Neue Methoden erforderlich

Führung ist keine Einbahnstraße

06.08.2013
Vor allem Top-Arbeitskräfte entscheiden heute vielfach selbst, von wem sie sich führen lassen. Deshalb muss sich auch das Führungsverhalten ändern, sagt Hubert Hölzl.
Mitarbeiterführung ist schon lange kein Steuern in eine Richtung mehr - so wie in einer Einbahnstraße.
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Viele Führungskräfte betrachten Führung noch als eine Einbahnstraße - top down. Sie übersehen dabei, dass sich die Mitarbeiter gewandelt haben. Insbesondere Top-Arbeitskräfte entscheiden heute vielfach selbst, von wem sie sich führen lassen. Deshalb muss sich auch das Führungsverhalten ändern.

Weltcupspringen, 1988. Ein bislang eher mittelmäßiger Skispringer landet plötzlich mehrere Meter vor der Konkurrenz und wird Skiflugweltmeister. Das Erfolgsgeheimnis des Schweden Jan Boklöv: Er hält die Ski nicht parallel wie seine Mitbewerber, sondern erstmals in Form eines "V".

Ähnliche Prozesse lassen sich im Wirtschaftsleben oft beobachten. Jahre-, häufig sogar jahrzehntelang, nutzen fast alle Unternehmen dieselben Methoden und Verfahren - beispielsweise in der Produktion. Und sie verfeinern diese immer weiter - durchaus mit Erfolg. Doch dann stellen sie fest: Die Möglichkeiten der bisherigen "Technik" sind ausgereizt. Mit ihr lassen sich keine Quantensprünge mehr erzielen. Hierfür ist ein ganz neues Vorgehen nötig.

Organisationsberater nennen einen solchen fundamentalen Wandel einen Musterwechsel. Denn hierbei stehen nicht nur die gewohnten Verfahren auf dem Prüfstand. Auch die Art, die Realität zu betrachten, wird hinterfragt, um einen neuen Lösungsansatz zu finden. Ein solcher Musterwechsel setzt voraus, dass sich bei den Entscheidern in einer Organisation das Gefühl verdichtet: "Wir nähern uns einer Grenze. Wenn wir unsere bisherigen Denkmuster und Verfahrensweisen beibehalten, scheitern wir - zumindest auf lange Sicht."

Gefühl: Ein fundamentaler Wandel ist nötig

Ein solches Gefühl plagt zurzeit viele Unternehmen im Bereich Führung. Denn immer mehr Indikatoren deuten darauf hin, dass die traditionelle Art zu führen, an ihre Grenzen stößt. Beispielsweise die sinkende Loyalität der Mitarbeiter mit ihren Arbeitgebern. Und die steigende Zahl der Führungskräfte, die über eine Überlastung klagen. Und die wachsenden Probleme vieler Unternehmen, den Change- und Innovationsbedarf zu meistern.

All diese Faktoren tragen dazu bei, dass sich bei den Entscheidern das Gefühl verdichtet: In unserer Organisation muss sich ein grundlegender Wandel im Bereich Führung vollziehen. Sonst kann unser Unternehmen, die Herausforderungen, vor denen es steht, mittelfristig nicht mehr meistern.

Die Ursachen hierfür sind vielfältig. So stehen heute die Unternehmen aufgrund der rasanten techno-logischen Entwicklung und der raschen Veränderung ihrer Märkte unter einem weit höheren Veränderungsdruck als früher - woraus auch eine permanente Mehrbelastung nicht nur der Führungskräfte, sondern der gesamten Organisation resultiert. Zudem haben sich im zurückliegenden Jahrzehnt in den meisten Unternehmen neben den Arbeitsinhalten die Arbeitsstrukturen und -beziehungen geändert. Als Stichworte seien hier nur die Begriffe Matrix-Organisation sowie Team- und Projektarbeit genannt.

Was sich in den meisten Unternehmen jedoch kaum geändert hat, ist die Art, Mitarbeiter zu führen. Zwar wurden den Führungskräfte immer mehr Attribute wie Entrepreneur, Leader und Coach zugeschrieben (was auch den Bedarf und Wunsch nach Veränderung zeigt), faktisch geändert hat das Führungsverhalten in vielen Unternehmen aber kaum.

Auch die Mitarbeiter haben sich verändert

Ein solcher Wandel wäre jedoch dringend nötig - nicht nur, weil es aufgrund des demographischen Wandels den Unternehmen zunehmend schwer fällt, ihren Bedarf an qualifizierten Mitarbeiter zu decken. Vermutlich entscheidender ist: Die Mitarbeiter haben sich verändert. In den Unternehmen rückt mit der sogenannten "Generation y" eine Generation junger Frauen und Männer nach, die ein anderes Wertesystem als deren bisherige Leistungsträger haben.

