HP-Manager Seibold im Interview

Hewlett-Packard kämpft um Sun-Kunden

22.06.2010 von Johann Baumeister
Mit integrierten Komplettlösungen aus Servern und Software will Oracle-CEO Larry Ellison den Rivalen HP und IBM Kunden wegschnappen. Ulrich Seibold, Geschäftsbereichsleiter HP Business Critical Systeme, erläutert im CW-Interview, wie Hewlett-Packard dagegen hält.

Nach der EU-Genehmigung der Sun-Übernahme erklärte Oracle-Chef Ellison, er werde nicht einfach einen bunten Baukasten von Einzelkomponenten in das Produktportfolio aufnehmen, sondern verstärkt an der Integration der diversen Systeme zu Komplettlösungen arbeiten - eine klare Kampfansage an IBM und HP. Im CW-Interview erläutert Ulrich Seibold von der deutschen HP-Tochter, wie sich der IT-Konzern mit eigenen Migrationsprogrammen zur Wehr setzt.

CW: Hewlett-Packard versucht, Sun-Partner und Bestandskunden mit Migrationsprogrammen zum Wechsel auf eigene Produkte zu animieren. Welche Argumente führen Sie ins Feld?

HP-Manager Seibold lockt Sun-Kunden mit einer Reihe von Migrationshilfen und kostenlosen Angeboten.

Seibold: Im Rahmen des HP-Complete-Care-Programms kümmert sich seit zirka eineinhalb Jahren ein Team ausschließlich um die Gewinnung von Sun-Kunden. Das Programm HP SunSet Complete Care unterstützt Kunden bei der Migration ihrer Systeme auf HP-basierte Plattformen. Wir bieten hier kostenfreie Risikoeinschätzungen von Migrationen (SAP oder Oracle), TCO-Bewertungen, Integrity Blade Starter Kits sowie weitere Vergünstigungen bei Schulungen. Im Dezember 2009 hat HP eine Kooperation mit Microsoft, Novell und Red Hat angekündigt, um Kunden die Migration, Anpassung und bei Bedarf die komplette Umstellung von Rechenzentren attraktiv zu machen.

Wir bieten Kunden nun unter anderem die folgenden Angebote: Kostenlose Lizenzen der Microsoft SQL Server auf HP-Integrity-Servern, eine 50-prozentige Ermäßigung auf das Training SUSE Linux Enterprise Fundamentals und eine bis zu 25-prozentige Ermäßigung auf Red Hat Global Training. Darüber hinaus erstellen wir Gutachten sowie Machbarkeitsstudien für Migrationskunden durch unser Migration Competency Center in Grenoble, Frankreich

CW: Wie erfolgreich sind diese Initiativen?

Seibold: Weltweit sind im HP-Geschäftsjahr 2009 rund 350 Sun-Kunden auf HP-Plattformen gewechselt. Wir haben vor allem in den letzten Monaten eine deutliche Zunahme der Migrationsprojekte registriert; in Deutschland sind allein im letzten Quartal 25 Sun-Kunden auf HP migriert. Wir erwarten, dass sich dieser Trend weiter verstärkt.

Warum Kunden von Sun auf HP wechseln sollen

CW: Warum sollen Kunden gerade auf HP-Systeme migrieren?

Seibold: Einer der Hauptgründe für die Migration auf HP-Systeme liegt in der plattformübergreifenden Flexibilität der Systeme und der Vielfalt der Betriebssysteme, die wir unterstützen. Die Alternativen zu Solaris sind Microsoft Windows Server, SUSE Linux Enterprise Server von Novell, Red Hat Enterprise Linux und unser eigenes Unix-Betriebssystem HP-UX 11i. Alle Systeme laufen auf den Server-Plattformen HP ProLiant, HP BladeSystem und HP Integrity.

Die Zeiten der isolierten IT-Inseln sind vorbei! Wir bieten unseren Kunden ein integriertes Gesamtkonzept, in dem Software-, Server-, Storage- und Netzwerklösungen zusammengeführt sind, und die Bereitstellung von IT-Services automatisiert ist. Während viele Anbieter auf monolithische Teilsysteme setzen, bietet HP seinen Kunden eine durchgängige Infrastruktur für Server, Storage, Netzwerke und Services.

CW: Oracle-CEO Larry Ellison hat angekündigt, man werde das Partnerprogramm von Sun nicht mehr weiterführen und stattdessen Produkte direkt an die stärksten 4.000 Kunden von Sun verkaufen. Sun-Partner haben ein Jahr Zeit, um alle notwendigen Oracle-Zertifizierungen nachzuholen. Was bedeutet das für die Partner und das Produktportfolio?

Oracle-CEO Larry Ellison will das Partnerprogramm von Sun nicht mehr weiterführen und stattdessen direkt an Sun-Kunden verkaufen.

