Umstellung dauert

Das Internet-Protokoll IPv6 kommt in die Gänge

07.05.2008
Die Umstellung des Internets auf das Protokoll IPv6 rückt immer näher. Der Grund: Der IP-Adressvorrat, den das derzeit benutzte Protokoll IPv4 bereitstellt, neigt sich dem Ende zu.

Von Wolfgang Leierseder

Die beiden IPv6-Ringe in Deutschland.

Die Umstellung des Internets auf das Protokoll IPv6 rückt immer näher. Der Grund: Der IP-Adressvorrat, den das derzeit benutzte Protokoll IPv4 bereit stellt, neigt sich dem Ende zu.

Mit dem ehrwürdigen, 20 Jahre alten IPv4 (v4 ist gleich Version 4) und seinen 32 Bit-Adressen können insgesamt 4.294.967.296 eindeutige IP-Adressen vergeben werden. Das ist nicht nur zu wenig, um die Weltbevölkerung - derzeit rund 6,7 Milliarden - zu versorgen, sondern auch angesichts der Flut von Web-Handys und Smartphones, VoIP-Telefonen und anderen Internet-fähigen Geräten und Chips - Stichworte sind hier RFID, intelligente Haushaltsgeräte oder Industrial Ethernet - viele zu wenig.

Erschwerend kommt hinzu, dass viele IP-Adressen für Sonderaufgaben eingesetzt werden, zum Beispiel für IP-Multicast, oder zu großen Teilnetzen (Class A mit je 16,8 Millionen Adressen) gehören, die längst vergeben sind. Etwa an die USA, die 74 Prozent aller IP-Adressen ihr eigen nennen können, während die neuen Schwergewichte des Internets, insbesondere China und Indien, zusammen soviel IPv4-Adressen besitzen wie zwei mittlere amerikanische Universitäten. Verständlich ist deshalb, dass sich diese Nationen für IPv6 stark machen.

Was bei IPv6 neu ist

Das 128 Bit große IPv6 beinhaltet 2 hoch 128 Adressen (2128) - eine 39 Stellen umfassende Zahl, die ausgeschrieben sich so liest: 340.282.366.920.938.463.463.374.607.431.768.211.456 Adressen oder rund 340 Sextillionen. Damit dürfte die Menschheit mitsamt ihren IP-Geräten eine Zeitlang versorgt werden können.

Das Protokoll beinhaltet eine Reihe von technischen Neuerungen, die Administratoren das Leben erleichtern sollten. Dazu zählen die Autokonfiguration von IPv6-Adressen (stateless) - DHCP (stateful) für IPv4 wird damit der Vergangenheit angehören. Des Weiteren beinhaltet das Protokoll IPSec, Quality of Service und Multicast sozusagen "serienmäßig" - und nicht, wie bei IPv4 geschehen, durch trickvolle Erweiterungen aufgemörtelt.

Auch der IP-Kopfdatenbereich (Header) ist bei IPv6 überarbeitet. Jetzt hat der Header eine feste Länge von 40 Bytes (320 Bits), wobei optionale Informationen, etwa für Router, in eigenen Erweiterungs-Kopfdaten (Extension Headers) zwischen dem IPv6-Kopfdatenbereich und der eigentlichen Nutzlast (Payload) eingebettet sind. Und nachdem auch die aus der festen IP-Adressvergabe resultierenden Datenschutzprobleme allmählich gelöst sind, sind sich Experten einig : IPv6 wird IPv4 unweigerlich ablösen.

Wann kommt IPv6?

Und dennoch gestaltet sich der Prozess der Implementierung des Protokolls als sehr mühsam. Denn die Umstellung auf das neue Protokoll erfordert mehrere Probleme zu lösen.

Router müssen sowohl IPv6 verstehen als auch umkonfiguriert werden. Das Selbe gilt für Betriebssysteme aller Art und Geräte, die IPv6 erkennen soll. Für Service Provider bedeutet das, neben dem IPv4-Netzen die neuen Netze aufzubauen - teure Investitionen sind hier angesagt.

Aber auch die Betriebssysteme, insbesondere die der mobilen Geräte, müssen um IPv6 erweitert werden. Das freut zwar die Entwickler mobiler Applikationen, da sie dann feste Vorgaben für die Geräte haben, doch die Anbieter von Betriebssystemen müssen entweder einen Protokoll-Stack aufsetzen, oder, wie es Apple und Microsoft bei ihren jüngsten Betriebssystem-Versionen gemacht haben, sie unterstützen das Protokoll serienmäßig..

Wann IPv6 kommen wird, ist offen. Denn es wird noch Jahre dauern, bis das Internet vollständig auf die Dienste von IPv4 verzichten können wird. Experten rechnen mit einer Übergangszeit von mehreren Jahren; bis dahin werde es einen Mischbetrieb geben. So erklärte beispielsweise Frank Orlowski vom Internet-Austauschknoten DE-CIX in Frankfurt am Main, "irgendwann wird man das alte Netz abschalten. Das wird ein Prozess sein, der mehrere Jahre in Anspruch nimmt." Der Umstellungsprozess werde schrittweise vor sich gehen. Er betreffe alle Netzanbieter und -nutzer, auch den Endanwender.

Derzeit nutzen Orlowskis zufolge 70 bis 80 Provider der 240 am DE-CIX angeschlossenen Netze das neue Internet-Protokoll. Allerdings werden diese Netze experimentell betrieben, so dass diese ohne entsprechende Services oder Verfügbarkeitsgarantien für Kunde auskommen.

Und obwohl die meisten der großen Austauschpunkte für Internet-Traffic neben IPv4 auch den Austausch von IPv6 über ihre Infrastruktur ermöglichen und auch fördern, gibt es in Deutschland erst zwei IPv6-Backbones. Der eine, von der Telekom aufgebaut, ist zwischen Darmstadt, Münster und Berlin verlegt, der andere wurde in Form eines Ringes durch Deutschland gebuddelt. Diesen als "6WiN" bezeichneten Ring haben der Verein zur Förderung eines Deutschen Forschungsnetzes (DFN) und die an der Universität Münster angesiedelte Projekt JOIN in Auftrag gegeben. Seit dem 1. Januar 2006 ist der IPv6-Betrieb an das DFN-NOC übergeben; die Ringe der Telekom und von JOIN sind miteinander verbunden.

In China aber betreiben 25 Universitäten in 20 Städten das Bildungsnetzwerk "CERNET2". Das Netz wird zur Gänze mit IPv6 betrieben. (wl)