Charme-Offensive: Wie Sie Ihrem Wettbewerber die Kunden abjagen

29.03.2006 von Schreiber 
Wenn Unternehmen Neukunden akquirieren möchten, heißt dies in der Regel: Sie müssen Wettbewerbern Kunden abjagen. Dies ist im Business-to-business-Bereich immer dann schwer, wenn zwischen den Wettbewerbern und ihren Kunden jahrelange Geschäftsbeziehungen bestehen. Vertriebsberater und -trainer Peter Schreiber erläutert Ihnen, wie Sie trotzdem zum Ziel kommen.
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Die Marktsituation vieler im Business-to-business-Bereich tätiger Unternehmen ist von folgenden Faktoren geprägt. Aufgrund der zunehmenden Internationalisierung des Einkaufs ihrer Kunden steigt die Zahl ihrer Wettbewerber. Doch nicht nur dies. Weit bedrohlicher ist, dass die Zahl ihrer Kunden schrumpft:. Ein Unternehmen macht pleite. Ein anderes fusioniert. Ein weiterer Kunde bildet mit anderen Firmen eine Einkaufsgemeinschaft. Und wieder ein anderer besinnt sich auf seine Kernkompetenzen und verkauft den Geschäftsbereich, mit dem der Lieferant bisher gute Geschäfte machte, an einen Mitbewerber.

Solche Veränderungs- und Konzentrationsprozesse kennzeichnen heute den Markt. Deshalb verlieren Anbieter von Investitionsgütern immer wieder Kunden - selbst wenn ihre Leistung topp ist. Sie stehen regelmäßig vor der Frage: Mit wem können wir künftig die gewünschten Umsätze erzielen? Oder: Wie können wir Umsatzeinbußen ausgleichen? Hierfür gibt es nach der Formel "Umsatz = Menge x Preis" folgende Wege:

- bestehenden Kunden mehr verkaufen oder

- bei gleicher Liefermenge höhere Preise erzielen oder

- Wettbewerberkunden gewinnen.

Neukunden gibt es fast nicht mehr

Das Erzielen höherer Preis ist heute nur mit bestens trainiertem Verkaufspersonal möglich. Deshalb schlagen Unternehmen vielfach den vermeintlich leichteren Weg ein und versuchen den Lieferanteil und -umfang bei den bestehenden Kunden zu erhöhen. Doch dies allein genügt zum Sichern oder gar Steigern der Umsätze (sowie Erträge) meist nicht, denn wenn die Kundenbasis bröckelt, müssen mit den verbleibenden Kunden immer höhere Umsätze erzielt werden. Das stößt an Grenzen. Hinzu kommt: Wenn der Kundenstamm eines Unternehmens schrumpft, gerät es in eine immer höhere Abhängigkeit von seinen Kunden. Es wird zunehmend erpressbar, und seine Verhandlungsposition wird schwächer. Die Kunden können folglich immer stärker die Preise und Lieferkonditionen diktieren, weshalb eine existenzielle Abhängigkeit von Kunden mittelfristig oder langfristig meist zum Aus des Lieferanten führt.

Das wissen die Unternehmensführer. Deshalb zielt die Strategie der Unternehmen, wenn es darum geht, die Umsätze zu halten oder zu erhöhen, zumeist auch darauf ab, neue Kunden zu gewinnen. Dies klingt banal. In der Praxis erweist sich das Gewinnen von Neukunden im B-to-B-Bereich aber als schwierig und langwierig, denn "Neukunden" gibt es zwar aus Unternehmens-, aber nicht aus Marktsicht. Aus Marktsicht sind die so genannten Neukunden fast stets Wettbewerberkunden - also Unternehmen, die mit anderen Lieferanten zusammenarbeiten. Und dies meist seit vielen Jahren. Entsprechend stabil sind ihre Geschäftsbeziehungen.

Dumpingpreise führen nicht zum Ziel

Das erschwert es, Lieferanten zu verdrängen oder ihnen Lieferanteile abzujagen. Dies spüren auch die Vertriebsverantwortlichen in den Unternehmen. Deshalb sehen sie im Preis oft das einzige Instrument, um Wettbewerbern Kunden abzujagen - auch weil viele Verkäufer den Irrglauben verinnerlicht haben: Was die Kunden letztlich interessiert, ist nur der Preis.

