Unterschiede positiv einsetzen

Internationale Projekte erfolgreich managen

09.07.2008
Projekte, an denen Personen aus mehreren Ländern mitwirken, bergen Konfliktpotential. Gerade wenn Kulturen viele Gemeinsamkeiten aufweisen, werden die Unterschiede oft unterschätzt.

Unternehmen und ihre Mitarbeiter unterschätzen bei internationalen Projekten anfangs oft die kulturellen Implikationen der Zusammenarbeit - und zwar auch dann, wenn die neuen Partner keine "Exoten" sind, sondern zum Beispiel in Spanien oder Frankreich, den USA oder Kanada ansässig sind. Denn gerade, weil die westlichen Industrienationen viele gemeinsame Wurzeln und teilweise auch eine gemeinsame kulturelle Identität haben, erscheint an der Oberfläche vieles gleich. Das verleitet die Unternehmen dazu, transnationale Projekte getreu der Maxime "Das wird schon funktionieren" zu planen.

Doch bald merken die Verantwortlichen: Irgendwie läuft das Ganze nicht wie geplant. Ständig gibt es Reibereien und Meinungsverschiedenheiten. Und irgendwie kommen unsere Botschaften beim Gegenüber nicht an. Dann gelangen sie allmählich zur Erkenntnis: Die kulturellen Unterschiede sind größer als gedacht. Doch leider ist es dann vielfach zu spät, das Ruder herumzureißen - beziehungsweise hierfür ist enormer Energieaufwand nötig. Denn zu diesem Zeitpunkt haben sich vielfach die latenten Vor-Urteile, die jeder Mensch gegenüber Personen aus anderen Kulturen hegt, bereits zu "Urteilen" verfestigt.

"Den Deutschen" und "den Amerikaner" gibt es nicht

Das heißt, es wird nicht mehr beachtet, dass es "den Spanier" oder "den Amerikaner" ebenso wie "den Deutschen" nicht gibt - selbst wenn gewisse Verhaltensmuster in den einzelnen Kulturen unterschiedlich oft vorkommen beziehungsweise unterschiedlich stark ausgeprägt sind. Es wird auch nicht mehr reflektiert, dass jedes Verhalten aus einem bestimmten Erleben resultiert. Deshalb ist vielfach auch kein Verstehen möglich. Vielmehr werden die einzelnen Verhaltensmuster mit Werturteilen verknüpft. Und diese Verknüpfungen wieder zu lösen, ist meist schwer, da sie zumindest in der subjektiven Wahrnehmung mit konkreten Erfahrungen hinterlegt sind.

Solche Prozesse gilt es zu vermeiden, wenn Personen aus mehreren Nationen regelmäßig zusammenarbeiten und beim Erfüllen ihrer (gemeinsamen) Aufgaben aufeinander angewiesen sind - und zwar frühzeitig. Denn in den ersten Wochen und Monaten entscheidet sich meist wie gut transnationale Teams langfristig funktionieren.

Telefonate, Emails und Videokonferenzen können ein persönliches Sich-Begegnen und -Kennenlernen nicht ersetzen. Denn wie Menschen zusammenarbeiten, hängt stark davon ab, inwieweit sie die Reaktion des jeweils anderen einschätzen können und ihm vertrauen. Und dies setzt voraus, dass die betreffenden Personen ein wechselseitiges Bild voneinander und einen gemeinsamen Schatz an Erfahrungen haben. Dieses persönliche Bild vom Gegenüber entsteht beim Kommunizieren via Telefon und Email nur bedingt. Zudem ist die Wahrnehmung des Gegenübers stark eingeschränkt. Es fehlen Erfahrungen, wie das reichen der Hand oder der Blick in die Augen - das ist aber für den Aufbau von Vertrauen und einer persönlichen Beziehung wichtig.

Workshops zum wechselseitigen Beschnuppern

Deshalb empfiehlt sich, vor dem Start von transnationalen Projekten zumindest mit den Schlüsselpersonen zum Beispiel ein, zwei Workshops durchzuführen, bei denen sich diese beschnuppern können - Workshops also, bei denen es weniger darum geht, das Projekt und die Zusammenarbeit bis ins Detail zu planen, als die emotionale Basis zu schaffen, damit die Zusammenarbeit im Alltag auch über weite Entfernungen und Kulturgrenzen hinweg funktioniert.

Solche Workshops bedürfen wie alle Teamentwicklungsmaßnahmen einer sorgfältigen Planung, denn das Sich-Kennen- und Verstehen-Lernen ist nicht zweckfrei. Vielmehr sollen die Teilnehmer anschließend besser kooperieren. Entsprechend wichtig ist es mit ihnen zu Beginn die Erwartungen zu klären.

Kein Trainer, sondern ein Moderator ist gefragt

Sind die Erwartungen der Teilnehmer und der Organisation geklärt, wird in solchen Workshops zumeist über folgende Themenkomplexe gesprochen:

Welche Merkmale kennzeichnen die (Business-)Kultur der Länder, aus denen die Teilnehmer kommen? Welche Gemeinsamkeiten/Unterschiede gibt es?

