Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) verstößt zum Teil gegen das Europarecht

22.05.2007 von Dr. Christian
Rechtsanwalt Dr. Christian Salzbrunn erklärt, warum das AGG in seiner aktuellen Form gegen das Europarecht verstößt.

Es gibt nicht viele Gesetze, die bereits während des Gesetzgebungsverfahrens für derartige politische und juristische Diskussionen gesorgt haben, wie das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG). Nun sorgt das AGG wieder einmal für erhebliche Schlagzeilen, obwohl dieses sehr junge Gesetz erst seit dem 18.08.2006 in Kraft ist.

Stein des Anstoßes ist die Regelung in § 2 Abs. 4 AGG. Nach dieser Vorschrift sollen für arbeitsrechtliche Kündigung ausschließlich die Bestimmungen zum allgemeinen und besonderen Kündigungsschutz gelten. Das AGG soll damit bei einer Überprüfung der Rechtswirksamkeit einer arbeitsrechtlichen Kündigung nicht angewandt werden. Das Arbeitsgericht Osnabrück (Aktenzeichen: 3 Ca 778/06) hat sich nun aber in einem - allerdings noch nicht rechtskräftigen - Urteil vom 05.02.2007 dafür ausgesprochen, dass der § 2 Abs. 4 AGG gegen das geltende Europarecht verstößt. Bemerkenswert hieran ist vor allem, dass ein solches Urteil von vielen Arbeitsrechtlern regelrecht erwartet worden ist.

Zahlreiche Arbeitsrechtsexperten weisen den Gesetzgeber schon seit geraumer Zeit darauf hin, dass sie die Ausklammerung arbeitsrechtlicher Kündigungen aus dem Anwendungsbereich des AGG, also die Regelung in § 2 Abs. 4 AGG, für europarechtswidrig halten. Denn das AGG ist keine Erfindung des deutschen Gesetzgebers, sondern es beruht letztlich auf einer Umsetzung von vier EU-Richtlinien in das deutsche Recht, welche das europäische Antidiskriminierungsrecht vorgeben. Zu diesen EU-Richtlinien ist jedoch seit langem anerkannt, dass sie auch vor Benachteiligungen bei der Beendigung von Arbeitsverhältnissen schützen, also auch bei arbeitsrechtlichen Kündigungen Anwendung finden (vgl. Art. 3 Abs. 1 c der EU-Richtlinie 2000/78/EG sowie Art. 5 der EU-Richtlinie 2002/73/EG). Überdies enthält das AGG selbst einen erheblichen Widerspruch: nach § 2 Abs. 1 Nr. 2 AGG soll das Gesetz auf sämtliche Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen einschließlich der Bedingungen von Entlassungen anwendbar sein - worunter schon vom Wortlaut her auch arbeitsrechtliche Kündigungen erfasst sind -, während nach § 2 Abs. 4 AGG arbeitsrechtliche Kündigungen von der Anwendbarkeit des AGG wiederum ausgenommen werden sollen.

Brisant ist in dem Zusammenhang vor allem, dass der Gesetzgeber das AGG nur zwei Monate nach Inkrafttreten aufgrund eben dieser Regelung in § 2 Abs. 4 AGG nachgebessert hatte. Mit Wirkung zum 12.12.2006 strich der Gesetzgeber "still und heimlich" die bis dahin bestehenden Regelungen in § 10 S. 3 Nr. 6 und Nr. 7 AGG, und zwar mit der Begründung, dass diese beiden Regelungen in Hinblick auf § 2 Abs. 4 AGG überflüssig seien. Der § 10 S. 3 Nr. 6 AGG sah bis zu diesem Zeitpunkt eine Rechtfertigungsmöglichkeit für eine unterschiedliche Behandlung von Mitarbeitern vor, sofern im Rahmen einer betriebsbedingten Kündigung nach § 1 Abs. 3 S. 1 Kündigungsschutzgesetz (KSchG) in Bezug auf das Alter eine Sozialauswahl durchzuführen ist. Der § 10 S. 3 Nr. 7 AGG erlaubte bis dahin individual- oder kollektivrechtliche Vereinbarungen zur Unkündbarkeit von Arbeitnehmern, soweit diese eine bestimmte Altersgrenze erreicht haben. Mit Streichung der beiden Regelungen in § 10 S. 3 Nr. 6 und Nr. 7 AGG wollte der Gesetzgeber untermauern, dass das AGG entgegen dem EU-Recht auf arbeitsrechtliche Kündigungen nicht anwendbar ist. In Anbetracht der Tatsache, dass dem Gesetzgeber die entgegenstehende Rechtslage im Europarecht eigentlich bekannt gewesen sein musste, kann aber weder die Regelung in § 2 Abs. 4 AGG selbst und schon gar nicht die auf dieser Regelung beruhende Nachbesserungsaktion im Dezember 2006 nachvollzogen werden.