Dieses Vorgehen ist zuweilen von Erfolg gekrönt, wenn das Unternehmen recht simple Produkte oder Dienstleistungen vertreibt, die für die Arbeitsabläufe der Zielkunden und deren Erfolg eine geringe Bedeutung haben. Denn dann ist es Kunden meist gleichgültig, wer ihr Lieferant ist - "Hauptsache, der Preis stimmt". Anders ist dies bei allen Produkten und Dienstleistungen, die für das Leistungsvermögen der Zielkunden von Bedeutung sind, insbesondere bei allen "Problemlösungen", die ein Kooperieren von Kunde und Lieferant erfordern. Bei ihnen ist ein Verdrängen von Wettbewerbern (rein) über den Preis nicht möglich.

Ein Beispiel: Im Herbst 2004 stellte ein Anbieter elektrotechnischer Komponenten für den Maschinenbau fest, dass seine Kundenbasis bröckelt. Also startete er eine Initiative zur Neukunden-Akquise. Der Salesdirector Europe bat die 40 regionalen Salesmanager, in ihrem Gebiet jeweils die drei Top-Kunden der Wettbewerber zu ermitteln. Deren Einkaufsverantwortliche sollten sie kontaktieren und die Preise der Wettbewerber "attraktiv" unterbieten, um ihnen einen Lieferantenwechsel "schmackhaft" zu machen. Insgesamt wurden 120 solcher "Dumping-Angebote" Wettbewerber-Kunden unterbreitet. Das ernüchternde Ergebnis: Ein Jahr später, also im Herbst 2005, hatte das Unternehmen keinen Neukunden gewonnen.

Warum war der Erfolg gleich null? Das Unternehmen unterschätzte die Beziehung der Zielkunden zu ihren Lieferanten. Deren Einkaufsverantwortliche waren zum Teil über das "Dumping-Angebot" gar nicht froh, denn dieses brachte sie in Zugzwang. Einerseits konnten sie den Preisunterschied nicht negieren, andererseits war ihnen klar: Wenn wir auf das Angebot eingehen, kommt auf uns (beziehungsweise mich) Mehrarbeit zu. Dann brauchen wir neue Genehmigungsverfahren in unserer Normenstelle und bei unseren Hauptkunden. Außerdem müssen wir unsere Prozesse modifizieren und unsere Mitarbeiter umschulen. Wir müssen auch neue Lieferanten- und Artikelnummern einrichten. Und, und, und ...

Kunde wünscht Sicherheit

Aber noch viel wichtiger war für viele Endscheider die Überlegung: Die Produkt- und Servicequalität unseres aktuellen Partners kennen wir. Außerdem ist die Zusammenarbeit zwischen seinen und unseren Mitarbeitern eingespielt. Die Mitarbeiter des potenziellen neuen Lieferanten hingegen müssten wir erst "einarbeiten". Außerdem besteht das Risiko, dass er sich in der Alltagsarbeit als der schlechtere Partner erweist und hieraus Folgeprobleme resultieren.

Also kontaktierten zahlreiche Endscheider ihren bisherigen Lieferanten: "Ich habe ein Problem. Mir liegt ein Angebot vor, das zehn Prozent günstiger ist. Wir müssen etwas tun, sonst muss ich auf das Angebot eingehen, da ich eine so große Preisdifferenz nicht rechtfertigen kann." Und weil der Lieferant den Preisunterschied oft nur zum Teil ausgleichen konnte, wurden weitere Deals abgeschlossen,: "Du gehst mit den Preisen für das Produkt x noch etwas weiter runter, als es deine Schmerzgrenze eigentlich erlaubt. Aber dafür lieferst du uns künftig zusätzlich das Produkt y. Zudem erhältst Du einen Wartungsvertrag für ..." Das Unternehmen erreichte mit seinen Dumpingangeboten also nur, dass die Beziehung zwischen dem potenziellen Neukunden und seinem bisherigen Lieferanten noch enger wurde.

Ziel: Sich als Zweitlieferant etablieren

Setzen Sie deshalb, wenn Ihr Unternehmen ins Revier eines Wettbewerbers eindringen möchten, den Hebel nicht beim Preis an. Erfolgversprechender ist der "Weg der kleinen Schritte" - also eine Strategie, die (vorläufig) nicht darauf abzielt, den bisherigen Lieferanten aus dem Boot zu werfen, sondern sich neben ihm als Zweitlieferant zu etablieren. Wenn dann aufgrund der Zusammenarbeit eine Beziehung zwischen Ihnen (und Ihrem Unternehmen) soweit den Entscheidern beim Kunden gewachsen ist, können Sie immer noch darauf hinarbeiten, Ihrem Konkurrenten weitere Lieferanteile abzujagen.

