IT-Messegipfel

Messemacher diskutieren Perspektiven von CeBIT & Co.

01.02.2010 von Heinrich Vaske, Simon Hülsbömer und Michael Beilfuß
Virtuelle Messen, Social Networks, IT aus der Cloud - werden sich klassische IT-Messen wie die CeBIT in diesem Umfeld halten können? Wir haben die wichtigsten Messemacher an einen Tisch geholt.

CW: Sie drei repräsentieren verschiedene Messekonzepte. Die EuroCIS steht für einen Retail-Fokus, die CeBIT ist die letzte verbliebene Großveranstaltung für die ITK-Branche weltweit und die Stuttgarter IT & Business, die das Erbe der Münchner Systems angetreten ist, sieht sich als kleine, anwenderbezogene Veranstaltung. Herr Raue, warum braucht es noch eine Großveranstaltung wie die CeBIT?

Raue: Unsere vorrangige Aufgabe ist es, für eine 164-Milliarden-Euro-Industrie eine internationale wirtschaftspolitische Plattform darzustellen. Das ist wichtig, damit die Querschnittsbranche IT als solche deutlicher wird. In Branchen- und Fachmessen, wie Sie sie ansprechen, wird sie immer im Hintergrund bleiben. Allerdings steigt für die ITK Industrie derzeit, auch angetrieben von der Innovationskraft der IT, die Anzahl solcher Fachmessen - ob es nun Medizin-, Immobilien- oder Landwirtschaftsmessen sind. Auch die CeBIT vertikalisiert sich immer stärker.

CeBIT-Chef Ernst Raue: Der Messebeirat ist nicht nur für Hersteller, sondern auch für Anwender offen.

Die großen Anwenderunternehmen sind permanent im Fokus der Hersteller. Aber der Mittelstand, das produzierende Gewerbe, der Treiber der Industrie, der braucht uns nach wie vor, um neue Anbieter und Lösungen zu sehen. Zweite Antriebsfeder neben dem Mittelstand ist das Dienstleistungsgewerbe - Banken, Versicherungen, Reiseveranstalter. Die dritte Zielgruppe ist der Öffentliche Dienst. Und schließlich ist es der Handel, der besonders durch den Planet Reseller auf der CeBIT angesprochen wird.

Messegipfel

Die Diskutanten

  • Ernst Raue ist langjähriger Chef der CeBIT und seit zehn Jahren Vorstandsmitglied der Deutschen Messe AG in Hannover.

  • Michael Degen ist Unternehmensbereichsleiter der Messe Düsseldorf GmbH und dort unter anderem für die EuroCIS verantwortlich, eine kleine, aber feine Messe zum Thema IT im Handel.

  • Ulrich Kromer von Baerle ist Geschäftsführer der Landesmesse Stuttgart GmbH und hat dort zuletzt die IT & Business aus der Taufe gehoben, den inoffiziellen Nachfolger der Münchner Systems.

CW: Die IT & Business in Stuttgart ist eine weitgehend an Geschäftsprozessen und Business-Software orientierte Messe. Herr Kromer, wollen Sie den Fehler vermeiden, den die Systems gemacht hat, sich auf zu vielen Baustellen zu bewegen?

Kromer: Wir wollen unser eigenes Konzept umsetzen, nicht die Fehler anderer vermeiden. Wir bilden softwaregestützte Geschäftsprozesse im Business-Umfeld ab. CRM, ERP, Sicherheit - all das, was im Geschäftsumfeld zusammenläuft. Auch Infrastruktur-Anbieter sind angesprochen. Wir haben Firmen wie Telekom oder Vodafone eine klare Absage für Ihr B-to-C- und Endgerätegeschäft erteilt.

Michael Degen, Ulrich Kromer von Baerle und Ernst Raue stellen sich den Fragen von IDG-Verlagsleiter Michael Beilfuß und CW-Chefredakteur Heinrich Vaske (von links nach rechts).

