Erfindungen sind kein Zufall

Mit dem Edison-Prinzip die Krise überwinden

04.08.2009
Firmen sollten bei der Ideensuche vorgehen wie Erfinder, sagt Jens-Uwe Meyer.

"Wir brauchen neue Methoden zum Entwickeln neuer Ideen." Diesen Hilferuf vernimmt man zurzeit oft in den Unternehmen. Denn die aktuelle Krise stellt die Betriebe vor ganz neue Herausforderungen. Also können sie sich bei deren Lösung auch nur bedingt an Best-Practice-Beispielen aus der Vergangenheit orientieren. Wie man neue Ideen mit System entwickelt, das kann man von Thomas Edison, dem Erfinder der Glühbirne, lernen. Er ging bei der Suche nach neuen Ideen, ganz systematisch vor.

Thomas Edison sagte einmal: "Keine meiner Erfindungen war Zufall." Mit 1.093 Patenten - darunter die Glühbirne, der Börsenticker und die Filmkamera - ist er bis heute der erfolgreichste Erfinder aller Zeiten. Denn er fand einen Weg, um erfolgreiche Ideen mit System zu entwickeln und so sein Ziel zu erreichen: "Eine kleine Erfindung alle zehn Tage, eine große alle sechs Monate."

Edisons Arbeitsweise war "extrem strukturiert". Statt sich im stundenlangen Brainstorming zu quälen, entwickelte er Schritt für Schritt neue Ideen. Das sich dahinter verbergende methodische Vorgehen, das in dem Buch "Das Edison-Prinzip" beschrieben hat, nutzen inzwischen zahlreiche Unternehmen (wie Volkswagen, Microsoft Deutschland, Tesa und E.ON Ruhrgas). Und die Handelshochschule Leipzig (HHL) lehrt das sechsstufige Vorgehen in ihrem MBA-Curriculum angehende Manager.

Edisons erster Schritt: neue Suchfelder finden

Thomas Edison hatte eine einfache Grundphilosophie: "Was sich nicht verkauft, möchte ich nicht erfinden." Er wäre nie auf die Idee gekommen, sich mit Kollegen zusammenzusetzen und wild drauflos nach irgendwelchen (verrückten) Ideen zu suchen. Ihm war klar: Die Resultate sind weitgehend unbrauchbar.

Einfach loslegen und Dinge zu erfinden ist der sicherste Weg zum Misserfolg! Edison ging systematisch auf die Suche nach Problemen, die er lösen konnte. Er analysierte die Schwächen bestehender Produkte und suchte nach Trends. Die Erfindung der Glühbirne ist dafür ein gutes Beispiel. Die damals vorherrschende Gasbeleuchtung war teuer und gefährlich, der Trend zur Elektrifizierung hatte bereits eingesetzt. Für Edison war klar: Wenn er es schaffen würde, elektrisches Licht in die Häuser der Menschen zu bringen, würde er Erfolg haben.

In Ihrem Alltag finden Sie täglich Hunderte solcher Chancen. Was tun zum Beispiel einige Automobilindustriezulieferer: Sie beschäftigen Mitarbeiter, deren Aufgaben primär darin bestehen, an den Fertigungsstraßen ihrer Kunden, den Automobilherstellern, zu schauen: Wo treten Probleme auf? Welche Teile können die Mechaniker schwer montieren? Wo gibt es Verzögerungen? Wo ist der Verschleiß hoch? Diese "Probleme" nutzen die Zulieferer als Ansatzpunkte zum Entwickeln neuer Produkte und Dienstleistungen - oder zum Weiterentwickeln bestehender Produkte.

Führen Sie ab sofort ein "Problemtagebuch", in dem Sie die Probleme Ihrer Kunden genauso analysieren wie die Verschwendungsprobleme in Ihrem Unternehmen. Entwickeln Sie daraus Chancen. Das kann sich lohnen: Daimler hat auf diese Art und Weise durch Mitarbeiterideen gerade 109 Millionen Euro eingespart.

Edisons zweiter Schritt: Neue Fragen entwickeln

"Millionen Fliegen können sich nicht irren." Gemäß dieser Maxime agieren viele Unternehmen - nicht nur beim Ideensuchen. Das heißt: Sie bewegen sich stets auf denselben ausgetretenen und verstopften Denkautobahnen statt auch mal über Nebenstraßen zu fahren. Woran liegt das? Sie stellen alle immer wieder die gleichen Fragen. Edisons Motto lautete: "Ich stelle die gleiche Frage auf hundert verschiedene Weisen."

20 Erfinder arbeiteten 1879 parallel an der Glühbirne. Alle verrannten sich. Bis auf Edison. Er suchte systematisch nach Denkwegen, die andere nicht beschritten. Und stellte seine Fragen immer wieder neu. Die Methode dahinter heißt: assoziative Fragen. Schreiben Sie zwei Minuten lang alles auf, was Ihnen zu Ihrem Ausgangsbegriff einfällt. Alles! Anschließend entwickeln Sie mithilfe der Assoziationen die Suchfragen. So fragte sich Edison beim Erfinden der Glühbirne nicht nur, welches Material das richtige sei. Er bezog das gesamte Umfeld mit ein:

Assoziation: Glühfaden

Frage: Welches Material ist für den Glühfaden richtig?

