Die meisten Empfänger lesen das Mailing in der Nähe des Mülleimers

03.06.1998

MÜNCHEN: Beim Gestalten eines erfolgreichen Mailings gibt es viele Dinge zu beachten. Neben einigen grundlegenden Faktoren wie gute Datenbasis sind aber auch hier wie bei anderen Werbeformen auch Kreativität und Phantasie gefragt. Wer das allgemeine Grundrauschen durchdringen will, muß mehr bieten als den üblichen Standard.Mit einem solchen Erfolg hatte die auf Werbung spezialisierte Hess GmbH und Co., Braunschweig, selbst nicht gerechnet: "Unser Mailing Wie Sie mit Hess-Mailings die ganze Karibik in die Tasche stecken" kam bei den Adressaten ausgesprochen gut an, so Joachim Müller, der bei Hess für technische Entwicklungen zuständig ist. Ob Karibik-Mailing, Duftdruck, Rubbelspiel, Aufkleber oder Kundenkarte - die Seiten des "Mailings in eigener Sache" sind entsprechend dem Zweck aufgemacht und zeigen, was möglich ist in Sachen Farb- und Duftdruck, Veredelung und Personalisierung, Lettershop und Versandservice, Kundenausweise und Logistik.

Die zentrale Botschaft ist dem Foto einer attraktiven Badenixe zugeordnet, deren Brustpartie freigerubbelt werden muß - dahinter erscheint ihr Bikini-Oberteil: "Je raffinierter das Mailing, desto größer die Wirkung. Beim Rubbeldruck zum Beispiel: Wer kann der Versuchung schon widerstehen, mal einen Blick hinter die "Kulissen" zu werfen?" fragt Müller.

"Kein Streß dank Hess" verspricht das Unternehmen, das potentiellen Kunden auch ein Plakat zukommen läßt, in dem auf die Möglichkeiten der Plastifizierung ("Welch glänzende Erscheinung hingewiesen wird. So beweist man Liebe zum Detail und hebt Wichtiges hervor, wie die Papierverdopplung. Das doppelte Lottchen. Mit integrierten Antwortkarten und Rückumschlägen für den direkten Draht zum Kunden, des integrierten Aufklebers ("Kleben Sie wohl. Leicht ablösbare Etiketten für mehr Druck in der Direktwerbung"), von Duftfeldern und Rubbelfeldern ("Drum reibe, wer Verstecktes finde"), von Gummierung, Klappfenstern ("Macht das Tor auf. So überrascht man Kunden") und des 3D-Effekts aufmerksam gemacht wird.

Müller ist also mit "seinem" Mailing sehr zufrieden, "in dem viel Arbeit steckt, die gemeinsam mit einer Werbeagentur betrieben wird". Hess arbeitet regelmäßig mit dieser Form des Auf-sich-aufmerksam-Machens. "Es gibt sogar Postkarten mit zwei verschiedenen Düften", zudem in zwei Varianten: als Duft, der sich entfaltet, wenn man das Mailing in die Hand nimmt, und als Duft, der eingekapselt ist und vom Kunden "geöffnet" werden muß. Da nicht sich nicht jedermann ungefragt Gerüche in die Nase steigen lassen will, empfiehlt sich - auch aus Gründen der Haltbarkeit - die zweite Form.

"Klasse statt Masse" lautet die Devise. Statt nach dem Gießkannenprinzip Werbebotschaften an die Frau und an den Mann zu bringen, sollte man im Vorfeld genaue Überlegungen anstellen, wie das richtige Angebot an die richtige Zielgruppe zum richtigen Zeitpunkt versandt wird. Da der mögliche Kunde in der Regel von mehr als einem Unternehmen beworben wird und am selben Tag unglückseligerweise gleich drei oder vier Mailings in der Post findet, gilt es, ihn neugierig zu machen: Viele Menschen lesen ihre Post in der Nähe des Papierkorbs.

