Die Erfolgsrezepte von gestern über Bord werfen

28.02.2007 von Bormann 
In vielen Branchen müssen Unternehmen heute immer häufiger einen radikalen Kurswechsel vollziehen, um ihre Marktposition zu behaupten. Wie kann ein solcher strategischer (und mentaler) "Turn-Around" gemeistert werden?

Weltcupspringen, 1988: Ein bislang eher mittelmäßiger Skispringer landet plötzlich mehrere Meter vor seinen Konkurrenten ... und wird Skiflugweltmeister. Das Erfolgsgeheimnis des Schwedens Jan Boklöv: Er hält die Skier nicht parallel wie seine Mitbewerber, sondern erstmals in Form eines "V".

Ähnliche Prozesse lassen sich im Wirtschaftsleben oft beobachten. Jahre-, häufig sogar jahrzehntelang, nutzen fast alle Unternehmen dieselben Methoden und Verfahren - in der Fertigung, beim Aufbau ihrer Organisation oder im Vertrieb. Und sie verfeinern diese immer weiter - durchaus mit Erfolg. Doch dann stellen sie fest: Die Möglichkeiten der bisherigen "Technik" sind ausgereizt. Mit ihr lassen nicht mehr Quantensprünge erzielen, die erforderlich wären, um zum Beispiel Markt- oder Technologieführer zu werden. Hierfür wäre ein ganz neues Vorgehen nötig.

Etablierte Denkmuster auf dem Prüfstand

Vor dieser Herausforderung stehen Unternehmen heute immer häufiger, weil sich die Rahmenbedingungen ihres Handelns immer schneller verändern. Also müssen sie in stets kürzeren Zeitabständen ihre Strategien, Abläufe und Verfahren überdenken und sich fragen: Können wir durch ein Optimieren des Bestehenden unsere Ziele noch erreichen? Oder müssen wir ganz neue Lösungen entwickeln? Zum Beispiel für das Qualifizieren unserer Mitarbeiter. Oder für die Auswahl unserer Lieferanten. Oder für die Kommunikation mit unseren Kunden.

Organisationsberater nennen einen solchen fundamentalen Wandel einen Musterwechsel, weil hierbei nicht nur die gewohnten Verfahren auf dem Prüfstand stehen. Auch die Art, die Realität zu betrachten und zu bewerten, wird hinterfragt, um zu ganz neuen Lösungsansätzen zu gelangen. Ein solcher Musterwechsel setzt voraus, dass sich in einer Organisation oder zumindest bei deren Lenkern das Gefühl verdichtet: "Wir nähern uns einer Grenze. Wenn wir an unseren bisherigen Denkmustern und Verfahrensweisen festhalten, scheitern wir auf lange Sicht."

Ein solches gemeinsames Empfinden in ihrer Organisation zu schaffen, fällt vielen Unternehmen schwer - speziell dann, wenn die Organisation auf den ersten Blick noch gut dasteht. Die Zahlen stimmen, die Kunden sind zufrieden und von den Mitbewerbern geht keine sichtbare Bedrohung aus. Dann erkennen viele Mitarbeiter die Notwendigkeit eines Musterwechsels noch nicht, selbst wenn erste Indikatoren schon auf eine Gefährdung hinweisen. Also müssen in einer solchen Situation in der Organisation zunächst die Voraussetzungen dafür geschaffen werden, dass über die Frage "Musterwechsel - ja oder nein?" überhaupt gesprochen werden kann. Ohne externe Unterstützung gelingt dies selten. Deshalb engagieren Unternehmen in dieser Situation oft externe Berater, um den Meinungsbildungs- und Entscheidungsfindungsprozess zu moderieren.

Strategien jenseits des Mainstreams

Zeigt sich hierbei, ein Musterwechsel ist nötig, stellt sich die Frage: Wie könnte das neue Muster aussehen? Sie ist nicht leicht zu beantworten - vor allem, weil das Ziel eines Musterwechsels stets ist, das Unternehmen (oder Teile davon) zukunftsfit zu machen. Die Zukunft ist aber noch nicht Gegenwart. Also kann die Frage, was ist nötig und sinnvoll, nicht allein anhand von Zahlen, Daten und Fakten beantwortet werden. Auch Einschätzungen und Annahmen spielen eine wichtige Rolle - zum Beispiel darüber: Wie entwickelt sich der Markt? Oder die Technik? Und was werden unsere Mitbewerber tun? Entsprechend viele Unwägbarkeiten sind hiermit verbunden.

Das verunsichert selbst gestandene Manager. Also suchen sie, wenn ein Musterwechsel ansteht, häufig nach Richtschnüren für Entscheidungen. Die Folge: Oft verkünden die obersten Lenker der Unternehmen fast wortgleich dieselben Management-Credos - branchenübergreifend. Zum Beispiel "Wir müssen uns auf unser Kerngeschäft besinnen". Oder: "Wir müssen uns vom Produktlieferanten zum Systemanbieter entwickeln."

