Tipps zur Niederlassungsgründung

Mitarbeiter in Osteuropa auswählen und binden

08.02.2013
Assessment-Center und Management-Audits müssen den kulturellen Bedingungen und den Marktbedingungen vor Ort angepasst werden. Dr. Michael Finkelstein nennt Details.
In Russland und anderen osteuropäischen Ländern erfolgt die Personalsuche nach anderen Kriterien als hierzulande.
Foto: Ronald Wiltscheck

Firmen, die in Osteuropa eine Niederlassung oder Filiale gründen, müssen vor Ort qualifizierte Mitarbeiter und Führungskräfte finden. Ein Instrument hierfür sind Assessment-Center und Management-Audits. Diese müssen den kulturellen Bedingungen und den Marktbedingungen vor Ort angepasst werden.

Bei der Erwerbsbevölkerung in den osteuropäischen Ländern und in der Russischen Föderation lassen sich drei Generationen unterscheiden:

- die ältere Generation, geboren zwischen 1950 und 1965,

- die "Perestroika-Generation", geboren zwischen 1965 und 1975, und

- die junge Generation zwischen 20 und 35 Jahren, geboren zwischen 1975 und 1990.

Hinzu kommt die Gruppe der Menschen unterschiedlichen Alters, die in der Vergangenheit aus ver-schiedenen Gründen ihre Heimatländer verließen und nun mit Expatriate-Status zurückkehren.

Die vier Gruppen unterscheiden sich in puncto Ausbildung, Qualifikation, Werte und im Beruf angewandte Soft-Skills. Verallgemeinert formuliert gilt:

- Die ältere Generation ist an Status und einem sicheren Arbeitsplatz, sozialem und politischem Engagement interessiert.

- Die "Perestroika”-Generation entscheidet sich für Einkommen, Familie, Status und Stabilität.

- Die jüngere Generation legt Wert auf finanzielle Anreize, Weiterbildung, Karrieremöglichkeiten, Flexibilität, Chancen, ins Ausland zu gehen, und Status.

- Die Expatriate-Gruppe zeigt großes Interesse an Verantwortung, Status, Aufstiegschancen, Stabilität und an Anerkennung der individuellen Leistung.

Auf den ersten Blick scheinen die für eine Auslandsinvestition infrage kommenden Länder einen un-problematischen Arbeitsmarkt zu haben. Doch die Realität sieht anders aus:

- Weil die Unternehmen sich auf einige große Städte und deren Umfeld beschränken, gibt es einen Mangel an qualifiziertem Büro- und Verkaufspersonal, zum Beispiel in Prag oder Warschau.

- Aufgrund der Cluster-Bildung in der Produktion fehlen an den anderen Standorten qualifiziertes und unqualifiziertes Personal. Zum Beispiel liegt die offizielle Arbeitslosenrate in den Regionen, in denen die Automobilindustrie (VW, Volvo Lkw, Peugeot/Citroen) und ihre Zulieferer (Magna, Lear) beheimatet sind, bei unter 0,3 Prozent.

- Es gibt keine nennenswerte "Kultur” der Migration zu den Orten, wo die Arbeit ist. Zudem ist die Tradition, an seinem Geburtsort zu bleiben und zu leben, sehr stark.

Das passende Personal suchen und auswählen

Für deutsche Unternehmen, die in Osteuropa oder Russland Fuß fassen wollen, haben sich Assessments und Management-Audits als Personalsuche- und -auswahlinstrumente bewährt. Beim Gestalten des Assessment-Prozesses müssen jedoch einige Besonderheiten beachtet werden.

Im deutschsprachigen Raum basieren fast alle modernen, maßgeschneiderten Assessment-Prozeduren auf dem Kompetenzprofil von Werner Sarges. Das Kompetenzprofil für Fachkräfte und Experten besteht hiernach aus den vier Hauptblöcken "Persönlichkeit und soziale Kompetenz", "Fachkompetenz und Leistung", "kognitive und methodische Kompetenz" sowie "Kommunikation und Soft Skills". Das Kompetenzprofil für Manageraufgaben ist differenzierter. Es besteht aus den gleichen Blöcken wie das für Fachkräfte, aber mit einem anderen Fokus, und schließt den Führungskräfteblock "Führungskompetenz und Motivation zu führen" ein.

