Betriebliches Gesundheitsmanagement

Mitarbeitergesundheit ist Chefsache

30.01.2013
Unternehmen, die langfristig wettbewerbs- und zukunftsfähig bleiben wollen, sollten ihre Mitarbeiter als langfristigen Wert betrachten. Hierzu gehören auch ihre Leistungsfähigkeit und Gesundheit, sagt Dr. Roman Schenk von Protegia im Interview.

Herr Dr. Schenk, in ihrer Studie berichten Sie von einer positiven Entwicklung: zwischen 2007 und 2012 hat sich die Zahl der Unternehmen, die ihren Mitarbeitern Angebote zum Thema Stressmanagement und Entspannung unterbreiten, verdoppelt. Zugleich steigt aber die Zahl der Burn-out-Betroffenen. Wie passt das zusammen?

Dr. Roman Schenk: Zum einen wachsen die Ansprüche der modernen Arbeitswelt, die zunehmend von Mobilität und Flexibilität geprägt ist. Der Druck auf die Mitarbeiter steigt durch die ständige Erreichbarkeit (mobile Geräte) und die fehlende Abgrenzung zwischen Privat- und Arbeitsleben, die Arbeitsdichte nimmt zu. Hinzu kommen Defizite in der Unternehmens- und Führungskultur. Immer mehr Menschen sind betroffen, Präsentismus und Fehltage sind in den letzten Jahren drastisch gestiegen.

Burn-out ist keine Krankheit, sondern eine Belastung des Köpers, die mit den unterschiedlichsten Symptomen wie Müdigkeit, Rückenschmerzen, Antriebslosigkeit, häufige Infekte, u.v.m. einhergehen kann. Das Zusammenspiel verschiedener Symptome bildet das Syndrom Burn-out, welches von Ärzten verstärkt erkannt und entsprechend behandelt wird.

Die Mehrheit der Unternehmen sieht den Nutzen von BGM unter anderem auch in einer steigenden Attraktivität bzw. einem Imagegewinn ihres Unternehmens. Sind Angebote, die vor allem als eine Art Marketinginstrument gesehen werden, denn überhaupt ernst zu nehmen?

Schenk: Es ist bekannt, dass sich Unternehmen aufgrund des sich anbahnenden Fachkräftemangels für Mitarbeiter attraktiver aufstellen müssen. In der Zukunft wird der Arbeitnehmer zunehmend die Wahl für ein Unternehmen treffen und nicht umgekehrt.

Jedes Unternehmen sollte daher ein gesteigertes Interesse daran haben, die Leistungsfähigkeit seiner Arbeitnehmer zu erhalten bzw. sogar zu steigern. Der richtige Ansatz liegt in der Motivation und Wertschätzung, die an die Arbeitnehmer transportiert wird. In der Ganzheit überzeugen heißt: ein nachhaltiges BGM in die Unternehmenskultur einzubeziehen, die auf Wertschätzung, Anerkennung und Motivation ruht. BGM ist eine Managementaufgabe.

Ernst zu nehmen sind die Maßnahmen, die einen psychologischen oder körperlichen Nutzen für die Mitarbeiter herbeiführen und somit zu einer lohnenden Investition für Arbeitgeber und Arbeitnehmer werden.

Bedarf oder Angst?

Nehmen die Arbeitnehmer nach Ihren Erfahrungen solche Angebote überhaupt an? Oder haben viele der Betroffenen nicht eher Angst, dass sie dadurch eine Schwachstelle zeigen und somit eine Angriffsfläche bieten?

Schenk: Besonders psychische Erkrankungen sind noch immer ein Tabu-Thema, welches aber durch die Medien und Prominente, die sich outen, langsam "gesellschaftsfähig" wird.

Wie viele Mitarbeiter BGM-Angebote des Unternehmens nutzen, hängt sehr stark von der Unternehmens- und Führungskultur ab. Führungskräfte, die ihre Mitarbeiter auf einen "Stress-Workshop" schicken, ihn aber selbst "nicht brauchen" sind ein schlechtes Vorbild und bewirken oft das Gegenteil. Ein aktives Vorleben des BGM durch die Führungskraft, wiederholte Hinweise auf das Angebot, kommunizierte Unternehmensziele - heruntergebrochen auf jede Ebene im Unternehmen - sowie Wertschätzung und Anerkennung lassen die Teilnahme steigen.

BGM-Maßnahmen können in unterschiedlicher Weise angeboten werden. In einem Gruppen-Seminar lernen die Teilnehmer, dass ihr Problem kein Einzelfall ist. Erfahrungen werden ausgetauscht und neue Bewältigungsstrategien erlernt. Bei EAP(Employee Assistance Program)-Angeboten wie z.B. Telefon-Coachings durch einen externen Dienstleister ist die Hemmschwelle sich zu öffnen, oft niedriger. Der Mitarbeiter bleibt gegenüber seinem Arbeitgeber anonym und wird individuell beraten.