Der Blick auf die überarbeitete Nomenklatur zeigt, dass für diese Anbieter die IT & Business sehr wohl eine interessante Plattform ist. So können diese in den Bereichen: Integration von Kommunikationsmedien, Mobile Anwendungen und Dienste, Standortkopplung und globale Vernetzung und Web-basierte Lösungen passgenau ihr Zielgruppen erreichen.

CW: Haben Sie mit der IT & Business um den Bestand der ehemaligen Systems-Aussteller herum ein Konzept gebastelt?

Kromer: Wir haben nach der Absage der klassischen Systems verschiedene Anfragen seitens der Aussteller bekommen, ob wir nicht etwas Neues entwickeln wollen. Gemeinsam mit den anwesenden Partnern im Markt haben wir dann das Messekonzept entworfen und anschließend auch umgesetzt.

Eindrücke von der CES in Las Vegas
CES 2010
Las Vegas heißt seine Gäste zur CES 2010 willkommen... (alle Fotos dieser Galerie: IDGNS)
Draußen vor dem Tore
Im Las Vegas Convention Center findet vom 7. bis zum 10. Januar die CES 2010 statt.
Schwerpunkt LCVV
Nicht nur Toshiba wirbt draußen vom den Messehallen für seine neuen Flachbildfernseher und -monitore.
AR Drone Helicopter
Der AR Drone Helicopter kombiniert ein Apple iPhone mit virtuellem Spielen. Ein vierschraubiger Helikopter lässt sich mit dem abgebildeten Controller wie eine fliegende Kamera fernsteuern. Der mit zwei Kameras ausgestattete Flieger sendet Live-Bilder auf das ihn steuernde iPhone (funktioniert auch mit iPod Touch).
Noch namenlos?
Lenovo stellte neue Notebooks vor.
Lichtspiele
Der Messestand von Chiphersteller Intel präsentiert sich ganz in blau getaucht.
Asus Wave Netbook
Das Asus Wave lässt sich zum Big-Screen-Tablet auffalten.
Asus Screen Watch
Ein nur zwei Zoll großer Bildschirm lässt sich zusammengerollt als Armbanduhr tragen. Beide Asus-Geräte sind noch in der Entwicklungsphase.
Keynote-Sprecher Steve Ballmer
Der Microsoft-Chef präsentierte neue Produkte aus Redmond...
Microsoft kuschelt mit HP
...unter anderem stellte er einen neuen Tablet PC von Hewlett-Packard vor, der später in diesem Jahr in den Handel gehen soll. Das Gerät ist so groß wie ein Amazon Kindle und enthält neben Amazons Ebook-Software auch Windows 7 als Betriebssystem. Mit Ballmer auf der Bühne: Ryan Asdourin, Windows Senior Product Manager bei Microsoft.
Noch mehr Gekuschel, aber Gähnen im Saal
Die ganz große Begeisterung für das Gerät blieb beim Publikum jedoch aus.
Ballmer blickt nach vorn
Da half es auch wenig, dass Ballmer noch ein wenig über Microsofts Geschäftsjahr 2009 referierte und aus seinem notorischen Zukunftsoptimismus für das neue Jahr keinen Hehl machte.
Sony Cyber-shot HX5V
Diese neue Sony-Kamera beherrscht GPS und ist mit einem zehnfachen optischen Zoom ausgestattet (25-250mm). Sie kann 1980x1080-HD-Videos im AVCHD-Format bei 17 MBit/s und 60i aufnehmen. Darüber hinaus ist die Cyber-shot HX5V eine von zwei neuen Sony-Kameras, die den überarbeiteten Intelligent Sweep Panorama Mode unterstützt, der nach Herstellerangaben das One-Touch-Panoarama-Feature verbessert, das Sony im vergangenen Jahr auf den Markt gebracht hat. Damit lassen sich bewegliche Objekte verfolgen und die Aufnahmegeschwindigkeit automatisch anpassen, um ein flüssigeres Bild zu erreichen.
HTC Smart
HTCs neuestes Smartphone, das Smart, läuft mit Qualcomms Betriebssystem Brew MP.
Asus N90
Das Widescreen-Notebook wurde von Bang & Olufsen entworfen.
Bestellung über den digitalen Tisch
Mit der Light-Touch-Technologie von Light Blue Optics könnte der Restaurantbesuch schon bald zum technischen Leckerbissen werden.
MSI Dual-Screen-Netbook
... damit Sie den Überblick nicht verlieren...
Asus Dual-Screen-Netbook
... auch von Asus gibt es ein neues Dual-Screen-Netbook.
Samsung zeigte...
... viele neue E-Reader.
Project Natal
Schon im vergangenen Jahr stellte Microsoft Project Natal vor, ein neues Spielesystem, bei dem der menschliche Körper zum Controller wird. Auf der CES kündigte der Konzern nun an, dass Project Natal in diesem Sommer auf den Markt kommen soll.

