Mehrwertstrategie für Unternehmen

"Der Kunde braucht keinen Bohrer, der Kunde braucht ein Loch!"

03.06.2009
Wie Sie Ihren Kunden mehr Wert – sprich: Nutzen – verkaufen können, sagt Peter Schreiber.

"Der Kunde braucht keinen Bohrer, der Kunden braucht ein Loch" - so lautet eine alte Verkäuferweisheit. Trotzdem denken viele Investitionsgüterverkäufer zu stark in Produktkategorien. Deshalb können sie ihren Kunden nicht vermitteln, dass ihre "Problemlösung" ihnen mehr Nutzen als das Konkurrenzprodukt bietet. Die Folge: weniger Auftrag und endlose Preisdiskussionen mit den Kunden.

"Ihr müsst euren Kunden einen Mehrwert bieten - verglichen mit euren Mitbewerbern. Denn nur dann kauft der Kunde euer Produkt ... und ist eventuell sogar bereit, hierfür etwas mehr zu zahlen." Diese Aussage hört man oft in Verkaufsseminaren. Entsprechend agieren die Verkäufer in ihren Verkaufsgesprächen. Ausführlich schildern sie den Kunden die technischen Merkmale ihres Produkts und welche Vorzüge sich daraus aus ihrer Sicht für den Kunden ergeben. Doch dann stellen sie erstaunt fest: Der Kunde interessiert sich hierfür überhaupt nicht, weil der vom Verkäufer beschriebene "Mehrwert" gar nicht seinen Bedürfnissen entspricht

Investitionsgüterverkäufer, die so agieren, gleichen einem Autoverkäufer, der Kunden im Verkaufsgespräch zum Beispiel voller Stolz erklärt: "Dieses Fahrzeug bringt aufgrund seiner neuen Einspritztechnik mehr auf die Straße. Deshalb fährt es 20 Kilometer schneller als das Vorgängermodell und bescheunigt statt in 10 in nur 8 Sekunden von 0 auf 100."

Das mag bei Kunden, die einen "sportlichen Fahrstil" bevorzugen, ein Verkaufsargument sein. Anders ist dies aber, wenn der Gesprächspartner zum Beispiel ein Familienvater ist, der aus Sicherheitsgründen und der Umwelt zuliebe, überspitzt formuliert, am liebsten mit einem Traktor durch die Lande fahren würde. Bei ihm erzielt das "Verkaufsargument" des Verkäufers im besten Fall keine Wirkung - und im schlimmsten Fall ist es sogar verkaufsverhindernd.

Kernfrage: Was will und braucht der Kunde?

Mit Nachdruck sollten Sie, zum Beispiel als Verkaufs- oder Vertriebsleiter, Ihren Mitarbeitern deshalb vermitteln: Was aus Sicht des Kunden (und nicht des Verkäufers) ein "Mehrwert" darstellt, ergibt sich stets aus dem Bedarf sowie den individuellen Zielsetzungen des Kunden. Also gilt es diese Faktoren vor dem Verkaufsgespräch oder in dessen Startphase zunächst zu erkunden.

"Das tun wir doch", werden Ihre Verkäufer vermutlich erwidern, wenn Sie dies zu Ihnen sagen. Stimmt, die meisten Investitionsgüterverkäufer fragen ihre Kunden danach, welche (technischen Anforderungen) das Produkt erfüllen muss, damit es deren Erwartungen erfüllt. Sie gleichen damit einem Autoverkäufer, der seine Kunden fragt: "Wie viele Sitze soll das Auto haben?" "Wie schnell soll es fahren?" "Wie viel PS soll es haben?" "Wie hoch sollte der Spritverbrauch maximal sein?" Und: "Wie viel darf das Auto kosten?" Dies ist das typische Vorgehen eines Produktverkäufers, jedoch nicht eines Lösungsverkäufers, der als "selling consultant" seinen Kunden einen echten Mehrwert bietet, indem er sie zum Beispiel beim Erhöhen ihrer Wettbewerbsfähigkeit unterstützt. Ein Autoverkäufer, der sich als Lösungsverkäufer versteht, würde den Kunden zum Beispiel fragen: "Wofür nutzen Sie das Auto primär? Eher für Kurzstrecken in der Stadt oder für längere Fahrten auf der Autobahn?" "Was nehmen Sie, wenn Sie mit dem Auto nach Kroatien in Urlaub fahren, außer Ihrer vierköpfigen Familie in der Regel mit - zum Beispiel Ihren Hund oder Surfbretter für die Kinder?" "Was ist Ihnen bei Fernfahrten besonders wichtig - dass Sie zügig vorankommen oder dass Sie bequem reisen?"