Ohne Motivation geht es nicht. Eine erfolgreiche Teilnahme wird ein Unternehmen nur dann verbuchen, wenn die Angebote für jeden sichtbar und zugänglich gemacht werden, z.B. über das Intranet, über Aushänge in der Kantine, über direkte Email-Ansprache durch die Führungskraft oder über einen persönlichen Erfahrungsbericht eines Teilnehmers. Wenn im Unternehmen an den Werten, Einstellungen, dem Bewusstsein und der Haltung gearbeitet wird, werden auch viele Mitarbeiter ein Angebot nutzen.

Wenn von BGM-Maßnahmen die Rede ist, dann meist in Zusammenhang mit Stressprävention. Das passt zur aktuellen Burnout-Debatte, hinterlässt aber auch den Eindruck, es gehe auch hier letztendlich nur um Trends. Wären nicht auch BGM-Maßnahmen sinnvoll, die auch das Leben außerhalb des Büros miteinbeziehen? Rauchentwöhnungsprogramme, Sportförderung und vielleicht sogar Kochkurse, die den gesunden Lebenswandel insgesamt fördern?

Schenk: Es ist richtig, dass Stressprävention das aktuelle Thema in den Medien ist. Unter BGM versteht man aber Kernthemen wie: Beruf + Familie, Gesundheit und Prävention, Sicherheit und Ergonomie, Sport und Bewegung, gesunde Ernährung, Suchtprävention.

Die Punkte, die Sie aufzählen sind ein kleiner Teil der Möglichkeiten eines BGM’s. In EAP-Angeboten wird auch Schuldner- und Rechtsberatung angeboten. BGM Maßnahmen reichen weit in das Privatleben hinein. Wer private Probleme hat, trägt diese mit in die Arbeit und umgekehrt. Die wenigsten von uns können eine klare Trennung vollziehen. Wenn z.B. ein Elternteil plötzlich pflegebedürftig wird stellt das den Arbeitnehmer oft vor eine schier unlösbare Aufgabe. Hier helfen Angebote zum Thema Elder Care.

Die beliebtesten Maßnahmen

Welche BGM-Maßnahmen werden laut Ihrer Studie denn am häufigsten in Unternehmen angeboten?

Schenk: Die Maßnahmen zur Stressreduktion und Entspannung stiegen im Jahr 2012 auf 58 Prozent an. Im Vergleich dazu lagen die Werte im Jahr 2007 bei 28 Prozent. Das Thema Bewegung war schon immer hoch im Kurs. 81 Prozent der Befragten bieten Maßnahmen für Herz-Kreislauftraining /Betriebssport an. 65 Prozent unterstützen ihre Mitarbeiter durch Muskelaufbautraining wie z.B. durch Rückenschulungen.

Sind das auch die, die Ihrer Ansicht nach die wirkungsvollsten Maßnahmen sind?

Schenk: BGM-Maßnahmen müssen individuell auf Unternehmen zugeschnitten werden. Je nach Struktur (mehrere Standorte, Internationalität, Vertrieb, Produktion, etc.) greifen unterschiedliche Maßnahmen. Ein Generalkonzept für alle gibt es nicht.

Online-Gesundheitschecks bieten z.B. die Möglichkeit, die Leistungsfähigkeit und Gesundheit der Belegschaft kumuliert und anonymisiert zu ermitteln. Dadurch können Prozesse optimiert und BGM-Maßnahmen zielgerichtet geplant und implementiert werden. Nur dann kann es wirkungsvoll sein.

Apropos Wirkung: Haben BGM-Maßnahmen in einem Unternehmen überhaupt eine Wirkung? Eine Stunde Betriebssport wird die Gesundheit des Mitarbeiters doch kaum so stark beeinflussen, dass er insgesamt gesünder lebt?

Schenk: Unternehmen, die langfristig wettbewerbs- und zukunftsfähig bleiben wollen, sollten ihre Mitarbeiter als langfristigen Wert betrachten. Hierzu gehören auch ihre Leistungsfähigkeit und Gesundheit - beides lässt sich dauerhaft nur durch Maßnahmen des BGM stärken und aufrechterhalten. Ein strategisch geplantes BGM ist "Chefsache" und muss auf oberster Ebene im Unternehmen aufgehängt sein. An der Konzeption und Umsetzung sind interne Steuerungskreise zusammen mit externen Beratern, Führungskräften und nicht zuletzt alle Mitarbeiter beteiligt.

Es gibt verschiedene Möglichkeiten, um die Wirkung der eingesetzten Maßnahmen zu messen. Dazu gehört die wissenschaftliche Evaluierung von Maßnahmen durch standardisierte Instrumente wie z.B. den Work-Ability Index (WAI). Auch firmeninterne Mitarbeiterbefragungen sind ein gängiges Tool. (oe)
Dr. Roman Schenk ist Gründer und Geschäftsführer der Protegia GmbH, eines Dienstleistungs- und Beratungsunternehmens zum Betrieblichen Gesundheitsmanagement in Unternehmen.
www.protegia.de