Abstimmung mit der Gesamtstrategie

Mit Zielen führen statt kontrollieren

02.03.2015 von Renate Oettinger
Das "Führen mit Zielen" erlebt seit einigen Jahren eine Renaissance, obwohl es zu den Klassikern unter den Managementkonzepten zählt. Ein Ursache hierfür sind die gewandelten Arbeitsstrukturen und -beziehungen in den Unternehmen, sagt Reiner Voss.

"Wir schulen zurzeit unsere gesamte Führungsmannschaft top-down zum Thema 'Führen mit Zielen'." Diese Aussage hört man seit einigen Jahren oft im Gespräch mit den Personalverantwortlichen von Unternehmen. Das überrascht, denn bereits 1954 stellte der 2005 verstorbene Peter F. Drucker das "management by objectives' (MbO) vor. Es zählt zu Klassikern unter den Managementkonzepten.

Führungskräfte haben die Aufgabe, die Firmenziele für die Mitarbeiter auf den Punkt zu bringen.
Foto: md3d - fotolia.com

Trotzdem entdecken aktuell viele Unternehmen das "Führen mit Zielen" neu - auch solche, in denen es seit Jahrzehnten zu den offiziellen Führungsinstrumenten zählt. Häufig verstaubte es jedoch nach einiger Zeit in der Schublade, vor allem weil bei der Anwendung oft Postulate nicht beachtet wurden, die mit dem MbO verbunden sind. So zum Beispiel Druckers Annahme: Die mit den Mitarbeitern vereinbarten Ziele müssen aus den Zielsetzungen des Gesamtunternehmens abgeleitet werden. Stattdessen formulierte jeder Bereich seine eigenen Ziele. Ein Abstimmen mit der Gesamtstrategie erfolgte nicht.

Die Mitarbeiter integrieren

Außerdem war Drucker überzeugt: Mit MbO können die Mitarbeiter in die Geschäftsprozesse integriert werden. Sind sie ins Formulieren der Ziele involviert, engagieren sie sich stärker für ihr Erreichen - zumindest wenn sie die nötigen Handlungs- und Entscheidungsspielräume haben. Insbesondere dieses Postulat gewann in den zurückliegenden Jahren an Bedeutung. Denn in ihnen wandelten sich die Arbeits-strukturen und -beziehungen in den meisten Betrieben radikal. So werden heute zum Beispiel zumindest in den Kernbereichen der meisten Unternehmen die Leistung in oft bereichs- und hierarchieübergreifender Teamarbeit erbracht.

Außerdem sollen die Mitarbeiter beim Wahrnehmen ihrer Aufgaben mehr Eigenverantwortung und -initiative zeigen. Das setzt voraus, dass sie die Ziele kennen, die es bei ihrer Arbeit zu erreichen gilt, und sich mit ihnen identifizieren. Denn nur dann zeigen sie das nötige Engagement

In der Vergangenheit beachteten zahlreiche Führungskräfte dieses Postulat nicht. Sie erachteten ihr Wissen um die Ziele vielmehr als eine Art Geheimwissen, mit dem sie sich und ihre Position legitimierten. Und ließen sie ihre Mitarbeiter an ihrem Wissen teilhaben, dann primär, um deren Leistung zu kontrollieren. Dadurch verkam das Führen über Ziele zu einem Formalismus, weil ihm das partnerschaftlich-kooperative Element fehlte.