Lösungen statt Produkte verkaufen

Ebenso verhält es sich beim Vertrieb von Investitionsgütern, auch wenn die Fragen dort andere als beim Endkundenvertrieb sind. Ein Investitionsgüterverkäufer, der sich als Lösungsverkäufer versteht, erkundet zunächst detailliert:

- Welches Geschäft betreibt der Kunde?

- Warum kaufen seine Kunden bei ihm? Womit versuchte er bisher, sich in seinem Markt von seinen Wettbewerbern zu differenzieren? Womit könnte er sich noch differenzieren? Was macht ihn bei seinen Kunden erfolgreich? Was hindert ihn im Moment daran, bei seinen Kunden erfolgreich zu sein?

- Wofür braucht der Kunde eine (Problem-)Lösung?

- Wie sind die Prozesse/Abläufe beim Kunden strukturiert?

- Welche Ziele möchte er damit erreichen?

- Welche Anforderungen sollte aus Kundensicht die Lösung folglich erfüllen? Hat der Kunde in diesem Fall einen Investitionsantrag? Wie sieht der aus und wie wird welche Amortisation vom Controller des Kunden berechnet? Und:

- Wie sollte die Lösung demzufolge gestaltet sein?

- Wie lässt sich die Wirtschaftlichkeit darstellen? Betrachtet der Kunde Anschaffungskosten oder Total Costs of Ownership? Welche Kostenarten werden dabei betrachtet? Entscheidet der Einkäufer aufgrund des Stückpreises oder des Verwendungspreises?

Denn aus den Antworten auf diese Fragen kann der Lösungsverkäufer ableiten, was für den Kunden einen echten "Mehr-Nutzen" darstellt. Damit kommt er heraus aus der Falle, ein Lieferant wie jeder andere auch zu sein und wird zum gern gesehenen und "wert"-vollen Geschäftspartner des Kunden - im wahrsten Sinne des Wortes.

Den spezifischen Bedarf der Kunden ermitteln

Einige Verkäufer mögen nun denken: Wozu muss ich das alles wissen, wenn ich dem Kunden nur eine Fräse oder Drehmaschine, drei Kopierer oder 10 000 Sensoren verkaufen möchte? Dann ist es doch klar, wozu er das Zeug braucht! Nein, einen Kopierer kann man für das Ablichten einzelner Briefe für die Ablage und für das Erstellen von Massen-Mailings benötigen. Man kann ihn zum Vervielfältigen von Fotos oder von Bauplänen verwenden. Man kann ...

Der Verkäufer braucht Details

Und es macht auch einen Unterschied, ob ein Kopierer regelmäßig von denselben drei oder vier Personen benutzt wird oder von Hunderten von Personen sporadisch, die in der Regel stets nicht wissen, auf welchen Knopf sie drücken müssen, wenn sie eine Verkleinerung wünschen - und sich schon gar nicht für das Nachfüllen von Papier und Toner zuständig fühlen. Ähnlich ist es bei Fräsen und Drehmaschinen.

Alle diese Details muss ein Verkäufer in Erfahrung bringen, damit er einem Kunden aufzeigen kann, warum die von ihm verschlagene Problemlösung die preiswerteste ist - obwohl sie nicht die billigste ist. Denn welchen Nutzen hat ein Betrieb zum Beispiel von einem in der Anschaffung günstigen Kopierer, der permanent defekt ist, weil Hunderte von Menschen ihn benutzen, die nicht wissen, wie er zu bedienen ist? Und ist ein "billiger" Kopierer, der permanent repariert werden muss, auf die Dauer nicht teurer als ein Gerät, das weitgehend störungsfrei arbeitet? Und könnte es für manche Kunden nicht eventuell sogar noch preiswerter sein, einen Leasingvertrag abzuschließen, der auch die Wartung enthält?

All dies muss ein Verkäufer wissen, damit er dem Kunden die für ihn vorteilhafteste Lösung anbieten kann; des Weiteren, damit er ihm aufzeigen kann, welchen Mehrwert (also welches Mehr an Nutzen) ihm die vorgeschlagene Lösung bietet. Denn gerade für Industriekunden gilt: Die reinen Anschaffungs- beziehungsweise Beschaffungskosten interessieren sie meist nur am Rande. Viel wichtiger sind für sie die Fragen:

- Erreiche ich mit der vorgeschlagenen Lösung meine Ziele? Und:

- Wie hoch sind die "Total Costs of Ownership"?

Das heißt: Mit welchen Gesamtkosten muss ich im Verlauf der Nutzungsdauer des angeschafften Geräts rechnen? Welche Material- und Energiekosten kommen auf mich zu? Wie hoch ist der Wartungsbedarf - an Zeit und Geld? Wie zeitaufwändig ist das Umrüsten oder Updaten? Wie hoch ist der Schulungsaufwand für meine Mitarbeiter? Und, und, und ...