Seibold: Der Punkt, der am meisten Verunsicherung mit sich bringt, scheint die Zukunft von Sun Solaris zu sein. Besonders die weitere Unterstützung von Sun Solaris durch ISVs birgt noch viele offene Fragen. Auch die Sun-Partner bleiben nicht verschont: Bisher bildeten sie eine eingeschworene Gemeinschaft, die durch nichts zu verunsichern war. Nachdem Sun nun allerdings die Delivery-Partnerschaften gekündigt hat und somit etlichen Partnern die Geschäftsgrundlage entzogen hat, sehen wir auch hier strategische Anknüpfungspunkte. Ebenfalls sehr groß ist die Unsicherheit in der Distribution. Es gibt derzeit keinen Distributor, der beide Anbieter im Portfolio hat. Oracle plant eine weltweite Distributionsstrategie, hat allerdings noch keine Roadmap vorgelegt.

CW: Sind die Auswirkungen der Sun-Übernahme durch Oracle regional unterschiedlich? Was bedeutet der Deal für den deutschen Markt?

Seibold: In Deutschland beobachten wir weniger regionale, sondern eher branchenspezifische Unterschiede. Die Finanzdienstleistungs- und Telekommunikationsbranche sind nach wie vor starke Industriesegmente für Sun aufgrund der darauf betriebenen Applikationen. Besonders in diesen beiden Branchen gibt es etliche Applikationen von ISVs, bei denen Sun Solaris sowohl die Entwicklungs- als auch die Vertriebsplattform darstellt. Beispiele sind besondere Lösungen für den Trading Floor oder Billing-Systeme, die bei der Abrechnung von Handygebühren verwendet werden.

Aber wir beobachten, dass sich auch diese beiden Branchen mehr und mehr HP-UX-Systemen öffnen und Lösungshersteller beginnen, ihre Entwicklungsplattform zu wechseln. Um auch Endanwendern einen solchen Wechsel zu erleichtern, haben wir ein Programm ins Leben gerufen, in dem wir kundenspezifische Applikationen kostenfrei auf die HP-UX-Plattform portieren.

Unix oder Linux?

CW: Welche Rolle spielen Open-Source-Technologien im Vergleich zu proprietären Betriebssystemen in den Kundenprojekten?

Seibold: Open-Source-Betriebssysteme wie beispielsweise Linux sind zu Recht ein wichtiger Bestandteil der IT-Strategien vieler Unternehmen. Sie sind ideal geeignet für klassische Infrastruktur-Aufgaben wie beispielsweise Web-Applikationen, File und Print sowie Firewall. Anders ist die Situation jedoch bei den geschäftskritischen Enterprise-Applikationen. Hier bieten sich Unix-Systeme an, weil sie sehr stabil und skalierbar sind. Dadurch erfüllen sie Verfügbarkeits-, Performance- und Management-Anforderungen von Unternehmen. Besonders bei Virtualisierungsprojekten im Mission-Critical-Bereich sehen wir Unix-Systeme als die richtige Wahl.

CW: Sun hat mit "Sun Professional Services" eine eigene Initiative gestartet, um HP-Kunden von einer Migration auf die eigenen Systeme zu überzeugen. Der Anbieter lockt HP-Anwender mit einem "No-Risk Migration Assessment". Was halten Sie davon?

Seibold: Wir haben davon bisher nichts gespürt. Für ausgewählte Anwendungen mag es durchaus sinnvoll sein, auf Anwendungen von Oracle/Sun zu vertrauen. Aber für die strategische Ausrichtung der Infrastruktur sollte das genau überlegt sein. Wir halten uns bei der Bewertung von Programmen unserer Wettbewerber allerdings generell zurück. Analystenhäuser wie Gartner, IDC und Forrester Research weisen jedoch darauf hin, dass bei all den offenen Fragen eine strategische Entscheidung, die Plattform in Richtung Sun zu wechseln, nicht zu empfehlen sei.

Der Markt für Mission-Critical-Systeme

CW: Hat sich das Investitionsverhalten der Kunden in Mission-Critical-Systeme verändert?

Seibold: Ja. Um sich besser und schneller auf wirtschaftliche Schwankungen einzustellen, betrachten Unternehmen ihre Systeme verstärkt ganzheitlich. Das heißt, anstatt ausschließlich auf die Investitionen zu schauen, rückt die Analyse der Gesamtbetriebskosten (Total Cost of Ownership, TCO) in den Vordergrund. Ein weiterer Aspekt der ganzheitlichen Betrachtungsweise ist Konvergenz. Server, Storage und Netzwerke sollen als integrierte Einheit agieren, die auf Basis von Standardisierung, Virtualisierung und Automatisierung flexibel IT-Ressourcen bereitstellt. Die Entscheidung für Mission-Critical-Systeme ist eine langfristige strategische Entscheidung, die ein Unternehmen jahrzehntelang prägen kann.

CW: Wie wird sich der Markt für Business Critical Systeme entwickeln?

Seibold: Wir gehen davon aus, dass viele Unternehmen in diesem Jahr wieder investieren werden. Daher rechnen wir im Jahr 2010 mit einem Wachstum im Markt der Business-Critical-Systeme um ungefähr 10 bis 15 Prozent. In den kommenden Jahren wird sich der Markt stabilisieren. Wir erwarten daher, dass es lediglich zu Verschiebungen zwischen bereits etablierten Herstellern kommen wird. (wh)