OLG Hamm klärt, wer Vorfahrt hat

Kein Freibrief für Radler im Kreisverkehr

16.07.2014 von Renate Oettinger
Das Verkehrszeichen "Vorfahrt gewähren" gilt nicht nur für Autos am Kreisverkehr, sondern auch für Radfahrer.

Hat ein Radfahrer auf einem neben einem Kreisverkehr geführten Radweg das Verkehrszeichen "Vorfahrt gewähren" zu beachten, wenn er eine Zufahrtsstraße zum Kreisverkehr queren will, ist der Radfahrer gegenüber den Autos, die über die Zufahrtsstraße in den Kreisverkehr einfahren wollen, wartepflichtig.

Das gilt auch dann, wenn die Autofahrer vor dem Radweg und dem Erreichen des Kreisverkehrs selbst das Zeichen "Vorfahrt gewähren" in Kombination mit dem Zeichen "Kreisverkehr" passieren müssen.

Darauf verweist der Bad Nauheimer Fachanwalt für Verkehrsrecht Romanus Schlemm, Vizepräsident des VdVKA - Verband deutscher VerkehrsrechtsAnwälte e. V. mit Sitz in Kiel, unter Hinweis auf die Mitteilung des Oberlandesgerichts (OLG) Hamm vom 6.11.2013 zu seinem Urteil vom 17.7.2012 (Az. 9 U 200/11). Die Entscheidung ist nunmehr rechtskräftig, weil der Bundesgerichtshof die Revision mit Beschluss vom 17.9.2013 nicht zugelassen hat.

Manche Radler sind der Meinung, Verkehrszeichen würden nur für andere gelten.
Foto: RAM - Fotolia.com

Die seinerzeit 67-jährige Klägerin, eine Hausfrau aus Velen, erlitt im Juni 2008 in Südlohn einen Verkehrsunfall, als sie mit ihrem Elektrofahrrad auf dem neben der Kreisfahrbahn geführten Radweg am Kreisverkehr der Ramsdorfer Straße die Einmündung der Straße "Brink" querte. Sie stieß im Einmündungsbereich mit dem Fahrzeug der Beklagten aus Südlohn zusammen, die von der Straße "Brink" kommend in den Kreisverkehr einfahren wollte. Vor dem Queren der Straße "Brink" haben Radfahrer das Verkehrszeichen "Vorfahrt gewähren" (Zeichen 205/klein der Straßenverkehrsordnung) zu beachten.

Schmerzensgeld verlangt

Die in den Kreisverkehr einfahrenden Autofahrer passieren vor dem Radweg und dem Kreisverkehr ebenfalls das Zeichen "Vorfahrt gewähren" in Kombination mit dem Zeichen "Kreisverkehr" (Zeichen 215 der Straßenverkehrsordnung). Die Klägerin hat von der Beklagten Schadensersatz verlangt, u.a. ein Schmerzensgeld in Höhe von 15.000 €. Sie hat gemeint, die Beklagte habe ihr Vorfahrtsrecht verletzt. Sie habe sie vor der Einfahrt in den Kreisverkehr passieren lassen müssen.

Der 9. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm hat die Klage abgewiesen. Die Klägerin treffe ein erhebliches, eine Mithaftung der Beklagten ausschließendes Eigenverschulden am Unfall. Die Beklagte habe kein Vorfahrtsrecht verletzt. Aufgrund der von ihr zu passierenden Verkehrszeichen sei sie lediglich gegenüber dem auf der eigentlichen Kreisbahn befindlichen Verkehr wartepflichtig gewesen und nicht auch gegenüber Radfahrern, die den neben der Kreisbahn befindlichen Radweg benutzten.

Demgegenüber habe die Klägerin der Beklagten Vorfahrt gewähren müssen, ihre Wartepflicht gelte nicht nur gegenüber Fahrzeugen, die vom Kreisverkehr in die Zufahrtsstraße abbiegen, sondern auch gegenüber den Fahrzeugen, die über die Zufahrtsstraße in den Kreisverkehr einfahren wollten. Nur so verstanden ergebe die vorhandene Beschilderung einen Sinn.