All diese Fragen stellen sich Kunden bei der Kosten-Nutzen-Abwägung, die sie vor der Kaufentscheidung vornehmen. Also stellen sie auch mögliche Ansatzpunkte für Verkäufer dar, um ihren Kunden aufzuzeigen, welchen Mehrwert ihnen ihre Problemlösung bietet und die Kaufentscheidung zu ihren Gunsten zu beeinflussen.

Den Kunden die "preis-werteste" Lösung verkaufen

Denn anders als von vielen Verkäufern vermutet, lautet das oberste Ziel der Unternehmen nicht: Kosten senken. Nein! Ihr oberstes Ziel lautet: (möglichst viel) Gewinn erwirtschaften. Und Kostensenkung ist nur ein Weg, um dieses Ziel zu erreichen. Der langfristig erfolgreichere Weg ist mehr verkaufen - zum Beispiel, indem das Unternehmen sich neue Kundengruppen oder Marktsegmente erschließt. Das sollten sich Verkäufer vor Kundengesprächen regelmäßig vor Augen führen. Denn hieraus ergeben sich für sie ganz neue und erfolgreichere Wege, den Kunden den Mehrwert ihrer Problemlösungen aufzuzeigen und endlosen Kostendebatten zu entgehen.

Hierfür ein Beispiel. Ein Unternehmen, das ein Verkäufer als Kunde gewinnen möchte, baute bisher in die von ihm produzierten Aggregate die Schalter des Mitbewerbers A und die Kabelbäume des Mitbewerbers B ein. Diese kosteten zusammen zehn Euro. Verkäufer Müller möchte nun dem Aggregathersteller Schalter mit integriertem Kabelbaum für zwölf Euro verkaufen. Schlägt Müller dies dem Einkäufer vor, wird dieser vermutlich mehr oder minder verklausuliert erwidern: "Sie spinnen! Das ist ja 20 Prozent teurer." Weiß der Verkäufer jedoch aufgrund seiner Vorinformation, dass das Unternehmen vor der Herausforderung steht, seine Durchlaufzeiten in der Produktion zu senken und die Zahl der möglichen Fehlerquellen zu reduzieren, kann seine Verkaufsargumentation lauten: "Wenn Sie künftig die Schalter mit integriertem Kabelbaum nutzen, sparen Sie sich einen Arbeitsschritt und senken somit Ihre Personalkosten pro Aggregat um zehn Prozent. Außerdem verkürzt sich die Produktionszeit um acht Prozent. Das heißt, Sie reduzieren Ihre Stückkosten und können einen wettbewerbsfähigeren Verkaufspreis kalkulieren; des Weiteren können Sie Ihre Aggregate schneller ausliefern. Außerdem schalten Sie eine mögliche Fehlerquelle aus, was die Produktqualität erhöht."

Dem Kunden das verkaufen, was ihm hilft, seine Ziele zu erreichen

Wenn der Verkäufer so argumentiert, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass die von ihm vorgeschlagene Lösung, aus Einkäufersicht plötzlich die preiswertere Lösung darstellt, denn sie hilft dem Unternehmen, seine Ziele zu erreichen. Das heißt: Je besser ein Verkäufer, die Herausforderungen, vor denen sein Kunde steht, dessen Ziele, Marktposition sowie die Prozesse in dessen Organisation kennt, umso leichter kann er Problemlösung entwerfen und ihm den Mehrwert der angebotenen Lösung vor Augen führen.

"Der Kunde braucht keinen Bohrer, der Kunde braucht ein Loch" - er braucht also keine Produkte, sondern Lösungen für seine Probleme. Diese alte Verkäuferweisheit sollten sich Verkäufer gerade im Investitionsgütervertrieb bei ihrer Arbeit immer wieder vor Augen führen. Denn dann können sie ihren Kunden nicht nur mehr verkaufen, sondern auch bessere Preise erzielen. (oe)

Der Autor Peter Schreiber ist Inhaber des Trainings- und Beratungsunternehmens Peter Schreiber & Partner in Ilsfeld bei Heilbronn und Autor des Buchs "Das Beuteraster - 7 Strategien für erfolgreiches Verkaufen" (Orell Füssli Verlag).

Kontakt:

direkt zum Autor unter Tel.: 07062 96968, E-Mail: zentrale@schreiber-training.de, oder über Bernhard Kuntz, Büro für Bildung & Kommunikation, Tel.: 06151 896590, E-Mail: info@bildung-kommunikation.de, Internet: www.bildung-kommunikation.de

Hinweis:

Am 22. und 23. September leitet Peter Schreiber ein offenes Seminar "Preisgespräche erfolgreich führen - Durch clevere Verkaufsstrategien höhere Deckungsbeiträge realisieren" an der ZfU - International Business School, Thalwil (CH). Nähere Infos beim ZfU (www.zfu.ch) oder bei Peter Schreiber & Partner.