Unterschiedliche Rechtsprechung

Deutsche Kündigungsfristen europarechtswidrig?

23.01.2009
Die Gerichte entscheiden derzeit völlig unterschiedlich, wenn es um die gesetzlichen Kündigungsfristen geht.

Nach deutschem Recht richtet sich die Dauer der gesetzlichen Kündigungsfrist vor allem nach der Dauer der Betriebszugehörigkeit, aber auch nach dem Alter des Arbeitnehmers. Die Anknüpfung an das Alter verstößt wohl gegen Europarecht. Unklar sind jedoch die Folgen für die Kündigungsfristen. Die Gerichte entscheiden derzeit völlig uneinheitlich, wie die Haufe-Online-Redaktion mitteilt (www.haufe.de/personal).

Nach § 622 Abs. 2 BGB verlängern sich die gesetzlichen Kündigungsfristen abhängig von der Dauer der Betriebszugehörigkeit des Arbeitnehmers. Beschäftigungszeiten der Arbeitnehmer vor Vollendung des 25. Lebensjahres werden nach dem Gesetzeswortlaut jedoch nicht mitgezählt (§ 622 Abs. 2 Satz 2 BGB). Das führt z.B. dazu, dass ein Arbeitnehmer, der bereits seit seinem 20. Lebensjahr im Betrieb beschäftigt ist bei einer Kündigung nach 6 Jahren nur Anspruch auf Einhaltung der vierwöchigen Grundkündigungsfrist hat. Wäre er dagegen erst mit 30 Jahren eingestellt worden, würde die Kündigungsfrist nach 6 Jahren zwei Monate betragen.

Gerichte entscheiden unterschiedlich

Die arbeitsgerichtliche Rechtssprechung und Literatur sind ganz überwiegend der Ansicht, dass diese gesetzliche Regelung europarechtswidrig ist, weil sie gegen das Verbot der Altersdiskriminierung (RL 2000/78/EG) verstößt. Die Folgen der Europarechtswidrigkeit sind jedoch unklar und führen derzeit zu völlig unterschiedlichen Gerichtsentscheidungen:

Das LAG Düsseldorf (Beschluss v. 21.11.2007, 12 Sa 1311/07) hat einen Rechtstreit, in dem es um die Anwendung des § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB geht, ausgesetzt und dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) vorgelegt. Eine Entscheidung des EuGH steht noch aus.

Der EuGH hat in einer jüngeren Entscheidung zur Altersdiskriminierung im deutschen Befristungsrecht ("Mangold", Urteil v. 25.11.2005, C 144/04) allerdings die Ansicht vertreten, deutsche Gerichte dürften altersdiskriminierende Vorschriften nicht mehr anwenden. Das LAG Berlin-Brandenburg (Urteil v. 24.7.2007, 7 Sa 561/07) und das LAG Schleswig-Holstein (Urteil v. 28.5.2008, 3 Sa 31/08) wenden deshalb § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB nicht mehr an sondern berechnen die Kündigungsfrist zu Lasten des Arbeitgebers unabhängig vom Alter des Arbeitnehmers.

Das LAG Rheinland-Pfalz (Urteil v. 31.7.2008, 10 Sa 295/08) wie auch das ArbG Lörrach (Urteil v. 31.1.2007, 1 Ca 426/06) sind dagegen der Ansicht, der Wortlaut des deutschen Gesetzes sei so eindeutig, dass deutsche Gerichte die Vorschrift dennoch anwenden müssen, selbst wenn sie europarechtswidrig sei.

Künftige Rechtslage unsicher

Bis zur Entscheidung des EuGH müssen Arbeitgeber deshalb zwar mit einer hohen Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass die Nichtberücksichtigung von Beschäftigungszeiten bis zum 25. Lebensjahr europarechtswidrig ist. Gleichwohl ist der Ausgang eines Rechtstreits vor dem Arbeitsgericht über die Frage der Kündigungsfrist derzeit nicht prognostizierbar. Je nach dem, welcher Ansicht das zuständige Arbeitsgericht folgt, sind alle o.g. Ergebnisse denkbar.

Praxistipp:

Arbeitgeber sollten sich dennoch zunächst auf § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB stützen, wenn dieser im konkreten Fall eine kürzere Kündigungsfrist ermöglicht. Hält das Arbeitsgericht die Norm für nicht anwendbar, korrigiert es die Kündigungsfrist. Die Wirksamkeit der Kündigung selbst wird durch eine fehlerhafte Fristberechnung jedoch nicht berührt. Gegebenenfalls kann die Unsicherheit über die richtige Kündigungsfrist auch dazu genutzt werden, Zugeständnisse des Arbeitnehmers bei einem Vergleich zu erreichen. (oe)

Quelle: www.haufe.de/personal