Keine Veränderung im digitalen Zeitalter

Der Mensch bleibt der zentrale Erfolgsfaktor

05.08.2016 von Berhard Kuntz
Wie können wir auch im digitalen Zeitalter erfolgreich sein? Welches Profil müssen künftig unsere Führungskräfte haben? Das fragen sich zurzeit viele Banken und Sparkassen.

Barbara Liebermeister, Leiterin des Instituts für Führungskultur im digitalen Zeitalter (IFIDZ), Frankfurt, analysierte die persönlichen Kundenbeziehugen im digitalen Zeitalter.

Frau Liebermeister, wie stark verändert die Digitalisierung aus Ihrer Sicht die Bankenwelt?

Liebermeister: Die Digitalisierung hat in den zurückliegenden Jahrzehnten die Finanzbranche schon stark verändert, und sie wird dies künftig mit erhöhter Geschwindigkeit tun. Der Trend geht hin zu Geräten und Medien, weg vom Menschen. Diese Entwicklung finde ich schade. Denn gerade im Dienstleistungssektor, zu dem auch die Banken zählen, werden die Leistungen durch die Digitalisierung noch vergleichbarer. Der Mensch ist gerade im Dienstleistungssektor das unterscheidende Element. Wenn der Faktor "Mensch" wegbricht, welchen einzigartigen, schwer kopierbaren Vorteil haben die Filialbanken dann noch gegenüber ihrer Online-Konkurrenz?

Die Beziehung Mensch-Mensch wiederbeleben

Die Banken müssen also den Mensch Kunden im Blick haben. Ist das heute nicht der Fall?

Liebermeister: Nein, hierfür ein banales Beispiel: Die meisten Filialbanken und Sparkassen haben heute noch sozusagen konsequent geschlossen, wenn Berufstätige Zeit hätten, sie aufzusuchen - in den Mittagsstunden, den frühen Abendstunden, samstags beziehungsweise am Wochenende. Und dann wundern sie sich, wenn ihre Kunden ihre Geldgeschäfte zunehmend online erledigen und irgendwann ganz zu Online-Anbietern wechseln.

Barbara Liebermeister, Leiterin des Instituts für Führungskultur im digitalen Zeitalter: http://www.ifidz.de
Foto: Instituts für Führungskultur im digitalen Zeitalter

Viele Banken verkünden zwar seit Jahren: Der Mensch "Kunde" und der Mensch "Mitarbeiter" sollen noch oder wieder stärker im Zentrum unseres Handelns stehen. Doch ihre Energie verwenden sie primär darauf, den Kontakt mit den Kunden zu digitalisieren. Das heißt, mit ihnen wird zunehmend per Computer, per E-Mail und mit Hilfe der sozialen Medien kommuniziert. Die Banken bauen also digitale Prozessstrecken auf, bei denen die Kunden keine Menschen, sondern eine Ansammlung von Daten sind - die Beziehung Mensch-Mensch geht verloren.

Sind die Kunden aufgrund ihres Verhaltens mitverantwortlich für diese Entwicklung?

Liebermeister: Selbstverständlich - unter anderem, weil sie oft primär auf die Konditionen schauen. Man kann es aber auch umgekehrt sehen und sagen: Den stationären Banken gelingt es nicht, ihren Zielkunden den Mehrwert ihrer Leistung aufzuzeigen - häufig weil ihnen bei ihren Entscheidungen die nötige Sensibilität für Kundenbedürfnisse fehlt.

Die emotionalen Bedürfnisse der Kunden beachten

Können Sie das erläutern?

Liebermeister: Ja am besten an einem ganz alltäglichen Beispiel. Vor einiger Zeit erzählte mir ein sehr gut betuchter Bekannter, dass er sich regelmäßig über seine Bank "schwarz ärgert". Warum? Fast jedes Mal, wenn er in seine Bankfiliale kommt und ein spezielles Anliegen hat, muss er sich ausweisen, weil das Schalterpersonal ihn nicht kennt - obwohl er seit fast 30 Jahren Kunde der Bank ist und in der Filiale regelmäßig ein- und ausgeht. Warum? Die Bank tauscht ihr Schalterpersonal, so die Wahrnehmung meines Bekannten im "3-Monats-Rhythmus" aus. Wie soll dann eine Beziehung Mensch-Mensch entstehen?

Wo sehen Sie die Ursachen solcher Fehler?

Liebermeister: Zweifellose müssen die Banken aufgrund des technischen Fortschritts sowie des veränderten Kundenverhaltens ihre Geschäftsstrategien und Geschäftsprozesse überdenken. Sie müssen dabei jedoch aufpassen, dass sie den Menschen als Individuum mit seinen sozialen, kommunikativen und emotionalen Wünschen und Bedürfnissen nicht aus dem Blick verlieren. Denn die zunehmende Digitalisierung führt zu einer Versachlichung der Kommunikation. Daraus folgt der zweierlei. Erstens: Der einzelne Kunde wird von den Banken immer weniger als Person, als Individuum wahrgenommen. Und zweitens: Der Bankkunde baut keine persönliche Beziehung zu den Bankmitarbeitern und somit zur Bank mehr auf.

Sich die Vertrauensfrage stellen

Warum?