Diese Widersprüche sind vom ArbG Osnabrück nun aufgegriffen worden. Soweit ersichtlich, hat das ArbG Osnabrück als erstes Arbeitsgericht die Regelung in § 2 Abs. 4 AGG für europarechtswidrig erklärt. In dem zu beurteilenden Fall ging es um betriebsbedingte Kündigungen eines deutschen Automobilherstellers. Dieser hatte sich zuvor im Rahmen eines Sozialplans und eines Interessenausgleichs mit dem Betriebsrat darüber geeinigt, mehr als 600 Arbeitsplätze abzubauen. Um den Anstieg des Durchschnittsalters der Arbeitnehmer in dem Betrieb zu verhindern, fasste der Automobilhersteller - entsprechend einer bislang gängigen Praxis - die Mitarbeiter in Altersgruppen zusammen und sprach in jeder Gruppe gegenüber einem bestimmten Prozentsatz von Mitarbeitern eine Kündigung aus. Das ArbG Osnabrück erkannte jedoch in dieser Vorgehensweise eine Diskriminierung älterer Arbeitnehmer, weil ohne diese Altersgruppierung letztlich weniger ältere Arbeitnehmer gekündigt worden wären. Das ArbG Osnabrück wandte damit das AGG entgegen der ausdrücklichen Regelung in § 2 Abs. 4 AGG auf einen arbeitsrechtlichen Kündigungssachverhalt an und erklärte diejenigen Kündigungen für rechtswidrig, die vor dem Arbeitsgericht angegriffen worden sind.

Die Rechtsansicht des ArbG Osnabrück wird im Rahmen der Berufung von dem Landesarbeitsgericht Niedersachsen überprüft (Aktenzeichen: 16 Sa 280/07). Es steht auch zu erwarten, dass sich das Bundesarbeitsgericht mit dieser Angelegenheit noch beschäftigen wird. Allerdings ist kaum zu prognostizieren, dass diese Gerichte in Bezug auf die europarechtswidrige Regelung in § 2 Abs. 4 AGG eine abweichende Entscheidung treffen werden. Derweil werden Arbeitgeber eine gewisse Zeit lang mit einer sehr unklaren Rechtslage leben müssen. Hier ist auf den Widerspruch hinzuweisen, dass auf der einen Seite bei einer betriebsbedingten Kündigung im Sinne des § 1 Abs. 3 S. 1 KSchG das Lebensalter eines Arbeitnehmers im Rahmen der Sozialauswahl mit zu berücksichtigen ist. Auf der anderen Seite darf ein Mitarbeiter nach den §§ 1 und 7 AGG gerade nicht wegen seines Alters benachteiligt werden. Es ist kaum vorherzusagen, wie sich dieser Widerspruch in der Zukunft genau auflösen wird. Dagegen ist aber eines mit Gewissheit festzustellen: das Thema "AGG" bleibt auch in der Zukunft spannend.

Der Autor: Weitere Informationen zur Rechtsanwaltskanzlei Dr. Christian Salzbrunn erhalten Sie im Internet über die Homepage http://www.ra-salzbrunn.de. Kontakt: Rechtsanwaltskanzlei Dr. Christian Salzbrunn, Alt-Pempelfort 3, 40211 Düsseldorf, Tel.: 0211 / 1752089-0, Fax: 0211 / 1752089-9, info@ra-salzbrunn.de (mf)