Scheinselbständigkeit, Projektmarkt, Kunden

Freiberuflervermittler reden Klartext

09.11.2015 von Christiane Pütter
Das politische Problem der Scheinselbständigkeit und die konservative Kultur deutscher Unternehmen bewegen derzeit die Vermittler freier IT-Experten. Das wurde in einem Roundtable der Computerwoche in München deutlich. Auch übt sich die 10-Milliarden-Euro Branche in Selbstkritik: Man werde "als versprengter Haufen" wahrgenommen.
 
  • Mancher Freie erhält fünf bis zehn Projektanfragen pro Tag
  • Vermittler-Branche leidet trotz eines Volumens von rund zehn Milliarden Euro unter schlechtem Ruf
  • Erster Teil des Computerwoche-Roundtables zum Markt für IT-Freiberufler

Das erste Wort, das Luuk Houtepen in Deutschland lernte, war "passt ned". Da sucht ein bayerischer Konzern händeringend IT-Spezialisten und bekommt einen Kandidaten aus Hamburg vorgeschlagen - die Antwort lautet "passt ned". Der Kandidat spreche kein Bayerisch, und am Ende sei er gar noch HSV-Fan… Als Houtepen, Head of Business Development DACH beim Personaldienstleister Sthree und immigrierter Niederländer, das erzählt, hat er die Lacher auf seiner Seite. Doch das Lachen der Teilnehmer am Roundtable, zu dem die COMPUTERWOCHE rund 20 Freiberuflervermittler geladen hat, ist sarkastisch. "Der Schmerz auf Kundenseite muss wohl noch größer werden", seufzt Nikolaus Reuter, Vorstandschef von Etengo.