Zunächst müssen Sie aber wissen, bei welchen Kunden sich ein solches Bemühen lohnt - also ins Beuteraster Ihres Unternehmens passen. Ermitteln Sie, welche Wettbewerber-Kunden ein interessantes Potenzial haben - zum Beispiel ein jährliches Beschaffungsvolumen von 300.000 Euro, damit Sie bei einem Lieferanteil von zehn Prozent noch einen betriebswirtschaftlich attraktiven Mindestumsatz von 30 000 Euro erzielen. Sind diese Zielkunden identifiziert, gilt es über sie Hintergrundinfos zu sammeln, um zu erkunden, welchen Nutzen Sie ihnen stiften könnten. Dabei sollten Sie vier Nutzen-Aspekte unterscheiden:

- die technische,

- die ablauf-organisatorische,

- die sozial-menschliche und

- die kaufmännisch-wirtschaftliche Ebene.

Per Ferndiagnose lassen sich diese Infos nur zum Teil gewinnen. Also gilt es, eine persönliche Beziehung zu den Endscheidern bei den Zielkunden aufzubauen, um zu ermitteln, wo Sie den Hebel ansetzen könnten, um den potenziellen Kunden für sich zu gewinnen. Vereinbaren Sie mit dem oder den Endscheidern in dem betreffenden Unternehmen ein Erstgespräch - jedoch nicht mit der Erwartung, sogleich einen Auftrag an Land zu ziehen. Ihre Gesprächsziele sollten vielmehr sein:

- die Organisation des Zielkunden sowie Ihre Gesprächspartner kennen zu lernen,

- sich und Ihr Unternehmen als attraktiven Partner zu präsentieren und

- den Bedarf des Zielkunden und die

Bedürfnisse Ihrer Gesprächspartner zu erkunden,

um dann in einem zweiten Termin den richtigen Gesprächspartnern beim Kunden konkrete Lösungsvorschläge unterbreiten zu können.

Chancen für Zusammenarbeit ausloten

Nun geht es also darum auszuloten, ob und unter welchen Voraussetzungen für den Zielkunden eine Zusammenarbeit denkbar wäre und wenn ja in welchen Bereichen? Das Instrument hierzu sind Fragen - und zwar Fragen, die sich folgenden Typen zuordnen lassen.

- Ist-Fragen- zum Beispiel:

- Wir verfahren Sie im Moment ...?

- Was setzen Sie zurzeit ein, um ...

- Welche Rüstzeiten kalkulieren Sie zurzeit ein?

- In welcher Form arbeiten Sie heute mit Ihren Partnern zusammen?

- Problembewusstseins-Fragen - zum Beispiel:

- Welche Bedeutung hat für Sie ...?

- Welcher Zusammenhaben besteht bei Ihnen zwischen ...?

- In welchen Situationen (bei welchen Prozessen/Produkten) wäre es für Sie interessant ...?

- Soll-Fragen - zum Beispiel:

- Wie soll künftig ...?

- Was ist zu berücksichtigen bei ...?

· "Unter welchen Voraussetzungen ...?"

Abhängig von den gewonnenen Informationen kann Ihr weiteres Vorgehen entweder darauf abzielen,

- mit Spezialangeboten bei dem Neukunden Fuß zu fassen, die das Angebot seiner Lieferanten ergänzen, oder

- ihm aufzuzeigen, welche einkaufspolitischen Vorteile er davon hat, Ihr Unternehmen als Zweitlieferant zu engagieren.

Argumente für einen Zweitlieferanten sind:

- "Wenn Sie mehrere Lieferanten haben, ist Ihre Abhängigkeit vom Hauptlieferanten geringer."

- "Wenn Ihr Hauptlieferant weiß, das Sie weitere Lieferanten in petto haben, bemüht er sich stärker um Sie."

- "Wenn Sie mehrere Lieferanten haben, bekommen Sie, wenn Sie neue Problemlösungen suchen, auch mehrere qualifizierte Lösungsvorschläge. Das erhöht Ihre Entscheidungsmöglichkeiten."

- "Wenn Sie mehrere Lieferanten haben, erhalten Sie auch von mehreren Lieferanten Serviceleistungen."

