Interview

msg und Plaut - Seniorenhochzeit im Softwaremarkt

21.11.2011 von Uwe Küll
Mit Hans Zehetmaier, Vorstandsvorsitzender der msg Systems AG, und Johann Grafl, Vorstandsvorsitzender der Plaut AG, über die Auswirkungen der Integration von Plaut in den msg-Systems-Konzern.
Plaut ergänzt msg Systems ideal - sagt msg-Vorstand Zehetmaier

Hans Zehetmaier, Vorstandsvorsitzender der msg Systemhaus AG, und Johann Grafl, Vorstandsvorsitzender der Plaut AG, erläutern die Auswirkungen der Integration von Plaut in den msg-Systems-Konzern.
Das Interview führte Uwe Küll (freier Journalist) für die ComputerWoche

CW: Herr Zehetmaier, im September hat die msg Systems AG 28,4 Prozent der Aktien der Plaut AG erworben. Die Versicherungswirtschaft, in der msg Systems den meisten Umsatz macht, stellt auch für Plaut eine Kernzielgruppe dar. Gibt es da nicht jede Menge Überschneidungen?

Zehetmaier: In der Übernahme von Plaut sehen wir mehr Komplementärthemen als Überschneidungen - auch in der Versicherungsbranche, einem unserer Schlüsselmärkte. Wir sind im Herzen der Versicherungsbranche, in den Core-Systemen, zuhause. Damit meine ich: Partnersysteme, Vertragsverwaltungssysteme, Produktsysteme, Leistungssysteme. Plaut ist mehr in Corporate Finance, Planung, Treasury und Konsolidierung unterwegs.

So ergänzen wir uns jetzt gegenseitig und können End-to-end-Prozesse abbilden. Aber es geht natürlich nicht nur um die Zusammenarbeit in der Versicherungsbranche. Plaut hat generell im Bereich Corporate Finance und Analytics eine starke Position. Das hilft uns in allen acht Schlüsselmärkten, in denen wir aktiv sind. Hinzu kommen der Marktzugang in Tschechien, Polen, Rumänien und Russland - wo Plaut bereits vertreten ist.

CW: Welche Aspekte waren entscheidend für die Übernahme?

Zehetmaier: Wir sehen uns als Mittelständler, als großer Kleiner und nicht als kleiner Großer. Wir wollen auf Basis von Eigen- und Selbstfinanzierung vor allem organisch wachsen. Wenn wir eine Übernahme tätigen, dann geht es vor allem um die Umsetzung unserer Strategie. Im Falle von Plaut stand die Ergänzung unseres Leistungsspektrums im Vordergrund.

CW: Sie positionieren msg Systems als produktbasierten Branchenspezialisten. Was bedeutet das und welchen Beitrag zu dieser Positionierung liefert Plaut?

Zehetmaier: Unsere Unternehmensgruppe unterscheidet sich von vielen Mitbewerbern dadurch, dass wir in den Bereichen, in denen wir beratend tätig sind, auch Produkte oder Produktkomponenten zur Umsetzung anbieten. Diese Produkte stammen zum Teil von uns selbst und zum Teil von strategischen Partnern. Im Versicherungsbereich arbeiten wir beispielsweise eng mit SAP zusammen. Seit letztem Jahr sind wir gemeinsam Weltmarktführer für Branchensoftware im Segment der Rückversicherer. Wir sind dabei OEM-Partner von SAP und entwickeln die Plattform, die SAP vertreibt und auf der einige der größten Rückversicherungskonzerne der Welt, wie Munich Re oder Hannover Re, ihre Geschäftsprozesse abwickeln. Unser Anspruch ist: Wir verstehen die Informationstechnologie, die Betriebswirtschaft und insbesondere den jeweiligen Vertikalmarkt - die Kombination dieser drei Themen ist der Kern unserer Geschäftsstrategie. Plaut ist wesentlicher Partner bei der Umsetzung von Teilen in diesem End-to-end-Prozess, im Versicherungsbereich beispielsweise mit Analytics oder Corporate Finance-Lösungen. Unser Ziel ist es, auch in den nächsten Jahren überdurchschnittlich zu wachsen.

CW: Warum engagiert sich msg Systems so stark bei Plaut? Der bisherige Hauptaktionär Cancom hielt nur ca. 28 Prozent der Aktien. Weshalb muss es bei Ihnen die Aktienmehrheit sein?

