Arbeitsrechtliche Entscheidungen

Kommentierte Rechtsprechung, Teil 6

26.10.2012
Welche Bedeutung arbeitsrechtliche Urteile für die Praxis haben, erläutert Christoph J. Burgmer. Im Detail: Verstoß gegen Unterrichtungspflicht, Betriebsübergang sowie Urlaubsabgeltungsanspruch.
Statt in die Ferien zu fahren, können sich Arbeitnehmer unter bestimmten Voraussetzungen den Urlaub auch abgelten lassen.
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In den drei kommentierten Urteilen geht es um die Themen Schadensersatz beim Verstoß des Betriebsübernehmers gegen die Unterrichtungspflicht, Anfechtung des Widerspruchs gegen einen Betriebsübergang sowie Urlaubsabgeltungsanspruch - Tarifliche Ausschlussfristen.

Urteil 1: Schadensersatz beim Verstoß des Betriebsübernehmers gegen die Unterrichtungspflicht
Gericht: LAG Schleswig Holstein, Urteil vom 14.02.2012, 1 Sa 221d/11

Leitsatz:

Informiert der Erwerber den Arbeitnehmer und unter Umständen auch den Veräußerer nicht über einen Betriebsübergang, und erhebt der Arbeitnehmer im Glauben an die angekündigte Betriebsstilllegung keine Kündigungsschutzklage, kommt ein Schadensersatzanspruch des Arbeitnehmers gegen den Erwerber nach den §§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 2 BGB in Betracht.

Bedeutung für die Praxis:

Das LAG Schleswig Holstein hat entschieden, dass ein Schadensersatzanspruch gerichtet auf Wiederbegründung des Arbeitsverhältnisses in Betracht kommt, wenn der Erwerber seinen Informationspflichten nach § 613a Abs. 5 BGB nicht nachkommt. Der Erwerber muss den Arbeitnehmer daher über den Betriebsübergang informieren. Unterlässt er dies und erhebt der Arbeitnehmer im Glauben an die Betriebsstilllegung keine Kündigungsschutzklage, kann der Arbeitnehmer einen Schadenersatzanspruch geltend machen, dass das Arbeitsverhältnis wieder neu begründet wird. Dafür muss aber das Arbeitsverhältnis auch von dem Betriebsübergang erfasst sein.

Urteil 2: Anfechtung des Widerspruchs gegen einen Betriebsübergang
Gericht: BAG, Urteil vom 15.12.2011, 8 AZR 220/11

Leitsatz:

Verschweigt der Arbeitgeber bei der Unterrichtung über einen Betriebsübergang wider besseres Wissen und erkennbar in der Absicht, den Arbeitnehmer im Unklaren zu lassen, um ihn zum Widerspruch gegen den Übergang seines Arbeitsverhältnisses zu bewegen, so kann der Arbeitnehmer den Widerspruch wegen arglistiger Täuschung anfechten.

Widerspruch gegen Betriebsübergang empfohlen

Bedeutung für die Praxis:

Der klagende Arbeitnehmer hatte mit der später insolvent gegangenen Arbeitgeberin einen Altersteilzeitvertrag vereinbart. Im August 2008 wurden die Altersteilzeit-Arbeitnehmer gesondert über den Betriebsübergang informiert. Dabei wurde ihnen empfohlen, dem Betriebsübergang zu widersprechen. Später erhielt der Kläger einen vorformulierten Widerspruch sowie eine Erklärung zur Absicherung von Wertguthaben bei Altersteilzeit für die Versicherung. Beides unterzeichnete der Kläger. Nachdem das Insolvenzverfahren über die Arbeitgeberin eröffnet wurde, verweigerte die Versicherung eine Leistung an den Arbeitnehmer. Der Kläger hat daraufhin seinen Widerspruch gegen den Betriebsübergang wegen arglistiger Täuschung angefochten.

Das BAG entschied, dass der Kläger seinen Widerspruch gemäß § 123 Abs. 1 BGB wirksam angefochten hat. Die Arbeitgeberin hätte ungefragt über den Stand der Insolvenzversicherung Auskunft geben müssen. Die Arbeitgeberin habe die Insolvenzsicherung als etwas "Zusätzliches" dargestellt, was im Gegenzug zur Abgabe der Widerspruchserklärung erfolge. Jedoch hätte nach § 8a AltTZG eine Pflicht der Arbeitgeberin bestanden, das Wertguthaben in geeigneter Weise gegen das Risiko der Zahlungsunfähigkeit abzusichern. Dies sei aber verschwiegen worden. Damit liege eine Täuschung durch Verschweigen vor, so dass der Arbeitnehmer seinen Widerspruch gegen den Betriebsübergang anfechten konnte.

Urteil 3: Urlaubsabgeltungsanspruch - Tarifliche Ausschlussfristen
Gericht: BAG, Urteil vom 13.12.2011, 9 AZR 399/10

Leitsätze:

1. Tarifliche Ausschlussfristen für die Geltendmachung des Urlaubsabgeltungsanspruchs können deutlich kürzer als ein Jahr sein.

2. Angemessen ist jedenfalls eine Ausschlussfrist von zwei Monaten nach Ende des Arbeitsverhältnisses.

Reiner Geldanspruch

Bedeutung für die Praxis:

Das BAG entschied, dass der Urlaubsabgeltungsanspruch als reiner Geldanspruch tariflichen Ausschlussfristen unterfällt. Anders als beim Urlaubsanspruch gebiete es die Arbeitszeitrichtlinie der EU nicht, dass eine Ausschlussfrist die Dauer des Bezugszeitraums des Urlaubsanspruchs deutlich übersteigen müsse. Diese Vorgabe gelte nämlich nur für den Urlaubsanspruch selbst, den der dauerhaft erkrankte Arbeitnehmer im bestehenden Arbeitsverhältnis tatsächlich nicht in Anspruch nehmen kann. Das BAG hält es aber für offensichtlich, dass die Arbeitsunfähigkeit für sich genommen einer Geltendmachung des Urlaubsabgeltungsanspruchs und der Entgegennahme von Geld nicht entgegensteht. Die Länge einer tariflichen Frist, nach der der Urlaubsabgeltungsanspruch dem Verfall unterliegt, könne daher deutlich kürzer als zwölf Monate sein. (oe)

Christoph J. Burgmer ist Rechtsanwalt, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Fachanwalt für Medizinrecht und Wirtschaftsmediator.
Internet: www.burgmer.com