Die Kompetenzblöcke werden jeweils auf definierte Kriterien heruntergebrochen. So kann das Kompetenzprofil für bestimmte Aufgaben auf verschiedenen Ebenen beurteilt werden. So umfasst zum Beispiel der Kompetenzblock "Kognitive und methodische Kompetenz” unter anderem Parameter zu den Bereichen Entscheidungsfindung, Problemlösung, Lernfähigkeit, Konzentration, Ursache-Wirkungs-Analyse sowie Kreativität und Wahrnehmung. Jeder dieser Aspekte wird weiter auf einzelne Verhaltensanker heruntergebrochen; das hilft den Beobachtern, die Leistung der Kandidaten zu evaluieren und zu beurteilen.

Diese Evaluation der Kompetenzen liefert valide und objektive Ergebnisse im deutschsprachigen Raum. Doch wie sieht es hiermit in den osteuropäischen Ländern und in Russland aus?

Assessment-Prozess in Osteuropa und Russland

Hier laufen Assessment-Prozesse und Management-Audits schief, wenn sie sich auf die genannten Hauptblöcke beschränken. Weitere Kriterien müssen berücksichtigt werden.

a) Haupt-Zusatzkriterium "wirtschaftlicher Hintergrund":

Ein Assessment der Faktoren, die die Profitabilität eines Unternehmens bestimmen, ist sehr wichtig. Denn einige Generationen im Osten neigen dazu, diese Parameter zu ignorieren.

- Die ältere Generation zeigt einen Mangel an Bewusstsein für ökonomische Belange. Dies ist zum einen der früheren Planwirtschaft geschuldet, in der kein Wert auf Profitabilität gelegt wurde, zum anderen dem Statusbewusstsein dieser Generation. Denn es ist eine Tradition, seinen Reichtum zu zeigen und sich teure Dinge zu kaufen, die man sich kaum leisten kann, was eine Kosten-Nutzen-Kalkulation entbehrlich macht.

"Schnelles Geld" machen

- Die "Perestroika”-Generation hat gelernt, Geld in einem sich ändernden Umfeld zu verdienen. Sie versucht häufig, "schnelles Geld” zu machen, das gleichbedeutend ist mit "erzieltem Gewinn". In Polen, Russland und der Slowakei sind beispielsweise die meisten wegen Steuerhinterziehung oder Betrug mit Firmen mit Sitz im Ausland verurteilten Personen zwischen 46 und 58 Jahre alt.

- Die junge Generation ist sich der finanziellen Belange bewusst, da sie dieses Wissen bereits in der Schule und der Universität vermittelt bekam. Dieses bleibt häufig jedoch sehr theoretisch, da die Firmen in der Regel keine Analyse der finanziellen Zusammenhänge und Abhängigkeiten auf der untergeordneten Hierarchieebene betreiben.

- Die Expatriate-Zielgruppe verfügt über das größte Bewusstsein für diesen Faktor. Trotzdem ist selbst in dieser Gruppe das Bewusstsein für die finanziellen Belange häufig gering, insbesondere bei den Spezialisten mit überwiegend technischem Fachwissen.

b) Haupt-Zusatzkriterium "Projektmanagement":

Projektmanagement verlangt unter anderem folgende Fähigkeiten: Projektkonzipierung, Entwurf eines Projektplans, Ressourcenplanung, Zeitdisziplin, Termintreue und Durchführung von Kommunikationsplänen. In Osteuropa und Russland müssen beim Assessment-Prozess und im Management-Audit folgende generationsbedingten Besonderheiten beachtet werden:

- Die ältere Generation zeigt Verständnis für große Projekte mit einer langen Laufzeit. Mittelfristige und kurzfristige Projekte hingegen werden häufig als weniger wichtig angesehen und die meisten Kandidaten sind nicht motiviert, diese umzusetzen

- Die "Perestroika”-Generation verfügt über eine sehr pragmatische, manchmal sogar intuitive Herangehensweise im Umgang mit Projekten; man improvisiert gern, hat aber keine strukturierten Projektfähigkeiten.