Starke Verbände unterstützen die Messen

CW: Welche Interessensgruppen bestimmen die Ausrichtung der IT & Business und der EuroCIS? Sind es die Verbände - wie der Bitkom bei der CeBIT?

Kromer: Eine Mischung aus Verbänden, Fachjournalisten und Anwendern. Wir haben einen Beirat formiert, in dem die verschiedenen Gruppen vertreten sind, demnächst wahrscheinlich auch der Bitkom, um das Konzept weiterzuentwickeln.

Degen: Wir haben einen sehr starken Partner. Das EHI Retail Institute ist ein wissenschaftliches Institut, zu dessen Mitgliedern die wichtigsten internationalen Handelsunternehmen und Branchenverbände zählen. Das EHI hat gemeinsam mit der Messe Düsseldorf die EuroShop initiiert und beeinflusst damit auch direkt die EuroCIS.

Der EuroCIS-Verantwortliche Michael Degen braucht den Bitkom nicht.

Eine Kooperation mit den prominenten IT-Verbänden hat sich bisher nicht ergeben, und wir haben auch nicht das Gefühl, dass uns dadurch etwas fehlt. Das EHI steuert die fachlichen Inhalte der Messe, da gibt es genügend und wertvolle Kontakte in die relevante Industrie.

CW: Herr Raue, tut sich die CeBIT nicht schwer konzeptionell Kurs zu halten, wenn ihr die Verbände massiv reinreden können?

Raue: Das Gegenteil ist der Fall: Die Verbände geben uns wichtige inhaltliche Impulse. Unser Messebeirat wird vom Bitkom, also der Ausstellerschaft, besetzt. Hardware- und Softwarehersteller, die die CeBIT in ihren Anfangstagen geprägt haben, sind dort natürlich repräsentiert. Aber nicht nur: Inzwischen steht der Messebeirat auch den Anwendern offen. Es ist aber nicht entscheidend, ob der eine Branchenzweig stärker und der andere weniger stark vertreten ist. Immer wichtiger werden die beratenden Zusatzangebote wie Foren und Kongresse. Damit verändert sich das Gesicht der Messe - weg von der Anbieterorientierung hin zu Themenfeldern und Anwendergruppen.

CW: Was ja eigentlich den vertikal orientierten Fachmessen eher entgegenkommt.

Raue: Es kommt auch darauf an, die Konvergenz der Technologien zu zeigen, die Zusammenhänge also. Eine reine Fachmesse kocht da doch eher im eigenen Saft.

Kromer: Fachmessen für beispielsweise den Medizinsektor oder den Handel, die auch IT-Lösungen präsentieren, haben natürlich ihre Berechtigung. Für einen Überblick über neue Anwendungen und Möglichkeiten sind horizontale Plattformen aber nach wie vor wichtig.

Raue: Für die Anwender bietet sich die Chance, über den Tellerrand zu blicken. Nach dem Motto: Was woanders gut läuft, könnte vielleicht auch bei mir gut laufen. Die CeBIT hat die Aufgabe, auch interdisziplinär zu zeigen, was geht.