Freiberufler-Markt 2016: Was Personaldienstleister erwarten
Freiberuflervermittler reden Klartext
Scheinselbständigkeit, Wachstumschancen 2016, Kandidatenmarkt - das waren nur einige der Themen, über die die rund 20 Personaldienstleister diskutierten, die die COMPUTERWOCHE im Oktober 2015 zum Freiberufler-Roundtable in die Redaktion geladen hatte.
Luuk Houtepen, Sthree
Luuk Houtepen ist Head of Business Development DACH bei Sthree. Das erste Wort, das er in Deutschland lernte, war "Passt ned!". Da sucht ein bayerischer Konzern händeringend IT-Spezialisten und bekommt einen Kandidaten aus Hamburg vorgeschlagen - die Antwort lautet "passt ned".
Andreas Krawczyk, Freelancer.Net
Andreas Krawczyk, Chief Operation Officer (COO) bei Freelancer.Net, beobachtet, dass die viel zitierte Offenheit durchaus auch auf Seiten der IT-Freien fehlt. "Freiberufler sind auch oft passiv", sagt er, "sie kümmern sich zu wenig um Akquise."
Marco Raschia, top itservices
Marco Raschia, Director des Global Competenc Center Finance bei top itservices, sagt über die konservative deutsche Unternehmenskultur: "Diese Thematik haben wir ja jetzt durch die aktuelle Flüchtlingskrise auf dem Tisch." Er begrüßt, dass viele Bildungsträger Sprachkurse anbieten.
Christian Neuerburg, DIS AG
Ein weiterer großer Schmerzpunkt ist die unklare Rechtslage, Stichwort Scheinselbständigkeit. Christian Neuerburg, Manager Operations bei der DIS AG, legt denselben Katalog an Prüfkiterien an Selbständige zugrunde wie die deutsche Rentenversicherung. Neuerburg weiß: Eben jener Katalog der Rentenversicherung ist keine Drohkulisse, sondern "gelebte Realität".
Nikolaus Reuter, Etengo
Nikolaus Reuter, Vorstandschef von Etengo, engagiert sich gemeinsam mit dem Deutschen Bundesverband Informationstechnologie für Selbständige (DBITS) und leistet Lobbyarbeit auf bundespolitischer Ebene. Er sagt: "Selbst Andrea Nahles hat mit dem Dialogprozess 'Arbeiten 4.0' verstanden, dass sie ein hundert Jahre altes Gesetzeswerk nicht einfach in neue Formen klopfen kann."
Michael Girke, Q-Perior
Wie Michael Girke, Partner bei Q-Perior, beobachtet, beschäftigt das Thema Scheinselbständigkeit ganze Compliance-Abteilungen. Manche Branchen allerdings wollen schon gar nicht mehr mit Freiberuflern zusammenarbeiten, etwa Risiko-averse Versicherungen.
Daniela Kluge, Gulp
„Wir Dienstleister haben es mit zwei herausfordernden Zielgruppen zu tun. Auf der einen Seite steht der selbstbewusste Freiberufler, der weiß, was er kann und was er wert ist. Auf der anderen Seite sind die Endkunden nicht mehr bereit, jeden Preis zu zahlen. Trotzdem ist der durchschnittlich erzielte Stundensatz der IT- und Engineering-Freiberufler in 2015 laut unserer Stundensatz-Umfrage um 50 Cent marginal auf 80,50 Euro gestiegen - ein Anzeichen für einen starken Kandidatenmarkt."
Andreas Dittes, Talentwunder
„Die Fachkräfte wissen um ihren Wert. Vor allem die jüngere Generation hat nicht nur finanzielle Ansprüche, sondern erwartet von ihrem Auftraggeber Flexibilität, etwa in Hinblick auf eine Vier-Tage-Woche oder eine Home-Office-Regelung.“
Sven Herzberg, Goetzfried
„Diese Erwartungen der Generation Y (Teilzeiteinsatz, Home Office, etc) decken sich häufig aber nicht mit denen des Kunden. Ein IT-Freiberufler hat in der Regel vor Ort zu sein, auch anderswo werden keine Kompromisse gemacht: So gilt Deutsch nach wie vor als Projektsprache. Ohne Deutschkenntnisse wird es für Freiberufler schwierig, ein Projekt zu finden.“
Carlos Frischmuth, Hays
„Deutsche Unternehmen wünschen sich zu einem überwiegenden Anteil den Einsatz deutschsprachiger Freiberufler in der IT - allerdings verzeichnen wir parallel dazu eine kontinuierliche Öffnung der internationalen Projektmärkte insbesondere für IT-Freelancer aus Deutschland!“
Andreas Nader, Questax
„Unsere Kunden erwarten nach wie vor, dass der Freiberufler bei Ihnen vor Ort im Einsatz ist, zum einen weil die freiberuflichen Experten ihr Wissen an die Mitarbeiter weitergeben sollen. Zum anderen erfordern etwa agile Methoden wie Scrum, dass alle Entwickler präsent sind und sie sich mitunter täglich austauschen und untereinander abstimmen.“
René Troche, Westhouse Consulting
„In großen Unternehmen entscheidet der Einkauf, welche Freiberufler beauftragt werden. Und sie arbeiten in der Regel nur noch mit vier bis fünf Personaldienstleistern zusammen. Mehr Offenheit und Breite findet man in kleinen und mittelständischen Betrieben.“
Stefan Frohnhoff, emagine
„Das Thema Scheinselbständigkeit sorgt sowohl bei Unternehmen als auch bei Freelancern schon seit geraumer Zeit für Unsicherheit.“
Shahin Rejaei Pour, iPAXX
„Ein IT-Experte ist ein Mensch, man kann ihn nicht wie eine Ware bestellen und aus dem Regal holen.“
Maxim Zvezdan Probojcevic, SOLCOM
„Der Markt wächst auch deshalb, weil die Auftraggeber mit der Qualität, die deutsche Freelancer abliefern, sehr zufrieden sind.“
Frank Shams, 1st Solution
"Ich habe den Eindruck, dass ein Freiberufler oft auf einen Skill reduziert wird. Dabei besteht das eigentliche „ Können" darin, ihn mit all seinen „Fähigkeiten" zu bewerten.“

Houtepen hat einen der neuralgischen Punkte angesprochen: die konservative deutsche Unternehmenskultur. Marco Raschia, Director des Global Competence Center Finance bei Top ITservices, hakt ein: "Diese Thematik haben wir ja jetzt durch die aktuelle Flüchtlingskrise auf dem Tisch." Er begrüßt, dass viele Bildungsträger Sprachkurse anbieten. Denn die deutsche Sprache ist und bleibt die Eintrittskarte, da sind sich die Gesprächspartner einig.

Eigentlich müssten die Eingangstore weit offen sein. Der Markt mag einmal Kunden-getrieben gewesen sein, heute ist er Kandidaten-getrieben, stellen die Vermittler fest. So gibt es Freie, die erhalten fünf bis zehn Projektanfragen pro Tag. Jedoch beobachtet Andreas Krawczyk, Chief Operation Officer (COO) bei Freelancer.Net, dass die viel zitierte Offenheit auch auf Seiten der IT-Selbständigen fehlt. Gerade bei den älteren Kandidaten vermisst er Weiterbildungen oder die Flexibilität, beispielsweise an weiter entfernten Standorten zu arbeiten. "Freiberufler sind auch oft passiv", ergänzt er, "sie kümmern sich zu wenig um Akquise."

