Changemanagement: Bilder zerstören und neue entwerfen

29.10.2007 von Elke Pfeifer-Nagel
Welche Gefühle Mitarbeiter durchleben, wenn ihr Unternehmen umstrukturiert wird, das können sich Führungskräfte oft nicht vorstellen. Das erforderliche Gespür hierfür kann ihnen recht einfach vermittelt werden - mit so simplen Mitteln wie Pinsel, Farben, Schere und Kleber.

Wenn Unternehmen kreative Übungen in Mitarbeiterworkshops integrieren, machen sie häufig erstaunliche Erfahrungen. "Dass dabei so viel rauskommt, hätte ich nicht gedacht." Dies ist eine häufige Reaktion, wenn Mitarbeiter von Unternehmen erstmals zum Bearbeiten komplexer Themen zu Schere und Klebstoff oder Pinsel und Farben greifen. Das Instrument "Kunst" ist hervorragend geeignet, um Mitarbeiter für nötige Veränderungen und Anforderungen zu sensibilisieren, wenn es um komplexe Themen wie Umstrukturierungen oder Teambildung geht. Wie man dieses Werkzeug einsetzen kann, sei anhand eines fiktiven, aber realistischen Beispiels beschrieben:

Ein Unternehmen möchte eine Niederlassung umstrukturieren, um künftig kostengünstiger zu arbeiten. Zunächst gilt es, die Niederlassungsleiter als Mitstreiter zu gewinnen und sie dafür zu sensibilisieren, dass die Umstrukturierung spezielle Anforderungen an sie stellt. Also lädt die Unternehmensführung die Führungsmannschaft der Niederlassung zu einem Workshop ein. Dort informiert sie die Anwesenden über ihr Vorhaben und das damit verbundene Ziel: "Durch die Umstrukturierung wollen wir die Kosten um 20 Prozent senken, damit wir auch künftig wettbewerbsfähig sind." Zudem erläutert der Geschäftsführer oder Bereichsvorstand das geplante Vorgehen.

Emotionen sind im Spiel

Soweit ist der Ablauf den Führungskräften vertraut. Doch dann reißt ein Trainer die Anwesenden aus der "Routine": "Ich habe hier eine Auswahl von Bildern. Bitte suchen Sie sich das Bild aus, das Ihnen am besten gefällt." Die Männer und Frauen, die ansonsten bei der Arbeit primär auf ihren Verstand bauen, sollen sich also plötzlich "aus dem Bauch heraus" entscheiden für den Monet, den Picasso, das knallrote Ölbild oder das Aquarell in sanften Blautönen entscheiden. Das ist bereits für viele eine Herausforderung, denn plötzlich kommen ihre persönlichen Vorlieben oder Empfindungen ins Spiel.

Haben alle Anwesenden ein Bild gewählt, soll jeder kurz seine Wahl erläutern. "Das knallige Rot symbolisiert für mich Kraft." "Der Berg steht für mich für die Herausforderung, vor der wir stehen." Auf diese Weise kommen die Teilnehmer schnell miteinander ins Gespräch und zwar nicht über Zahlen und Fakten sondern über Emotionen. Das ist ein wichtiger Schritt, senn wenn es um das Thema Veränderung geht, spielen Gefühle und Empfindungen eine zentrale Rolle trotz aller rationalen Analysen und Planungen.

Nach jedem Abschied folgt ein Neuanfang

Dann bittet der Trainer die Führungskräfte, ihr Bild einem Kollegen zu geben. Dafür erhalten sie dessen Bild. Erst danach erläutert der Trainer, was mit den Bildern geschehen soll. Die Führungskräfte sollen die Bilder ihrer Kollegen in zehn Teile schneiden. Dies stößt meist auf Widerspruch: "So ein schönes Bild kann man doch nicht einfach kaputt machen." oder "Das wollte ich mit nach Hause nehmen." Mit dieser Methode erleben die Führungskräfte hautnah, was es bedeutet, wenn etwas zerstört wird, was man lieb gewonnen hat. Eine Erfahrung, die sie und ihre Mitarbeiter bei der anstehenden Umstrukturierung auch machen werden. Bei Veränderungen gilt es, sich von lieb gewonnenen Abläufen, Verhaltensmustern und eventuell sogar von Kollegen zu verabschieden.