Enges Beziehungsgeflecht aufbauen

Der Kunde wird sich im Erstgespräch meist nicht dazu durchringen, Sie als weiteren Lieferanten zu engagieren. Hierfür ist die Vertrauensbasis noch zu klein. Deshalb sollten Sie in diesem Gespräch auch auf keinen Fall Preise und Konditionen erörtern. Denn so lange zwischen Ihnen und Ihrem potenziellen Kunden noch keine gewachsene Beziehung besteht, nutzt er diese Infos nur für die Verhandlungen mit seinem bisherigen Lieferanten. Das von Ihnen angestrebte Gesprächsziel sollte sein, eine Absprache zu treffen, die sicherstellt, dass Sie und Ihr potenzieller Neukunde im Kontakt und Gespräch bleiben. Vereinbaren Sie mit ihm zum Beispiel regelmäßige Treffen, um sich über die Markteinwicklung auszutauschen. Oder laden Sie ihn zur Besichtung Ihres Werks oder Forschungs- oder Logistikzentrums ein. Achten sollten Sie dabei darauf, dass nicht nur zwischen Ihnen und Ihrem Gesprächspartner eine immer engere Beziehung entsteht. Vielmehr sollte sich ein immer engeres Beziehungsgeflecht zwischen den Mitarbeiter Ihrer Organisation und der Organisation des Kunden entwickeln. Beziehen Sie also auch Ihre Servicetechniker, Entwickler und Logistikfachleute in den Beziehungsaufbau ein. Denn je enger und vielfältiger die persönlichen Bande zwischen Ihrem Unternehmen und der Kundenorganisation sind, um so eher entscheidet sich der Neukunde für Sie.

Zum richtigen Zeitpunkt in die Offensive gehen

Wenn Sie (und Kollegen/Mitarbeiter von Ihnen) im regelmäßigen Kontakt mit dem Zielkunden stehen, dann erfahren Sie auch, wann sich bei ihm technisch, organisatorisch, personell etc. etwas ändert. Und: Sie erhalten auch Infos über Ihre Konkurrenten. Zum Beispiel, dass er sich mit einer Problemlösung schwer tut. Oder, dass ihn wichtige "Schlüsselpersonen" verlassen. Oder dass er ein neues Logistiksystem einführt. Solche Veränderungen führen meist zu Irritationen beim Kunden. Also ergeben sich hieraus für Sie Ansatzpunkte, um bei Ihrer Kontaktperson zum Beispiel mit dem Vorschlag vorstellig zu werden: "Was halten Sie davon, wenn sich die Personen a, b und c aus Ihrer Organisation und die Personen x, y, und z aus unserer Organisation zu einem Spezifikationsworkshop treffen, um gemeinsam zu schauen, wie ...". Wenn beim Ziel-Kunden ohnehin Veränderungen anstehen, sind Ihre Chancen, zum Ziel zu kommen. groß: Nun können Sie gezielt darauf hinarbeiten, dass Sie den gewünschten Erstauftrag erlangen oder Ihr Kunde den Lieferumfang erhöht, sofern er Ihnen bereits erste Kleinstaufträge erteilte. Sie können ihm aber auch, wenn er zum Beispiel über lange Rüstzeiten und steigende Energiekosten klagt, sofern Ihre Beziehung schon so weit gediehen ist, den Vorschlag unterbreiten: "Ich könnte mir als Lösung vorstellen, dass .... Hieraus müssten nach meiner Schätzung 20 Prozent kürzere Rüstzeiten und 15 Prozent niedriger Energiekosten resultieren. Was halten Sie davon, wenn Ihnen unsere Techniker mal einen Vorschlag unterbreiten wie ..."

Wenn Ihr Gesprächspartner das Gefühl hat "Der will mit mir langfristig ins Geschäft kommen. Entsprechend bemüht er sich um mich", sind die Chancen gut, dass er sich auf Sie einlässt. Jetzt Sie sind an dem Punkt, dass Sie mit dem Zielkunden nicht mehr über Möglichkeiten der Zusammenarbeit, sondern über reale Projekte sprechen - und zwar solche, bei denen die Frage, wer den Zuschlag erhält, noch (oder wieder) offen ist. Deshalb ist die Chance groß, dass Sie den Auftrag erhalten - und zwar zu marktgerechten statt zu Dumpingpreisen.

Noch ein Tipp: Konzentrieren Sie beim Versuch, Wettbewerbern Kunden abzujagen, Ihre Energie nicht auf deren Top-Kunden. Denn dann werden diese fuchsteufelswild und setzen alles daran, dass Sie nicht zum Zug kommen. Anders ist es, wenn Sie deren Kunden im unteren A- und im oberen B-Kunden-Segment umgarnen. Sie stehen nicht so stark im Fokus der Key-Accounter. Deshalb können Sie mit ihnen, bevor Ihre Wettbewerber Ihre "Charme-Offensive" registrieren, oft so enge Kontakte aufbauen, dass es zum Abwehren Ihres Angriffs bereits zu spät ist. (mf)