Meinungsäußerung oder üble Nachrede?

Kein Anspruch auf Löschung schlechter Bewertungen

08.04.2014 von Renate Oettinger
Immer mehr Gerichte müssen sich mit der Zulässigkeit von Äußerungen und Notenvergaben in Bewertungssystemen beschäftigen. Martin Rätze von Shopbetreiber-Blog.de analysiert ein Urteil, in dem es um die Löschung von schlechten Noten in einem Bewertungsportal ging.
Auch schlechte Notenbewertungen in Form von Sternen, Noten oder Smileys sind immer Meinungsäußerungen. Gegen sie kann niemals ein Löschungsanspruch bestehen.
Foto: BeTa-Artworks - Fotolia.com

In dem Streit vor dem LG Kiel (Urt. v. 6.12.2013, 5 O 372/13) ging es um die Zulässigkeit einer Bewertung auf einem Bewertungsportal im Internet. Kläger in dem Fall war zwar ein Arzt, der sich gegen eine negative Bewertung zur Wehr setzte, das Urteil hat aber auch Bedeutung für Online-Händler, die negativ bewertet wurden.

In dem Portal musste sich ein User vor einer Bewertung registrieren und bei Abgabe der Bewertung ausdrücklich bestätigen, dass er von dem Arzt behandelt wurde. Außerdem musste man seine Bewertung im Rahmen einer Double-Opt-In Mail bestätigen. Die Bewertungen selbst erfolgten in verschiedenen Kategorien (z.B. Behandlung, Aufklärung, Freundlichkeit, Wartezeit Praxis, Telefonische Erreichbarkeit) im Schulnoten-System. Der klagende Arzt erhielt dabei verschiedene Noten in den unterschiedlichen Kategorien (z.B. eine 1,0 in Wartezeit Praxis, eine 6,0 in Vertrauensverhältnis etc.). Außerdem ein Bewertungstext (diese ist im Urteil nicht widergegeben, sodass keine näheren Auskünfte zu dessen Inhalt gemacht werden können).

Bewertung gelöscht, aber Noten nicht

Auf die Beanstandungen des Arztes hin löschte das Portal den Bewertungstext, die Noten allerdings nicht.

Der Arzt war der Meinung, dass seine schlechten Noten in den Punkten "Behandlung”, "Aufklärung”, "Praxisausstattung” und "telefonische Erreichbarkeit” unwahre Tatsachenbehauptungen dar und würden gar den Tatbestand der üblen Nachrede erfüllen. Außerdem bestritt er, dass die Bewertung tatsächlich von einem Patienten stamme. Vielmehr könne jeder beliebige Dritte eine Bewertung abgeben und das Qualitätsmanagement des Bewertungsportals könne nicht sicherstellen, dass ausschließlich Patienten Bewertungen abgeben.

"Die Beklagte ist der Ansicht, weder Verletzerin noch Störerin zu sein. Die Beklagte treffe als Host-Provider nach der einschlägigen Rechtsprechung keine Haftung. Die Beklagte trägt weiter vor, dass der Autor der streitgegenständlichen Bewertung auf Rückfrage der Leiterin des Qualitätsmanagements der Beklagten eine ausdrückliche Bestätigung der Bewertung vorgelegt habe. Eine weitere Präzisierung der behaupteten Rechtsverletzung durch den Kläger sei nicht erfolgt.”

Kein Anspruch auf Löschung

Die Klage auf Löschung der Noten hatte keinen Erfolg. Ein entsprechender Anspruch ergibt sich nicht aus § 35 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 BDSG, so das Gericht. Danach wären personenbezogene Daten zu löschen, wenn deren Speicherung unzulässig ist.

