IT-Freiberufler

Die sechs gemeinsten Gründerfallen

01.06.2010 von Michael Ihringer
Experten haben sechs gefährliche Fallstricke ausgemacht, an denen Gründer scheitern. Sie liefern auch gleich die Antworten, damit sich die Fehler nicht wiederholen.

Rund 14.000 Hightech-Gründungen und damit ein Plus von 3,1 Prozent ermittelte das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) für 2010 in Deutschland. Laut dieser Studie ist der Gründerboom in der Softwareindustrie am größten und konnte dort um ganze 15 Prozent zulegen. Allerdings ist diesen Startups der dauerhafte Geschäftserfolg keineswegs sicher: Eine verbreitete Daumenregel besagt, dass fünfzig Prozent aller Gründungen das erste Jahr nicht überstehen. Höhere Chancen hat, wer die wichtigsten Fallstricke für IT-Neugründungen kennt - und vermeidet.

Die Kumpel-Falle

In einer legendären Garage in Palo Alto sollen die Stanford-Absolventen William Hewlett und David Packard im Jahr 1939 ihren ersten Tonfrequenzgenerator zusammengebaut haben. Seither gilt diese nicht nur als Geburtsstätte von HP und des gesamten Silicon Valleys, sie ist zum Symbol studentischer Gründungen schlechthin geworden. Ähnlich wie bei Hewlett und Packard besteht auch heute das Gründungsteam häufig aus engen Vertrauten, die alle anfallenden Aufgaben unter sich aufteilen. In dieser Konstellation haben Unternehmensgründer vor allem zwei Probleme: Sie wissen noch nicht, wie es geht, und sie haben noch nicht die richtigen Leute. Oft genug fehlt dann das Vertrauen für eine Erweiterung des Führungsteams oder es werden weitere "Kumpels" aus dem engeren Umfeld hinzugenommen, die keine zusätzlichen Kompetenzen mitbringen.

Das beste Gegenbeispiel liefert Google: Als das von Larry Page und seinem Studienkollegen Sergey Brin gegründete Startup wuchs, holten sie 2001 Eric Schmidt ins Boot, weil beide keine Erfahrungen mit der Führung eines Unternehmens hatten. Während der bisherige Novell-Chef das Tagesgeschäft führte, kümmerten sich Page und Brin um Fragen der Softwareentwicklung. Wesentliche Entscheidungen wurden allerdings stets von allen drei Personen gemeinsam getroffen. Page nutzte die Zeit zum Lernen: Anfang 2011 übernahm er die Führung von Schmidt wieder, der via Twitter erklärte, dass der Konzern nun keine Aufsicht durch Erwachsene mehr nötig habe. "Als ich 2001 zu Google kam, konnte ich mir in meinen wildesten Träumen nicht vorstellen, dass wir einmal soweit kommen, wie es heute der Fall ist", sagte er.

Die Techie-Falle

Durch das Engagement des erfahrenen Managers Schmidt haben die Google-Gründer gleich eine zweite Falle umschifft. Gerade in der IT-Branche erliegen Startups nämlich allzuleicht der Versuchung, vor lauter Begeisterung über die Technik die tatsächlichen Marktbedürfnisse aus den Augen zu verlieren. "Nur wer seine Zielgruppe und ihre Probleme wirklich versteht, kann ihr geldwerte Lösungen bieten", erläutert Marc Hildebrandt von Software Diagnostics, einem Spin-off des Hasso-Plattner-Instituts in Potsdam.

Marc Hildebrandt, Software Diagnostics: "Nur wer seine Zielgruppe kennt und ihre Probleme wirklich versteht, kann ihr geldwerte Lösungen bieten."
Foto: Software Diagnostics

Auch die Experten für Software Intelligence und Software Mining haben mit ihren Werkzeugen zunächst nur die Entwickler und Teamleiter im Unternehmen adressiert, die von der technischen Perfektion der Lösung begeistert waren. "Aber bei weiterer Analyse der Kundensituation haben wir schnell gemerkt, dass die Kosten und Risiken von Softwareprojekten ein echtes Management-Thema sind", beschreibt Hildebrandt die Entstehungsgeschichte des neuen Flaggschiff-Produktes Software Diagnostics Server.

Die Partner-Falle

Als größtes Problemfeld nennen Jungunternehmer immer wieder den Vertrieb. So bereiten den Befragten im Gründerpanel des Instituts für Mittelstandsforschung Bonn vor allem die Auftragsakquisition und der Aufbau eines Kundenstamms Schwierigkeiten. Verlockend einfach erscheint da die Lösung, je nach Produktangebot passende Vertriebspartner zu suchen, die bereits über Zugang zum geplanten Kundensegment verfügen. Wer etwa an Regierungen oder die öffentliche Verwaltung verkaufen will, erspart sich manche Mühen mit einem Partner, der dort bereits gelistet ist und über die notwendigen Zertifizierungen verfügt.

Stefan Waldhauser, Wewebu Software, empfiehlt, von Anfang an gemeinsam mit dem Partner klare Ziele zu vereinbaren.
Foto: Wewebu Software

"Eine grundsätzliche Übereinstimmung der Interessen muss allerdings schon gewährleistet sein, damit eine Vertriebspartnerschaft funktioniert", warnt Stefan Waldhauser vom Enterprise-Information-Management-Spezialisten WeWebU Software AG und empfiehlt, gemeinsam mit dem Partner von Anfang an klare Ziele zu vereinbaren. Sonst kann es gehen wie bei jenem ungenannten Startup, das seine Vertriebsprobleme mit der Aufnahme der eigenen Produkte in die Preisliste der IBM gelöst wähnte. Über der Wunschvorstellung, dass der Großkonzern mit seiner weltweiten Vertriebsmannschaft nun ganz von alleine für florierende Umsätze sorgen würde, hat das Unternehmen alle eigenen Bemühungen eingestellt und ist geradewegs in den Konkurs gesteuert.