Abgesenkter Bordstein

Hinzu komme, dass die Klägerin über einen abgesenkten Bordstein vom Radweg auf die Fahrbahn der Zufahrtstraße gefahren sei. Nach der Straßenverkehrsordnung habe sich derjenige, der über einen abgesenkten Bordstein auf eine Fahrbahn einfahre, so zu verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen sei. Daraus folge, dass ihm insoweit auch kein Vorfahrtsrecht zustehen könne. Im Übrigen fehlten auf der Fahrbahn der Zufahrtsstraße Markierungen für einen querenden Radweg, was ebenfalls ein Anhaltspunkt dafür sei, dass ein querender Radfahrer wartepflichtig sei.

Schlemm empfiht, die Entscheidung zu beachten und in derartigen Fällen rechtlichen Rat in Anspruch zu nehmen, wobei er dabei u. a. auch auf die Anwälte und Anwältinnen in dem VdVKA - Verband deutscher Verkehrsrechtsanwälte e. V. - www.vdvka.de - verweist.

Weitere Informationen und Kontakt: Romanus Schlemm, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Verkehrsrecht und Vize-Präsident des VdVKA - Verband Deutscher Verkehrsrechtsanwälte e. V., c/o Kanzlei Ruppert, Schlemm & Steidl, Frankfurter Str. 28, 61231 Bad Nauheim, Tel.: 06032 9345-21, E-Mail: Schlemm@anwaltshaus-bad-nauheim.de, Internet: www.anwaltshaus-bad-nauheim.de

