CP-Serie "Finanzierung von IT-Firmen", Teil 8

Ermittlung des Unternehmenswerts

03.11.2011
It’s an art, not a (pure) science - ein fairer Interessenausgleich muss her, sagt Dr. Bernhard Schmid.
Ob eine Firma wirklich Gold wert ist, stellt sich bei der Unternehmensbewertung heraus.
Foto: Deutsche Bank

In diesem Beitrag lesen Sie, wie bei der Unternehmenswertermittlung ein fairer Interessenausgleich zwischen dem Unternehmer und dem Finanzier gefunden werden kann.

Für die Ermittlung des Unternehmenswerts gibt es verschiedene finanzmathematische Verfahren. Und dennoch: Das Unternehmen ist das wert, was ein anderer dafür zu zahlen bereit ist. Sei es im Zuge einer offenen bzw. stillen Beteiligung, sei es im Falle einer (Teil-)Betriebsveräußerung.

Denn neben den objektiv ermittelbaren Kriterien spielen Timing und Verhandlungsgeschick eine wichtige Rolle. So sind z. B. ausländische Investoren oft bereit, einen "strategischen" sprich höheren Preis zu bezahlen, um mit einer ersten Akquisition den Markteintritt in Deutschland schneller zu vollziehen. In der Regel handelt es sich dabei um größere Firmen, die ins Zielradar gelangen.

Zudem ist die Art der Bewertungs-Methodik auch abhängig vom Typ des Investors. Nachfolgend werden gängige Varianten skizziert:

- Ertragswertmethode (nach IDW)

Der Ertragswert setzt sich zusammen aus den geschätzten Erträgen der nächsten fünf Jahre, wobei diese mit dem Kapitalzinsfuß auf den heutigen Zeitwert abgezinst werden.

Die Grundlage basiert dabei auf den bereinigten Betriebsergebnissen der zurückliegenden drei Jahre. Bereinigt heißt, abzgl. des kalkulatorischen Unternehmerlohns und außerordentlicher Erträge sowie zuzüglich außerordentlicher Aufwendungen.

In den Kapitalzinsfuß fließen die jeweilige Risikoeinschätzung des Investors ein - entsprechen groß können die Beträge variieren.

- Diskontierte Cashflow-Methode (DCF-Methode)

Bei der DCF-Methodik handelt es sich um ein zukunftsgerichtetes Verfahren, das insbesondere gerne bei Wachstumsunternehmen angewendet wird. Dabei werden die künftig erwarteten Cashflows als Basis der Wertermittlung angesetzt. Die hängt damit zusammen, dass der Cashflow mehr über die Finanzkraft des Unternehmens aussagt: Wird ein Produkt verkauft, ist dies erfolgswirksam - jedoch ist nicht gewährleistet, ob der Kunde die Leistung auch bezahlt beziehungsweise bezahlen kann.

In der Regel werden die Cashflows der nächsten drei bis fünf Jahre als Basis herangezogen, das darauffolgende Jahr geht im Sinne einer "ewigen Rente" in die Berechnung ein. Die Cashflows werden dann entsprechend auf den heutigen Zeitwert abgezinst, wobei dort insbesondere auch die Risikoabschläge des Investors Niederschlag finden. Das DCF-Verfahren ist weit verbreitet, da es auf die künftige Entwicklung abzielt. Damit ist es auch auf Firmen anwendbar, die aufgrund hoher Investitionen (etwa in Softwarelösungen) erst in der Zukunft Gewinne und Cash-flows erwirtschaften. Diese Start-ups beziehungsweise Wachstumsfirmen weisen in der Regel eine sogenannte Hockey-Stick-Kurve auf: Negative operative Erträge / CF in den ersten Jahren zur Erstellung und Etablierung der Software; exponentiell steigende Gewinne in er Vermarktungsphase.

Viel hängt daher davon ab, wie überzeugend das Management darstellen kann, dass ausgerechnet ihr Unternehmen auch wirklich den Marktdurchbruch und damit die kritische Masse erzielen kann.

