Dringende betriebliche Erfordernisse

Die betriebsbedingte Kündigung

29.08.2011
Was für Entlassungen wegen besonderer Umstände gilt, sagen Michael Henn und Christian Lentföhr.
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Eine ordentliche Kündigung ist als betriebsbedingte Kündigung sozial gerechtfertigt, wenn (1) dringende betriebliche Erfordernisse die Kündigung bedingen, (2) weder ein anderer, gleichwertiger, freier Arbeitsplatz noch ein anderer, nicht gleichwertiger freier Arbeitsplatz vorhanden ist und die (3) Sozialauswahl ordnungsgemäß vorgenommen wurde.

1. Dringende betriebliche Erfordernisse

Für die Begründung einer betriebsbedingten Kündigung reicht es nicht aus, den Wegfall eines Arbeitsplatzes zu behaupten. Vielmehr ist der Rückgang der Beschäftigungsmöglichkeit anhand überprüfbarer Daten nachvollziehbar zu objektivieren.

- Unternehmerentscheidung

Das Bundesarbeitsgericht vertritt den Grundsatz, dass auch organisatorische (gestaltende) Maßnahmen, die der Arbeitgeber trifft, seinen Betrieb zum Beispiel einem Rückgang oder einer verschlechterten Auftragslage anzupassen, nicht auf ihre Notwendigkeit oder Zweckmäßigkeit hin überprüft werden können. Sachliche Gründe für Rationalisierungsmaßnahmen sind nicht gefordert und damit auch nicht zu prüfen. Es findet nur eine Missbrauchskontrolle statt. Geprüft wird, ob die Unternehmerentscheidung offenbar unvernünftig oder willkürlich ist.

- Außerbetriebliche Gründe

Wirkt sich ein außerbetrieblicher Umstand, wie etwa ein Rückgang der Auftragsmenge, unmittelbar auf die aktuelle verfügbare Arbeitsmenge aus und entschließt sich der Arbeitgeber, den Personalbestand dem reduzierten Beschäftigungsbedarf anzupassen, hält das Bundesarbeitsgericht eine den betrieblichen Bereich gestaltende Unternehmerentscheidung für gegeben.

- Innerbetriebliche Gründe

Innerbetriebliche Gründe sind etwa ein Gewinnverfall, ein Mangel an Rentabilität des Betriebes oder hohe Bankkrediten bei hohen Zinsen, die schneller abgebaut werden sollen. Sie haben zunächst keine Folgen für die Beschäftigung in Betrieb. Erst wenn der Arbeitgeber beschließt, wegen dieser oder anderer Gründe im Betrieb zu reagieren, können sich Auswirkungen auf die Beschäftigung ergeben.

2. Grundsatz der Erforderlichkeit

Der Grundsatz der Erforderlichkeit verlangt die Prüfung folgender Mittel:

- Fehlen eines anderen, gleichwertigen freien Arbeitsplatzes

Dringende betriebliche Erfordernisse sind nicht anzuerkennen, wenn der Arbeitnehmer auf einem anderen freien Arbeitsplatz und in demselben Betrieb oder in einem anderen Betrieb des Unternehmens weiterbeschäftigt werden kann. Arbeitsplätze sind als frei anzusehen, wenn sie zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung unbesetzt sind. Sofern der Arbeitgeber aber bei Ausspruch der Kündigung mit hinreichender Sicherheit vorhersehen kann, dass ein Arbeitsplatz bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zur Verfügung stehen wird, ist auch ein derartiger Arbeitsplatz als frei anzusehen. Die Überbrückung des Zeitraums muss dem Arbeitgeber zumutbar sein. Zumutbar ist ein Zeitraum, die ein anderer Stellenbewerber zur Einarbeitung benötigen würde.

- Fehlen eines anderen, nicht gleichwertigen freien Arbeitsplatzes

Eine betriebsbedingte Kündigung ist sozialwidrig, wenn die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers zu geänderten Arbeitsbedingungen möglich ist und der Arbeitnehmer sich damit einverstanden erklärt. Er hat aber keinen Anspruch auf Beförderung und damit auf Weiterbeschäftigung auf einem höherwertigen Arbeitsplatz.

- Kurzarbeit

Nach einer Auffassung ist der Arbeitgeber grundsätzlich nicht gezwungen, zur Vermeidung von Kündigungen Kurzarbeit einzuführen, weil damit unzulässig in die Entscheidungsfreiheit seiner unternehmerischen Entscheidung eingegriffen wird. Nach anderer Meinung ist die Einführung von Kurzarbeit zwar grundsätzlich ein geeignetes Mittel zur Vermeidung betriebsbedingter Kündigungen, letztendlich trägt aber der Arbeitgeber das wirtschaftliche Risiko für die zweckmäßige Einrichtung und Gestaltung seines Betriebes. Der Arbeitgeber sei auch während einer Kurzarbeitsphase berechtigt, innerbetriebliche Maßnahmen zu treffen, die über die Kurzarbeit hinaus zu einem endgültigen Wegfall von Arbeitsplätzen führen können.