Assoziation: Form

Frage: Welche Form ist die beste für den Glühfaden?

Assoziation: Umgebung

Frage: Welche Umgebung ist für den Glühfaden die beste?

Assoziation: Spannung

Frage: Welche Spannung braucht der Glühfaden?

Wenn Sie wieder einmal auf der Denkautobahn im Stau landen, machen Sie es wie Thomas Edison: Entwickeln Sie einfach neue Assoziationen und neue Fragen.

Edisons dritter Schritt: Inspirationen suchen

Ohne Inspirationen kann der kreativste Mensch keine neuen Ideen entwickeln. Ein Unternehmen aus Bayern fand in der Medizintechnik Inspirationen für neue Kosmetikbürsten, ein Hersteller von Flaschenverschlüssen wurde in der Tauchtechnik fündig, Automobildesigner von Daimler holten sich bei der Entwicklung eines neuen Designs Anregungen vom Aussehen des Kofferfisches. Auch für Thomas Edison war klar: Bei der Suche nach neuen Ideen gehört der Blick über den Tellerrand zur Pflichtübung! Er sagte von sich selbst, er sauge "Ideen aus jeder Quelle" auf und sei "eigentlich mehr ein Schwamm als ein Erfinder".

In seinen Laboren arbeitete er an bis zu 40 Projekten parallel. So konnte er aus einem Projekt Inspirationen für ein anderes gewinnen. Die Glühbirne entstand aus dem Telefon. Edison nahm das Material, das im Telefonhörer funktionierte und probierte es aus. Mit Erfolg!

Viele neue Geschäfts-, Produkt- und Problemlösungsideen entstehen, indem bereits Bekanntes neu verknüpft wird. Was steckt zum Beispiel hinter der Geschäftsidee von Blacksocks.com, schwarze Socken im Abonnement zu verkaufen? Die Idee, das Abo-Konzept der Zeitschriftenverlage auf den Vertrieb von Socken via Internet zu übertragen. Und was tat Apple-Chef Steve Jobs, bevor er den ersten iMac in einem transparenten, farbigen Gehäuse auf den Markt brachte? Er kombinierte das innovative Gehäuse mit den Farben von Gummibärchen.

Der berühmte Blick über den Tellerrand hinaus lohnt sich aber meist nur, wenn er gezielt erfolgt. Das heißt, Sie sollten vorab wissen, wonach Sie suchen und worauf Sie deshalb Ihren Blick richten. Damit Ihr Blick nicht ziellos durch die Gegend schweift, sollten Sie, wenn Sie zum Beispiel in anderen Branchen oder fremden Disziplinen nach Lösungsansätzen suchen, wie folgt vorgehen:

- Stellen Sie sich zunächst eine Ausgangsfrage, die Ihr Problem umreißt (Steve Jobs fragte: "Wie kann ich meinen Computern ungewöhnliche Farben geben?").

- Leiten Sie aus dieser Frage eine allgemeine ab ("Wo findet man ungewöhnliche Farben?")

- Suchen Sie dann gezielt nach Lösungswegen ("Wie kann ich Know-how aus der Gummibärchenproduktion für das PC-Design nutzen?").

Edisons vierter Schritt: Geistesblitze erzeugen

Lassen Sie es jetzt in Ihrem Kopf funken! Edisons Formel für neue Ideen ist im Kern ganz einfach:

Ausgangsfragen + Inspirationen = Ideen.

Sie nehmen Ihr Ausgangsproblem, entwickeln Suchfragen, sammeln Inspirationen und kombinieren das Ganze miteinander. Immer wieder neu und immer wieder anders.

Thomas Edison fügte vorhandene Einzelteile, ähnlich wie beim Puzzeln, immer wieder neu zusammen, bis er die gewünschte Lösung oder gar mehrere gefunden hatte. Und mit der Zeit entwickelte er darin eine gewisse Expertise und Routine. Ein Geschäftsfreund sagte bewundernd über Thomas Edison: "Er dreht den Kopf, und die Dinge kommen aus ihm wie bei einem Kaleidoskop in den verschiedensten Kombinationen heraus - und die meisten davon sind patentierbar."

Falls Sie Startschwierigkeiten haben: Das ist normal. Dagegen gibt es ein einfaches Mittel: Druck! Zwingen Sie sich, aus Ausgangsfragen und Inspirationen mindestens 30 Ideen zu entwickeln. Idee Nummer eins bis zehn fällt Ihnen noch schwer, dann beginnt die Routine und spätestens ab Idee Nummer 25 wollen Sie nicht mehr aufhören.

Edisons fünfter Schritt: Kreative Konzepte entwickeln

Jetzt haben Sie Ihre guten Ideen. Sofort werden sie wieder verworfen, weil die Experten sagen: Das funktioniert nicht. Dabei könnten sie vielfach funktionieren, wenn sie zu fertigen Konzepten weiter entwickelt werden würden. Hier beginnt der Teil der Ideenfindung, der Konzeptkreativität genannt wird.