- (Börsen-)Vergleichswertverfahren

Vergleichswertverfahren basieren auf Analogieschlüssen. Im Zuge eines Peer-Group-Vergleichs werden Unternehmen gesucht, die dem kapitalsuchenden Unternehmen möglichst nahekommen, das heißt, in der gleichen Branche, Region, Technologiebasis, Ertrags-/Umsatzgrößenordnung etc. operieren. Für diese Vergleichsfirmen müssen Firmenwerte bekannt sein. Bei börsennotierten Unternehmen ist dies der Börsenwert. Bei anderen Unternehmen muss der Wert bekannt sein, zu dem das jeweilige andere Unternehmen aktuell eine Finanzierung erhielt beziehungsweise übernommen wurde.

Der Wert dieser analogen Unternehmen spiegelt den Vergleichsmaßstab wider. Wird eine nicht gelistete Firma mit einem börsennotierten Unternehmen verglichen, nimmt man typischerweise einen (deutlichen) Vergleichswert als Abschlag: Börsennotierte Unternehmen haben aufgrund der erhöhten Publizitätspflichten erhöhte Overhead-Kosten. Zudem wird ihnen aufgrund der größeren Öffentlichkeit ein professionelleres Management unterstellt als bei den "Hidden Champions".

Der Vorteil des Verfahrens besteht darin, dass es leicht anzuwenden ist. Das Problem liegt in der Wahl der passenden Vergleichsfirmen und in der Justierung bezüglich unterschiedlicher Ansätze der Rechnungslegung.

- Liquidationswertermittlung

Der Liquidationswert ist der sogenannte Zerschlagungswert. Er ist die Summe der Einzelwerte, zu dem Assets veräußert werden, und entspricht damit dem Verkehrswert der gesamten Assets. Dies in der Regel nur bei Unternehmen in der Krise von Interesse.

- Multiplikatorverfahren

Das Multiplikator-Verfahren besticht durch seine einfache Anwendung. Man nehme das aktuelle Ergebnis (vor Steuer und Zinsen) beziehungsweise den aktuellen Umsatz und multipliziere es mit einem branchenspezifischen sowie größenspezifischen Faktor (Small-, Mid-, Large-Caps). Dies entspricht dann dem Firmenwert.

Die aktuellen Bandbreiten des Multiple-Faktors werden monatlich in Finanzmagazinen ermittelt.

Je nach Art des Kapitalgebers gibt es leichte Modifikationen: So werden zum Beispiel das Vorjahr beziehungsweise das Folgejahr mit einbezogen, um "Ausreißer" zu glätten.

Dieses Verfahren ist insbesondere für eingeführte, stabile Unternehmen gut geeignet, da sich Kapitalsuchender und Kapitalgeber im Rahmen definierter und empirisch gut abgesicherter Bandbreiten bewegen. Für wachstumsstarke Unternehmen mit einer "Hockey-Stick"-Kurve" ist dies weniger nutzbar, wenngleich es Marktteilnehmer gibt, die auch im Technologiebereich das Multiplikatorverfahren als erste "Daumenregel" verwenden.

Börsennotierte Unternehmen profitieren in guten Börsenzeiten zudem vom sogenannten "Leverage-Effekt". Ein Beispiel: Ein börsennotiertes Unternehmen, dessen Börsenwert dem 2,1-Fachen des Umsatzes entspricht, kauft ein nicht börsennotiertes Softwareunternehmen in einer Range, die typischerweise das 0,7- bis 1,1-Fache des Umsatzes als Multiple-Faktor enthält. Der zugekaufte Umsatz wird von der Börse ceteris paribus wieder mit dem gleichen Multiple von durchschnittlich 2,1 bewertet. Bei strategisch klugen Deals wird oft sogar ein Aufschlag gewährt. Damit steigt die Akquisitionswährung des Unternehmens, insbesondere dann, wenn die Transaktion zu einem weiten Teil in Aktien finanziert wurde. Wohlgemerkt: Die Rede ist von normalen bis guten Börsenphasen.

- Primär substanzwertorientierte Verfahren wie das Stuttgarter Verfahren

Beim Stuttgarter Verfahren handelt es sich überwiegend um ein Substanzwertverfahren. Das heißt, es werden primär die aktuelle Substanz, also aktuelle Vermögensgegenstände abzüglich Schulden, betrachtet und erst in zweiter Linie die erwarteten Erträge. Das Verfahren wird von der Finanzverwaltung verwendet, um die Erbschaft- beziehungsweise Schenkungsteuer zu berechnen, und ist daher im ITK-Bereich nicht anzuwenden. Ungeachtet dessen kann der ermittelte Wert eine Art Untergrenze darstellen.

