Mäusekino für unterwegs

06.10.2006

Von Dr. Thomas Hafen

Gute Nachrichten für Fernsehsüchtige: Das zwangsweise Stubenhocken hat ein Ende. Dank "Mobile TV" darf der Glotzen-Junkie seine Lieblingssendungen per Handy empfangen, sich nebenher die Sonne auf den Bauch scheinen lassen - und dabei kräftig neuen Umsatz in die Kassen von Geräteherstellern, Netzbetreibern und Programmanbietern spülen.

So weit die Theorie. "2006 wird ein aufregendes Jahr für Mobile TV", versprach beispielsweise Bill Gadja, Marketing-Chef des Veranstalters GSM Association im Vorfeld des 3GSM World Congress, der im Februar in Barcelona stattfand. Die Zahl der Handy-TV-Nutzer werde bereits 2007 rund 10 Millionen betragen, so eine Prognose des Mobile-TV-Spezialisten SIDSA. 450 Millionen sollen 2010 allein in Deutschland mit Handy-Fernsehen umgesetzt werden, verspricht das Beratungsunternehmen Goldmedia. Die Nutzer seien bereit, zusätzlich zwischen 5 und 12,50 Euro auszugeben, um ihre Lieblings-Soap auch unterwegs empfangen zu können. Laut Informa nutzen in fünf Jahren bereits 210 Millionen Menschen Handy-TV; zehn Prozent der 2011 verkauften mobilen Endgeräte sind demnach mit einem Empfänger ausgestattet.

Nicht alle Experten sind allerdings so optimistisch. Laut TNS Infratest waren nur 15 Prozent der Befragten an Handy-TV interessiert - und bereit, dafür Geld auszugeben. Auch Gartner ist skeptisch, was den Erfolg des Mobilfernsehens angeht. Nur echte Live-Inhalte hätten eine Chance, so die Analysten. Für IDC ist die Nachfragesituation in Westeuropa unklar: "Aktuelle und zukünftige mobile Dienste werden kein Ersatz für existierende TV-Angebote sein", sagt Paolo Pescatore, Research Manager Consumer European Wireless and Mobile Communications.

Eine Frage der Technik

Hemmschuhe gibt es allerorten: Der Markt in Europa ist fragmentiert - und Deutschland ist das Paradebeispiel dafür: Nicht weniger als 15 Landesmedienanstalten sind für die Vergabe von Sendelizenzen zuständig. Nicht nur bei der Frequenzvergabe herrscht Unsicherheit. Wie das bewegte Bild in Zukunft auf das Endgerät kommt, ist ebenfalls noch nicht geklärt. Zur Wahl stehen mehrere Verfahren: Videostreaming oder Broadcasting (MBMS) über das Mobilfunknetz sowie die Rundfunk-Technologien DVB-H (Digital Video Broadcast - Handheld), DMB (Digital Media Broadcast) und das von Qualcomm entwickelte Format MediaFLO.

Am lukrativsten für die Mobilfunknetzbetreiber ist das Streaming. Hier werden die als AVI- oder MPEG-Datei vorliegenden Inhalte nach der 3GPP-Vorgabe TS 26.234 encodiert. Als Codecs kommt für Bilder H.263, für Töne AMR (Adaptive Multi Rate) zum Einsatz. So geschrumpft, reicht für die Übertragung eine Bandbreite von 112 kBit/s. Richtig massentauglich ist dieses Verfahren jedoch nicht, denn jeder Stream belegt einen Kanal im UMTS-Netz. Das mag im Moment noch recht egal sein, denn die Netze sind weitgehend leer. Eine Kapazitätsgrenze wäre jedoch so schnell erreicht, dass an eine flächendeckende Versorgung der Bevölkerung gar nicht zu denken ist.

Abhilfe könnte das Broadcast-Verfahren MBMS schaffen, das Ressourcen im Netz spart und über denselben Kanal Streams für mehrere Nutzer parallel anbieten kann. Wahrscheinlich werden aber die "echten" Broadcast-Technologien das Rennen machen. Die Rundfunktechnologien haben allerdings einen gravierenden Nachteile für die Netzbetreiber: Für ihren Empfang ist kein Mobilfunk notwendig. Analog zu DVB-T ließe sich Handy-TV mit einem USB-Stick oder einem Receiver für den SD-Kartenslot auch auf PDAs oder UMPCs betrachten, denn die DVB-H- oder DMB-Signale kann man wie beim terrestrischen Fernsehen per Antenne empfangen - ein Mobilfunkvertrag oder gar ein Daten- oder Servicepaket sind nicht notwendig.