3. Sozialauswahl

Die Sozialauswahl ist anhand der in Satz 1 des § 1 III KSchG konkret benannten sozialen Gesichtspunkte Betriebszugehörigkeitsdauer, Lebensalter, Unterhaltspflichten und Schwerbehinderung vorzunehmen. Nicht einzubeziehen sind Arbeitnehmer, deren Weiterbeschäftigung insbesondere wegen ihrer Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen oder zur Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur im berechtigten Interesse liegt.

In die Auswahl nach sozialen Gesichtspunkten sind alle Arbeitnehmer eines Betriebes einzubeziehen, deren Funktionen auch von den Arbeitnehmern wahrgenommen werden können, deren Arbeitsplatz weggefallen ist.

- Probleme bei Massenentlassungen

Wie bei jeder betriebsbedingten Einzelkündigung hat auch bei der betriebsbedingten Massenentlassung die Sozialauswahl stattzufinden. Die Probleme, die die betriebsbedingte Einzelkündigung für die Sozialauswahl mit sich bringt, potenzieren sich bei Massenentlassungen allerdings in praktisch kaum noch zu bewältigender Weise. Deshalb hat der Gesetzgeber die Möglichkeit eröffnet, dass sich Arbeitgeber und - sofern vorhanden - Betriebsrat in einem Interessenausgleich auf eine Namensliste einigen, die dann als sozial gerechtfertigt gilt (§ 1 Abs. 6 KSchG).

Darlegungs- und Beweislast

Der Arbeitgeber ist für das Vorliegen der betriebsbedingten Kündigungsgründe im vollen Umfang darlegungs- und beweispflichtig. Für die Frage des Vorliegens einer Arbeitsplatzalternative gilt eine abgestufte Darlegungs- und Beweislast. Deshalb obliegt es zunächst dem Arbeitnehmer, konkrete Vorstellungen zu Möglichkeiten anderweitiger Beschäftigung zu äußern und deutlich zu machen, wie er sich seine Weiterbeschäftigung vorstellt.

Erst daraufhin hat der Arbeitgeber darzulegen und zu beweisen, weshalb diese Vorstellungen nicht zu realisieren sind. Bestreitet der Arbeitnehmer die Richtigkeit der Sozialauswahl und nennt er andere Arbeitnehmer, die weniger schutzbedürftig sein sollen als er, reicht es aus, wenn der Arbeitgeber dies substantiiert bestreitet. Dem Arbeitnehmer obliegt dann letztendlich die Beweispflicht.

Mitbestimmungsrechte eines Betriebsrates

Nach § 102 Abs. 1 Satz 1 BetrVG ist ein vorhandener Betriebsrat vor jeder Kündigung zu hören. Ein ohne Anhörung des Betriebsrats ausgesprochene Kündigung ist schlechthin unwirksam (§ 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG). Daher ist der Betriebsrat auch dann anzuhören, wenn für den betroffenen Arbeitnehmer weder der allgemeine noch der besondere Kündigungsschutz greift. Die Anhörung ist vor jeder ordentlichen, außerordentlichen wie vor einer Änderungskündigung erforderlich.

Hat der Betriebsrat gegen die Kündigung bedenken, so hat er diese unter Angabe der Gründe dem Arbeitgeber spätestens innerhalb einer Woche schriftlich mitzuteilen (§ 102 Abs. 2 Satz 1 BetrVG). Die Kündigung darf nicht ausgesprochen werden, bevor die Stellungnahmefrist des Betriebsrates abgelaufen ist. Unter Ausspruch der Kündigung versteht das Bundesarbeitsgericht nicht etwa deren Zugang beim Empfänger, sondern bereits das Abschicken des entsprechenden Schriftstückes. (oe)

Michael Henn ist Rechtsanwalt, Fachanwalt für Erbrecht und für Arbeitsrecht bei Dr. Gaupp & Coll in Stuttgart und Präsident des VdAA.
Kontakt und Infos:
Tel.: 0711 305893-0, E-Mail: stuttgart@drgaupp.de, www.drgaupp.de
Christian Lentföhr ist Rechtsanwalt, Fachanwalt für Arbeitsrecht und für Handels- und Gesellschaftsrecht bei W. Schuster und Partner in Düsseldorf und Mitglied im VdAA.
Kontakt und Infos:
Tel.: 0211 658810, E-Mail: lentfoehr@wsp.de, www.wsp.de