CW: Wie soll sich der Besucher auf einer Riesenveranstaltung wir der CeBIT noch zurechtfinden?

Raue: Heute läuft die Messevorbereitung über das Netz. Die Ausstellerkataloge und CD-ROMs, die wir jahrelang hergestellt haben, werden nicht mehr nachgefragt. Die Besucher bauen sich ihr Zwei-Tages-Wunschprogramm über unseren Webauftritt zusammen, die Zielgruppenerfassung geschieht so ganz automatisch.

Alles ab ins Web? Wohl kaum!

CW: Warum dann nicht gleich die Messe im Web? Ich kann meine Verkaufsgespräche, meine Produktdemos und "Entdeckungsreisen" doch auch virtuell vornehmen, sogar zeitlich, örtlich und preislich weitaus differenzierter...

Raue: Dieser Entwicklung können wir uns natürlich nicht verschließen. Deshalb machen wir sie uns mit unseren Web-Angeboten zunutze. Was die Zukunft angeht, bin ich zutiefst überzeugt davon, dass Menschen sich auch weiterhin persönlich treffen wollen und Innovation nur im direkten Gespräch miteinander entsteht, weniger im Netz.

Kromer: Nach einer Fraunhofer-Untersuchung wird im Jahr 2020 lediglich 15 Prozent der Geschäftskommunikation über Telekonferenzsysteme laufen. Bleiben 85 Prozent, der Kontakte, die persönlich geknüpft werden. Ich stimme mit Herrn Raue überein, dass Innovationen nur so entstehen. Zwischenmenschlicher Kontakt schafft Vertrauen.

Degen: Das Internet kann eine Ergänzung sein, mit der ich mich besser auf eine Veranstaltung vorbereiten kann. Schauen Sie sich beispielsweise unsere großen Investitionsgütermessen an - das ist teilweise "Heavy Metal", was da an Maschinen aufgefahren wird. Und für den Fachmann ist doch nichts schöner, als solch eine Maschine zu streicheln.

CW: Das gilt aber für IT-Messen nur zum Teil: Software und Internet lassen sich nicht anfassen. Hinzu kommt, dass IT mehr und mehr zur Dienstleistung wird. Ist das nicht der Grund, warum das Messegeschäft in der IT-Branche in den vergangenen Jahren arg gelitten hat? Die Besucherzahlen sinken ständig.

Raue: Die Erfolgsparameter einer Messe sind heute andere als früher. Nicht mehr Quadratmeter, Aussteller- und Besucherzahlen entscheiden, sondern die Zahl der qualifizierten Leads, die die Unternehmen generieren können. Wenn man sich an die erste eigenständige CeBIT 1986 erinnert - was wurden da für Stände aufgefahren! Damals ging es vor allem darum, eine endlose Zahl neuer Hardware präsentieren zu können. Heute sind diese hardwarelastigen Messen im ITK Bereich vorbei.

Das war die CeBIT 2009
Warnstreik
Zum Feiern war den in Hannover demonstrierenden EDS- und Avaya-Mitarbeitern nicht zumute. Sie protestierten am Messebahnhof/Skywalk vor den Toren der CeBIT gegen die Entlassungenpläne in ihren Unternehmen.

CW: Wenn es um Lead-Generierung geht, warum kassieren die Messegesellschaften dann immer noch ab wie Immobilienfirmen - für vermietete Fläche nämlich?

Kromer: Es gibt bereits erste Experimente mit frequenzorientierten Preissystemen - wir werden sehen, wohin das noch führt. Was wir bereits haben, sind ergänzende Berechnungsmodelle, bei denen nach Abschluss einer Veranstaltung die Besucherfrequenz einzelner Stände mit verrechnet wird.