Und immer wieder Scheinselbständigkeit

Dass es zu wenig freie IT-Experten in Deutschland gibt, hat auch mit einem zweiten großen Schmerzpunkt zu tun: der unklaren Rechtslage, Stichwort Scheinselbständigkeit. Ein Thema, das sowohl bei den Freelancern als auch bei den Unternehmen Unsicherheit bis hin zur Angst auslöst. Dazu Christian Neuerburg, Manager Operations bei der DIS AG: "Der Gesetzesentwurf von Andrea Nahles zur weiteren Regulierung des Arbeitsmarktes wird kommen." Um die rechtlichen Anforderungen zu erfüllen, legt seine Firma denselben Katalog an Prüfkriterien an Selbständige zugrunde wie die deutsche Rentenversicherung. Neuerburg weiß: Eben jener Katalog der Rentenversicherung ist keine Drohkulisse, sondern "gelebte Realität".

Die Computerwoche lud Mitte Oktober zu einer Diskussionsrunde über den IT-Freiberuflermarkt. Insgesamt diskutierten 15 Vertreter von Personaldienstleistern an drei Tischen.

Wie Michael Girke, Partner bei Q-Perior, beobachtet, beschäftigt dieses Thema ganze Compliance-Abteilungen. Manche Branchen allerdings wollen schon gar nicht mehr mit Freiberuflern zusammenarbeiten, etwa Risiko-averse Versicherungen. Sthree-Manager Houtepen nickt. Er sehe bei diesem ganzen Themenkomplex viel "gefährliches Halbwissen", sagt er. Immerhin kann Etengo-Chef Reuter die Kollegen beruhigen. Er engagiert sich zum Beispiel gemeinsam mit dem Deutschen Bundesverband Informationstechnologie für Selbständige (DBITS) und leistet Lobbyarbeit auf bundespolitischer Ebene. "Selbst Nahles hat mit dem Dialogprozess ,Arbeiten 4.0' verstanden, dass sie ein hundert Jahre altes Gesetzeswerk nicht einfach in neue Formen klopfen kann", versichert Reuter. Erleichtertes Gelächter.

Mehr Präzision bei den Begrifflichkeiten nötig

Gleichzeitig sind sich die Gesprächspartner jedoch darin einig, dass sie selbst nicht immer präzise beim "Wording" sind. Arbeitnehmerüberlassung, Zeitarbeit, freie Mitarbeit - zu oft würden die Begrifflichkeiten durcheinander gebracht. Auch das ist für Top ITservices-Director Raschia wiederum eine deutsche Besonderheit. "Wenn Sie sich beispielsweise in England mit 'Recruiting Industry' vorstellen, weiß jeder, was gemeint ist", sagt er. In Deutschland müsse die Assoziationskette "Personaldienstleister" zu "Blue Collar" und "billige Arbeitskräfte" aufgelöst werden.

Damit rennt er bei Reuter offene Türen ein. "Wir als Branche werden von der Politik leider immer noch als versprengter Haufen wahrgenommen", überlegt er, "dabei sind wir ein Markt, der kontinuierlich zweistellig wächst." Im kommenden Jahr, ist der Etengo-Chef überzeugt, werden die Vermittler die Zehn-Milliarden-Marke knacken. Reuter: "Damit gehören wir zu den Top-15-Branchen der deutschen Wirtschaft!"

Die Computerwoche lud Mitte Oktober zu einer Diskussionsrunde über IT-Freiberufler. Dieser Text ist der erste Beitrag einer dreiteiligen Serie dazu.