Die eigenen Mitarbeiter befragen
Mitarbeiterbefragung
Von den eigenen Mitarbeitern kann man viel lernen – wenn man kluge Fragen stellt. Management-Consultant und Buchautorin Anne M. Schüller (www.anneschueller.de) präsentiert eine ganze Reihe an Fragen, mit denen Führungskräfte die Ist-Situation in der Zusammenarbeit mit ihren Mitarbeitern ermitteln können.
Fragen zum Ist-Zustand (I)
Was mir bei uns am besten gefällt, ist: …
Was mir bei uns am meisten fehlt, ist: …
Was sich an meinem Arbeitsplatz konkret verbessern ließe: …
Ich biete an, folgende Aufgaben zu übernehmen: …
Ich biete an, folgende Aufgaben abzugeben: …
Fragen zum Ist-Zustand (II)
Mein größter Wunsch an meine Führungskraft ist: …
Was wir für die Kunden noch tun könnten: …
Warum mir unser Unternehmen so wichtig ist: …
Was ich Außenstehenden über uns sagen würde: …
Woran ich bei mir selber arbeiten möchte: …
Fragen zum Ist-Zustand (III)
Wobei ich mir Unterstützung wünsche: …
Was mich bewegen könnte, noch lange hier zu bleiben: …
Was ich immer schon mal sagen wollte: …
Was mir besonders am Herzen liegt: …
Was man beim nächsten Mal noch fragen könnte: …
Fragen zur Ermittlung der Mitarbeiterloyalität
Ich kann mir gut vorstellen, noch länger hier zu arbeiten. Und dies, weil ….
Ich spreche mit Dritten (Bekannte, Freunde, Kunden) positiv über uns. Und dies, weil ….
Ich ermutige Interessenten, bei uns Kunde zu werden. Und dies, weil ….
Ich ermutige potenzielle Mitarbeiter, sich bei uns zu bewerben. Und dies, weil ….
Ich tue all dies nicht, weil …
Fokussierende Fragen
Welches sind die drei Dinge, die Sie sich von Ihrem Vorgesetzten am meisten wünschen?
Wenn es eine Sache gibt, die Sie unbedingt übernehmen wollten, was wäre das für Sie?
Wenn es eine Sache gibt, die Ihnen in Hinblick auf Ihre Arbeit als besonders nutzlos erscheint, die also wirklich niemandem etwas bringt, was wäre das für Sie?
Und wenn es eine Sache gibt, die wir im Interesse der Kunden unbedingt verändern sollten, was wäre da aus Kundensicht betrachtet das Wichtigste für Sie?
Frage ans Gewissen
"Lieber Mitarbeiter, stellen Sie sich vor, Sie wären unser Unternehmensgewissen. Was würden Sie uns sagen?"

Dieser Umgang mit dem Thema Zielvereinbarung ist falsch. Wird das "Führen mit Zielen" als Kontrollinstrument missbraucht, wäre es sinnvoller, zum alten Befehl-Gehorsam-Prinzip zurückzukehren, das die tayloristisch, also stark arbeitsteilig organisierten Betriebe der Vergangenheit prägte, in denen jeder Mitarbeiter eine Stellenbeschreibung hatte, in der exakt definiert war, was (nicht) seine Aufgaben sind. Denn dann geht just das verloren, was das "Management by objectives" laut Drucker auszeichnet. Den Mitarbeitern wird weder deutlich, in welchem Sinnzusammenhang ihre Tätigkeit steht, noch welche Bedeutung ihr Tun für den Erfolg des Unternehmens hat. Also entwickeln sie auch nicht das für das Er-reichen der Ziele nötige Engagement. Und schon gar nicht können sie in ihrem Arbeitsalltag ohne Rücksprache mit ihrem "Chef" Entscheidungen treffen, weil ihnen die nötige Orientierung fehlt.

Neuorientierung durch Wettbewerbs- und Innovationsdruck

Das haben zahlreiche Unternehmensführer erkannt. Eine zentrale Ursache hierfür war die strategische Neuorientierung vieler Unternehmen in Folge des hohen Wettbewerbs- und Innovationsdrucks, unter dem die meisten Betriebe heute stehen. In diesem Zusammenhang definierten die Topmanager auch die Kernkompetenzen und -prozesse ihrer Organisation neu. Die hiermit verbundenen strategischen Entscheidungen mussten sie den Mitarbeitern mitteilen; außerdem mussten sie ihnen vermitteln, welche Konsequenzen sich hieraus für ihre (Alltags-)Arbeit ergeben. Hierfür sind Zielvereinbarungsgespräche ein geeignetes Instrument.