Was würden Sie sagen, wenn Ihre Lampe heute so aussehen würde: Direkt an der Glühlampe hängt eine schwere Batterie, die den Strom liefert. Von der Batterie aus fließt der Strom in einen Thermoregler, der dafür zuständig ist, die Temperatur im Inneren der Glühbirne so niedrig zu halten, dass der Glühfaden nicht durchbrennt. Das ist wichtig, denn wenn die Glühlampe durchbrennt, ist schlagartig die ganze Wohnung dunkel. So wie bei einer Weihnachtskette.

Dieses Modell war wirklich in Planung, doch es wurde nie umgesetzt. Denn Edison hatte einen Grundsatz: Ideen zu optimieren bis sie perfekt sind. Deshalb funktionierten seine Erfindungen. So beauftragte er einen seiner Mitarbeiter im Labor, ihm Konzeptskizzen für ein neues Bauteil zu entwerfen. Am Tag danach kam der Mitarbeiter mit drei Skizzen zurück. "Ist das alles?", fragte Edison. "Ja", sagte der Mitarbeiter, "das sind alle Varianten." Edison nahm die Skizzen, schloss sich zwei Tage ein und kam mit 50 Skizzen zurück. Alle verschieden, alle anders.

Erst wenn er die verschiedenen Umsetzungsmöglichkeiten genau vor sich sah und all ihre Variationen durchdacht hatte, entschied er sich für oder gegen eine Idee. Ähnlich können Sie vorgehen. Legen Sie sich nicht gleich auf ein Konzept fest! Fragen Sie sich, wenn Sie eine mögliche Problemlösung identifiziert haben: An welchen Stellen kann ich die Idee noch verändern?

Stellen Sie sich vor, Sie entwickeln Ideen für ein neues Getränk. Schreiben Sie mit Hilfe einer so genannten "morphologischen Matrix" alle Punkte auf, die Sie verändern können:

Verpackung: Flasche/Dose/Tetrapack/Design

Konsistenz: flüssig/perlig/gelartig/sprudeln

Geschmack: Himbeer/Kaffee/Rosenblüten/Caribic

Lebensgefühl: cool/gesund/erfrischt/familiär

Merken Sie, wie schnell Sie auf alternative Konzeptideen kommen? Alleine aus diesen 20 Begriffen können Sie weit über 200 verschiedene Kombinationen ableiten!

Edisons sechster Schritt: Zum Ideenverkäufer werden

Die beste Idee nützt Ihnen wenig, wenn Sie diese nicht erfolgreich verkaufen oder vermarkten können - zum Beispiel als Projektmanager Ihren Kollegen. Oder als Unternehmen den Händlern, die für Sie das Produkt vertreiben sollen.

Weil Edison dies wusste, erfand er nicht nur die Glühbirne. Er überlegte sich zugleich: Was ist nötig, damit diese auch (wirtschaftlich) ein Erfolg wird? Und danach entwickelte er das gesamte Umfeld, das für den Einsatz von Glühbirnen benötigt wird, mit - inklusive Kraftwerken, Leitungen und Messgeräten. Doch nicht nur dies! Er konzipierte zudem Marketing- und PR-Kampagnen, um seine Idee und die daraus resultierenden Produkte zu vermarkten.

Entsprechend sollten Sie vorgehen. Überlegen Sie, wenn Sie die Idee gefunden haben, zum Beispiel: Wen brauche ich als Unterstützer, um meine Idee zu realisieren? Mit welchen Argumenten kann ich diese Person oder Organisation für meine Idee begeistern und als Mitstreiter gewinnen? Entwickeln Sie also eine Strategie, um Ihre Idee zu vermarkten. Denn auch die beste Idee ist nur eine Idee, solange sie nicht realisiert wird. Erst nach ihrer Umsetzung können Sie die Früchte Ihrer Arbeit ernten.

Ideenentwicklung ist ein Handwerk, nicht mehr und nicht weniger. Man kann es lernen. Edison selbst hat es anderen beigebracht, die zu ihm in sein Labor kamen, um es zu trainieren. Edison machte übrigens nie einen Hehl daraus, dass dieses Handwerk anstrengend ist. "Genie ist ein Prozent Inspiration und 99 Prozent Transpiration", sagte er. Ein kreatives Rezept zum Weg aus der Krise. (oe)

Der Autor Jens-Uwe Meyer ist Inhaber des Trainings- und Beratungsunternehmens Die Ideeologen - Gesellschaft für neue Ideen mbH, Baden-Baden, und Autor des Buchs "Das Edison-Prinzip - der genial einfache Weg zu erfolgreichen Ideen.” (Frankfurt, Campus-Verlag, 2008).

Kontakt: Jens-Uwe Meyer, Tel.: 0700 4333-6783, E-Mail: meyer@ideeologen.de oder über Bernhard Kuntz, Büro für Bildung & Kommunikation, Tel.: 06151 896590, E-Mail: info@bildung-kommunikation.de, Internet: www.bildung-kommunikation.de