Warum Change-Prozesse so schwierig sind

Der weite Weg ins Gelobte Land

26.11.2008
Wer Veränderungen im Unternehmen durchsetzen will, muss Rückgrat und Erfahrung haben - und einen langen Atem. Dr. Georg Kraus* sagt, warum.

Einen kulturellen Wandel in Unternehmen herbeizuführen, ist ein langwieriger und zäher Prozess. Denn es dauert seine Zeit, bis sich neue Routinen bei den Mitarbeitern und in der Organisation entwickelt haben. Entsprechend ausdauernd und erfahren müssen die (Projekt-)Verantwortlichen sein.

Neue Denk- und Verhaltensmuster

Im Mittelpunkt dieses Prozesses steht der Begriff "Change". Er ist ein Modewort und wird entsprechend inflationär gebraucht. Egal, ob Unternehmen Büros auflösen oder mit einem Partner fusionieren, fast jede Veränderung mit heute mit dem Begriff "Change" belegt. Doch gerät dabei vielfach außer Blick, dass nicht jedes Veränderungsprojekt ein Change-Projekt und nicht jeder Veränderungsprozess ein Change-Prozess ist. Von einem Change-Prozess spricht man in der Fachliteratur nur, wenn mit der Veränderung auch ein kultureller Wandel in der Organisation einhergeht - also die Mitarbeiter (und ihre Vorgesetzten) gewohnte Denk- und Verhaltensmuster aufgeben und neue entwickeln müssen.

Fast allen Menschen fällt es schwer, gewohnte Denk- und Verhaltensweisen aufzugeben. Denn diese Routinen vermitteln ihnen Sicherheit. Entsprechend schwer sind echte Change-Projekte zu managen, bei denen es in der Regel darum geht, dass künftig eine große Zahl von Mitarbeitern ein verändertes Verhalten zeigt. Von heute auf morgen lässt sich dieses Ziel nicht erreichen. Dies gilt es beim Planen von Change-Projekten zu bedenken. Sonst werden unrealistische Ziele formuliert.

"Techniker" unterschätzen oft die Konsequenzen

Doch Vorsicht! Auch wenn nicht jede Veränderung ein Change-Prozess ist, so finden in Unternehmen doch mehr Change-Prozesse statt, als insbesondere deren "Techniker" oft vermuten. Sie denken vielfach "Wir gestalten doch nur einen Produktionsabschnitt neu" - und übersehen, dass sich hierdurch auch die Arbeitsabläufe und -inhalte der Mitarbeiter verändern. Oder sie denken "Wir führen doch nur ein neues CRM-System ein"- und übersehen, dass sich hierdurch auch die Arbeitsbeziehungen der Mitarbeiter verändern und diese teils neue Fähigkeiten brauchen. Entsprechend überrascht sind sie, wenn sich in der Belegschaft plötzlich (verdeckt) Widerstand regt. Daher sollte das Management bei Veränderungsprojekten, deren Auswirkungen für die Mitarbeiter genau analysieren. Sonst entsteht unverhofft eine Stimmung in der Organisation, der das gesamte Projekt lahmlegt.

Scheitern oft programmiert

Manche Unternehmensführer agieren bei Change-Projekten wie folgt: Sie fassen die nötigen (strategischen) Basisentscheidungen. Dann rufen sie eine Projektgruppe ins Leben, die deren Umsetzung in die Wege leiten soll, und anschließend wenden sie sich neuen Aufgaben zu. Wenn Manager so vorgehen, ist ein Projekt von vornherein gescheitert. Denn Mitarbeiter orientieren ihr Verhalten an dem der oberen Führungskräfte. Nur wenn von ihnen immer wieder das Signal ausgeht "An der Veränderung führt kein Weg vorbei", lässt sich die für einen Kulturwandel nötige Veränderungsenergie erzeugen und bewahren. Unternehmensführer müssen deshalb in Changeprojekten Präsenz zeigen und nachdrücklich für die Veränderung werben.