Lünendonk: Die wichtigsten Freiberufler-Vermittler 2015
Die zehn größten Freiberufler-Vermittler ...
... hat Lünendonk in der Studie "Der Markt für Rekrutierung, Vermittlung und Steuerung von IT-Freelancern in Deutschland" im Jahr 2014 ermittelt - gemessen an ihren Umsätzen.
Gute Aussichten für Vermittlungsagenturen
Wer einen von derzeit etwa 92.000 IT-Freiberuflern auf dem deutschen Markt vermittelt, hat gut lachen ...
Zwei Drittel der Umsätze werden mit Freiberufler-Vermittlung generiert
Externes Third Party Management und Zeitarbeit spielen dagegen nur eine geringe Rolle.
Platz 10: top itservices ...
...2013 noch nicht in den Top Ten, hat 2014 mit der Vermittlung von IT-Freiberuflern einen Umsatz von 48,5 Millionen Euro erzielt und hat damit Platz 10 des Rankings ergattert. Der Gesamtumsatz des Unternehmens betrug 73,7 Millionen Euro. Die Zahl der Mitarbeiter konnte gegenüber 2013 fast um 100 auf nun 783 Angestellte gesteigert werden.
Platz 9: Etengo
Etengo-Vorstandschef Nikolaus Reuter kann sich über 57 Millionen Euro Umsatz und damit zwölf Millionen mehr als 2013 freuen. Die Mitarbeiterzahl der Mannheimer wuchs von 51 auf 61 im Jahr 2014.
Platz 8: Westhouse Consulting ...
... ist unter anderem auf die Vermittlung von SAP-Freiberuflern spezialisiert. 2014 konnten die großen Umsatzzuwächse der Vergangenheit nicht wiederholt werden, mit der Freiberuflervermittlung erwirtschaftete Westhouse Consulting 65 Millionen Euro (2013: 62 Millionen Euro). Der Gesamtumsatz stagniert bei 71 Millionen Euro, die Mitarbeiterzahl wuchs von 87 auf 103.
Platz 7: 1st solution consulting
Mit 65,3 Millionen Euro Umsatz durch die Freiberuflervermittlung im Jahr 2014 hat 1st Solution den Wert des Vorjahres deutlich gesteigert (46,6 Mio). Auch der Gesamtumsatz konnte in diesem Zeitraum von 23 Millionen auf 82 Millionen Euro zulegen. 1st solution beschäftigt 74 Mitarbeiter und somit nur geringfügig mehr als 2013 (68).
Platz 6: Questax Gruppe
Questax, hervorgegangen aus der ehemaligen Quest Softwaredienstleistung und der krisengeschüttelten Reutax, kommt auf 68,2 Millionen Euro Umsatz durch Freiberuflervermittlung und beschäftigt 120 Mitarbeiter. Der Gesamtumsatz beträgt 75,8 Millionen Euro.
Platz 5: Solcom Unternehmensberatung
Die Solcom Unternehmensberatung hat mit der Vermittlung von IT-Freiberuflern 79 Millionen Euro und damit etwa zehn Millionen Euro mehr umgesetzt als im Vorjahr. Auch die Zahl der Angestellten ist um zehn auf 120 angewachsen.
Platz 4: SThree
Im Vorjahr noch auf Platz fünf, hat sich die Freiberufler-Vermittlung SThree an Solcom vorbeigeschoben: Das Unternehmen beschäftigt 25 Mitarbeiter mehr als noch 2013 (505). Die Gesamtumsatzsteigerung um 32 Millionen auf 173 Millionen wird nur vom Erstplatzierten des Rankings übertroffen. Der Umsatz mit der Rekrutierung und Vermittlung von IT-Freelancern weist mit 97,6 Millionen Euro ebenfalls ein deutliches Plus von 11,4 Millionen gegenüber dem Vorjahr aus.
Platz 3: Allgeier Experts
Bronze geht wie im Vorjahr an Allgeier Experts: Das Unternehmen erzielte mit der Vermittlung von Freiberuflern 183,2 Millionen Euro Umsatz, was einem Plus von 22 Millionen Euro entspricht. Gleichzeitig ging die Mitarbeiterzahl von 437 auf 418 zurück. Der Gesamtumsatz sank von 239,4 Millionen auf 228,6 Millionen Euro.
Platz 2: Gulp Information Services
Die Top Drei der IT-Freiberufler-Vermittlungen bleiben dieses Jahr unter sich: Auch Gulp, im Bild Geschäftsführer Michael Moser, macht da mit Silber keine Ausnahme und untermauert die "Vizemeisterschaft" mit einem Mitarbeiterzuwachs von 47 neuen Beschäftigten gegenüber 2013 (180), einem Umsatzplus von 31,6 Millionen Euro (2013: 268,3 Millionen Euro) sowie der Steigerung des Gesamtumsatzes auf 313,3 Millionen Euro (2013: 278,4 Millionen Euro).
Platz 1: Hays
Praktisch der FC Bayern der IT-Freiberufler-Vermittlungen ist Hays, hier im Bild Vorstandschef Klaus Breitschopf. Das Unternehmen setzte 2014 mit der Rekrutierung und Vermittlung von IT-Freelancern sagenhafte 781,20 Millionen Euro um, was im Vergleich zum Vorjahr ein Plus von 70,6 Millionen bedeutet. Auch die Mitarbeiterzahlen sind wesentlich höher als bei der Konkurrenz, 2014 arbeiteten 1400 Beschäftigte für Hays (2013: 1.300). Der Gesamtumsatz wurde auf 1,350 Milliarden Euro und im Vergleich zu 2013 um 250 Millionen Euro gesteigert.
Wachstumskurs setzt sich fort
Die Markt für Freiberuflervermittlung wird immer größer: Die Anzahl der freiberuflichen IT-Experten in Deutschland ist 2014 auf 92.000 angewachsen (2013: 87.500). Die Umsätze konnten gegenüber dem Vorjahr um 15 Prozent gesteigert werden und liegen nun bei neun Milliarden Euro (2013: 8,4 Milliarden Euro).
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