Der nächste Schritt: Die Führungskräfte bekommen fünf Teile ihres Bildes zurück und sollen daraus ein neues Bild entwerfen. Wie sie dabei vorgehen und welche Utensilien sie hierfür zusätzlich nutzen, bleibt ihnen überlassen - ähnlich wie beim Umstrukturieren ihres Verantwortungsbereichs, wenn beim erneuten Zusammenfügen der Teile einige hinzugefügt und andere weggelassen werden. Die Übung soll die Niederlassungsleiter ermutigen, von ausgetretenen Wegen abzuweichen. Sie sollen zudem erkennen: Auch etwas anderes als das Gewohnte kann schön, interessant oder spannend sein.

Zudem sollen die Führungskräfte Verantwortung für die eigenen Handlungen übernehmen. Denn für das von ihnen geschaffene neue Bild sind nur sie verantwortlich, nicht etwa die Geschäftsleitung, die Umstände oder die unmotivierten Mitarbeiter, die im Alltag oft als Ausflüchte dienen, wenn Ziele nicht erreicht werden.

Ganz normal: Unsicherheit bei Veränderung

Sind die Bilder fertig, reflektiert der Moderator oder Trainer mit den Teilnehmern, wie sie bei der Zerstörung ihres Bildes und beim Entwerfen der neuen Bilder gefühlt haben. Zumeist antworten Teilnehmer in dieser Phase: "Am Anfang wusste ich nicht so recht, wie ich vorgehen sollte. Doch dann …"

Sie registrieren also: Unsicherheiten sind, wenn Neues geschaffen wird, normal. Zugleich merken sie aber: Mit der Zeit gewinnt man neue Sicherheit und je größer diese ist, desto selbstbewusster schreitet man voran, selbst wenn sich eine Teilentscheidung als Fehler erweist. Bewusst wird ihnen zudem: Nur wenn ich aktiv werde, also mich nicht verweigere, kann ich das Neue mitgestalten.

Mittels der beschriebenen Collage-Übung lassen sich die typischen Phasen eines Veränderungsprozesses bildhaft erläutern. Angefangen bei der anfänglichen Abwehrreaktion, über die rationale Akzeptanz der Veränderung, den Abschied vom Alten bis hin zum Einlassen auf das Neue wird dabei jede Phase einer Umstrukturierung durchlaufen. Doch nicht nur dies: Die Teilnehmer erleben sozusagen im Zeitraffer die Emotionen, die in den verschiedenen Phasen eines Veränderungsprozesses bei Menschen - also auch bei ihnen und ihren Mitarbeitern - entstehen. Sie können, sofern das Erlebte gemeinsam adäquat analysiert und reflektiert wird, später leichter nachvollziehen, wie sich ihre Mitarbeiter im Veränderungsprozess fühlen. Auf diese Weise können sie diese besser dabei unterstützten, die Situation zu meistern.

Erinnerungsanker schaffen

Die Collage-Übung sensibilisiert die Führungskräfte aber nicht nur für die Ängste und Unsicherheiten, die ein Wandel mit sich bringt. Sie verankert das Gelernte auch besser in ihrem Gedächtnis, als wenn ihnen dieselben Inhalte nur rational erläutert worden wären. Denn wir erinnern uns stärker und nachhaltiger an Dinge, die wir am eigenen Leib erfahren haben. Dies ist der Grund, warum viele Teamentwicklungsmaßnahmen in Outdoor-Trainings integriert werden. Die Teilnehmer erhalten zum Beispiel die Aufgabe, gemeinsam ein Floß zu bauen und mit diesem anschließend einen Fluss hinab zu fahren. Oder sie sollen sich gemeinsam über eine Schlucht hangeln.

Das Arbeiten mit "künstlerischen Elementen" hat gegenüber Outdoor-Übungen folgende Vorteile:

• Es können auch Mitarbeiter mitmachen, die nicht sportlich sind oder deren Bewegungsfähigkeit eingeschränkt ist (zum Beispiel ältere Mitarbeiter).