Die Verbaucher wollen drei Dinge: "Vorteile, Vorteile und noch mal Vorteile". Daher sollte man schnell zur Sache kommen und nicht mit hohltönenden Phrasen arbeiten. Die Stärken des Angebots müssen klar und deutlich beim Namen genannt werden.

Sehr wichtig: In einer Gesellschaft, die dem Verbraucherschutz großen Wert beimißt, sollte Konsumentenfreundlichkeit hoch angesiedelt werden. Dazu zählen etwa die Möglichkeit, weitere Informationen abzurufen, das Angebot, das Produkt unverbindlich zu prüfen, die Gewährung von Garantien und Sicherheiten, die über die gesetzlichen Vorgaben hinausgehen sowie nicht zuletzt das Angebot attraktiver Zahlungsmodalitäten.

Auch wenn allgemein bekannt ist, daß die möglichst individuelle Ansprache des Kunden "der" Schlüssel zum Erfolg ist, werden immer noch Werbebriefe ins Land geschickt, die sich lediglich in der Anrede ("Sehr geehrter Herr Müller, Meier, Schulze") unterscheiden, wobei der "Herr Müller, Meier, Schulze" im dritten oder vierten sowie im Schlußabsatz erneut "angesprochen" wird. Da das Publikum aber mittlerweile weiß, daß die Einfügung des individuellen Namens heutzutage keine Kunst mehr darstellt, wird ihn das Müller-Meier-Schulze allein kaum motivieren, das Mailing aufmerksam zu lesen.

Das Institut "Markt und Mensch" hat ein vielbeachtetes Verfahren entwickelt, Direktmarketingaktivitäten konsequent zu personalisieren. Das Ergebnis sind individuelle Bearbeitungsmethoden und auf die Persönlichkeitsstruktur des Empfängers zugeschnittene Argumentationslinien. Auch wenn die neue Methode für Autobauer Opel erarbeitet wurde, sind ihre Ergebnisse auf andere Firmen und Branchen anwendbar.

80.000 Kundenkontakte wurden empirisch erfaßt - im wesentlichen auf Basis der systematischen Auswertung eines Katalogs von 30 allgemein gehaltenen Fragen. Beispiel: "Manchmal reizt es mich, schnell zu fahren, obwohl ich mir Zeit lassen könnte." Die Auswertung des Fragebogens ermöglicht ein wirklich an die Persönlichkeit des Kunden "appellierendes" Anschreibens: Wer "zu Protokoll" gegeben hat, daß er gern sportlich fährt, wird mit der Hervorhebung der PS-Stärke eines neuen Autos mehr anzufangen wissen als ein 65jähriger Rentner, der sich selbst als defensiven Fahrer einstuft. Beide aber wollen da abgeholt werden, wo sie sich befinden.

Wer gegen diesen Grundsatz verstößt, der hat schlechte Karten. Hans-Peter Brück (Wuppertal) konnte jüngst nur lachen, als er einen Brief der örtlichen Commerzbank erhielt, in dem ihm zum "erfolgreichen Abschluß" seiner Schullaufbahn gratuliert wurde. Im ersten Satz! Dabei hatte der junge Mann sein Abitur vor mehr als einem Jahr gemacht und wußte mit der Frage, was er sich "jetzt" gönnen wolle, herzlich wenig anzufangen. Wenn diese Bank, mag er sich gedacht haben, ein ganzes Jahr braucht, um zu gratulieren, wird es um ihre Schnelligkeit auch anderweitig nicht zum Besten bestellt sein.

Im übrigen enthielt das Mailing kein Responseelement. Eine beigelegte Antwortkarte, die so beschaffen ist, daß sie mit der Post verschickt oder gefaxt werden kann, gehört zur Grundausstattung eines guten Werbebriefs, damit die Post auch in die andere Richtung abgeht und der Absender sich selbst die Chance gibt zu erfahren, wie das Mailing den Neukunden angesprochen hat. (md)

Mailings können duften (links) oder zum Rubbeln auffordern:

Erlaubt ist, was Erfolg bringt.