Welche Merkmale kennzeichnen die (Teil-)Organisationen, für die die Teilnehmer arbeiten? Welche Gemeinsamkeiten/Unterschiede gibt es

Was macht die Teilnehmer als Personen aus? Welche Vorlieben usw. haben sie?

Welche Regeln sollen künftig für die Zusammenarbeit gelten?

Wichtig ist beim Bearbeiten dieser Themen, dass hierüber kein Trainer oder Berater doziert. Die Teilnehmer sollen miteinander ins Gespräch kommen.

Wenn es darum geht, die Kultur des jeweils anderen kennen zu lernen, kann ein Arbeitsauftrag an die Teilnehmer zum Beispiel lauten: "Stellen Sie sich vor, Sie erhalten den Auftrag über den großen Teich zu fliegen und dort eine Gruppe von Amerikanern (bzw. Deutschen) dafür zu begeistern, freiwillig in Ihr Land zu kommen, um dort einige Zeit zu arbeiten. Wie würden Sie den Amerikanern/Deutschen dies schmackhaft machen?" Als mögliche Fragen, auf die sie während ihrer Lobrede auf ihre Heimat Antworten eingehen sollen, kann den Teilnehmern zum Beispiel vorgegeben werden:

Was gefällt Ihnen am besten an/in Ihrem Land?

Welche Orte/Ereignisse sollte man auf alle Fälle besuchen?

Was gefällt Ihnen besonders an der Lebensart in Ihrem Land?

Was ist aus Ihrer Warte typisch für Ihre Landsleute?

Welche Insider-Tipps würden Sie Ausländern als Hilfestellung geben?

Ähnlich kann das Vorgehen sein, wenn es darum geht, das eigene Unternehmen vorzustellen. Dann können die Leitfragen zum Beispiel lauten:

Was fasziniert Sie an Ihrer Branche/Aufgabe?

Was schätzen Sie an Ihrem Unternehmen? Was gefällt Ihnen weniger?

Vor welchen Herausforderungen stehen Sie bei Ihrer Alltagsarbeit?

Den Anderen als Individuum wahrnehmen

Bevor jedoch solch arbeitsplatznahe Fragen erörtert werden, sollten die Teilnehmer sich persönlich kennen lernen. Dies gelingt zum Beispiel mittels Vier-Augen-Gesprächen, bei denen sich die Teilnehmer aus den verschiedenen Ländern jeweils einem der neuen Partner vorstellen. Solche Vier-Augen-Gespräche können in mehreren Runden stattfinden. Alternativ können jedoch auch die Teilnehmer ihre jeweiligen Gesprächpartner aus dem anderen Land anschließend im Plenum vorstellen.

Das zentrale Ziel solcher Workshops ist, dass sich die Teilnehmer am Schluss als Personen wechselseitig wertschätzen. Dies ist wichtig, weil immer wieder Missverständnisse und Irritationen entstehen, wenn Personen gemeinsam eine Aufgabe erfüllen müssen. Das ist bei jedem Projekt der Fall. Der einzige Unterschied bei transnationalen Projekten, bei denen die Mitglieder aus mehreren Kulturen und Ländern kommen, ist: Die möglichen Ursachen für Irritationen sind vielfältiger.

Den Anderen, so wie er ist, respektieren

Entsprechend wichtig ist es, mit den Teilnehmern zu erarbeiten, dass wechselseitiger Respekt und die Bereitschaft, sich zu verstehen und zu kooperieren, die Grundvoraussetzungen für eine erfolgreiche Zusammenarbeit sind. In welchem Verhalten sich Respekt zeigt, dies ist jedoch von Kultur zu Kultur wiederum verschieden. Deshalb sollten in solchen Workshops auch Fragen erörtert werden wie:

In welchen Situationen habe ich mich (nicht) respektiert gefühlt?

Welche Bedeutung hat Respekt für mein Leben?

Wie erweist man in meinem Land (zum Beispiel Deutschland, Italien, den USA) anderen Personen seinen Respekt? Was sind hierfür typische Verhaltensweisen?

Welche Unterschiede gibt es zwischen unseren Ländern?

Was muss eine Person tun, wie muss sie sein/sich verhalten, damit sie in unserem Unternehmen respektiert wird?

Aus den Antworten können dann Regeln für den Umgang miteinander abgeleitet werden. Eine Regel sollte auf alle Fälle lauten: Wenn jemand gegen eine Regel verstößt oder eine Absprache nicht einhält, dann ziehe ich mich nicht schmollend in mein Schneckenhaus zurück. Dann frage ich die betreffende Person vielmehr, warum sie dieses und nicht jenes Verhalten gezeigt hat. Denn die meisten Regelverletzungen erfolgen aufgrund von Missverständnissen. Entsprechend leicht lassen sich die aus den Regelverstößen resultierenden Irritationen zumeist auflösen, wenn man miteinander spricht - ohne den anderen zugleich anzuklagen.

Kontakt und weitere Informationen: Zum Autor: Henrik Langholf als Trainer und Berater für die Unternehmensberatung Dr. Kraus & Partner, Bruchsal (Tel. 07251/989034; E-Mail: info@kraus-und-partner.de; Internet: www.kraus-und-partner.de). (mf)