Die Kunden-Falle

Ähnlich wie ein dominierender Partner den Vertrieb blockieren kann, birgt die einseitige Fokussierung auf wenige Großkunden beträchtliche Risiken für Produktentwicklung und -strategie. Natürlich ist der Abschluss des ersten großen Kunden für jedes junge Unternehmen ein wichtiger Meilenstein, zumal wenn wiederkehrender Umsatz einen relevanten Teil der laufenden Kosten abdeckt. Aber auch hier gilt: Jeder Kunde muss zum eigenen Unternehmen und jeder Produkteinsatz zur eigenen Strategie passen.

Sonst kommt es allzu leicht dazu, dass jedem neuen Kunden etwas anderes verkauft wird. Am Ende hinkt dann die Produktentwicklung den verschiedenen, oft sogar widersprüchlichen Anforderungen hinterher, muss unterschiedliche Versionen pflegen und kann kein klares Marktprofil entwickeln. "Unser wichtigster Anwender hätte uns auch leicht auf einen Schlag aufkaufen oder unsere Entwicklung innerhalb weniger Wochen nachbauen können", erinnert sich Peter Beaman, der mit seiner 15-Mann-Softwareschmiede Data Tree einen Gesundheitskonzern mit 2800 Mitarbeitern bedient. "Wir haben diese Fragen vor dem Abschluss ganz offen diskutiert und waren uns einig, dass der Kunde am meisten profitiert, wenn wir unsere Produktstrategie sauber einhalten und auf kundenspezifische Entwicklungen weitgehend verzichten."

Die Kultur-Falle

Innerhalb des Unternehmens stellt sich früher oder später die Frage nach der Firmenkultur. In der Wachstumsphase benötigen Startups permanent neue Mitarbeiter und suchen für den schnellen Einstieg am liebsten solche, die ihren Erfolg bereits bewiesen haben. Wenn etwa der erfahrene Vertriebler, der in seinen bisherigen Positionen stets mit Umsatzrekorden geglänzt hat, die in ihn gesetzten Erwartungen dann nicht erfüllen kann, ist die Überraschung groß. Schuld sind in der Regel kulturelle Unterschiede zu den früheren Unternehmen - oft fehlt einfach der gewohnte organisatorische Rahmen, das System aus Zuckerbrot und Peitsche mit Quartalsstruktur und zugehörigen Incentives. Ist der kostspielige Versuch gescheitert, übernehmen viele Gründer den Vertrieb wieder selbst oder erliegen erneut der Kumpelfalle aus der Gründungszeit und vergrößern das Problem damit weiter.

Ralf Hager bietet mit seiner Hager Unternehmensberatung so genannte Employment Lifecycle Solutions.
Foto: Hager Unternehmensberatung

"Wenn nicht alle Körperteile gleich mitwachsen, läuft man schief", sagt Ralf Hager von der Hager Unternehmensberatung, die sogenannte Employment Lifecycle Solutions rund um den gesamten Arbeitslebenszyklus anbietet. So weiß er etwa von einem Internet-Unernehmen, das seinem Gründungsvorstand bewusst erfahrene Banken-Manager an die Seite gestellt hat. Die neuen Manager jedoch nehmen die Techies kaum ernst, diese wiederum weigern sich, auf die aus ihrer Sicht "alten Männer" zu hören. "Solche emotionalen Risse haben schon ganze Unternehmen zerlegt", berichtet Hager.

Die Finanzierungs-Falle

Dafür, dass selbst die naheliegendsten Gründungs-Fallstricke oft so wenig Beachtung erfahren, ist nicht zuletzt die Schwierigkeit der Finanzierung verantwortlich. Einen Investor zu finden, der die Geschäftsidee finanziert, ist für fast alle Gründer ein so zentraler Problempunkt, dass er lange Zeit alle übrigen Fragen überschatten kann. "Jedoch darf dies keinesfalls dazu führen, die weiteren Themen zu ignorieren", sagt Thomas Leitner von der Hager Unternehmensberatung. Der Leiter des Unternehmensbereichs Business Activation begleitet unter anderem junge Technologieunternehmen in der Aufbauphase. Aus seiner Perspektive ist die Gründung noch lange nicht erfolgreich, wenn ein Kapitalgeber gefunden und überzeugt ist.

Thomas Leitner, Hager Unternehmensberatung: "Die Gründung ist noch lange nicht erfolgreich, wenn man den Kapitalgeber gefunden hat."
Foto: Hager Unternehmensberatung

"Die eigentliche Bewährungsprobe, den Markt zu überzeugen, fängt damit erst an. Dann zeigt es sich, ob die Strategie aufgeht und ob man das passende Team beisammen hat." Die erforderliche Erfahrung lässt sich oft am besten durch einen aktiven Beirat einbringen. Nicht so sehr durch gesetzliche Vorgaben limitiert wie ein Aufsichtsrat, dient dieser den Jungunternehmern kontinuierlich als Coach, Sparringpartner und vor allem als Netzwerker für den Markteintritt, um alle Fallstricke der Startup-Phase erfolgreich zu umgehen.

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