- Die junge Generation zeigt recht gute Projektmanagementfähigkeiten, doch häufig unterschätzt sie die Bedeutung der Planungsphase. Zunächst wird ohne viel Planung und detaillierte Analyse agiert, und führt das nicht zum Ziel, wird das Projekt umdefiniert und überarbeitet. Mehrausgaben bei den Ressourcen und Veränderungen im Zeitrahmen sind die Folge. Daher ist das Assessment dieser Fähigkeit in dieser Zielgruppe besonders wichtig.

- Die Expatriate-Zielgruppe verfügt aufgrund ihrer Arbeitserfahrung in westlichen Firmen meist über gute Projektmanagementfähigkeiten. Trotzdem kann eine gewisse "Ermüdung” ("Das haben wir ja schon so oft gemacht") beobachtet werden mit der Folge, dass der persönliche Vorteil höher eingeschätzt wird als das Projektergebnis.

Interkulturelle Kompetenz

c) Haupt-Zusatzkriterium "Interkulturelle Kompetenz":

Interkulturelle Kompetenz ist die Kompetenz zum Kommunizieren, Betreiben und Erreichen von Ergebnissen in einem länderübergreifenden Umfeld. Dazu gehören auch kognitive Aspekte, etwa die Fähigkeit zu lernen, die Bereitschaft, andere Lebens-, Arbeits- und Verhaltensweisen zu akzeptieren, sich anzupassen, also insgesamt offen zu sein.

Bei diesem Zusatzkriterium für Osteuropa und Russland gibt es ebenfalls generationsbedingte Besonderheiten des Assessment-Prozesses und des Management-Audits

- Die ältere Generation hat wenig Gefühl für interkulturelle Kompetenz. In der Sowjetzeit war Russland das bestimmende Land, und die ältere Generation pflegt noch immer diese Einstellung und erwartet von anderen, sich anzupassen. Das Verständnis für verschiedene Kulturen ist gering. Deshalb muss besonders bei dieser Zielgruppe diese Fähigkeit gemessen und beurteilt werden.

- Die "Perestroika”-Generation hat auf die harte und praktische Weise gelernt, diesen Aspekt im geschäftlichen Umgang mit Ausländern zu beachten - durch Fehler und verlorene Aufträge. Niemand vermittelte ihnen das diesbezügliche Wissen, es ließ sich nur aus Erfahrungen beziehungsweise intuitiver kognitiver Kompetenz sowie aus menschlichen Interaktionen ableiten. Das Assessment dieser Kompetenz ist deshalb in dieser Gruppe von besonderem Interesse.

- Die junge Generation betrachtet diese Fähigkeit als vorhanden, solange sie nicht mit ernsthaften Projekten auf einem internationalen Level konfrontiert wird. Wenn die Vertreter dieser Generation diese Fähigkeit als selbstverständlich annehmen, sind sie häufig von den gemachten Erfahrungen frustriert. Beim Auditieren dieser Kompetenz ist zu prüfen, wie sie mit Frustration umgehen, wie sie lernen und ob sie motiviert sind, fortzufahren und ihre Ziele zu erreichen.

- Die Expatriate-Zielgruppe zeigt eine komplett andere Tendenz als die ältere Generation. Ihr Be-zugswert wird durch den Standard in westlichen Ländern, in denen sie arbeiteten, charakterisiert. Sie erwarten, dass die lokalen und nativen Kulturen sich entsprechend anpassen und ihr Verhalten ändern. Das führt zu zahlreichen Konflikten, in denen sie Hartnäckigkeit und wenig Kompromissbereitschaft zeigen.

Zusatzkriterium "Einfluss der Kultur"

Des Weiteren sind beim Planen, Gestalten und Durchführen von Assessments und Audits folgende Spezifikationen und Beschränkungen der osteuropäischen Kultur zu beachten.