Raue: Bei der CeBIT hatten wir vor drei Jahren für den Messeteil der "Global Conferences" ein ähnliches Geschäftsmodell entwickelt, das den Break-even bereits erreicht hat: Aussteller, die dort zusätzlich Vorträge halten, zahlen noch etwas hinzu. Hier geht es über die reine Quadratmeterbetrachtung hinaus zu einer Nutzenkalkulation. Ein anderer Punkt sind die neuen Preissysteme bei den Eintrittskartengutscheinen, die unsere Aussteller an ihre Kunden verteilen..: Es gibt mittlerweile Flatrate-Modelle ab einer bestimmten Abnahmemenge. Wer als Aussteller für die Besuchergewinnung mehr tut, hat auch mehr Leistungen von uns.

Degen: Die Aussteller haben gerade in den vergangenen beiden Jahren ihre Messeausgaben sehr intensiv geprüft, die Bedeutung des Controllings wächst. Wir sind bereits vor längerem dazu übergegangen, den Nutzen für Aussteller und Besucher zu steigern, das Serviceangebot auszuweiten. Dennoch wollen alle Messegesellschaften - auch wir, die wir hier am Tisch sitzen - unsere Erlöse steigern. Wenn ein Mehrwert und eine Entlastung für die Aussteller als Nebeneffekt der Umstrukturierung entstehen, haben wir unser Ziel erreicht. Bezüglich der Preismodelle: Die Gesellschafter aller Messegesellschaften würden deutlich hinterfragen, wenn wir die realen Preise senken würden, nur weil die Aussteller andere Berechnungsmodelle wünschen.

Von Franzosen und Chinesen

CW: Wenn erfolgsabhängig abgerechnet würde, hieße das ja nicht automatisch, dass die Preise sänken. Sie können sogar steigen. Viel entscheidender ist doch, den Nutzen der messe transparenter zu machen. Dann zahlen Einige wahrscheinlich sogar mehr als vorher.

Degen: Das liegt aber nicht nur bei den Veranstaltern. Die Aussteller selbst - gerade im Bereich der KMU’s - sollten sich teilweise noch besser vorbereiten, zum Beispiel über die Seminar-Allianz. Die Zahl derer, die völlig unvorbereitet auf eine Messe kommen - beispielsweise keine Kunden einladen - ist noch immer zu hoch.

Kromer: Stimmt, und hier kann es durchaus kompliziert werden. Kürzlich sagte mir ein Aussteller aus einer anderen Branche: "Glaubst du, ich lade meine französischen Kunden zur Messe ein, damit sie sich dort meinen chinesischen Konkurrenten zuwenden?"

CW: Sie wären also verhandlungsbereit, wenn sich die Aussteller im Gegenzug dezidiert und erfolgsbezogen auf ihren Messeauftritt vorbereiten würden?

Raue: Wir können nicht erwarten, dass die Aussteller für etwas zahlen, von dem sie nichts haben - ganz gleich, nach welchem Modell wir abrechnen. Am Ende wird jeder Aussteller seine Kosten zusammenrechnen und sich fragen, was er effektiv für einen relevanten Lead gezahlt hat. Daher ist die Art der Abrechnung unerheblich, solange das Produkt und der Nutzen stimmen.

Degen: Die Zählerei zum Abschluss einer Messe und das Schielen auf die Gesamtbesucherzahl sind sicher nicht zielführend. Ist diese niedriger als im Vorjahr, startet bei Medien und Ausstellern sofort das große Hinterfragen. Entscheidend ist doch die Qualität der Kontakte und nicht die Quantität.

Raue: Einige Aussteller rechnen uns nach Abschluss einer CeBIT ganz klar vor, wie viele Leads sie herausbekommen haben und gleichen das dann mit unseren Zahlen ab - das Controlling der ausstellenden Unternehmen funktioniert hier perfekt. Leads sind aber nicht mehr alles: Weiche Faktoren wie Brand building und Imagegewinn nach innen und außen steigen wieder in ihrer Bedeutung.

Mit Social Media effizienter werden

CW: Anderes Thema: Wie nutzen Sie Social Media, um Ihre Veranstaltungen zu unterstützen?