Liebermeister: Weil aufgrund der fehlenden Kontakte in der Beziehung Kunde-Bankmitarbeiter zunehmend das verloren geht, was uns Menschen sympathisch macht - ihre Tonalität, ihr Händedruck, ihre Mimik und Gestik. Aufgrund dieser sinnlichen Erfahrungen entscheiden wir meist, ob wir einer Person vertrauen oder nicht. Doch was passiert, wenn wir als Kunden aufgrund der fehlenden persönlichen Kontakte unser Gegenüber nicht mehr einschätzen können? Wie erfolgt dann der Vertrauensaufbau? (Lesetipp: Wie Vertrauen beim Verkauf entsteht). Sich mit dieser Frage zu befassen, ist für die Banken sehr wichtig. Denn Vertrauen ist die Basis jeder Geschäftsbeziehung.

(Lesetipp: Wie Vertrauen beim Verkauf entsteht)

Die Mensch-zu-Mensch-Beziehung im digitalen Zeitalter wiederbeleben
Foto: Kzenon - Fotolia.com

Außerdem sollte die Verantwortlichen in den Banken sich fragen: Wie können wir die Online- und Offline-Kommunikation optimal miteinander verknüpfen? Wie können wir den Kunden, selbst wenn wir mit ihnen weitgehend über Computer, Automaten und Onlinekanäle kommunizieren, das Gefühl vermitteln, dass sie einen persönlichen Ansprechpartner haben? Allgemein formuliert, müssen die Banken sich fragen, ob der Kunde - mit seinen Wünschen und Bedürfnissen - wirklich an jedem Kommunikations- und Kontaktpunkt im Fokus steht. Sonst verlieren sie ihr Profil und somit ihre Anziehungskraft. Wie wichtig die persönliche Beziehung zu den Kunden ist, das müssen die Führungskräfte der Banken auch ihren Mitarbeitern regelmäßig vermitteln.

Mensch bleibt Mensch - auch im digitalen Zeitalter

Sie sprechen die Führungskräfte an. Was zeichnet aus ihrer Warte eine gute Führungskraft im digitalen Zeitalter aus?

Liebermeister: Die Frage, inwieweit ich als Führungskraft bereit bin, den Menschen, also die Kunden und die Mitarbeiter, ins Zentrum meines Tuns zu stellen, ist zunächst einmal primär eine Frage der Einstellung und Haltung - auch in der digitalen Welt! Eine zentrale Aussage meiner Vorträge lautet: 'Digital ist egal, Mensch bleibt Mensch - die Führung ist entscheidend!' Es ist höchste Zeit, dass die Führungskräfte ihre Beziehung zu den Mitarbeitern ändern. Sie müssen sich noch stärker als Teil des Teams begreifen und primär Coach und Mentor ihrer Mitarbeiter sein. Die jungen Mitarbeiter heute, die weitgehend Digital Natives sind, wollen Führung - jedoch eine andere. Sie wollen in die Entscheidungen ihrer Vorgesetzten, soweit möglich, integriert werden. Außerdem wollen sie ihre Arbeit als sinnvoll, das heißt wertvoll, weil nutzen-stiftend, erfahren.

Was bedeutet das für das Führungsverhalten?

Liebermeister: Die Führungskräfte müssen mit ihren Mitarbeitern auf Augenhöhe kommunizieren. Das ist mehr denn je erforderlich. Hierfür benötigen die Führungskräfte auch eine gewisse Medienkompetenz, wenn die Kommunikation zunehmend online erfolgt. Außerdem müssen die Führungskräfte ein aktives Beziehungsmanagement betreiben, bei dem nicht die Masse der Kontakte, sondern deren Qualität zählt. Zudem müssen sie neugierig und für Veränderungen offen sein sowie ihr Verhalten und dessen Wirkung reflektieren können. Denn nur dann können sie die Beziehungen zu ihren Mitarbeitern aktiv gestalten.

Erfolgsfaktor Respekt und Wertschätzung

Welche Tipps geben Sie Führungskräften für ihr Verhalten im digitalen Zeitalter?

Liebermeister: Augenhöhe, Respekt und Wertschätzung werden zwar überall proklamiert, doch selten gelebt. Dies zu ändern, ist eine der großen Herausforderungen im Bereich Mitarbeiterführung im digitalen Zeitalter. Führungskräfte sollten sich zum Beispiel fragen: Inwieweit bin ich wirklich bereit, meinen Mitarbeitern die nötigen Entscheidungsfreiräume zu gewähren und das Vertrauen zu schenken, das sie für ein eigenverantwortliches Arbeiten brauchen?

Im besten Fall agiert eine Führungskraft heute wie ein Fußballtrainer oder -coach: Er setzt seine Mitarbeiter gemäß ihren Stärken ein und vernetzt sie so, dass sie gemeinsam das bestmögliche Ergebnis erzielen. Das setzt voraus, dass die Führungskraft weiß, wie ihre Mitarbeiter ticken und was sie brauchen, um ihr Bestes zu geben. Das erfahren sie nur im Kontakt beziehungsweise in der Beziehung zum Mitarbeiter. Diese gilt es zu stärken. Denn nur dann können die Mitarbeiter Marken-Botschafter ihres Unternehmens und das gewünschte, persönliche Bindeglied zum Kunden sein.

Barbara Liebermeister

Zur Interviewpartnerin: Barbara Liebermeister leitet das Institut für Führungskultur im digitalen Zeitalter (IFIDZ), Frankfurt. Die Managementberaterin und Vortragsrednerin ist unter anderem Autorin des im FAZ-Verlag erschienenen Buchs "Effizientes Networking: Wie Sie aus einem Kontakt eine werthaltige Geschäftsbeziehung entwickeln". Nähere Info: www.ifidz.de