Zehetmaier: Wir streben bei Tochtergesellschaften in der Regel eine Anteilsmehrheit an, also 50 Prozent plus eine Aktie, um sie im Konsolidierungskreis unserer Unternehmensgruppe zu haben. Das ist auch unser Ziel bei Plaut. Deshalb sind wir mit dem 28,4-Prozent-Paket von Cancom gestartet, haben zwischenzeitlich weitere Pakete von Banken erworben und stehen derzeit bei knapp 35 Prozent. Im Laufe des vierten Quartals wickeln wir das Pflichtangebot ab, danach sehen wir, wie nahe wir an unserem Ziel von 50 plus 1 sind. Weitere rund 30 Prozent der Aktien hält heute und auch künftig das Management von Plaut, mit dem wir einen Syndikatsvertrag geschlossen haben.

"In den nächsten zehn Jahren sehe ich fünf Megathemen"

CW: Wie wirkt sich die Übernahme auf die technische Lösungskompetenz beider Unternehmen aus?

Grafl: Plaut legt einen Schwerpunkt auf betriebswirtschaftlicher Beratung und lösungsorientierter IT-Implementierung, oftmals auf Basis von SAP. Das wird auch in Zukunft so bleiben. Gleichzeitig ist es aber so, dass viele Unternehmen, auch Plaut-Kunden, die im ERP auf SAP ausgerichtet sind, im Office- und Infrastrukturbereich auf Microsoft-Plattformen setzen.

Freut sich auf das Microsoft-Know-how von masg Systems: Plaut-Vorstand Grafl.

Neben den klassischen Büroanwendungen gehören dazu Exchange, Sharepoint und andere. In diesem Bereich verfügt msg Systems über großes technisches Know-how, so dass wir gemeinsam den Kunden neue Leistungen anbieten können, wenn es um die Integration ihrer Infrastrukturplattformen geht.

CW: Wie schätzen Sie in diesem Zusammenhang die Bedeutung von Cloud-Computing für Unternehmen wie msg systems und Plaut ein?

Zehetmaier: In den nächsten zehn Jahren sehe ich fünf Megathemen. Das weitaus wichtigste ist Collaboration. Und ich glaube, auch Cloud Computing wird eines der Top-5-Themen werden. Wohl wissend, dass dieses Thema für die Kernanwendungen unserer großen Kunden - wie etwa Versicherungsvertragssysteme oder Schadenssysteme - nicht an allererster Stelle steht, sehen wir hier dennoch großes Potenzial, gerade für unseren Ansatz produktbasierter Lösungsangebote. Deshalb haben wir beispielsweise 2010 unsere interne Organisationseinheit, die die IT-Infrastruktur für unsere Unternehmensgruppe bereitstellt, zu einer eigenen Tochtergesellschaft msg Services AG formiert.

Dieses Unternehmen beliefert bereits externe Kunden mit verschiedenen Cloud-Services. Dabei steht jedoch nicht der Cloud-Gedanke, sondern die ganzheitliche Lösungskompetenz für eine Branche im Vordergrund. Ein Beispiel: Im Juli ist mit inex24 die erste Internet-basierende Handelsplattform für das Industrieversicherungsgeschäft online gegangen. Das ist eine Cloud-Lösung, die von 35 deutschen Versicherungen und zahlreichen Maklern genutzt wird. Dafür haben wir nicht nur die technische Plattform entwickelt, sondern wir liefern auch die Infrastruktur und übernehmen den Betrieb.

CW: Der Vollständigkeit halber: Was sind die anderen IT-Megatrends aus Ihrer Sicht?

Zehetmaier: An dritter Stelle sehe ich Analytics - Big Data, da ist Plaut sehr aktiv, das tut uns gut. Dann Mobilität , die Anbindung mobiler Endgeräte bis hin zum Bordcomputer im Auto gewinnen zunehmend an Bedeutung. Aber auch iPhone, iPad und Co. spielen eine wachsende Rolle in den Geschäftsprozessen. Und damit einher geht Trend Nummer fünf: Das Thema Sicherheit.

CW: Warum steht das Thema Collaboration für Sie ganz oben?