Hinzu kommt: Aufgrund der flacheren Hierarchien in den Unternehmen haben die Führungskräfte heute meist größere Aufgabenfelder und Verantwortungsbereiche als in der Vergangenheit. Also müssen sie ihre Energien und Ressourcen sowie die ihrer Mitarbeiter stärker bündeln. Sonst erreichen sie ihre Ziele nicht.

Ziele, Maßnahmen und Aufgaben unterscheiden

Vor diesem Hintergrund entdecken viele Unternehmen das MbO neu. Sie nehmen das Führen mit Zielen zunehmend als Koordinations- und Kommunikationsinstrument wahr. Außerdem erkennen sie: MbO setzt eine bestimmte Unternehmenskultur voraus. Ein Führen mit Zielen gelingt nur, wenn im Unternehmen eine Vertrauenskultur besteht, in der alle Beteiligten offen miteinander kommunizieren - unter anderem damit Zielkonflikte vermieden beziehungsweise gelöst werden.

Hieraus resultiert zunächst eine höhere zeitliche Belastung der Führungskräfte. Sie müssen mehr Zeit in das Gespräch mit ihren Mitarbeitern investieren. Werden die vereinbarten Ziele anschließend jedoch von den Mitarbeitern getragen und kontrollieren sie deren Erreichen weitgehend selbst, gewinnen die Führungskräfte dadurch Freiräume und Zeit.

Inwieweit dies gelingt, hängt weitgehend von den Inhalten der Zielvereinbarungsgespräche ab. Oft reden Führungskräfte in den Gesprächen mit ihren Mitarbeitern mehr über Aufgaben und Maßnahmen als über Ziele. Eine zentrale Ursache hierfür: Vielen ist der Unterschied zwischen Zielen, Maßnahmen und Aufgaben nicht bewusst. Das liegt zum Teil an Schulungs- und Informationsdefiziten. Entscheidender ist aber: Die Entscheidungs- und Handlungsspielräume der Mitarbeiter werden in der Regel umso kleiner, je weiter man in der Unternehmenshierarchie nach unten kommt. Deshalb ist es auf der operativen Ebene (oder "ShopfloorEbene") oft schwer, mit den Mitarbeitern qualifizierte Ziele zu vereinbaren. Die Folge: In den Zielvereinbarungen werden häufig nur Aufgaben aufgelistet. Deshalb empfiehlt es sich im Betriebsalltag zuweilen, zwar mit allen Mitarbeitern Mitarbeitergespräche zu führen, Zielvereinbarungsgespräche aber (abhängig von der Unternehmensgröße) beispielsweise nur mit den ersten zwei oder drei Führungsebenen sowie den Verantwortlichen von Projekten.