- Sonderformen wie Earn-out-Modelle

Neben den klassischen Verfahren gibt es weitere Methoden, die versuchen, der Wette auf den eintretenden Erfolg gerecht zu werden. Da nichts so unsicher ist wie die Zukunft, ist es oft eine Glaubensfrage, ob bei Wachstumsunternehmen die erwarteten exponentiellen Gewinne eintreffen oder nicht. Daher wird bei Earn-out-Modellen vereinbart, dass die Kapitalzufuhr oder der Kaufpreis sukzessive ermittelt wird. Der prognostizierte Kaufpreis ist dabei oft mit einer Art "Frühbucher-Abschlag" versehen.

Das Verfahren hat für den Verkäufer den Vorteil, einen höheren Kaufpreis zu erzielen, wenn seine progressive Planung eintritt: Der Risikoabschlag ist geringer, da der Verkäufer die Wette eingeht. Für den Käufer besteht der Vorteil darin, dass ein guter Teil seines Risikos abgefedert ist. Zudem sind Teile des Kaufpreises durch die erzielten Cashflows bereits refinanziert. Ist der Finanzier ein Stratege, dann kommt es zu einer Gratwanderung zwischen Kaufpreis auf der einen Seite und verzögerter Nutzung auf der anderen Seite. Denn strategische Investoren wollen möglichst schnell gemeinsame Synergien nutzen, vom Vertrieb bis hin zur gemeinsamen Lohnbuchhaltung. Damit wird das Thema der Erfolgsabgrenzung virulent - wie lassen sich etwa Synergien des strategischen Investors in den Earn-out einberechnen? In der Praxis lassen sich solche Abgrenzungen kaum vornehmen - daher wird der Earn-out meist auf eine kurze Zeit beschränkt.

In der Praxis sieht es dabei so aus, dass oft verschiedene Verfahren durchgespielt werden. So wird zum Beispiel anhand des Multiple-Verfahrens ermittelt, ob die Vorstellung des Kapitalsuchenden sich im üblichen Rahmen bewegt. Ist diese (deutlich) zu hoch, dann werden diese Investments anhand der Fülle der Kandidaten oft rasch assortiert.

Je näher man der Entscheidung kommt, desto feiner werden die Mechanismen angewendet. Bei größeren Deals oder wenn die Kaufpreisvorstellungen sehr ambitioniert erscheinen, ziehen Investoren oft mehrere Verfahren heran. Idealerweise sollten die ermittelten Firmenwerte in einem engen Korridor liegen.

Einmalige Auszahlung

Bei Investitionen unter hoher Unsicherheit ist es zudem nicht üblich, den Betrag einmalig auszuzahlen. Hier haben die Kapitalgeber aus den Erfahrungen um den Jahrtausendwechsel gelernt. Die Auszahlung ist an das Erreichen bestimmter Meilensteine gekoppelt. Wichtig ist, dass Verfahren bei prozentualen Abweichungen bereits im Vorfeld zu definieren sind.

Und auch im Falle eines Verkaufs gilt: Über Earn-out-Modelle wird der Unternehmer zudem für einige Jahre engagiert an das Unternehmen gebunden. Und selbst wenn der Verkäufer zum Beispiel aus Altersgründen rasch ausscheiden möchte, ist es zunehmend Usus, einen Teil des Kaufpreises über ein Verkäuferdarlehen dem Unternehmen zuzuführen, bis eine geregelte Übergabe gewährleistet ist.