Sie sagen zwar auch ja zur Leistung, betrachten Arbeit aber primär als ein Instrument zur Sicherung der Existenz und des gewünschten Lebensstandards. Doch nicht nur das: Sie haben auch andere Ansprüche an die Arbeit. Sie soll befriedigend sein und ihnen Gestaltungs- und Entfaltungsspielräume eröffnen.

Das stellt die aktuellen Führungsmodelle vieler Unternehmen in Frage - speziell im Mittelstand. Denn in ihren Leitbildern wird zwar oft ein kooperativer Führungsstil propagiert, die Führungsrealität sieht aber anders aus. In vielen Unternehmen legitimiert Führung ihre Autorität noch primär über die hierarchische Position; des Weiteren über einen Erfahrungs- sowie Wissens- und Informationsvorsprung. Und häufig wird von den "Untergebenen" im Arbeitsalltag primär Gehorsam erwartet.

Und gute Führung? Sie wird daran gemessen, wie die Mitarbeiter "spuren". Zugleich wird aber betont: Unsere Mitarbeiter sollen (oder müssen) künftig eigenständiger denken und handeln sowie mehr Eigenverantwortung zeigen. Hieraus resultiert ein Grundkonflikt, für den viele Unternehmen im Bereich Führung noch keine Lösung gefunden haben.

Aus Mitarbeitern werden Kooperationspartner

Generell gilt: Im Zeitalter unternehmensübergreifender Projekte und Netzwerke, fließender Strukturen und hierarchieentbundener Gruppen lassen sich die Grenzen zwischen Führenden und Geführten nicht mehr so klar wie früher ziehen. Die Führungskräfte verlieren an Einfluss und den Mitarbeitern fällt eine aktivere Rolle zu. Und zunehmend entscheidet der Grad der Kooperation darüber, wie effektiv und flexibel, innovativ und leistungsstark ein Unternehmen in seinen Märkten agieren kann.

Das erfordert eine Führung, die unabhängige Leistungsträger unter einem gemeinsamen Ziel vernetzt kann. Hierfür benötigen Führungskräfte wiederum die Akzeptanz ihrer Mitarbeiter. Denn sie entscheiden zunehmend selbst, ob sie einer Person das Recht einräumen, sie zu führen. Und ihr " Ja" zur Führung? Es artikuliert sich ihrer Initiative, ihrem Engagement und ihrer Loyalität.

Das ist vielen Führungskräften nicht ausreichend bewusst. Sie erwarten von ihren Mitarbeiter - zumindest insgeheim - noch immer, dass sie sich (ähnlich wie sie selbst) bedingungslos den Vorgaben ihrer Vorgesetzten oder den Zielen des Unternehmens unterzuordnen.

Die Zeiten eines bedingungslosen Gehorsams und einer bedingungslosen Loyalität sind jedoch vor-bei. Die Leistungsträger in der nachrückenden Generation wollen außer einem guten Einkommen auch Mitsprache- und Entscheidungsmöglichkeiten sowie Gestaltungsspielräume haben. Und dies zu Recht! Denn von ihnen wird auch erwartet, dass sie - sei es alleine oder im Team - die ihnen übertragenen weitgehend eigenständig und -eigenverantwortlich lösen. Und wenn sich die Rahmenbedingungen ändern? Dann sollen sie eigeninitiativ nach neuen Problemlösungen suchen.

Hierzu sind sie in der Regel bereit. Sofern sie für diese Leistung seitens ihrer Vorgesetzen auch die erforderliche Anerkennung und Wertschätzung erfahren - und zwar nicht nur in Form von Phrasen wie "Das schaffen Sie schon" oder "Das haben Sie gut gemacht". Sie erwarten von ihren Führungskräften vielmehr eine aktive Unterstützung und Weitergabe von Information sowie Einbindung in die Entscheidungsprozesse.