Degen: Die IT-Branche ist auf Grund ihrer Erfahrung im Vorteil: Seit Jahrzehnten nehmen wir die Anregungen unserer Kunden durch die Fachbeiräte etc. auf, um die Messen am Puls der Zeit zu halten - dieser Prozess wird jetzt auf die neuen Medien übertragen, natürlich mit einer viel größeren Breitenwirkung. Die Messe Düsseldorf betreibt die digitale Interaktion mit dem Besucher beispielsweise auf ihren Großmessen ziemlich intensiv. Aber auch bei den anderen Messen setzen wir uns natürlich damit auseinander. Für die Medizinmesse Medica haben wir in diesem Jahr erstmals ein Blog- und Twitter-Angebot gestartet - die Beitrags- und Qualitätskontrolle in Foren oder Tweets ist aber schon eine Herausforderung für uns. Verdeckte und offene PR anderer Firmen auf diesen Plattformen kann sich kontraproduktiv auswirken. Die weitere Entwicklung von Social-Media-Anwendungen beobachten wir sehr genau. Das Web 2.0 eröffnet zwar viele zusätzliche Möglichkeiten der Zielgruppen-Ansprache. Diese müssen aber nicht zwingend effektiver sein als herkömmliche Kommunikationskanäle.

Kromer: Unternehmensstrategisch nutzt die Messe Stuttgart Social Networks noch nicht, aber einzelthematisch durchaus. Beispiele sind die CMT als Publikums-Touristik-Messe, aber auch die IT & Business, für die wir uns themenspezifisch damit beschäftigt haben. Eine übergreifende Strategie steht aber noch aus.

Raue: Bei uns steht das Ganze seit einiger Zeit stark im Fokus. Es ist nicht immer einfach, die klassische Messedenke dabei hinter sich zu lassen, aber ich meine, wir sind schon ganz gut. Mit der CeBIT sind wir in den relevanten Social Communities präsent, die CeBIT twittert unter verschiedenen Accounts, zahlreiche Mitarbeiter tun es auch. Und seit einigen Jahren haben wir einen eigenen Blog. Wir haben gezielt nach neuen Mitarbeitern gesucht, die das Thema nach vorn treiben - ob es nun Social Networks, Blogs, Twitter oder Ähnliches ist. Der Vorstand steht voll dahinter. Die Resonanz ist schon jetzt sehr gut - die CeBIT ist Vorreiter und damit der Benchmark für alle anderen unserer Messen. Ein anderes Beispiel ist die Biotechnica: Die dort angesprochenen Zielgruppen organisieren sich schon lange in sehr internationalen Web-Communitys - auf einem anderen Weg könnte man viele Messebesucher dort gar nicht erreichen.

CW: Messen wie die IT & Business sprechen gezielt den Mittelstand an. Ist es nicht unheimlich schwer, kleinere Unternehmen für die Nutzung von Social Media zu gewinnen?

Kromer: Das ist sicherlich keine Frage der Betriebsgröße, sondern des Geistes eines Unternehmens. Vielfach müssen wir für die Messeklientel außerhalb der IT nur ein wenig vordenken. Durch neue Angebote im Netz sind wir als Messegesellschaft viel intensiver gefordert, uns mit einer Branche auseinander zu setzen, als wir es vormals als Dienstleister gewohnt waren.

Raue: Die CeBIT richtet ihre Strategie immer stärker an den neuen Medien aus. Das Marketingbudget der CeBIT 2010 ist auf diese Kanäle ausgerichtet. Wir setzen ein neues Marketing-Tool ein, das kurzfristig auf Entwicklungen im Markt reagieren und durch seine Kommunikationsfähigkeiten auch die meisten unserer Pressekonferenzen in der ganzen Welt im Vorfeld der Messe ersetzen kann. Bisher ist das ein Experimentierfeld, ich bin nach anfänglicher Skepsis aber sehr zuversichtlich. Da die Entscheidungszyklen immer kürzer werden, sich viele Aussteller erst in letzter Minute anmelden und erst spät über ihre Budgets entscheiden, müssen wir alle viel beweglicher werden. Social Media kann uns dabei unterstützen. Und alle Messegesellschaften müssen noch enger zusammenarbeiten.