Die Bewertung enthielt zwar personenbezogene Daten, die Speicherung war jedoch zulässig, und zwar aus folgenden Gründen:

"Die Speicherung der Bewertung ist nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 BDSG dann zulässig, wenn ein Grund zur Annahme eines schutzwürdigen Interesses an dem Ausschluss der Datenerhebung und -speicherung nicht gegeben ist. Dies ist hier der Fall. Der Anwendungsbereich des § 29 BDSG ist vorliegend eröffnet, da die gespeicherten Daten ungeachtet weiterer verfolgter Zwecke der Beklagten jedenfalls auch der Übermittlung dienen, nämlich der Information der interessierten Nutzer bzw. der Allgemeinheit. Die Prüfung, ob ein schutzwürdiges Interesse vorliegt, verlangt eine Abwägung zwischen dem Recht des Klägers auf informationelle Selbstbestimmung nach Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG als Ausfluss des allgemeinen Persönlichkeitsrechts auf der einen Seite und dem Recht auf Meinungs- und Kommunikationsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 GG auf der anderen Seite. Die Abwägung ergibt, dass dem Grundrecht auf Meinungsfreiheit der Vorrang einzuräumen ist, so dass ein schutzwürdiges Interesse des Klägers i.S.d. § 19 BDSG nicht besteht.”

Es stand für das Gericht außer Zweifel, dass das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers betroffen war. Die Bewertung bezog sich aber auf die berufliche Tätigkeit des Klägers als Arzt, weshalb lediglich die sog. Sozialsphäre betroffen war, die im Verhältnis zur Intim- oder Privatsphäre nicht gleichermaßen geschützt ist. "Äußerungen im Rahmen der Sozialsphäre dürfen nur im Falle schwerwiegender Auswirkungen auf das Persönlichkeitsrecht mit negativen Sanktionen verknüpft werden, so etwa dann, wenn eine Stigmatisierung, soziale Ausgrenzung oder Prangerwirkung zu besorgen sind.”

Notenbewertungen sind Meinungsäußerungen

Die Notenbewertungen konnten auch deswegen nicht gelöscht werden, weil es sich hierbei um Meinungsäußerungen handelte:

"Tatsachenbehauptungen unterscheiden sich von Meinungsäußerungen und Werturteilen dadurch, dass bei den Letztgenannten die subjektive Beziehung zwischen der Äußerung und der Wirklichkeit im Vordergrund steht, während für Tatsachenbehauptungen die objektive Beziehung des sich Äußernden zum Inhalt seiner Äußerung charakteristisch ist. Für die Einstufung als Tatsachenbehauptung kommt es wesentlich darauf an, ob die Aussage einer Überprüfung auf ihre Richtigkeit mit den Mitteln des Beweises zugänglich ist, was bei Meinungsäußerungen und Werturteilen ausscheidet, weil sie durch das Element der Stellungnahme und des Dafürhaltens gekennzeichnet werden und sich deshalb nicht als wahr oder unwahr erweisen lassen.”

Werturteile und Meinungsäußerungen fallen grundsätzlich unter den Schutz des Art. 5 GG, sofern die Grenze zur Schmähkritik nicht überschritten ist.

Tatsachenkern

Geschützt sind auch Äußerungen, die einen tatsächlichen Kern aufweisen, sich aber Tatsachen und Meinungen vermischen und insgesamt durch die Elemente der Stellungnahme und des Dafürhaltens geprägt sind, so das Gericht weiter.

So lag der Fall hier. Die bewerteten Kriterien knüpfen zwar an einen Tatsachenkern an: "Die Bewertung dieses Tatsachenkerns in der Form von Noten stellt aber ein Werturteil dar, das von der Meinungsfreiheit geschützt ist.”

So wurde z.B. gerade nicht gesagt, dass der Kläger nicht über ein bekanntes Risiko einer von ihm empfohlenen Behandlungsmethode aufgeklärt habe. Vielmehr wurde der Punkt "Aufklärung” mit einer 5, also mit mangelhaft bewertet. "Die Note 5 bringt eine persönliche Meinung zum Ausdruck, die auch irrational oder nicht nachvollziehbar sein kann, die aber gerade nicht objektiv ist und dies auch nicht sein muss. [...]

