"Manch eine Firma wurde erst durch Negativ-Prognosen ins Minus gestürzt"

12.09.2002
Mit einem flammenden Plädoyer gegen Analystengläubigkeit versucht der Verband der Softwareindustrie Deutschlands (VSI) die Gemüter der Wirtschaft zu beruhigen. Rudi Gallist* warnt vor überstürzten Reaktionen auf Negativ-Prognosen.

Analysten, Marktforscher und Gurus - sie alle haben viel zu sagen, wenn es um Marktentwicklungen und Trendbewertungen, aber auch um Aktienkurse und Bonität von Unternehmen geht. Doch auch Experten können sich irren, und es wäre ein Fehler, sich hundertprozentig auf die Aussagen der Beobachter zu verlassen. Viele Branchen seien erst durch Negativ-Prognosen ins Minus gestürzt, so der Verband der Softwareindustrie Deutschlands (VSI). Die Bewertungen der Analys-ten für die betroffenen Unternehmen könnten vor allem dann fatal sein, wenn sie ausschlaggebend werden für die Finanzierung oder die Entscheidung der Kunden.

So tragen die Analysten-Aussagen zuweilen zur Kreditentscheidung von Banken bei, sie beeinflussen die Börsenkurse und damit wiederum die Investitionsfähigkeit der Trendsetter in den jeweiligen Märkten. Was hilft es einem Unternehmen, Technologieführer zu sein und auf eine ansehnliche Palette namhafter Kunden verweisen zu können, wenn die Banken die Kreditlinien kappen? Der Grund dafür muss nicht immer in den realen Umsatzzahlen liegen, oftmals genügen schon die negativen Erwartungen der Börsengurus.

Kunden zögern mit Investitionen - sei es, weil Zweifel an der Reife der Technologie zu lesen waren, sei es, weil man sich nicht an wackelnde Unternehmen binden möchte. Venture Capital wird plötzlich umgelenkt in andere Hightech-Märkte, Banken zögern mit der Verlängerung von Krediten, und der Geldstrom in manche IT-Sektoren versiegt - weil Experten den Markt als zu schwach ansehen. Dies kann auch solide Firmen ernsthaft gefährden und ist für Unternehmensgründer oft das Aus.

Aktienmärkte im Lichte der Prognosen

Der VSI warnt deshalb davor, die Prognosen zum alleinigen Kriterium der Investitionsentscheidungen zu machen. Um ein Unternehmen zu beurteilen oder eine Investitionsentscheidung in eine Technologie zu treffen, sollte man sich auf vielerlei Quellen stützen. Prognosen und Analystenmeinungen dürfen nicht ausschlaggebend sein. Vielmehr gilt es, Referenzkunden zu befragen, Teststellungen vorzunehmen und sich mit der Unternehmensgeschichte und -leitung vertraut zu machen.

Die Börse zeigt sich für Prognosen besonders anfällig, weil es vor allem dem Kleinanleger schwer fallen dürfte, die für eine rationale Entscheidung notwendigen Informationen aus erster Hand zu erhalten. Dass aber gerade bei Aktien die Experten nicht unfehlbar sind, ist ein offenes Geheimnis. Eine Anfrage der "Süddeutschen Zeitung" vom Januar zeigt, dass "Analysten den falschen Riecher" hatten. Nur knapp die Hälfte der abgegebenen Tipps für Aktien, Anleihen und die Euro-Entwicklung waren richtig - mit einer besonders schlechten Trefferquote für die deutschen Aktien.

Wie wackelig die Prognosen sein können, belegt auch eine Untersuchung aus dem Fachbereich Wirtschaftswissenschaften der Uni Essen vom November 2001. Ganze 38,6 Prozent der zum Kauf empfohlenen Aktien führten für Kleinanleger zu einem Verlust. Diese Beobachtung bezieht sich auf den Zeitraum Januar bis September 2001. Aus der gleichen Quelle kommt harsche Kritik an den einschlägigen Publikumszeitschriften: Sie seien gerade in schwierigen Zeiten nur wenig als Ratgeber für kurzfristige Renditen bei Aktiengeschäften geeignet. Zu ihrer Entschuldigung sei angeführt, dass sie teilweise auf Informationen aus den Unternehmen selbst zurückgreifen. Diese wiederum bezeichnete ein Düsseldorfer Börsenguru - zumindest für die am Neuen Markt notierten Unternehmen - als Luftblasen und zu 80 Prozent falsch.

Was bleibt, ist die Notwendigkeit mündiger Kunden und Anleger, sich aus mehreren Quellen möglichst umfassend zu informieren und auf dieser Basis überlegte Entscheidungen zu treffen. Zwar ist niemand - auch die Experten nicht - unfehlbar, doch erst eine solide Informationsbasis macht unabhängig und ermöglicht eigenverantwortliches Handeln.

www.vsi.de