Auf die Führungskraft kommt es an

Motivationsfaktor Authentizität

19.03.2018 von Cornelia Weber-Fürst
Wir alle denken, dass wir authentisch sind. Aber zu was sind wir authentisch? Zu unseren Mustern und Prägungen. Wir alle haben die eigentliche Wahrhaftigkeit auf die ein oder andere Weise aufgegeben. Und sie fehlt uns für unsere innere Ausgeglichenheit und das Wohl unserer Gesellschaft und Wirtschaft.

Jeder schätzt Authentizität. Und seit vielen Jahren wissen wir auch, dass die Authentizität einer Führungskraft einer der wichtigsten motivationserhaltenden Faktoren für Mitarbeiter ist. Wir erleben uns selbst die meiste Zeit authentisch. Nicht authentisch sind immer nur die anderen. Nur selten verstellen wir uns aus einem bewussten Grund. Dennoch scheint Authentizität etwas zu sein, das wir bei anderen meist nicht deutlich erleben. Wir heben es als etwas Kostbares hervor, wenn wir es an anderen erleben.

Laufen die Dinge nicht so wie geplant, regen sich viele Mitarbeiter auf, weil sie sich hilflos fühlen.
Foto: fizkes - shutterstock.com

Dieses Phänomen liegt an unserer Unbewusstheit über unser Ego und die Wahrnehmungs- und Handlungsmöglichkeiten jenseits der Ego-Struktur. Wir sind genauso wie jeder andere authentisch zu unseren Wahrnehmungsmustern, Orientierungsmustern, Kommunikationsmustern und Emotionen und Bedürfnissen, was alles Teil unserer Ego- bzw. Persönlichkeitsstruktur ist. Es fühlt sich für uns zum Beispiel sehr authentisch an, wenn wir uns über den Kollegen ärgern und unsere Konsequenz ziehen. Wir sind dabei jedoch nur zu unserer Prägung authentisch, die uns leider kaum Spielraum lässt, das wahrzunehmen und zu betrachten, was ist, ohne Interpretations- und Reaktionsmuster. Da es schwer ist, davon Abstand zu nehmen, geben wir uns damit zufrieden mit einem "so bin ich halt" - im Beispielfall wäre das vielleicht ein Gedanke wie "Dann muss er einfach alleine klarkommen. Ich kümmere mich ab jetzt nur noch um mein Zeug." Und das finden wir authentisch an uns selbst.

Wenn wir andere erleben mit ihren Mustern, erleben wir sie oft nicht ausgesprochen authentisch und beziehen uns damit auf eine andere, tiefere Art von Authentizität, die mit dem eigentlichen Wesen, dem Ursprünglichen, dem Menschlichen, dem Wahrhaftigen.

Drei Beispiele aus dem Arbeitsalltag

Wir erleben z.B., dass sich die Kollegin schon wieder aufregen muss, würden es aber deutlich authentischer erleben, wenn sie einfach mal sagt, dass sie sich hilflos fühlt, wenn Dinge nicht so sind, wie geplant.

Oder wir erleben, dass der Chef wieder mit seiner Lösungsorientierung unterwegs ist, anstatt einfach anzuerkennen, dass Dinge schwierig sind.

Oder wir erleben, dass der Kollege schon wieder die Hände in den Schoß legt und abwartet, statt zu sagen, dass er den Zugang zu den aktuellen Geschehnissen verloren hat und unsicher ist, was der richtige Schritt ist.

All dies ist nicht üblich im (Berufs-)Leben. Wir haben aufgehört zu spüren bzw. spüren zu wollen, wie etwas auf uns wirkt. Wir haben aufgehört, bei einer unangenehmen Empfindung zu bleiben. Wir haben aufgehört, uns ernst zu nehmen. Und wir haben schon gar nicht angefangen, unsere innere Wahrhaftigkeit anderen vermitteln zu wollen.

Unbewusste Navigationsstrategie

Stattdessen nutzen wir das, was wir uns als psychologische Navigationsstrategien fürs Leben unbewusst gebaut haben. Es ist vertraut. Es fühlt sich dadurch sicher an - existenziell und sozial. Es ist förderlicher fürs Image. Wir gehen innerlich und äußerlich in den Rückzug oder mit unserer Aufmerksamkeit zu betäubend Angenehmerem und mit unseren Äußerungen in vermeintlich souveräne und kompetente Gutmensch-Darstellungen.

In irgendeiner Weise hat jeder von uns die Wahrhaftigkeit aufgegeben. Und das ist es, was wir anderen als fehlende Authentizität übelnehmen.

Es braucht bei jedem von uns eine bewusste Entscheidung, die innere Wahrheit der Gewohnheit und dem psychologischen Schutzmantel vorzuziehen, wach zu werden, hin zu schauen, ernst zu nehmen. Wer das nicht tut, braucht bzgl. fehlender Authentizität nicht auf andere zeigen.

Im Coaching werden viele wichtige Erkenntnisse dadurch erzeugt, dem Coachee ein Bewusstsein über das zu ermöglichen (eine der ICF-Kernkompetenzen), was eigentlich für ihn selbst stimmig und wahrhaftig ist und welche Muster ein dazu angemessenes und authentisches Verhalten verhindern. Je stärker die Bewusstheit dazu ist, umso weniger können diese Ego-Gewohnheiten greifen. Wir "wachen auf".

Authentisch ist übrigens nicht mit unangenehm oder problematisch gleich zu setzen. Dieser Gedanke kommt nur dadurch auf, dass wir mit der Ego-Orientierung meist gefällig sind, es anderen leicht machen und souverän wirken wollen. Authentisch ist alles: Leicht und schwer, lustig und ernst, kompetent und überfordert, etc. Authentizität braucht die Wahrnehmung im Moment, eine von eigenen Ego-Bedürfnissen und -Mustern unbeeinflusste Präsenz und ein grundsätzliches "Ja" zu dem, was ist.

Mangel an Wahrhaftigkeit bekämpfen

Wie lange können wir uns in der Gesellschaft und in der Wirtschaft den bisherigen Mangel an Wahrhaftigkeit noch leisten?

Wer immer anfängt, findet schnell Gleichgesinnte. Wahrhaftigkeit und Authentizität sind wie Kerzenlicht in einem dunklen Raum: Selbst wenn die Quelle klein ist, sie beeinflussen alles positiv.

Wahrhaftigkeit ist nicht immer leicht zu hören - das muss uns dabei bewusst sein.

Was sagt man darauf? Einen platten Trost? Den will keiner. Wir wollen auch für unsere Wahrhaftigkeit nicht stigmatisiert werden. Wer Wahrhaftigkeit und Authentizität in sein Team oder seine Lebensumgebung einführen möchte, hilft am besten zu Anfang den anderen aus dieser Überforderung im Gespräch, in dem er mit einem kurzen Statement beschreibt, dass es ihm wichtig ist, hier wahrhaftig zu sein. (OE)