Ob ein Dritter etwas für gut oder ausreichend oder schlecht befindet, ist stets der persönlichen Einschätzung und Überzeugung und damit der eigenen, subjektiven Meinung geschuldet. Nicht anders verhält es sich bei der Vergabe von Noten, die einem Äquivalent von "gut” oder auch "mangelhaft” entsprechen.

Dass diese Schulnoten ohne den ursprünglichen zugehörigen begleitenden Bewertungstext gänzlich isoliert wahrgenommen werden, unterstreicht den Charakter des persönlichen Werturteils zusätzlich.”

Anonyme Nutzung ist möglich

Das Argument des Arztes, dass jeder beliebige Dritte, der kein Patient war, eine Bewertung abgeben könne, akzeptierte das Gericht ebenfalls nicht. Die Möglichkeit einer anonymen Bewertung sei zulässig, so das Gericht. Es folgte damit der Auffassung des OLG Frankfurt a.M.:

"Zwar ist es auch nach dem von der Beklagten dargestellten System des Qualitätsmanagements aufgrund der dennoch gewährleisteten Anonymität ersichtlich nicht ausgeschlossen, dass das Bewertungssystem missbräuchlich verwendet werden kann, um einem Arzt zu schaden. Dies muss aber letztlich hingenommen werden, um einen effektiven Schutz der Meinungsfreiheit zu garantieren. [...] Eine Beschränkung der Meinungsfreiheit auf Äußerungen, die einem bestimmten Individuum zugeordnet werden können, ist mit Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG nicht vereinbar. Die Verpflichtung, sich namentlich zu einer bestimmten Meinung zu bekennen, würde die Gefahr begründen, dass der Einzelne aus Furch vor Repressalien oder sonstigen negativen Auswirkungen eine Selbstzensur vornimmt und davon absieht, seine Meinung zu äußern.”

Abschließend äußert das Gericht im Urteil noch Verständnis für die Sorge, Verärgerung und den Frust des Klägers über die negative Bewertung: "Dennoch muss im Rahmen der Interessenabwägung zwischen dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Klägers und dem Recht auf Meinungs- und Informationsfreiheit Letzterem der Vorrang eingeräumt werden, da das schützenswerte Interesse der Nutzer von Bewertungsportalen im Internet an Meinungs- und Informationsfreiheit überwiegt.

So sollen Internet-Bewertungsportale ihrem Sinn und Zweck nach Nutzern Gelegenheit bieten, sowohl positive als auch negative Meinungen zu äußern. Das Interesse der Allgemeinheit an kritischen, unabhängigen Informationen, die über derartige Bewertungsportale im Internet erlangt werden können, ist als sehr hoch zu bewerten, weil solche Informationen für den Verbraucher unabdingbar sind, um gewerbliche Produkte und Dienstleistungen zu bewerten und sich insoweit eine Meinung bilden zu können.”

Auch ein Anspruch auf Löschung wegen der behaupteten üblen Nachrede besteht nicht, da es sich mangels Tatsachenbehauptung gar nicht um eine üble Nachrede handeln kann.

Fazit

Eine Bewertung in Form von Sternen, Noten oder Smileys ist immer eine Meinungsäußerung. Gegen diese kann niemals ein Löschungsanspruch bestehen, da diese Art der Bewertung von der Meinungsfreiheit geschützt ist. Ob man sich gegen einen Bewertungskommentar zur Wehr setzen kann, kommt immer auf den genauen Wortlaut an. Stellt sich dieser als unwahre Tatsachenbehauptung oder als Schmähkritik heraus, so kann der Kommentar gelöscht werden. Gegen eine evtl. zugehörige Noten-Bewertung besteht aber auch in diesen Fällen kein Löschungsanspruch.

Quelle: Martin Rätze, www.shopbetreiber-blog.de

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