Kromer: Hinzu kommt, dass unsere Hauptaufgabe als Messegesellschaften darin besteht, die Bedürfnisse der Anwender und Hersteller zusammenzubringen. Egal, welche technischen Strömungen und Trends in den vergangenen zwanzig Jahren aufkamen - Messen waren immer die Nummer eins.

Ulrich Kromer von Baerle: "Messen waren schon immer anpassungsfähig."
Foto: Messe Stuttgart

Natürlich werden sich die Messen anpassen müssen, das haben sie aber schon immer getan. Wir haben deshalb überhaupt keine Angst vor der medialen Entwicklung.

Raue: Messen sind immer nur Spiegel der Märkte. Sie helfen den Branchen, bestimmte Themen in einen wirtschaftspolitischen Rahmen zu stellen. Letztlich werden wir uns immer den Bedürfnissen der Kunden anpassen.

"Den Mut der Messe München bewundert"

CW: Stichwort neue Messekonzepte: Die Münchner Messe hat mit der "Discuss & Discover" im vergangenen Jahr einen neuen Weg eingeschlagen. Der war sicherlich nicht ganz so erfolgreich, konzeptionell aber durchaus interessant. Was ist schief gelaufen?

Kromer: Mit der IT & Business haben wir sicherlich eine Chance genutzt, die sich durch das Ende der Systems ergeben hat. Einige Aspekte der neuen Münchner Veranstaltung wie neue Formen der Wissensvermittlung und Treffpunkte sind durchaus interessant und nachahmungswürdig. Ich hätte der Münchner Messe allerdings einen anderen Namen gegeben.

Raue: Ich habe den Mut der Messe München bewundert. Ich halte die Richtung für richtig, weil auch viele unserer Kunden ähnliche Modelle erwarten. Wir bieten Konferenzen, Roundtables und ähnliches auch an - im Rahmen der CeBIT, die sich so stetig weiter entwickelt.

CW: Wie wird Ihr Geschäftsmodell in fünf Jahren aussehen?

Raue: Für die CeBIT wird die klassische Flächenvermarktung abnehmen - und durch andere Angebote an die ausstellenden Unternehmen zusehends ersetzt werden. Dieser finanzielle Rückgang kompensiert sich durch neue Konzepte und Möglichkeiten, noch mehr aus einem Messeauftritt herauszuholen

Kromer: Wir sind immer mehr gefordert, uns inhaltlich einzelnen Zielgruppen fokussierter zuzuwenden. Insgesamt werden die Messen aber weiter wachsen.

Degen: Die Flächenanteile insgesamt werden strukturell nicht zwingend in größerem Umfang schrumpfen. Wir etablieren analog unserer großen Messethemen Satelliten-Veranstaltungen in branchenrelevanten Märkten. In unserer Produktfamilienstrategie sehen wir international große Chancen, Wachstum zu erzeugen.

CW: Richten Sie zum Abschluss doch bitte einen persönlichen Appell an Ihre Aussteller: Was ist das Geheimnis eines erfolgreichen und nachhaltigen Messeauftritts?

Degen: Aussteller, Ihr seid Teil der Messe! Der Auftritt unserer Kunden, ihre Expertise und ihre Markenführung beeinflussen den Erfolg ihrer Produkte und den der gesamten Messe nachhaltig.

Kromer: Wenn Thema, Ort und Zeit stimmen, ist mein Ratschlag einfach: Ausstellen! Nutzen Sie das Messeangebot als Marketing-Plattform.

Raue: Halten Sie engen Kontakt mit uns, suchen Sie das persönliche Gespräch mit der Messegesellschaft. Wir versuchen, so viele Gespräche wie irgend möglich mit unseren Kunden zu führen. Gestalten Sie die dynamische Veränderung des Marktes und Ihrer Messe gemeinsam mit uns weiter.