Fragen und Rügen oder wie ein Bieter Ausschreibungen beeinflusst

17.08.2006 von Feil 
Der öffentliche Auftraggeber ist bei Ausschreibungen zu sachdienlichen Auskünften verpflichtet.

Das rechtliche Korsett für öffentliche Auftraggeber bei EU-weiten Ausschreibungen von IT-Leistungen erscheint auf den ersten Blick eng und die Einflussmöglichkeiten eines Bieters gering. Dieser erste Befund bestätigt sich aber in der Ausschreibungspraxis nicht. Aufgrund der zunehmenden Komplexität der Ausschreibungen von IT-Leistungen gewinnen Fragen vor Ablauf der Angebotsfrist an Bedeutung.

Rechtliche Grundlage des Fragerechts

§ 17 Nr. 6 VOL/A regelt den Umgang mit von Bietern geforderten Auskünften. Wenn Bewerber zusätzliche sachdienliche Auskünfte über die Verdingungsunterlagen und das Anschreiben erbitten, so sind diese Auskünfte unverzüglich zu erteilen. Eine gleich lautende Regelung findet sich auch in § 17 Nr. 7 VOB/A. Werden einem Bewerber wichtige Aufklärungen über die geforderte Leistung oder die Grundlagen seiner Preisermittlung gegeben, so sind sie auch den anderen Bewerbern gleichzeitig mitzuteilen (§ 17 Nr. 6 Abs. 2 VOL/A). Diese Anforderungen leiten sich aus dem Transparenzgebot ab. Als sachdienlich ist jede Auskunft zu verstehen, die mit der Vergabe oder der Ausführung der Leistung im Zusammenhang steht. Dabei können dies Auskünfte über technische Fragen sein oder Fragen, die für die vom Bewerber vorzunehmende Preiskalkulation von Bedeutung sein können. Die Auskunftspflicht des öffentlichen Auftraggebers soll der Einhaltung eines fairen, mit möglichst großer Beteiligung geführten Wettbewerbs und damit der Gleichbehandlung der beteiligten Bewerber dienen.

Aufgrund der Anfrage eines Bieters ist der Auftraggeber zu sachdienlichen Auskünften verpflichtet. Seine Antwort muss inhaltlich zutreffend sein, und er muss die Frage so präzise und ausführlich beantworten, dass seine Ausführungen lückenlos sind.

Diese geschilderten Vorgaben der VOL/A führen zumeist dazu, dass ein öffentlicher Auftraggeber vorsichtshalber alle Fragen von Bietern beantwortet. Die Praxis zeigt, dass einige Bieter mit einer massiven Häufung von Anfragen versuchen, Druck auf den Auftraggeber auszuüben. Dies ist mittel- und langfristig sicherlich keine "kluge" Strategie. Es kann aber durchaus sinnvoll sein, durch präzise und gezielte Fragen zu technischen Details die eine oder andere Optimierung der Ausschreibungsunterlagen zu erreichen.

Unverzügliche Auskunft

Nach der VOL/A muss der Auftraggeber die Auskunft unverzüglich erteilen, sobald die Anfrage des Bieters bei ihm eingegangen ist. Bei der Definition des Begriffes "unverzüglich" wird auf die Regelung des § 121 Abs. 1 BGB zurückgegriffen. Dort wird unverzüglich als Handeln ohne schuldhaftes Zögern definiert. In den meisten Fällen sollte daher eine Auskunft des Auftraggebers innerhalb einer Woche, maximal innerhalb von 14 Tagen, erfolgen. Durch diese Fristbindung wird eine Verkürzung der Angebotsfrist des Bieters verhindert, wenn ihm eine entsprechende Auskunft nicht zur Verfügung gestellt wird.

Gemäß § 18a Nr. 1 Abs. 6 VOL/A muss ein Auftraggeber rechtzeitig angeforderte zusätzliche Auskünfte über Verdingungsunterlagen spätestens 6 Tage vor Ablauf der Angebotsfrist erteilen.

Keine Form

Sowohl die Anfrage des Bieters als auch die durch den Auftraggeber erteilte Auskunft unterliegen keiner Formvorschrift. Es ist also eine mündliche Anfrage sowie eine mündliche Auskunft möglich. Aus Nachweisgründen und um Missverständnisse zu vermeiden, muss seitens des Auftraggebers schriftlich geantwortet werden. Vor dem Hintergrund der Gleichbehandlung aller Bieter und unter dem Gesichtspunkt einer möglichen Überprüfung des Vergabeverfahrens durch die Vergabekammer und nachfolgend durch das Oberlandesgericht ist eine vollständige Dokumentation der Anfragen und erteilten Auskünfte erforderlich.

Information an alle

Wichtige Aufklärungen über die geforderte Leistung und die Grundlagen der Preisermittlung sind den anderen Bewerbern gleichzeitig mitzuteilen. Wichtig ist eine Aufklärung dann, wenn die Information über den Inhalt oder den Umfang der Vergabeunterlagen aus objektiven Gründen notwendig ist. Beispielsweise können sich Auslegungsschwierigkeiten aufgrund von tatsächlichen Ungenauigkeiten oder Unzulänglichkeiten der Vergabeunterlagen ergeben oder es können sich Fehler in die Vergabeunterlagen eingeschlichen haben. Um also einen fairen Wettbewerb sicherzustellen und keinen Bieter zu diskriminieren, ist die Aufklärung unverzüglich allen Bewerbern mitzuteilen. Alle Bewerber müssen die inhaltlich gleiche Information erhalten. Hier empfiehlt es sich aus Sicht des Auftraggebers dringend, die Auskunft schriftlich abzufassen und den gleichen Wortlaut zu wählen.

