Gezielte Streikmaßnahmen

"Flashmob" als Mittel des Arbeitskampfes zulässig

18.01.2010
Warum auch der Einzelhandel mit "Menschenaufläufen" rechnen muss, sagt Dr. Christian Salzbrunn.

Unter einem "Flashmob" versteht man einen kurzen, scheinbar spontanen Menschenauflauf auf öffentlichen oder halböffentlichen Plätzen, bei denen sich die Teilnehmer in der Regel untereinander nicht kennen. Solche Zusammenkünfte werden in Internetforen, per E-Mail-Kettenbriefe oder per Mobiltelefon zuvor organisiert.

Ganz ursprünglich hatten solche Aktionen keinerlei politische Ziele zum Gegenstand. Dies hat sich allerdings in der jüngeren Vergangenheit gewandelt, was schon darin erkennbar wird, dass nun auch die Gewerkschaften derartige Flashmob-Aktionen als Mittel des Arbeitskampfes für sich entdeckt haben. Dabei bestellt eine Gewerkschaft ihre Mitglieder zu einem bestimmten, öffentlich zugänglichen und im Streik befindlichen Betrieb und ruft diese dazu auf, den Betriebsablauf durch bestimmte Verhaltensweisen zu stören. Diese Gewerkschaftsmitglieder sind keine Arbeitnehmer des betroffenen Betriebs, sodass ihnen von daher auch keine arbeitsrechtlichen Sanktionen drohen können.

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hatte nun in einem aktuellen Urteil vom 22.09.2009 über die Rechtsmäßigkeit solcher Aktionen seitens der Gewerkschaften zu entscheiden. Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt zu Grunde: Die Gewerkschaft ver.di veröffentlichte im Rahmen eines Arbeitskampfes im Bereich des Berliner Einzelhandels auf ihrer Internetseite ein Flugblatt, auf dem zu einer gezielten Flashmob-Aktion aufgerufen wurde. Die Gewerkschaftsmitglieder wurden in dem Flugblatt aufgefordert, zwecks Teilnahme an einer solchen Aktion ihre Handy-Nummer bekannt zu geben. Danach sollten die Mitglieder kurzfristig per SMS über den Zeitpunkt und den Ort der Aktion informiert werden, um in einer bestreikten Filiale gezielt "einkaufen" zu gehen. Die Gewerkschaft schlug in dem Flugblatt vor, dass möglichst viele Teilnehmer gleichzeitig einen "Pfennig-Artikel" kaufen und damit für längere Zeit den Kassenbereich blockieren sollten. Des Weiteren sollten Einkaufswagen mit Waren befüllt werden, um sie dann im Verkaufsraum oder an der Kasse stehen zu lassen (von Frischware sollte ausdrücklich abgesehen werden).

Die Flashmob-Aktion fand dann am 08.12.2007 bei einem Mitglied des Handelsverbandes Berlin-Brandenburg (HBB) statt. Rund 40 Personen suchten überraschend eine Einzelhandelsfiliale auf und führten dort entsprechend den Vorgaben im gewerkschaftlichen Flugblatt ca. eine Stunde lang ihre Aktion durch. Daraufhin erhob der Arbeitgeberverband HBB vor den Arbeitsgerichten eine Klage und verlangte von der Gewerkschaft ver.di, künftig derartige Streikmaßnahmen zu unterlassen. Nach der Ansicht des Arbeitgeberverbandes seien Flashmob-Aktionen keine zulässigen Streikmaßnahmen, sondern rechtswidrige, mit Betriebsblockaden und Betriebsbesetzungen vergleichbare Aktionen.

Vom Grundgesetz geschützte Betätigungsfreiheit

Diese Rechtsansicht teilten die Richter des BAG jedoch nicht. Nach ihrer Ansicht war der Aufruf zur Flashmob-Aktion rechtmäßig. In ihrem Urteil wiesen die Richter zunächst darauf hin, dass sämtliche gewerkschaftliche Maßnahmen, die zur Durchsetzung tariflicher Ziele auf die Störung betriebliche Abläufe gerichtet sind, grundsätzlich unter die durch Art. 9 Abs. 3 Grundgesetz (GG) geschützte Betätigungsfreiheit fallen. Die Betätigungsfreiheit umfasse auch die Wahl des jeweiligen Arbeitskampfmittels, solange dieses dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entspricht. Insoweit seien die gewählten Arbeitskampfmittel letztlich nur dann rechtswidrig, wenn sie zur Durchsetzung der erhobenen Forderungen offensichtlich ungeeignet, nicht erforderlich oder unangemessen sind.

Im Rahmen dessen sei bei der Abwägung vor allem zu berücksichtigen, ob es für die Arbeitgeberseite eine Verteidigungsmöglichkeit gibt. Gerade dies wurde von den Richtern des BAG bejaht. Nach ihrer Ansicht könne sich der Arbeitgeber gegenüber einer Flashmob-Aktion durch die Ausübung seines Hausrechts oder durch eine kurzfristige Betriebsschließung zur Wehr setzen. Daher sei eine solche Aktion nicht typischerweise mit einer Betriebsblockade gleichzusetzen (BAG, Urteil vom 22.09.2009, Az.: 1 AZR 972/08).

Damit haben die möglichen Streikmittel der Gewerkschaften eine erhebliche Ausweitung erhalten. Gerade solche Flashmob-Aktionen können einen Arbeitgeber sehr empfindlich treffen. Hierbei ist vor allem zu berücksichtigen, dass das von den Richtern des BAG herangezogene Argument der Verteidigungsmöglichkeit in der Praxis kaum durchführbar sein wird. Denn die Aussprache und die praktische Durchsetzung eines Hausverbots sind in Anbetracht der begrenzten Dauer der Aktion und der erheblichen Anzahl der Teilnehmer nur theoretisch möglich. Auch eine kurzfristige Schließung des Betriebs als Abwehrmittel dürfte in der Praxis kaum relevant werden, weil die Flashmob-Aktionen dem Arbeitgeber naturgemäß erst zu einem Zeitpunkt bekannt werden, wenn sie bereits im vollen Gange sind. Daher kann man sich im Vorfeld kaum durch eine vorsorgliche Schließung des Betriebs hiervor schützen. Immerhin können von solchen Flashmob-Aktionen nur solche Betriebe betroffen sein, die der Öffentlichkeit zugänglich sind. Das bedeutet, dass künftig vor allem der Einzelhandel oder die öffentlichen Verkehrsbetriebe mit solchen Aktionen konfrontiert werden. (oe)

Der Autor Dr. Christian Salzbrunn ist Rechtsanwalt in Düsseldorf.

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