Eine Ursache hierfür ist: Den Unternehmen fehlen vielfach Alternativen zu den gängigen Lösungskonzepten. Zudem fehlt den Unternehmensführern der Mut, eigene Wege zu beschreiten - insbesondere, wenn ihre Betriebe Kapitalgesellschaften sind. Denn wenn alle Welt (inklusive der Finanzanalysten) verkündet "Besinnt Euch auf Eure Kernkompetenzen", erntet man wenig Widerspruch, wenn man ins selbe Horn bläst. Zudem lassen sich dann einfacher Koalitionen schmieden als wenn man das Gegenteil oder einen dritten Weg vorschlägt.

Dies wäre aber oft nötig. Denn wenn fast alle Unternehmen weitgehend dieselbe Strategie verfolgen, steht von Beginn an fest: Einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil können sich hierdurch nur ein, zwei Unternehmen verschaffen. Also lautet eine Kernaufgabe, wenn es um einen Musterwechsel geht, sich zunächst mehrere Entscheidungs- und Handlungsalternativen zu erarbeiten - sonst ist kein echtes Entscheiden möglich.

Widerstände beim Musterwechsel

Sind die Alternativen auf dem Tisch, gilt es die Beste zu realisieren. Das klingt einfach. In sozialen Systemen wie Unternehmen gestalten sich Musterwechsel aber schwieriger als die radikale Neuerung, die Boklöv beim Skispringen einführte. Denn in größeren Unternehmen müssen stets zumindest Teile der Mitarbeiter als Mitstreiter gewonnen werden. Und wenn der Wandel auch Auswirkungen auf die Kunden, Lieferanten und sonstigen Kooperationspartner hat? Dann müssen auch sie zu Mitstreitern werden.

Das Gewinnen der Mitarbeiter erfordert viel Überzeugungsarbeit, denn bei jedem Musterwechsel gibt es Gewinner und Verlierer - unter anderem, weil bei jedem Musterwechsel auch die Aufgaben und Verantwortlichkeiten neu verteilt werden. Hinzu kommt: Jeder Musterwechsel bedeutet ein Abschiednehmen von gewohnten Denk- und Verhaltensmustern. Deshalb löst er Verunsicherungen aus, die häufig zu (verdeckten) Widerständen führen. Entsprechend wichtig ist es, dass die Verantwortlichen klar kommunizieren,
- warum der Musterwechsel nötig ist,
- dass ihre Entscheidung, den Wechsel zu vollziehen, unumstößlich ist,
- welche Chancen sich aus ihm für die Organisation ergeben und
- dass der mit dem Musterwechsel verbundene Veränderungsprozess gemeinsam gemeistert werden soll und kann.

Doch dies allein genügt nicht. Denn jeder Musterwechsel läutet eine Phase der Instabilität ein - weil zum Beispiel mit der neuen Art, Aufgaben zu lösen und Herausforderungen zu meistern, noch keine Erfahrung gesammelt wurde. Deshalb muss den Beteiligten ein Weg aufgezeigt werden, wie das angestrebte Ziel erreicht werden kann.

Den Weg zum Ziel regelmäßig überprüfen

Hieraus resultiert ein weiteres Problem. Wenn ein Unternehmen einen Musterwechsel vollzieht, kann es in der Regel den Beteiligten nur das Ziel nennen - und selbst dieses steht unter Vorbehalt. Den exakten Weg dorthin kann es noch nicht beschreiben. Es kann bestenfalls die Richtung vorgeben - so wie Kolumbus, als er einen neuen Seeweg nach Indien suchte. Deshalb müssen die Verantwortlichen eine überzeugende Vision haben und glaubwürdige Persönlichkeiten sein, damit die Mitarbeiter ihnen vertrauen. Sie müssen zudem das Ziel und den Weg zum Ziel regelmäßig überprüfen und gegebenenfalls korrigieren, damit sie nicht wie Kolumbus - ohne es zu wissen und zu wollen - statt in Indien in Amerika landen.

Auch bei dieser Refllexion,
- ob der Kurs noch der richtige ist, oder
- ob das Ziel modifiziert werden sollte,

ist meist eine externe Unterstützung sinnvoll. Sonst besteht die Gefahr, dass sich die Internen primär darüber streiten, wer daran Schuld ist, dass Teilziele nicht erreicht wurden. Das heißt, ein wechselseitiges Schuld-zu-weisen beginnt. Viel wichtiger wäre es sich zu fragen: Haben sich unsere Annahmen beim Projektstart als unzutreffend erwiesen, und (wenn ja) was müssen wir tun, um die (modifizierten) Ziele noch zu erreichen? Denn dann wäre ein Steuern des Prozesses möglich. (Hans-Werner Bormann/mf)