Beziehungsorientierte Geschäftskultur:

Anders als westeuropäische Länder agieren Firmen in Osteuropa und Russland nicht auf Basis einer zielgerichteten Geschäftskultur, sondern einer beziehungsorientierten. Statt Motivation und Effizienz aus dem Erreichen eines Ziels zu ziehen, ziehen sie ihre Effizienz und Motivation aus einer guten persönlichen Beziehung. Das bedeutet: Der Prozess ist langsam, solange keine Beziehung aufgebaut ist, und er gewinnt an Effizienz, wenn eine Beziehung besteht. Betrachtet man das Projektmanagement, heißt das, dass zum Beispiel beim ersten Projekt zunächst einmal 150 Prozent mehr Zeit benötigt wird, um die Ziele zu erreichen. Ist aber erst mal ein gemeinsames Projekt gelaufen und ist die Beziehung aufgebaut, kann das nächste in weniger als 100 Prozent der Zeit durchgeführt werden. Bezogen auf das Assessment übt dies Einfluss auf Aspekte wie "Umgang mit Informationen”, "Umgang mit Fehlern" und, aus der Motivationsperspektive betrachtet, "Mut zu Entscheidungen" aus.

Information als Instrument der Machtausübung:

Information wird in Osteuropa oft als Instrument der Machtausübung eingesetzt. Daher erhalten viele Angestellte keine Informationen und wissen auch nicht, warum sie bestimmte Aufgaben erledigen. Das führt zu einem Verlust an Effizienz und zur Durchführung falscher Tätigkeiten. Es gibt keinen Raum für Fehler, und häufig werden die Angestellten für Fehler bestraft. Deshalb treffen sie Entscheidungen nicht selbst, sondern verlagern diese auf die nächsthöhere Managementebene. Das macht den Entscheidungsfindungsprozess langsam und ineffizient. Dieses Verhalten sollte bei allen Teilnehmern beurteilt werden.

Unsicherheitsvermeidung:

Die Menschen streben nach Sicherheit und Stabilität. Das macht es für die Unternehmen einfach, ihre Angestellten durch Stabilität und sicheres Einkommen an sich zu binden. Es bedeutet aber gleichzei-tig ein geringes Interesse am Unternehmertum und eine geringe Bereitschaft zu Veränderungen. Die-se Dimension sollte beim Assessment und beim Audit berücksichtigt werden. Sie kann heruntergebro-chen und unter Aspekten wie "Bereitschaft zu Veränderung", "Bereitschaft, sich anzupassen" und "Be-reitschaft, aktiv die Umwelt zu gestalten" analysiert werden.

Sicherheit als Motivationsfaktor

Motivation nur durch Sicherheit:

Motivationsaspekte spielen in den östlichen Ländern eine sehr große Rolle, da viele Menschen nur nach einer sicheren Arbeit suchen und durch diese Sicherheit motiviert sind. Die Motivation, aktiv den Prozess zu gestalten, ist gering. Daher sind wichtige Aspekte wie "Bereitschaft zu lernen", "proaktive Erweiterung der Erfahrung” und "Mut zur Entscheidungsfindung” von größter Wichtigkeit beim Assessment und Audit.

Abweichendes Führungsverständnis:

Die Erwartungen an den Führungsstil variiert im Osten sehr deutlich. In Polen, Tschechien, Ungarn, Slowenien und der Slowakei ist die individuelle Leistung wichtiger ist als die der Gruppe, in Russland, Rumänien und Bulgarien hingegen wird die Leistung des Teams höher bewertet als die Leistung des Einzelnen. Diese Faktoren können mit den Aspekten "Teamkompetenz” und "Kooperationsfähigkeit” gemessen werden.

Fazit

Deutsche Firmen, die im östlichen Ausland Fuß fassen und geeignete Mitarbeiter sowie Führungskräfte finden und binden wollen, müssen den Assessment-Prozess und ihre Management-Audits modifizieren. Denn die osteuropäischen Kulturen prägen die Arbeit und das Arbeitsumfeld der Menschen und müssen in die Beurteilung der Zielgruppen mit einfließen. (oe)

Der Autor Dr. (Rus) Michael Finkelstein arbeitet als Senior Berater für den Leadership-Development-Bereich der Unternehmensberatung Dr. Kraus & Partner, Bruchsal. Er beschäftigt sich mit der Auswahl, Bewertung und Weiterbildung des Managements in mehreren größeren und mittelständischen Unternehmen, national und international. Sein Arbeitsschwerpunkt liegt in Russland und Ost-Europa.
Kontakt:
Tel.: 07251 989034, E-Mail: info@krauspartner.de, Internet: www.kraus-und-partner.de