Universitäten mit der Digitalisierung überfordert?

Informatiker brauchen mehr Mut zum Risiko

20.08.2015 von Ingrid Weidner
Verändert sich mit Industrie 4.0 und Digitalisierung auch die Ausbildung von Informatikern? Das fragten wir die Professoren Manfred Broy von der Technischen Universität München und Christoph Meinel vom Hasso-Plattner-Institut in Potsdam.
 
  • Solide Grundlagen und Vorlesungen sind nach wie vor Eckpfeiler der universitären Ausbildung - man rennt nicht jedem Trend hinterher
  • Informatik schreitet wesentlich schneller voran als Natur- und Geisteswissenschaften

Heute besitzt und nutzt fast jeder Bundesbürger ein Mobiltelefon, Tablets begeistern schon Zweijährige und Smartphones scheinen mit den Handinnenflächen von Jugendlichen zu verwachsen. Ganz selbstverständlich nutzen Teenager soziale Netzwerke oder Apps und sind damit ihren Eltern, Lehrern und Chefs weit voraus. "Digitale Medien wie das Smartphone sind heute ganz selbstverständlich. Niemand von den Fachleuten hat das in dieser Form vorhergesagt", erklärt Manfred Broy, Professor für Software Engineering an der Technischen Universität München.

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Neue Technologien erobern immer mehr Lebensbereiche. Fitness-Armbänder vermessen den Menschen, Roboter erobern die Werkshallen. Selbst IT-Profis müssen sich sputen, um keinen Trend zu verpassen. Wie muss sich deshalb die universitäre Ausbildung verändern? Kann die Lehre mit diesem Tempo Schritt halten?

Christoph Meinel, wissenschaftlicher Institutsdirektor und CEO des Hasso-Plattner-Instituts (HPI) in Potsdam favorisiert eine fundierte Ausbildung. "Unabhängig von aktuellen Trends setzen wir auf solide Grundlagen, beispielsweise über Programmierung, Modellierung, Architekturen, Betriebssysteme oder Informationssysteme. Vorlesungen sind nach wie vor wichtig für die Wissensvermittlung." Jedem Trend renne die Hochschule aber nicht hinterher. "Wir bilden nicht für eine bestimmte Technologie aus, sondern vermitteln unseren Studenten Grundlagen für ihre hoffentlich erfolgreiche Berufstätigkeit. Ganz egal wo sie später arbeiten, müssen sie sich auch selbständig in neue Wissensgebiete einarbeiten können."

Christoph Meinel, HPI: "Die Studenten müssen sich später selbständig in neue Wissensgebiete einarbeiten können."
Foto: HPI

Echte Projekte statt Trockenübungen

Die HPI-Studenten vertiefen das Gelernte in einem einjährigen Bachelor-Projekt. Jeder der zehn Fachbereiche des HPI bietet Seminare an und die Studierenden wählen aus mehr als 20 Themen ein bis zwei Projekte pro Semester aus. Die konkreten Aufgaben steuern externe Partner aus ihrem Firmenalltag bei, für die die Studentengruppen eine Lösung finden sollen. "Echte Probleme spornen die Studenten an, denn sie bearbeiten reale Projekte", weiß Meinel. Als Team widmen sie sich über zwei Semester hinweg der Aufgabe. Sie lernen dabei mit Auftraggebern zusammenzuarbeiten, die meistens keine IT-Unternehmen sind und eine ganz andere Sprache sprechen.

"Mit ihnen können sie sich nicht in ihrem Fachjargon austauschen. Ein weiteres Ausbildungsangebot ist Design Thinking. Hier lernen sie, in interdisziplinär zusammengesetzten Teams mit Studenten aus anderen Fachgebieten ganz neue Ideen und Lösungsansätze zu entwickeln", erklärt Meinel den Ansatz. Ergänzt werden die Seminare um Kurse wie Körpersprache oder Rhetorik. Soft Skills erwerben die angehenden Informatiker also ganz nebenbei.

Natur- und Geisteswissenschaften können nicht Schritt halten

Auch Manfred Broy von der TU München sieht die fachlichen Anforderungen gelassen. "Viele Anwendungen haben eine attraktive Benutzeroberfläche, doch die Systeme dahinter kommen aus der klassischen Informatik", stellt Broy nüchtern fest. Und dieses Wissen zählt sowieso zum festen Bestandteil des Curriculums. Doch der TUM-Professor beobachtet, dass die Informatik mit einer Geschwindigkeit und Dynamik Veränderungen vorantreibt, mit der Natur- oder Geisteswissenschaften oft nicht mehr Schritt halten können. "Die Informatik schafft gerade mehr Möglichkeiten und Neuerungen als genutzt werden", beobachtet Broy und nennt einige Beispiele. "Simulationen, Big Data-Auswertungen oder Anwendungen in der Bioinformatik waren vor Jahren undenkbar. Doch die verfügbaren Rechenleistungen bieten ganz neue Chancen."