13 Warnzeichen vor dem Unglück
13 Warnzeichen vor dem Unglück
Dirk Elsner gehen Ratgeber ja eigentlich auf die Nerven - nun schrieb er dennoch einen. Immerhin: Er beansprucht kein wissenschaftliches Niveau. Es folgen 13 Warnzeichen, die zeigen, dass Ihr Unternehmen auf dem Weg ins Unglück sein könnte.
1. Formalien interessieren mehr als Fakten:
In Gesprächsrunden beziehungsweise bei Feedbacks wird mehr über die Berichtsformate und Gestaltung von Powerpointfolien als über Inhalte diskutiert.
2. Präsentation vor Performance:
Beim Management punkten eher diejenigen, die (sich) gut präsentieren und weniger diejenigen, die gute Ergebnisse abliefern und sich für Sachlösungen einsetzen.
3. Recht vor richtig:
Vor (wichtigen) Entscheidung werden erst einmal Rechtsgutachten und Einschätzungen von Unternehmensberatungen und Wirtschaftsprüfern eingeholt.
4. Optimierungsprogramme erhalten putzige Namen, ...
... welche die tatsächlichen Ziele von Kostenkürzungen und Restrukturierungen verschleiern oder verniedlichen.
5. Abstimmung vor Durchsetzung:
Ausführlich betrachtet in dem Beitrag:
6. Extern vor intern:
Die Geschäftsleitung verlässt sich lieber auf Empfehlungen externer Berater als auf die der eigenen Führungskräfte und Mitarbeiter.
7. Kontrolle von Kreativität:
Die Compliance-Abteilung ist größer als die Produktentwicklung.
8. Kosten vor Wirkung:
In Ihrem Unternehmen streiten sich Abteilungen, wer welchen Anteil an den Kosten für den Kopierer trägt.
9. Leitsätze vorgelebter Kultur:
In Ihrem Unternehmen werden Leitsätze für eine Corporate Culture aufgehängt, aber nicht gelebt.
10. ISO-SIX vor Fähigkeit:
Das Management verspricht sich von formalisierten Guru-Moden wie Six Sigma oder auch ISO-Zertifizierungen, die Kosten und Qualität in den Griff zu bekommen.
11. Glattbügeln vor Anecken:
Das mittlere Management hält kritische Entwicklungen vom Vorstand fern, weil sie fürchten, beim Überbringen schlechter Nachrichten als schwache Führungskräfte zu gelten und negative Konsequenzen scheuen.
12. Sprache vor Handeln:
Mit der Gesprächskultur in Meetings lässt sich innerhalb von 3 Minuten ein Bullshit-Bingo gewinnen.
13. Star vor Core:
Ein vermeintlicher Management-Star wird als "Mr. Wirtschaftswunder" für die Unternehmensspitze angepriesen.

Ziele abstimmen und kommunizieren

Die vereinbarten Ziele müssen auch an die nachgeordnete Hierarchieebene und die Kollegen in den Unternehmensbereichen, mit denen die Beteiligten im Arbeitsalltag kooperieren, kommuniziert werden. Sonst ist kein ("cross-funktionales") Abstimmen der Ziele möglich. Hieran mangelt es in vielen Unternehmen. Dabei ist dieser Prozess extrem wichtig; denn in ihm werden alle Beteiligten sensibler für die Schnittstellen, an denen in der Regel die meisten Konflikte sowie Effizienzverluste entstehen.

Beim Einführen des MbO spielen die Top-Manager eine Schlüsselrolle. Sie müssen das "Führen mit Zielen" promoten. Aber auch nach der Einführung ist ihre aktive Mitarbeit gefragt. Denn ohne ein aktives Vorleben von oben erstarrt das System schnell in einem reinen Formalismus. Dann wird das Vereinbaren der Ziele von den Beteiligten als Zeitverschwendung erlebt, denn

Für das neue Führungsverständnis werben

Mit diesem Problem kämpfen viele Unternehmen. Immer wieder stellt man fest: Selbst in Unternehmen, in denen das Top-Management seit Jahren für das MbO wirbt, stehen nicht alle Führungskräfte voll hinter diesem Managementsystem, weil sie ein anderes Führungsverständnis haben. Dieses Manko kann nur behoben werden, indem das Top-Management weiterhin beharrlich hierfür wirbt; außerdem indem das Unternehmen seine Führungskräfte auch nach den Kriterien auswählt, fördert und entwickelt: Welche Kandidaten für qualifizierte Führungspositionen haben das Führungsverständnis, das wir uns in unserer Organisation wünschen, und verhalten sich im Betriebsalltag auch so?

Kontakt und weitere Infos: Reiner Voss ist Geschäftsführer des Trainings- und Beratungsunternehmens Voss+Partner, Hamburg (www.voss-training.de).

Hinweis: Am 15./16. Juni führt Voss+Partner in Hamburg ein offenes Seminar "Situativ führen" durch, in dem auch das Thema "Führen mit Zielen" erörtert wird. (Internet: www.voss-training.de; Tel.: 040/7900 767-0; E-Mail: kundenbetreuung@voss-training.de).