Aus der Regelung in der VOL/A ergibt sich indirekt die Anforderung, die Bieter zu erfassen, an die die Vergabeunterlagen versandt wurden. Nur so kann sichergestellt werden, dass eine Information den anderen Bewerbern gleichzeitig mitgeteilt wird. Entsprechende organisatorische Vorkehrungen sind seitens des Auftraggebers zu treffen.

Rügepflicht

Die Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens vor der Vergabekammer als erste Stufe des vergaberechtlichen Rechtsschutzes erfolgt nur auf Antrag. Gemäß § 107 Abs. 3 GWB ist ein solcher Antrag unzulässig, soweit ein Antragsteller den gerügten Verstoß gegen Vergabevorschriften bereits im Vergabeverfahren erkannt und gegenüber dem Auftraggeber nicht unverzüglich gerügt hat. Nach den gesetzlichen Vorschriften ist ein Antrag außerdem unzulässig, soweit Verstöße gegen Vergabevorschriften, die aufgrund der Bekanntmachung erkennbar sind, nicht spätestens bis zum Ablauf der in der Bekanntmachung benannten Frist zur Angebotsabgabe oder zur Bewerbung gegenüber dem Auftraggeber gerügt werden.

Zunächst einmal fordert das Gesetz eine positive Kenntnis. Ein Unterlassen einer Anzeige trotz Vermutungen begründet keine Rügepflicht. In besonderen Konstellationen kann bei grob fahrlässiger Unkenntnis allerdings eine Rügepflicht des Antragstellers und Bieters bestehen. Eigene Nachforschungen muss ein Bieter nur unter engen Voraussetzungen durchführen.

Es wird nicht erwartet, dass aufgrund eines Verdachtes in Bezug auf rechtliche Wertungen eine Rüge auszusprechen ist. Die Rechtsprechung und die Vergabekammern verweisen darauf, dass eine solche Rüge das Verhältnis zur Vergabestelle belastet. Es wird zumindest ein Zustand bestehen müssen, in dem ein beanstandetes Vergabeverhalten in rechtlicher Hinsicht als problematisch einzustufen ist und der Sachverhalt für einen Antragsteller in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht hinreichend geklärt ist. Zweifel an einer Rechtslage schließen eine positive Kenntnis aus. Es besteht seitens des Bieters bei ungewissen rechtlichen Bedenken keine Pflicht, anwaltliche Beratung in Anspruch zu nehmen. Eine Grenze besteht dann, wenn sich ein Bieter mutwillig gegen die Erkenntnis eines Vergaberechtsverstoßes verschließt. An diesen Formulierungen ist zu bemerken, dass die Grenze zwischen dem "Erkennen eines Verstoßes" und dem "Nicht-Erkennen" fließend ist. Insoweit ist jeweils im Einzelfall zu prüfen, ob eine Rügepflicht besteht.

Der Gesetzgeber erwartet eine unverzügliche Rüge. Es soll damit sichergestellt werden, dass ein Auftraggeber aufgetretene Fehler noch korrigieren kann.

Soweit Verstöße gegen Vergabevorschriften aufgrund der Bekanntmachung erkennbar sind, sind diese spätestens bis zum Ablauf der in der Bekanntmachung benannten Frist zur Angebotsabgabe oder zur Bewerbung ebenfalls zu rügen. Ungeklärt ist dabei die Frage, ob auf einen objektiven Maßstab eines durchschnittlichen Antragstellers oder auf den subjektiven Maßstab des konkreten Antragstellers abzustellen ist, um zu klären, ob ein Vergabeverstoß erkennbar war. Die Rechtsprechung ist in diesem Zusammenhang widersprüchlich.

Überwiegend wird von den Vergabekammern und den Oberlandesgerichten nicht erwartet, dass einer Rüge eine Vollmacht beigefügt ist. Um Diskussionen zu diesem Punkt zu vermeiden, sollte aber eine Bevollmächtigung nachgewiesen werden. Auch gilt für die Rüge keine Formvorschrift. Sie kann also per E-Mail oder mündlich erfolgen. Im Rahmen einer weiteren oder weitergehenden rechtlichen Auseinandersetzung ist allerdings der Bieter darlegungs- und beweispflichtig, dass er die Rügeobliegenheit erfüllt hat. Insoweit empfiehlt sich immer eine schriftliche Rüge.

Aufgrund der Rüge hat ein Auftraggeber die Möglichkeit, beanstandete Fehler zu erkennen und zu korrigieren. Die Rüge sollte klar und deutlich formuliert sein und möglichst den Sachverhalt und den konkreten Vergaberechtsverstoß benennen. Allerdings wird nicht eine umfassende rechtliche Würdigung erwartet. Insgesamt genügt es, wenn aus den Äußerungen des Bieters aus Sicht der Vergabestelle eine Beanstandung zu entnehmen ist. Die zunehmend verbreitete Unsitte, Anträge zur Verlängerung von Angebotsfristen zu stellen oder eine allgemeine und pauschale Kritik am Vergabeverfahren zu äußern, sind nicht als Rügen anzusehen.

In der Praxis ist zu beobachten, dass viele Nachprüfungsverfahren an dem formalen Kriterium der Einhaltung der Rügeobliegenheiten aus dem Gesetz scheitern. Insoweit ist seitens eines Bieters und Antragstellers darauf zu achten, dass die diesbezüglichen rechtlichen Anforderungen eingehalten werden. (mf)