Im Frühjahr wurde der Informatikprofessor Broy zum Gründungspräsidenten des Zentrums Digitalisierung Bayern ernannt, das die Bayerische Staatsregierung finanziert und das in Garching angesiedelt ist. Dort sollen zu Schlüsselthemen wie Digitalisierung Plattformen aufgebaut werden, die als Bindeglied dienen zwischen Hochschul- und außeruniversitärer Forschung sowie industrieller Entwicklung. Zunächst stehen Themen wie IT-Sicherheit, digitalisierte Produktion und vernetzte Mobilität auf der Agenda, später sollen digitale Medizin und Gesundheit sowie Digitalisierung im Energiebereich hinzukommen. Außerdem sieht das Programm zehn neue Professuren für angewandte Wissenschaften vor. Der Etat für die geplanten Maßnahmen im Zeitraum von 2015 bis 2019 beläuft sich auf knapp 116 Millionen Euro.

Manfred Broy TU München: "Hierzulande fehlt es an Gründern und VCs, die bereit sind, ein hohes Risiko einzugehen."
Foto: Privat

Kein Wunder also, dass Broy ein weiteres Thema umtreibt. Der Professor wünscht sich mehr Gründergeist unter den Informatikstudenten. "In den USA ist die Verknüpfung zwischen Wissenschaft und Wirtschaft viel enger, auch wenn das nicht immer sinnvoll ist - das wirkt sich auch auf das Gründergeschehen aus. Doch hierzulande fehlt es an Gründern und VCs, die bereit sind, ein hohes Risiko einzugehen. Es gibt ganz wenige, die an ihre Idee glauben und sagen, 'ich habe ein Thema, ich will damit groß rauskommen'", beklagt Broy. Zwar gebe es viele kleinere Startups, die technische Themen umsetzen, doch kaum jemanden wage sich an große Themen heran. "Viele Gründer vermeiden das Risiko und haben stattdessen von Anfang an eine Exit-Strategie im Kopf. Sie wollen mit ihrer Firma zwar erfolgreich sein, planen aber von Anfang an, sie zu verkaufen, anstatt sie selbst groß zu machen." Auf Seiten der Käufer dieser innovativen Startups gebe es in Deutschland eine ähnlich Scheu vor dem Risiko. "Oft sind es amerikanische oder chinesische Investoren, die dann diese vielversprechenden Firmen kaufen."

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Zwar verändere sich das Klima gerade und mehr Absolventen dächten über eine Unternehmensgründung nach, doch gerade im Raum München locken erfolgreiche Dax- und IT-Konzerne mit attraktiven Gehältern und interessanten Jobs.

Angestaubtes Berufsbild vor Augen

"Informatik war vor 30 Jahre eine Wissenschaft mit eng umrissenen Anwendungsfeldern. Das hat sich in den vergangenen Jahren stark verändert. Heute benötigen Informatiker viel umfangreicheres Wissen über andere Disziplinen wie etwa Medizin oder aus dem Energie- und Finanzsektor." Ginge es nach Broy, müsste an den Schulen besser über das Fach informiert werden. "Das Berufsbild des Informatikers, mit dem Schüler an die Universität kommen, ist aber noch sehr eng. Viele sehen sich nur als Programmierer", erläutert Broy. "Wir brauchen unternehmerisch denkende Informatikstudenten, die sich in der Unternehmensleitung sehen, die Dinge voranbringen möchten und nicht davon träumen, in einem stillen Kämmerlein zu programmieren."

Die Gründung eines Startups, so wie es sich Broy vermehrt für Deutschland wünschen würde, ist ein riskantes Unterfangen.
Foto: Dudarev Mikhail - shutterstock

Doch wie soll es mit der Ausbildung von Informatikern weitergehen? Der Münchner Professor wünscht sich mehr unternehmerischen Ehrgeiz von den Studenten und Absolventen, auch wenn das Geduld braucht. "Das lässt sich nur Schritt für Schritt lösen. Aber Unternehmer-Persönlichkeiten wie Hasso Plattner oder August-Wilhelm Scheer leben vor, dass es möglich ist." HPI-Professor Christoph Meinel sieht gerade bei den großen Zukunftsthemen viele neue Perspektiven. "Informatik ist ein Treiber von Industrie 4.0. Auf viele Fragen wie etwa zum Thema Sicherheit oder zur Kommunikation zwischen Mensch und Maschine, fehlen aber noch Antworten."

Unternehmergeist an den Universitäten

Vor 17 Jahren gründeten TUM und Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München das Kooperationsprojekt "Center for Digital Technology and Management" (CDTM), das Studierenden im internationalen und interdisziplinären Studienprogramm "Technology Management? den Weg zum eigenen Unternehmen erleichtern soll. Forschung und Lehre sind dort über Kooperationen eng mit der Industrie verknüpft und verfolgen das Ziel, die Absolventen auf einen Führungsjob in einem High-Tech-Unternehmen vorzubereiten. Außerdem fördert das CDTM Gründungen im Bereich digitaler Technologien mit Netzwerk-Aktivitäten und Entrepreneurship-Kursen.

Am HPI in Potsdam zählen Kurse in Entrepreneurship ebenfalls zum Studienangebot. Ziel ist es, die angehenden Informatiker zu ermutigen, mit einer eigenen Geschäftsidee ein konkurrenzfähiges Unternehmen zu gründen. Dabei stehen ihnen erfahrene Dozentinnen und Dozenten zur Seite und erklären die wichtigsten Schritte zur Existenzgründung. Auch die Praxis kommt dabei nicht zu kurz: Etablierte Startup-Gründer kommen ans HPI und erzählen von ihren Erfahrungen auf dem Weg zur eigenen Firma.

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