Dies ist auch der Tatsache geschuldet dass sich nicht nur IT-Unternehmer im Nachgang der Finanz- und Euro-Krise schwertun, Kapital zu finden. Auch Finanzinvestoren, die Transaktionen früher mit bis zu 80 Prozent über Fremdkapital finanziert haben, können dies heute typischerweise nur mehr zu 50 bis 60 Prozent tun. Daher werden Gesellschafterdarlehen von bis zu 50 Prozent zunehmend zu einem wesentlichen Finanzierungsbaustein - auch wenn natürlich argumentiert wird, dass dies nur dazu diene abzusichern, ob der Unternehmer ‚wirklich an die Zukunft des (vormals) eigenen Unternehmens glaubt‘. Die Zinsen diese liegen dabei derzeit circa 300 Basispunkte über dem Euribor, die Laufzeit beträgt typischerweise bis zu drei Jahren.

Zudem beeinflusst die Risikoeinschätzung im Zuge der Finanzkrise sehr maßgeblich die Kaufpreisfindung. Das heißt, neben der Sonderprüfung im Vorfeld der Transaktion (sogenannte Due Diligence) spielen Garantien eine starke Rolle. Zum Beispiel wird wert auf ein Going Concern zwischen LOI und tatsächlichem Übertragungszeitpunkt gelegt, was sich zum Beispiel in Working-Capital-Garantien bei eingesessenen Unternehmen widerspiegelt. Damit soll verhindert werden, dass durch verzögerte Zahlungen oder den plötzlichen Einsatz von Factoring kurzfristig Cash generiert wird, was sich erhöhend auf den Kaufpreis auswirkt.

Jedoch werden die Verhaltenspflichten nach der Transaktion (die sogenannten Covenants) deutlich strenger gefasst - Banken regeln dabei direkt oder indirekt über den Finanzier, nicht zuletzt aufgrund Basel II/III, wie die Reporting-Pflichten auszusehen haben und welche "Sanktionen" zum Beispiel in Form von Zinserhöhungen bei Zuwiderhandlung zum Tragen kommen.

Wahl der Transaktionsart

Ein weiterer wesentlicher Punkt ist gerade bei Verkäufen des Unternehmens, welche Transaktionsart gewählt wird - eine enge Abstimmung mit Steuer- und Rechtsexperten erscheint unerlässlich. So ist zum Beispiel gut zu überlegen, wann ein komplizierter Asset-Deal (Verkauf der "Assets" des Unternehmens wie Anlagevermögen, Übernahme von Verträgen etc.) im Vergleich zu einem Verkauf von Unternehmensanteilen (sogenannter Share-Deal) Sinn macht, da der Kaufpreis in der Regel um 40 Prozent höher sein muss, damit für den Unternehmer am Ende das gleiche Ergebnis erzielt wird.

Trotz dieser methodischen Vorgehensweise wird ein und dasselbe Unternehmen von verschiedenen Kapitalgebern unterschiedlich bewertet.

Menschen machen Geschäfte, nicht Firmen oder Bewertungsautomaten

Wie hoch zum Beispiel bei ertragswertorientierten Verfahren der Risikozinssatz ist oder wieweit sich ein Investor bei einem Multiple-Verfahren an das obere Ende bewegt, hängt auch von einem "weichen Faktor" ab: dem "Bauchgefühl", das heißt dem Eindruck des Vertrauens, den das Management hinterlässt, dass es den Erfolg weiterhin stemmen kann und die Zahlen einhält oder übererfüllt. Denn letztendlich will kein Investor in eine potenzielle "Baustelle" investieren - wobei man im Zuge der Nachwirkungen der Finanzkrise neben den Bauchgefühl wieder stärker auf "harte Absicherungen" für den Fall der Fälle vertraut.

Daher ist die Kaufpreisfindung weit mehr als nur der reine Kaufpreis - nicht dass er von einem anfangs stattlichen Kaufpreis durch Garantieleistungen beziehungsweise Covenants-Verstößen deutlich reduziert ist. Diese Vielzahl an Variablen gilt es also zu beachten - und nicht nur die erste Auszahlungsrate. (oe)

Der Autor Dr. Bernhard Schmid war knapp 20 Jahren in der IT-Branche tätig und hat in seiner Zeit als Geschäftsführer, Vorstand und Berater über 20 Corporate -inance -Transaktionen im IT-Channel realisiert. Er ist Geschäftsführender Gesellschafter der Global Value Management GmbH (GVM).

Kontakt:
Tel.: 08141 8890-39, E-Mail: bernhard.schmid@global-value-management.de, Internet: www.global-value-management.de