Gerichtsurteile (und Analysen) – Teil 11 -
Wann ist eine Stellenanzeige diskriminierend?
Ein abgelehnter Bewerber erhielt Entschädigung, weil er nicht Mitarbeiter eines "junges Team" wurde – ein vergleichbarer Fall endete anders.<br>
Rechtliches am Gartenzaun
Wer ein Privat- oder Geschäftshaus nutzt, muss auf die Belange der benachbarten Grundstückseigentümer Rücksicht nehmen. Dazu gehören auch die Rechte und Pflichten aus einem Garten.
Geschäftliche Nutzung der Wohnung
Geschäftliche Tätigkeiten in der eigenen Wohnung sind oftmals nur für eine Übergangszeit ratsam. Ein Überblick über die Rechtslage.
Mieter haftet für farbigen Anstrich
Ein Mieter ist zum Schadensersatz verpflichtet ist, wenn er eine in neutraler Dekoration übernommene Wohnung bei Mietende in einem ausgefallenen farblichen Zustand zurückgibt.
Bundesgerichtshof stärkt Anonymität im Netz
Bei unfairen Behauptungen im Internet haben Betroffene keinen Anspruch, die Daten des Verfassers zu verlangen. Mit diesem Grundsatzurteil sorgt der BGH für Klarheit im Umgang mit Online-Foren aller Art.<br>
Haftung bei Fahrgemeinschaften
Fahrgemeinschaften werden immer beliebter, weil sie Kosten sparen. Aber wie sieht es bei einem Unfall aus, wer haftet wofür? Die Arag-Experten zeigen die versicherungsrechtlichen Vorschriften auf. <br>
Mobilfunkrechnung per Post darf nichts kosten
Die Klage des Verbraucherzentrale Bundesverbands gegen Drillisch Telecom war erfolgreich. Auch ein Pfand für SIM-Karten zu verlangen ist unzulässig.<br>
Wann der Mieter ein Vorkaufsrecht hat
Wird ein ungeteiltes Mietshaus verkauft, hat der Mieter unter bestimmten Voraussetzungen ein Vorkaufsrecht.<br>
Private Nutzung der Firmenkreditkarte
Ein leitender Angestellter hat in einem Nachtclub mit der Firmenkreditkarte bezahlt und die Abrechnung gefälscht. Eine Analyse des Urteils vom Landesarbeitsgericht (LAG) Hamm.<br>
Wenn der Mieter untervermietet
Mit dem Kündigungsrecht des Vermieters bei unerlaubter Untervermietung hat sich der Bundesgerichtshof befasst. <br>
Handyverbot am Arbeitsplatz – ist das rechtens?
Eine Frage, die sich viele stellen, die im Angestelltenverhältnis arbeiten: Darf die private Nutzung von Mobiltelefonen am Arbeitsplatz verboten werden? Und wenn ja, wann?<br>
Mitarbeiter-Posting – Chef muss für Fehler haften
Die Internetnutzung im Arbeitsverhältnis kann zu erheblichen Problemen führen, Deshalb sollten Firmen Social Media Guidelines (SMG) erstellen und zum Bestandteil des Arbeitsverhältnisses machen.<br>
Keine Leiharbeit bei dauerndem Beschäftigungsbedarf
Das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz verbietet die auch nur befristete Beschäftigung von Leiharbeitnehmern, wenn sie einen dauerhaft anfallenden Bedarf abdecken sollen.<br>
Steuerhinterziehung kann den Job kosten
Wer sein Nettoeinkommen durch eine rechtswidrige Abrechnungspraxis steigert, kann mit einer ordentlichen Kündigung rechnen. Dies gilt auch, wenn er in Kenntnis oder sogar mit Zustimmung des Vorgesetzten handelt.<br>
Betriebsausflug – Nachzügler muss auf sich selber aufpassen
Betriebsausflüge haben im Sommer Hochkonjunktur. Die Organisatoren einer als Gruppenfahrt veranstalteten Fahrradtour sind jedoch nicht verpflichtet, die für die Gruppe im Straßenverkehr ergriffenen Sicherungsmaßnahmen auch für einzeln fahrende Nachzügler aufrechterhalten.<br>
Unzulässige Befristung von Arbeitsverhältnissen
Die Befristung eines Arbeitsvertrags ist grundsätzlich zulässig. Dies gilt nicht, wenn mit demselben Arbeitgeber bereits zuvor ein befristetes oder unbefristetes Arbeitsverhältnis bestanden hat, sagt Armin Rudolf.<br>
Kostenloser Eintrag ins Telefonbuch
Gewerbetreibende haben einen Anspruch darauf, kostenlos unter ihrer Geschäftsbezeichnung im Telefonbuch eingetragen zu werden. Dies wurde in drei Urteilen entschieden.<br>
Wann darf eine Betriebsratswahl gestoppt werden?
Eine Wahl zum Betriebsrat kann nur bei ganz offensichtlichen und besonders groben Fehlern gestoppt werden. "Normale" Fehler reichen nicht aus.
Kein Audi A4 2.0 TDI für 7,10 Euro bei eBay
Wird eine eBay-Aution abgebrochen, weil die Mindestpreisangabe fehlt, so kommt kein wirksamer Kaufvertrag zustande.
Wann gilt das "faktische Überholverbot"?
Verursacht ein Verkehrsteilnehmer beim Überholen einen Unfall, haftet er nicht automatisch für Schäden. Auch das Einhalten der Höchstgeschwindigkeit spielt eine Rolle.
Wann Niedrigstlöhne erlaubt sind
Stundenlöhne von nur 1,54 Euro oder 1,65 Euro sind normalerweise sittenwidrig. Aber in bestimmten Fallkonstellationen darf der Arbeitgeber sie zahlen.<br>
Crash nach Ausfahrt aus Grundstück
Die Ausfahrt aus einem Grundstück mit anschließendem Linksabbiegen kann unter bestimmten Umständen ein besonders gefährliches Fahrmanöver sein. Die Versicherung muss den Schaden voll übernehmen.<br>