Die eigenen Mitarbeiter befragen
Mitarbeiterbefragung
Von den eigenen Mitarbeitern kann man viel lernen – wenn man kluge Fragen stellt. Management-Consultant und Buchautorin Anne M. Schüller (www.anneschueller.de) präsentiert eine ganze Reihe an Fragen, mit denen Führungskräfte die Ist-Situation in der Zusammenarbeit mit ihren Mitarbeitern ermitteln können.
Fragen zum Ist-Zustand (I)
Was mir bei uns am besten gefällt, ist: …
Was mir bei uns am meisten fehlt, ist: …
Was sich an meinem Arbeitsplatz konkret verbessern ließe: …
Ich biete an, folgende Aufgaben zu übernehmen: …
Ich biete an, folgende Aufgaben abzugeben: …
Fragen zum Ist-Zustand (II)
Mein größter Wunsch an meine Führungskraft ist: …
Was wir für die Kunden noch tun könnten: …
Warum mir unser Unternehmen so wichtig ist: …
Was ich Außenstehenden über uns sagen würde: …
Woran ich bei mir selber arbeiten möchte: …
Fragen zum Ist-Zustand (III)
Wobei ich mir Unterstützung wünsche: …
Was mich bewegen könnte, noch lange hier zu bleiben: …
Was ich immer schon mal sagen wollte: …
Was mir besonders am Herzen liegt: …
Was man beim nächsten Mal noch fragen könnte: …
Fragen zur Ermittlung der Mitarbeiterloyalität
Ich kann mir gut vorstellen, noch länger hier zu arbeiten. Und dies, weil ….
Ich spreche mit Dritten (Bekannte, Freunde, Kunden) positiv über uns. Und dies, weil ….
Ich ermutige Interessenten, bei uns Kunde zu werden. Und dies, weil ….
Ich ermutige potenzielle Mitarbeiter, sich bei uns zu bewerben. Und dies, weil ….
Ich tue all dies nicht, weil …
Fokussierende Fragen
Welches sind die drei Dinge, die Sie sich von Ihrem Vorgesetzten am meisten wünschen?
Wenn es eine Sache gibt, die Sie unbedingt übernehmen wollten, was wäre das für Sie?
Wenn es eine Sache gibt, die Ihnen in Hinblick auf Ihre Arbeit als besonders nutzlos erscheint, die also wirklich niemandem etwas bringt, was wäre das für Sie?
Und wenn es eine Sache gibt, die wir im Interesse der Kunden unbedingt verändern sollten, was wäre da aus Kundensicht betrachtet das Wichtigste für Sie?
Frage ans Gewissen
"Lieber Mitarbeiter, stellen Sie sich vor, Sie wären unser Unternehmensgewissen. Was würden Sie uns sagen?"

Sich wechselseitig vertrauen und ernst nehmen

Dahinter steckt eine weitere Erwartung der Leistungsträger von morgen. Sie wollen das Gefühl haben: Ich und das, was ich tue, haben eine Bedeutung. Sie lassen sich nicht mehr mit billigen Motivationstricks aus der Führungsmottenkiste stimulieren. Sie wollen vielmehr ihre Arbeit selbst als sinnhaft und erfüllend erfahren. Gelingt ihren Führungskräften diese Sinnvermittlung nicht, sinken ihr Commitment und ihr Engagement und die Fluktuation erhöht sich. Denn die Leistungsträger von morgen sind nicht nur anspruchsvoller als ihre Vorgänger, sie ist auch unabhängiger. Erfüllt ein Arbeitgeber oder ein Arbeitsfeld ihre Erwartungen nicht, wechseln sie zum Wettbewerber.

Deshalb ist im Bereich Führung in vielen Unternehmen ein Mentalitätswechsel nötig. Ihre Führungskräfte müssen künftig, um Talente zu binden, eine vitale Kooperationsbeziehung mit ihnen eingehen - auf Augenhöhe. Dies setzt ein wechselseitiges Sich-Vertrauen und -Ernstnehmen voraus, das sich im tagtäglichen Umgang miteinander zeigt und dokumentiert.

Das erfordert wiederum, dass die Führungskräfte nicht nur von ihren Mitarbeitern fordern, ihr Denken und Handeln zu reflektieren und bei Bedarf zu ändern. Auch die Führungskräfte selbst müssen offen für ein entsprechendes Feedback ihrer Mitarbeiter sein. Sie müssen zudem bereit sein, ihr eigenes (Führungs-)Verhalten zu hinterfragen und gegebenenfalls zu revidieren, so dass ihre Performance als Führungskraft steigt. Oder anders formuliert: Die Führungskräfte müssen sich auch selbst - und nicht nur ihre Mitarbeiter - als Lernende begreifen.

Auch die Führungskräfte müssen lernen

Denn immer noch gilt: Führungskräfte neigen dazu, den eigenen Anteil am Verhalten der Mitarbeiter zu negieren. Mehr noch: Sie kommen oft gar nicht auf die Idee, dass dieses auch etwas mit ihnen selbst zu tun hat. Entsprechend selten fragen sie sich zum Beispiel: Was habe ich unternommen, dass sich mein Mitarbeiter anders als von mir (oder vom Unternehmen) erwartet verhält? Oder: Zeigen meine Mitarbeiter so wenig Eigeninitiative, weil ich sie weitgehend mit Anweisungen führe? Das heißt: Viele Führungskräfte sind sich der Wechselwirkung von Kommunikation nicht ausreichend bewusst.

Dieses Bewusstsein gilt es zu fördern, damit in der Organisation eine Kultur der Selbstverantwortung und wechselseitigen Kooperation entstehen. Eine solche (Führungs-)Kultur zu entwickeln, ist eine nicht delegierbare Managementaufgabe. Denn sie entscheidet künftig weitgehend über den Erfolg von Un-ternehmen. (oe)

Der Autor Hubert Hölzl ist Inhaber des Trainings- und Beratungsunternehmens Hölzl & Partner, Lindau (Tel.: 08382/5042814; Internet: www.fuehrungstrainer.net).