Chefs müssen raus aus der Vorstandsetage

Der Kunde ist der eigentliche Chef

05.08.2011
Kundenorientierte Mitarbeiterführung beginnt in der obersten Managementebene, sagt Anne M. Schüller.

Noch so fleißige Mitarbeiter in Unternehmen nützen nichts, wenn nicht der Kunde im Fokus der Arbeitsleistung steht. Frau Schüller, Sie plädieren für eine kundenfokussierte Mitarbeiterführung. Was verstehen Sie darunter?

Anne M. Schüller: Führungskräfte müssen die Firmenkultur nach den Kunden ausrichten. In Zeiten von Social Media erreichen Unternehmen eine Vorrangstellung nicht länger durch das, was sie tun, sondern darüber, wie der Kunde dies wahrnimmt - und was er dazu der ganzen Welt erzählt. Es gibt keine Ecken zum Verstecken mehr, alles wird öffentlich. Dies erfordert ein neues Denken in den Firmen.

Inwiefern neu?

Schüller: Weil sich die Kunden nicht länger an die Sales- und Marketingabteilung wegdelegieren lassen. Sie gehen jeden im Unternehmen an. Der Kunde ist der wahre Boss. Hier müssen vor allem die Führungskräfte in die Pflicht genommen werden: In ihren Köpfen beginnt die kundenfreundliche Haltung eines Unternehmens.

Was sollen die Führungskräfte denn anders machen als bisher?

Schüller: Der Vorgesetzte muss heute ein "Enabler" sein, also ein Möglichmacher. Er fördert die Selbstorganisation seiner Leute und schafft Freiräume für Kundenbelange. Er brennt seine Leute nicht aus und er hält sie auch nicht "klein", sondern er macht sie stark, damit sie dem Unternehmen und damit schließlich den Kunden ihre ganze Kraft geben können. Eine seiner typischen Fragen lautet: "Welche Unterstützung brauchen Sie von mir?" Führungskräfte haben Rahmenbedingungen zu schaffen, die es den Mitarbeitern ermöglichen, für die Kunden ihr Bestes geben zu können und vor allem: Dies auch zu wollen."

Wie lässt sich dieser Anspruch konkret umsetzen?

Schüller: Wahre Kundenfokussierung in der Mitarbeiterführung kann nur entstehen, wenn die folgenden sieben Regeln eingehalten werden: (1) Die Mitarbeiter sind in die Unternehmensstrategie aktiv eingebunden. (2) Es wird "Management by walking, talking, watching and listening around” praktiziert. (3) Die Führungskraft lebt Kundenfokussierung sichtbar vor. (4) Der Kunde ist in Gesprächen und Meetings stets positiv präsent. (5) Die Mitarbeitermotivation wird regelmäßig gemessen - und sie muss hoch sein. (6) Kundenfokussierung wird gefördert, gelobt und belohnt. (7) An kundenfokussierter Prozessoptimierung wird ständig gearbeitet.

Was Führungskräfte tun können


Welche konkreten Tipps geben Sie Führungskräften?

Schüller: Wer nicht achtsam mit seinen Mitarbeitern umgeht, kann von diesen keine Achtsamkeit gegenüber Kunden erwarten. Denn wie ein Dominoeffekt kaskadiert jedes positive wie auch negative Verhalten der Oberen bis zu den Mitarbeitern herunter - und schwappt dann zum Kunden rüber. Eine kundenfokussierte Unternehmenskultur braucht also nicht nur auf den Kunden ausgerichtete Leitbilder, sondern vor allem auch kundennahe Vorbilder.

Meinen Sie damit die obersten Manager?

Schüller: Ja, gerade die Geschäftsführer brauchen den "leibhaftigen Kundenkontakt". Sie müssen ihre behütende Vorstandsetage verlassen, um Feedback-Schleifen zu drehen. Sie sollten sich Mikrofone schnappen und die Kunden inständig befragen. Sie sollten sich Kameras nehmen und hinter den Kunden herlaufen, um aufzuzeichnen, wie sie agieren. Erst dann sind sie die richtigen Vorbilder für ihre Mitarbeiter.

Und was sagen die Mitarbeiter dazu? Die müssten vom kundenfokussierten Führungsstil ja begeistert sein.

Schüller: Lassen Sie mich dazu eine Begebenheit aus meiner Beratungstätigkeit erzählen. Nachdem der Umsatz rapide eingebrochen war, erzählte kürzlich der Geschäftsführer eines Herstellerbetriebs, sei man endlich auf die Idee gekommen, die Kunden zu befragen. Die fanden schonungslose Worte, beklagten den schlechten Service, pampiges Personal und das ewige Warten am Telefon. Diesen Aufwand einer Kundenbefragung hätte sich das Unternehmen aber sparen können.

? Wieso das? Kundenbefragungen sind doch ein beliebtes und anerkanntes Instrument für Unternehmen, am Markt mehr Erfolg zu haben.

Schüller: Weil das Management mit einer gezielten und tief gehenden internen Befragung nach dem Motto "Herr Müller, erzählen Sie mal ..." dies alles hätte früher in Erfahrung bringen können. Denn die Mitarbeiter im Callcenter wussten es ja längst - hätte man sie nur mal gefragt. Und dann meinte der Chef zu mir: "Die hätten ja auch von sich aus was sagen können." Ja, das versuchen Mitarbeiter bisweilen - jedoch nur ganz zaghaft. Und stellen dann fest, dass man sich mit so etwas sehr unbeleibt machen kann. Von da an lassen sie es sein.

Kundenbefragungen sind kein Allheilmittel

Das heißt, von den Mitarbeitern erfährt man mehr über die Kunden als von den Kunden selbst?

Schüller: Genau, denn Kunden geben oft die wertvollsten Tipps, was sich auf welche Weise verbessern ließe. Und dies wird vorzugsweise bei den Mitarbeitern deponiert, mit denen Kunden vertrauensvoll zusammenarbeiten. Doch das meiste davon verschwindet auf Zettel gekritzelt in irgendwelchen Aktenkoffern oder Ordnern und schließlich im Papierkorb - weil sich "oben" niemand für die Idee von "unten" interessiert.

Die oben erwähnte "Erzählen-Sie-mal-Frage" ist vielleicht die beste Frage, die ein Vorgesetzter seinen Mitarbeitern stellen kann. Dann kommt womöglich endlich heraus, wie sich der Mitarbeiter fühlte, als ... Oder was der Kunden sagte, weil ... Von Mitarbeitern kann man eine Menge lernen, wenn man kluge Fragen stellt. OE

Die Autorin Anne M. Schüller ist Management-Consultant, Lehrbeauftragte und Buchautorin.

Kontakt: www.anneschueller.de