Zehetmaier: Collaboration ist für uns die Verknüpfung verschiedener Branchen über Unternehmengrenzen hinweg. Zum Beispiel in der Autobranche: Heute kaufen Sie ein Auto der Premiumklasse für 70.000 Euro. In zehn Jahren werden die jungen Leute sagen: Ich habe 450 Euro im Monat für Mobilität - wie sieht die Lösung meines Anbieters aus? Das kann dann ein Paket, bestehend aus Leasing über die Automobilbank in Verbindung mit einer Versicherung sein. Bei der Kalkulation solcher Pakete spielen unzählige Faktoren zusammen. So kann beispielsweise die Leasingrate eines Fahrzeugs bei Auswahl der Farbe Diamantschwarz, die beim Kauf 1.000 Euro zusätzlich kostet, sinken, weil der Wiederverkaufswert bei diesem Fahrzeug höher ist als bei einem weißen. So etwas wird heute noch gar nicht berücksichtigt. Oder der Kunde wählt ein Fahrzeug mit Diebstahlwarnanlage, die zusätzlich berechnet wird - und zahlt insgesamt weniger, weil die Versicherungsprämie sinkt. Diese Dinge zu kalkulieren und zu verrechnen, das ist der zukünftige Einsatzbereich für unsere Lösungen und Dienste.

Grafl: An diesem Beispiel sieht man auch, wie wir uns gegenseitig ergänzen: In dem Moment, wo solche Prozesse geplant werden, stellt sich natürlich sofort die Frage, wie die erbrachten Leistungen im Konzern verrechnet werden können und wie man den Überblick über die Prozesse behält. Da kommt die Kernkompetenz von Plaut ins Spiel, solche Prozesse zu überwachen und zu steuern.

"Von unserer Seite wird es keine Veränderungen im Plaut-Management geben"

CW: Bislang wurde kommuniziert, das Unternehmen Plaut werde seinen eigenen Marktauftritt behalten. Wie ernst ist es Ihnen mit der Eigenständigkeit von Plaut?

Zehetmaier: In unserer Unternehmensgruppe gibt es seit langem Tochtergesellschaften mit eigenem Kompetenzprofil und Marktauftritt. Beispiele dafür sind die Innovas AG, die wir vor mehr als 10 Jahren übernommen haben, und die Lösungen für private Krankenversicherungen anbietet. Oder die auf die Finanzbranche spezialisierte msgGillardon AG mit Lösungen für den Bereich Banksteuerung. Und so glauben wir, dass auch Plaut in unserem Unternehmensverbund mit einem eigenen Profil erfolgreich sein wird. Wir wollen diese Marke erhalten und von den komplementären Ergänzungen profitieren.

CW: Was bedeutet das auf der Management-Ebene?

Grafl: Wir arbeiten an einer Kooperationsmatrix, in der die verantwortlichen Positionen bei msg systems und Plaut mit den Biografien und Kompetenzen der Beteiligten hinterlegt werden, um schnell zu einem direkten Informationsaustausch und koordinierten Handeln zu kommen.

CW: Welche personellen Veränderungen im Plaut-Management stehen konkret an?

Zehetmaier: Von unserer Seite wird es keine Veränderungen im Plaut-Management geben. Wir sehen es als Bereicherung, dass wir Kompetenz und Erfahrung hinzugewinnen, die wir nutzen wollen. Wir freuen uns auch darüber, dass Johann Grafl und zwei weitere Personen im Management von Plaut 30 Prozent der Anteile an Plaut halten und damit ihr Vertrauen in die Zukunft des Unternehmens demonstrieren. Unabhängig davon werden wir zum nächstmöglichen Zeitpunkt eine Person im Plaut-Aufsichtsrat positionieren.

CW: Welche Konsequenzen hat der Zusammenschluss für die Mitarbeiter? Bleiben Plaut-Mitarbeiter Plaut-Mitarbeiter?

Zehetmaier: Ja. Und Stellenstreichungen waren nie ein Thema.

CW: Wie ist die Übernahme im Zusammenhang mit der Entwicklung des Gesamtmarktes in Deutschland und Europa zu sehen? Rollt jetzt eine neue Konsolidierungswelle?

Grafl: Der ERP-Markt hat einen hohen Reifegrad erreicht - da gehört eine gewisse Konsolidierung dazu. Auf der anderen Seite glaube ich nicht, dass in unserer Branche eine Konsolidierung in dem Ausmaß stattfinden wird wie in der Automobilindustrie. Einfach deshalb, weil wir bei uns nicht diese Kostendegressionseffekte haben.

(Dieser Beitrag wurde von Computerwoche, einer Schwesterpublikation von ChannelPartner, übernommen)