Insolvenzen: Konjunkturbedingte Entspannung

29.11.2006
Die überraschend starke Konjunktur sorgt 2006 für einen deutlichen Rückgang der Unternehmensinsolvenzen in Deutschland.

Insgesamt werden 2006 rund 32.000 Firmen Insolvenz anmelden, das ist ein Minus von 13,1 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Die Summe der gerichtlich angemeldeten Forderungen wird 2006 um 16,7 Prozent auf rund 19 Milliarden Euro sinken.

Damit hat sich die Lage gegenüber dem Höchststand von mehr als 39.000 Pleiten im Jahr 2003 deutlich entspannt. Doch eine Wende des langfristigen Trends ist das nicht, so die Experten von Euler Hermes. Auch 2007 werde die absolute Zahl der Firmeninsolvenzen mehr als doppelt so hoch liegen wie am Ende des Einheitsbooms 1993. Die Insolvenzquote (Pleiten je 10.000 Unternehmen) wird 2006 bei 1,1 Prozent liegen, Anfang der siebziger Jahre betrug sie nur 0,2 Prozent.

Gegen eine nachhaltige Wende sprechen mehrere Gründe: Zunächst leidet Deutschland - trotz des konjunkturellen Zwischenhochs - seit vielen Jahren unter einer Struktur- und Wachstumsschwäche. Die Investitionen sind heute kaum höher als vor zehn Jahren und im internationalen Vergleich auf einem sehr niedrigen Niveau. Zudem ist ein Durchbruch bei den zentralen Strukturproblemen nicht in Sicht. "Die Wirtschaftspolitik lässt trotz einiger vernünftiger Ansätze immer noch keine hinreichende Reformbereitschaft erkennen", schreibt die Euler Hermes Kreditversicherung in ihrer Prognose.

Gleichzeitig verlieren gerade kleinere Betriebe infolge mangelnder Liquiditätsversorgung und schlechter Ausstattung mit Eigenkapital oft ihren Handlungsspielraum, um sich gegen Gefahren aus der stärkeren internationalen Verflechtung zu wappnen. Zur Liquiditätssicherung nutzen die Unternehmen auch 2006 stärker Lieferantenkredite als kurzfristige Bankkredite. Obwohl damit die Gefahr von Folgeinsolvenzen wächst, verfügt die Mehrheit der Unternehmen in Deutschland nur über ein unzureichendes Inkassomanagement, so das Ergebnis einer repräsentativen Unternehmensbefragung der Euler Hermes Kreditversicherung.

Branchen: Erholung am Bau fortgesetzt

Die relativ breit wirkende Konjunkturerholung beflügelt alle Wirtschaftszweige. Dabei erlebt das Baugewerbe 2006 mit einem Rückgang der Insolvenzfälle um 20,8 Prozent bereits im vierten Jahr in Folge eine überdurchschnittliche Verbesserung. Das Verarbeitende Gewerbe verzeichnet ein Minus von 14,5 Prozent, der Handel 12,3 Prozent und der Dienstleistungssektor einen Rückgang von 9,9 Prozent.

Den größten Anteil an den gewerblichen Insolvenzen hatte 2006 der Dienstleistungssektor mit rund 15.600 Pleiten, gefolgt von Handelsunternehmen mit 6.600, dem Baugewerbe mit 6.200 und Firmen des Verarbeitenden Gewerbes mit 3.000 Pleiten.

Auch bei den gerichtlich angemeldeten Forderungen entfiel der Löwenanteil von 60 Prozent auf die Dienstleistungen, gefolgt vom Handel, Verarbeitenden Gewerbe und vom Bau.

Bei den Einzel- und Kleinunternehmen sowie den Freien Berufen, die 2005 noch einen Anstieg der Insolvenzen um 2,9 Prozent verzeichneten, rechnet Euler Hermes 2006 mit einem Rückgang um 8,2 Prozent auf 15.400 Insolvenzen. Mit 48 Prozent hat das Kleingewerbe nach wie vor einen hohen Anteil an den gewerblichen Pleiten. Das ist auch eine Folge der seit 2003 gegründeten Ich-AGs, die häufig unzureichend finanziert sind und über geringes Fachwissen verfügen. Ihre Zahl schätzt Euler Hermes auf 305.000.

Regionen: Bayern gegen den Trend

Der Rückgang der Insolvenzen ist 2006 in West- und Ostdeutschland ähnlich stark ausgeprägt, mit 24.500 Fällen im Westen und 7.500 im Osten. In Nordrhein-Westfalen, wo ein Viertel der Insolvenzen stattfindet, ging die Zahl um 24,2 Prozent zurück, zweistellige Minusraten verzeichnen 2006 außerdem Mecklenburg-Vorpommern (-20,9 Prozent), Berlin (-18,7 Prozent), Thüringen (-17,4 Prozent) und Baden-Württemberg (- 11,9 Prozent). Nur in Bayern könnte die Zahl der Firmeninsolvenzen nach der Prognose von Euler Hermes leicht steigen.

Bei der relativen Insolvenzhäufigkeit besteht nach wie vor ein ausgeprägtes Nord-Süd- und Ost-West-Gefälle in Deutschland, das sich auch 2006 kaum verschoben hat. So weist im Osten Sachsen-Anhalt mit 184 Pleiten je 10.000 Unternehmen die höchste Insolvenzquote auf, während sie in Rheinland-Pfalz bei 103 liegt. Baden-Württemberg hat mit 62 eine der niedrigsten Quoten, Schleswig-Holstein erreicht dagegen 131.

International: Europa und USA unterschiedlich

Auch international zeigt die Entwicklung der Insolvenzen eine deutliche Entspannung. Nach dem globalen Euler Hermes Insolvenzindex sank das Insolvenzrisiko in den Industrieländern 2006 um zehn Prozent, nachdem es im Vorjahr um vier Prozent gestiegen war. Hinter dem positiven Trend verbergen sich aber unterschiedliche Entwicklungen in den USA einerseits und Europa andererseits.

Der außergewöhnliche Anstieg 2005 um 14 Prozent in den USA ist weniger die Folge konjunktureller Einflüsse sondern das Resultat eines neuen Insolvenzrechts, das Mitte Oktober 2005 in Kraft getreten ist. Es erhöhte den Anreiz für viele Unternehmen, das Insolvenzverfahren noch unter altem Recht zu beginnen. Demzufolge ging der Anzahl der Insolvenzen 2006 um 20 Prozent zurück.

In Westeuropa summiert sich die Zahl der Unternehmensinsolvenzen 2006 auf 160.300 Fälle, das ist ein Minus von knapp fünf Prozent. Ohne Deutschland, das die Entwicklung maßgeblich beeinflusst, wäre der Rückgang nur halb so hoch ausgefallen. Die einzelnen Länder zeigen sehr unterschiedliche Werte, so verzeichnen Großbritannien (+8,3 Prozent), Irland (+7,0 Prozent), Griechenland (+5,1 Prozent) und Spanien (+4,7 Prozent) Zuwächse, während es kräftige Rückgänge in Norwegen (-20,9 Prozent), Dänemark (- 15,8 Prozent), Schweden (-14,9 Prozent und Deutschland (-13,1 Prozent) gab.

2007 dürften sich die Unterschiede der Entwicklung in den europäischen Ländern nach der Prognose der Euler Hermes Kreditversicherung angleichen. Insgesamt wird sich aber in Westeuropa die positive Entwicklung des Jahres 2006 nicht fortsetzen. der Index wird voraussichtlich um 0,5 Prozent steigen. In den USA rechnen die Experten sogar mit einer Zunahme um zehn Prozent. (mf)