das Ergebnis ausüben können. Ziel von Goldman ist es nun, eine Blockchain in Eigenregie zu entwickeln.

Laut "Fortune" ist der Ausstieg von gleich mehreren Mitgliedern auch durch eine Änderung der Finanzierungsmodalitäten begünstigt. Ursprünglich war geplant, dass die Mitglieder im Gegenzug für ihr Investment gemeinsam 90 Prozent der Aktienanteile der Firma erhalten. Zehn Prozent der Anteile hätten bei R3 verbleiben sollen. Eine entsprechende Finanzierungsrunde wurde im Mai 2016 gestartet. Deren Ziel wurde inzwischen von ursprünglich 200 auf 150 Millionen Dollar heruntergesetzt. Die Banken erhalten außerdem gemeinsam 60 Prozent der Aktienanteile der Firma im Gegenzug für ihr Investment.

Das Einspar-Potenzial von Blockchain

Marco Dunand, der Vorstandsvorsitzende von Mercuria, einem der größten Rohstoffhändler der Welt (im Bereich Öl), sieht große Vorteile in der Blockchain für seine Branche. Dunand kündigte an, eine Zusammenarbeit mit Stakeholdern bei der Technologie voran zu treiben. Schließlich bietet Blockchain die Möglichkeit, großen Einfluss darauf auszuüben, wie Rohstoffe gehandelt und ausgetauscht werden.

So können Blockchain-basierte Zahlungen die administrativen Kosten enorm senken. Es wird angenommen, dass die Kosten der Zahlungen um etwa 30 Prozent gesenkt und die Funktionalität des Marktes verbessert wird. Gleichzeitig wird die Einführung einer solchen Entwicklung nicht so schnell funktionieren, außer es kommen mehrere Unternehmen zusammen und arbeiten an gemeinsamen Blockchain-Netzwerken für den Ölmarkt.

Erstmals haben zwei Banken im Oktober 2016 ein grenzüberschreitendes Rohstoffgeschäft per Blockchain abgewickelt. Dabei handelte es sich um eine Lieferung Baumwolle, die von den USA nach China verschifft wurde. Abgewickelt haben das Geschäft die Commonwealth Bank of Australia und die US-Großbank Wells Fargo. Der australische Baumwollhändler Brighann Cotton Marketing habe die Lieferung von seiner Niederlassung in Texas geordert - die über Blockchain vollzogene Transaktion hatte demnach einen Wert von 35.000 Dollar.

"Bestehende Handels-Finanzierungs-Prozesse sind reif für Disruption und dies demonstriert, wie Unternehmen rund um die Welt profitieren können von den aufstrebenden Technologien", sagte Michael Eidel, verantwortlicher Manager in der Commonwealth Bank für Zahlungsdienste.

Die Blockchain für Journalisten

In vielen Ländern haben Journalisten mit Zensur und Repression zu kämpfen. Immer wieder kommt es vor, dass Redaktionen von Regierungsbehörden geschlossen und Journalisten verhaftet werden. Die Dezentralität der Blockchain-Technologie und ihrer entsprechenden Unabhängigkeit von politischen Institutionen kann dazu beitragen, die weltweite Zensur zu umgehen.

"Keine dritte Partei wird je die Kontrolle darüber haben, was veröffentlicht wird oder nicht," heißt es im Whitepaper von Veritas - der Blockchain für Journalisten. "Die Entscheidungen werden demokratisch von der Community gefällt und durch ein Validierungssystem abgesichert. Jedes Mitglied hat die gleichen Partizipationsrechte, selbst die Gründungsmitglieder haben keine Privilegien."

Die Validierung läuft dabei wie folgt ab:

Um sicherzustellen, dass nur seriöse Autoren und Leser Teil der Veritas-Plattform werden, haben die Entwickler ein Abstimmungs-basiertes Zahlungssystem entwickelt. Laut dem Whitepaper benötigt jeder Artikel 1000 Votes, um validiert zu werden. Jede Stimme ist wiederum an einen bestimmten Geldbetrag gekoppelt. Die Auszahlung hängt vom Wert des Votes ab: Umso höher deren Wert, desto höher die Auszahlung.

E-Mail auf Blockchain-Basis

Das Versenden von E-Mails gehört für viele Menschen zum (Arbeits-)Alltag. Das größte Problem der bisherigen Technik ist, dass keine Rechtssicherheit besteht. Das Versenden eines klassischen Briefes wird vor Gericht eher akzeptiert, als die manipulationsanfällige E-Mail. Insbesondere ist der Lesestatus unsicher, es kann nicht bewiesen werden, dass die E-Mail wirklich zugegangen ist, beziehungsweise gelesen wurde.

Abhilfe schaffen könnte an dieser Stelle ein Blockchain-basiertes E-Mail-System. Dabei wird jede verschickte Nachricht in die Blockchain geschrieben. Damit kann der Absender beweisen, dass er die Nachricht verschickt hat. Das wiederum birgt große Vorteile, etwa wenn es um die Kündigung von Verträgen geht. Ferner kann der Lesestatus in der Blockchain hinterlegt werden. Dies beweist, dass der Empfänger die Nachricht gelesen hat. Ein solches System könnte also künftig das relativ kostenintensive Versenden von Einschreiben ablösen. Die Rechtssicherheit ist - anders als bei der bisherigen E-Mail und dem E-Postbrief - gewährleistet. Führender Anbieter für solche Software ist derzeit die Firma faizod.

Auch Chat-Programme und -Dienste können in einer Blockchain abgebildet werden. Dies hätte den immensen Vorteil, im Falle von Straftaten die im Chat verabredet wurden, die Täter identifizieren zu können. Der Gesetzgeber müsste dafür den rechtlichen Rahmen schaffen und den Nutzen zwischen Privatsphäre und Strafverfolgung ausloten. Technisch wäre eine Blockchain-basierte Überwachung von Chat-Nachrichten heute jedoch möglich.

Fazit: Auch die Blockchain hat Nachteile

Neben den bisher aufgeführten Vorteilen und Anwendungsfällen für die Blockchain-Technologie bestehen auch Nachteile. Markus Demary vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln beziffert in einer Studie den Stromverbrauch der Bitcoin-Währung. Deren hoher Energiehunger rührt daher, dass das Mining-Prinzip Proof-of-Work immense Rechenleistungen bindet. Das Ergebnis der Studie: Wenn tatsächlich die Hälfte der Weltbevölkerung, die derzeit nicht über ein eigenes Bankkonto verfügt, eines Tages die Blockchain-Technologie nutzt, würde dafür mehr Strom verbraucht, als heute insgesamt auf der Welt produziert wird. "Schon wenn nur zehn Prozent der Weltbevölkerung auf die Bitcoin-Blockchain-Technologie setzten, würden dafür 22,9 Prozent der weltweiten Stromproduktion in Anspruch genommen", rechnet Demary vor.

Die noch junge Datenbank-Technologie hat das Potenzial, in vielen Bereichen und Branchen die bisherigen zentralen, relationalen Datenbanken abzulösen. Die kommenden Monate werden zeigen, ob die hohen Erwartungen an die Blockchain-Technologie erfüllt werden können oder sie ein theoretische, in der Praxis nicht umsetzbare Idee bleibt. 2017 wird definitiv ein entscheidendes Jahr für die Blockchain-Community. (fm)

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