Top-Managern fehlt Bewusstsein

Ego-Trips im Vorstand vermeiden

22.09.2011
Stimmt die Zusammenarbeit an der Firmenspitze nicht, gefährdet das den Erfolg, sagt Dr. Kai Dierke.

Die Finanzkrise und solche Ergebnisse wie das Reaktorunglück in Fukushima haben das Denken der Top-Manager verändert. Sie beschäftigen sich heute intensiver als früher mit der Frage: Wie kann ich mein Unternehmen besser gegen unvorgesehene, äußere Risiken absichern? Kaum im Blick haben sie aber oft die inneren Risiken, die den Unternehmenserfolg mindestens ebenso gefährden - so zum Beispiel das Leadership-Risiko, das darin besteht, dass Führung und Zusammenarbeit auf der Top-Ebene von Unternehmen nicht optimal funktionieren.

Top-Manager sind heute mit ständig neuen Situationen am Markt und einer extremen Komplexität konfrontiert. Wenn sie jedoch unter Druck stehen, dann beobachten man bei ihnen oft folgende Verhaltensweise: Sie wählen eher den "Alleingang" als die konsequente Arbeit im Top-Team. Sie lassen wenig Dialog, geschweige denn Feedback zu. Hier liegt das ganz alltägliche, hohe Risiko für den Un-ternehmenserfolg.

Prominente Beispiele wie Wiedeking bei Porsche, von Pierer bei Siemens oder Fuld bei Lehmann Brothers sind nur die Spitze des Eisbergs. Sie brachten ihre Unternehmen zwar voran, setzten diese aber zugleich enormen Risiken aus. Denn ihre Alleingänge wurden nicht durch das "Team at the Top" ausbalanciert.

In der täglichen Arbeit mit Vorständen - zum Beispiel als Berater - registriert man immer wieder ein Sich-Abkapseln der Vorstandsmitglieder unter Stress; des Weiteren eine Quasi-Entmachtung des Vorstandsteams durch den CEO. Dabei lassen insbesondere drei Verhaltensmuster beobachten.

Typische Verhaltensmuster bei "Stress"

1. Der "klassische Held":
Er reagiert auf Komplexität mit einer Dramatisierung der Situation und Schwarz-Weiß-Rhetorik. Das ist bei einem Turnaround ein angemessenes Verhalten. Zündet jedoch zum Beispiel ein CEO oder CFO ständig "die Bühne an", um sich als Retter zu bestätigen, dann hat das Folgen. Es findet zum Beispiel keine gemeinsame Analyse und kein Dialog im Top-Team mehr statt. Das Team folgt vielmehr dem "Helden" auf dem Pfad des Aktionismus. Die Folge: Das Top-Team und die Organisation werden auf Dauer "sauer" gefahren.

2. Der "Erfahrene der ersten Stunde":
Er will die komplexen Probleme der Zukunft mit Erfolgsrezepten der Vergangenheit lösen - nach dem Motto "Das hat immer funktioniert". In globalisierten, technologiebasierten Märkten liegt in einem solchen Verhalten ein immenses Risiko. Denn Top-Manager, die so agieren, blenden die Komplexität aus und stellen sich nicht den neuen Realitäten.

3. Der "meinungsstarke Unbeirrbare":
Er begründet sein Verhalten mit den Verhältnissen, nach dem Prinzip "Ich habe keine Alternative". Er fordert bedingungslose Loyalität. Teamarbeit und ein echter Dialog auf der Top-Ebene finden auch hier nicht statt. Innere Emigration und Demotivation sind häufig das Resultat.

Strukturen fördern "Alpha-Tier"-Habitus

Das Leadership-Risiko hat vor allem zwei Wurzeln. Erstens: Die Denkmuster von Top-Managern sind nun einmal leistungs-, ergebnis- und somit auch wettbewerbsorientiert. Der Alphatier-Habitus ist ihr Erfolgsrezept, um an die Spitze zu gelangen und dort zu überleben. Viele CEOs sind autokratisch - also wenig auf Dialog und Annahme von ehrlichem Feedback getrimmt. Dieser Tunnelblick verstärkt sich in Zeiten zunehmender Komplexität.

Zweitens: In den meisten Unternehmen wirken die "Strukturen" einer Teamarbeit auf der Top-Ebene entgegen. Jeder Bereichsvorstand versucht primär seinen Bereich zu optimieren, denn dies ist seine Kernaufgabe. Auch die Kompensations-, Zielerreichungssysteme und Budgets sind in erster Linie bereichsorientiert definiert.

"Top-Teams" entstehen nicht automatisch

An der Unternehmensspitze ist die Konkurrenz aufgrund der letztendlichen Verantwortung für die einzelnen Bereiche in der Regel besonders stark. Deshalb gibt es dort keine natürliche Entwicklung in Richtung "ein Team".

Für die mangelnde Performance zum Beispiel eines Vorstands ist jedoch nicht primär der CEO verantwortlich - obwohl er die größten Einflussmöglichkeiten hat. Denn wenn ein Top-Team eine reaktive Rolle und somit seine faktische Ent-Verantwortung akzeptiert, dann ist es faktisch nicht mehr "on task". Jedes Vorstandsmitglied muss den produktiven Konflikt mit dem CEO und den anderen Mitgliedern suchen. Denn der Vorstand oder die Geschäftsführung eines Unternehmens ist eine Leistungsgemeinschaft mit einer klaren Zielausrichtung. Erst die gemeinsamen Verpflichtung auf ein Ergebnis bei gegenseitiger Inverantwortungnahme macht ein Team wirksam. Deshalb ist der produktive Konflikt ein wichtiger Geburtshelfer jedes erfolgreichen Top-Teams.

Das "Harmonie-Kartell" durchbrechen

Teams an der Unternehmensspitze entwickeln nicht automatisch einen High Performance-Status. Sie müssen sich diesen erarbeiten - zum Beispiel, indem sie sich von einem externen Berater regelmäßig die Disfunktionen zurückspiegeln lassen. Erst wenn das oberflächliche Harmonie-Kartell gebrochen ist, kann das Team eine höhere Stufe der Performance erklimmen.

In diesem Prozess knirscht es oft. Denn es ist mühsam, sich als Team einen produktiven und effizienten Modus zu erarbeiten - und es ist genauso mühsam, ihn aufrechtzuerhalten. Kein Team ist immer gleich leistungsfähig. Deshalb lautet die Kernherausforderung für jedes Top-Team, sich durch ein konsequentes Reflektieren der eigenen (Dis-)Funktionalitäten in einem Dialog über sich selbst zu halten. Das Team muss also die Fähigkeit zur Selbstreflektion entwickeln. Dann kann es das Leadership-Risiko verringern. (oe)

Der Autor Dr. Kai Dierke ist Managing Partner der Top Management Beratung Dierke Houben Associates, Zürich. Kai Dierke war nach seiner Zeit als Berater bei McKinsey bis 2003 Mitglied der Konzernleitung der Winterthur Versicherung.

Kontakt:

www.dierkehouben.com