Die ersten Angebote

Dennoch gibt es erste Modelle, wie Netzbetreiber beziehungsweise Provider am Handy-Rundfunk mitverdienen können. Das erste und derzeit einzige kommerzielle Angebot in Deutschland nennt sich "Watcha" und wird über Debitel und neuerdings Mobilcom vertrieben. Es basiert auf dem Standard DMB, die Inhalte stammen vom Mobile-TV-Provider Mobiles Fernsehen Deutschland (MFD). MFD agiert seit September 2005 am Markt und konnte Sendelizenzen aller Landesmedienanstalten erhalten. Zunächst war Watcha allerdings nur für Debitel-Kunden in den Großstädten Berlin, München, Köln, Frankfurt, Stuttgart und Nürnberg empfangbar, seit Kurzem verfügen auch die Regionen Hamburg, Hannover, Leipzig, Dortmund und Gelsenkirchen über eine Abdeckung.

Die Debitel-Kunden bezahlen je nach Endgerät und Tarif zwischen knapp 5 und 15 Euro für eine sogenannte "TV-Flatrate". Das Programmangebot ist allerdings mager: Derzeit stehen nur die vier TV-Programme ZDF, N24, MTV sowie ein Comedy-Kanal aus SAT.1- und ProSieben-Inhalten zur Verfügung. Ergänzend kommt noch der Radiosender bigFM dazu. Anbieter MFD verhandelt mit weiteren Fernsehsendern und will das Programmangebot langfristig auf 40 Kanäle ausbauen. Außerdem konnte das Unternehmen mit Mobilcom einen zweiten Provider gewinnen, der Watcha demnächst für "deutlich unter zehn Euro" anbieten will.

Betreiber wollen DVB-H

Während sich die Provider mit DMB arrangieren, setzen die Netzbetreiber auf den Konkurrenzstandard DVB-H. Derzeit gibt es einen kommerziellen Regelbetrieb mit DVB-H nur in Italien. 200.000 DVB-H-taugliche Endgeräte sollen bereits verkauft sein. In Deutschland wurde zur Fußball-WM in Berlin, Hamburg, München und Hannover ein dreimonatiges Pilotprojekt gestartet. Insgesamt standen rund 1.000 Testgeräte - Vorserien-Modelle und Prototypen - zur Verfügung. Mit ihnen konnten die Tester 16 TV- und 10 Radio-Programme empfangen. Zurzeit läuft der Testbetrieb in Berlin und Hamburg weiter. Der Regelbetrieb soll 2007 bundesweit starten - vorausgesetzt, die notwendigen Senderlizenzen stehen zur Verfügung.

Während die Betreiber des Pilotprojekts von einer "äußerst positiven Resonanz" berichten, fällt das Fazit des Online-Magazins Xonio, das DMB- und DVB-H-Geräte testete, wesentlich verhaltener aus. Der Empfang käme - vor allem in Gebäuden - "einem Glücksspiel gleich" war das ernüchternde Fazit.

Am besten schnitt im Xonio-Test ein Vorserienmodell des DVB-H-Geräts "N92" von Nokia ab. Es hatte den empfangsstärksten Tuner und hielt mit fünf Stunden und 25 Minuten Empfang pro Akkuladung auch am längsten durch. Die Finnen setzen auf DVB-H und werben für das System auf einer eigenen Webseite (www.mobile-tv.nokia.com). Nokia arbeitet mit Motorola und Sony Ericsson zusammen, um eine Interoperabilität der Geräte zu gewährleisten und den Standard zu pushen.

Beste Bildqualität bescheinigte man dem DVB-H-fähigen SHG-P920, das in Italien schon erhältlich ist. Das Online-TK-Magazin Teltarif, das das Gerät ebenfalls testete, bemängelte aber einen äußerst schwachen Empfang des TV-Signals und die instabile Firmware. Einen besseren Tuner, aber dafür eine schlechtere Bildqualität bietet das "My Mobile TV" von Sagem.

Während die DVB-H-Geräte in Deutschland noch nicht kommerziell erhältlich sind, kann man DMB-Modelle bereits kaufen. Die Auswahl ist allerdings übersichtlich: Neben dem Samsung SGH-P900 steht noch das "V9000" von LG zur Verfügung.

Welcher Standard sich in Deutschland durchsetzen wird, ist noch nicht absehbar. Vielleicht könnte sich der Streit der Systeme auch in Wohlgefallen auflösen. Mit DXB (Digital Extended Broadcasting) ließen sich beide Technologien auf einem Chip vereinigen.