Bei jeder Veränderung gibt es auch "Verlierer"

Das ist inzwischen den meisten Top-Managern klar. Eines machen sich viele aber nicht ausreichend bewusst, nämlich dass es bei Change-Prozessen stets auch Verlierer gibt - oder zumindest Personen(-gruppen), die sich als solche empfinden. Unternehmen neigen dazu, Veränderungsvorhaben in ein rosarotes Licht zu tauchen - so als gäbe es bei ihnen nur Gewinner. Entsprechend werden die Vorhaben den Mitarbeitern präsentiert. Doch die Mitarbeiter sind nicht dumm. Sie wissen: Wenn in einer Organisation die Strukturen, Abläufe und Arbeitsbeziehungen verändert werden, dann werden auch die Aufgaben neu verteilt; des Weiteren die Entscheidungs- und Handlungsbefugnisse. Somit stehen auch viele gewachsene Privilegien zur Disposition.

Entsprechend kritisch beäugen Mitarbeiter zumeist angekündigte Veränderungsvorhaben. Jeder fragt sich: Welche Konsequenzen haben diese für mich? Entsprechend wichtig ist es, mit den Mitarbeitern offen und ehrlich über die (voraussichtlichen) Konsequenzen der Veränderungen zu sprechen. Denn sonst bilden sich die Mitarbeiter aufgrund von Vermutungen und Annahmen ihr Urteil - alleine oder in informellen Gesprächen mit Kollegen. Und dann erscheinen ihnen die Konsequenzen zumeist dramatischer als diese faktisch sind. Entsprechend reserviert treten sie dem Veränderungsvorhaben entgegen.

Dies gilt auch für die Führungskräfte. Denn auch sie sind letztlich normale Arbeitnehmer. Deshalb ist es nicht selbstverständlich, dass sie die von der Unternehmensführung beschlossenen Veränderungen mittragen. Zugleich ist aber ihre Unterstützung, wenn es darum geht, diese umzusetzen, unerlässlich. Deshalb sollten die Verantwortlichen, bevor sie ein Change-Projekt verkünden, versuchen, möglichst viele Führungskräfte als Mitstreiter zu gewinnen - zum Beispiel, indem sie diese (und sei es nur formal) in die Entscheidung einbinden. Oder indem sie die Führungskräfte in persönlichen Gesprächen ausführlich über die Gründe für die Entscheidung und deren voraussichtliche Konsequenzen, auch für diese selbst, informieren.

Ein weiteres Manko vieler Change-Projekte ist: Unternehmen übertragen die (Umsetzungs-)Verantwortung oft jungen Mitarbeitern als Chance, sich zu bewähren - getreu dem Motto "Lass das mal den Müller machen. Dann kann er zeigen, was in ihm steckt". Als Folge davon werden die Projekte oft von Personen gemanagt, die die Auswirkungen bestimmter Entscheidungen und Handlungen auf die Organisation nur bedingt einschätzen können, zudem von Personen, die noch ein schwaches Standing im Unternehmen haben.

"Bereichsfürsten" als Bremser

Entsprechend schwer fällt es ihnen, von den "Bereichsfürsten" die nötige Unterstützung zu erlangen - vor allem, wenn diese den ehrgeizigen Nachwuchs als Konkurrenz empfinden. Die Verantwortung für strategische Change-Projekte sollte deshalb gestandenen Führungskräften oder erfahrenen Projektmanagern übertragen werden. Und wenn diese nicht genug freie Kapazitäten haben? Dann sollte dem "Youngster" zumindest eine entsprechende Person als Coach zur Seite gestellt werden, mit der er seine strategische und taktische Marschroute austüfteln kann. (OE)

Der Autor Dr. Georg Kraus ist geschäftsführender Gesellschafter der Unternehmensberatung Dr. Kraus & Partner und Autor des "Change Management Handbuch" (Cornelsen Verlag, 2004) sowie zahlreicher Projektmanagement-Bücher.

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