• Es ist kein aufwändiges Equipment nötig.

• Man ist nicht auf gutes Wetter angewiesen. Und:

• Die Teilnehmer haben mit dem Bild ein "Endprodukt" in der Hand, das sie an die Übung und die gemachten Erfahrungen erinnert.

Letzteres ist vor allem dann von Vorteil, wenn zu einem späteren Zeitpunkt an die gemachten Erfahrungen angeknüpft werden soll. Wenn die Teilnehmer im Workshop gemeinsam ein Bild vom künftigen Unternehmen oder von der künftigen Form der Zusammenarbeit entwerfen, kann das Ergebnis im Besprechungsraum der Firma aufgehängt werden. Es erinnert die Teilnehmer bei allen Folgebesprechungen an das gemeinsame Erlebnis und dies viel nachhaltiger als ein Protokoll, das beispielsweise anhand von Flipchart-Aufzeichnungen erstellt wurde, das meist schnell in der Versenkung verschwindet und in Vergessenheit gerät.

Folgen für den Arbeitsalltag

Der Griff zu Farbe, Malpapier oder ähnlichen Materialien lohnt sich meist auch, bei Workshops zu Themen, die im Firmenalltag ansonsten tabu sind zum Beispiel persönliche Verhaltensmuster, die die Zusammenarbeit stören. Sollen sie thematisiert werden, kann der Auftrag zum Beispiel lauten: "Gestalten Sie gemeinsam eine Landschaft" - als Metapher für das Team oder die Organisation.

Erhält eine Gruppe diesen Auftrag, wird meist schnell klar "wer welche Rolle im Team inne hat". Gestaltet ein Team-mitglied seinen Teil des Bildes ganz anders und verwirk-licht sich primär selbst, anstatt darauf zu achten, wie sich seine Arbeit in das Gesamtbild integriert, so kann darauf gezielt in der Besprechung eingegangen werden. Der Trainer könnte beispielsweise sagen: "Dieses Bildelement hebt sich von den anderen ab." "Überrascht Sie das?" "Erleben Sie im Alltag ähnliche Situationen?" "Wie gehen Sie damit um?"

Dass für das gemeinsame Reflektieren des Prozesses und des Erlebten ausreichend Zeit veranschlagt wird, ist für das erfolgreiche Arbeiten mit kreativen Übungen im Rahmen von Veränderungsprojekten wichtig. Das gemeinsame Malen und Basteln ist kein Selbstzweck. Es ist ein Instrument, um den Teilnehmern Erfahrungen und Erkenntnisse hautnah zu vermitteln, die sie im Arbeitsalltag brauchen.

Mut zur Kreativität

In Workshops zu Veränderungsprozessen, bei Maßnahmen zur Teamentwicklung oder Konfliktbewältigung oder in Führungskräfteseminaren lohnt sich der Griff zu Schere, Stift, Pinsel und Papier immer, wenn …

…bisher Unaussprechliches zur Sprache gebracht werden soll.

…die Mitarbeiter über mehr als nur Fakten sprechen sollen.

…ein Austausch zwischen emotionalem Erleben und rationalem Hinterfragen erreicht werden soll.

…die Mitarbeiter sich und ihre Kollegen mal aus einer anderen Perspektive wahrnehmen sollen.

…Erfahrungen und das daraus resultierende Wissen lange Zeit in Erinnerung bleiben sollen.

…ein Symbol an das gemeinsam Erarbeitete erinnern soll.

Die Autorin:

Elke Pfeifer-Nagel ist Partnerin der Unternehmensberatung Dr. Kraus & Partner, Bruchsal. Die Wirtschaftspsychologin, Kunsttherapeutin und Lehrbeauftragte an der kath. Hochschule für Sozialwesen in Berlin integriert häufig künstlerische Aktivitäten in Führungskräfteseminare und Teamentwicklungsmaßnahmen. Tel. 07251/989034, Email: info@kraus-und-partner.de, Internet: www.kraus-und-partner.de. (gn)