Neue Regelungen und offene Fragen: Problemfall Versandhandel

21.11.2005
Kaum ein andrer Teil des Handels wurde in den vergangenen Jahren derart mit Regelungen überschüttet wie der Versandhandel. Welche Fragen dabei dennoch offen geblieben sind, erklären die Rechtsanwälte Rolf Becker und Carsten Föhlisch.

Der erste Irrtum, den viele Händler begehen, ist der zu glauben, dass nur der Versandhandel auf die neuen Regelungen achten muss. Die betreffen aber keineswegs nur Katalogversender, sondern alle, die per Katalog, Internet, Ebay & Co. verkaufen oder auch per Telefon und kleinen Bestellanzeigen.

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Völlig neue Regelungen brachte erstmals das Fernabsatzgesetz im Jahr 2000. Es gab zahlreiche neue Hinweispflichten, Voraussetzungen und Ausnahmeregelungen. Bis heute sind hierzu noch viele Fragen offen geblieben. Auch nach dem Start des Fernabsatzgesetzes gab es wieder zahlreiche Änderungen, beispielsweise die Finanzdienstleistungsrichtlinie und die erneuten Anpassungen der Informationspflichten, die neue Regelung zu den Rücksendekosten und die Änderung der Musterwiderrufsbelehrung. Kaum bemerkt wurden die Änderungen der Preisangabenverordnung, die fast heimlich bei der Neufassung des UWG (Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb) erfolgten.

Die Rechtsprechung tut zur Verwirrung ihr Übriges. So hat die Entscheidung des BGH, dass das Widerrufrecht auch für "unechte" Internet-Auktionen gilt, die nicht durch einen Zuschlag nach § 156 BGB zustande kommen, für Aufruhr im Mittelstand gesorgt und gezeigt, dass im Internet der Verbraucherschutz ungebrochen gilt.

Kampf um die Anwendbarkeit

1. Unternehmer

Wer ist Unternehmer im Sinne des Gesetzes? Diese praktisch wichtige Frage, welches Abgrenzungskriterium für die Einordnung eines auf Internetverkaufsplattformen handelnden Verkäufers in die Gruppe der Unternehmer herangezogen werden kann, ist immer noch nicht abschließend geklärt. Davon hängt es aber ab, ob das Fernabsatzrecht Anwendung findet. Das OLG Frankfurt plädiert für einen "funktionalen Unternehmerbegriff". Unternehmer ist danach jeder, der am Markt planmäßig und dauerhaft Leistungen gegen Entgelt anbietet. Als äußeres Indiz zieht die Rechtsprechung unter anderem Anzahl und Art der Angebote heran.

2. Verbraucher

Um die Stellung als Verbraucher geht es in der Praxis häufig, wenn Selbstständige (Ärzte, Anwälte) unter ihrem Namen, aber auch unter der Kanzleiadresse bestellen und es sich bei den Gegenständen um Produkte handelt, die privat und im Geschäft genutzt werden können. Wichtig für den Händler: Die Beweislast für ein Handeln zu privaten Zwecken trägt derjenige, der sich auf die Anwendbarkeit von Verbraucherschutznormen beruft. Häufig erhalten diejenigen, die zu geschäftlichen Zwecken bestellen, Vorteile.

3. Umgehung der Fernabsatz- regelung durch Boteneinsatz

Auch mit dem Einsatz von Personen wie einem Boten kann man die Fernabsatzregelungen nicht umgehen. Fernabsatzrecht gilt in allen Fällen, in denen die bereits zuvor dem Kunden auferlegte vertragliche Bindung eine Prüfung der Ware nicht möglich macht.

Informationspflichten und Preisangaben

1. Wann ist zu informieren?

Nach der alten Rechtslage war vor dem Vertragsschluss zu informieren. Das brachte eine Reihe von Unklarheiten. Seit Dezember 2004 findet sich die eindeutige Verpflichtung, die Händlerinformationen für den Verbraucher "rechtzeitig vor Abgabe von dessen Vertragserklärung" (§ 312 c BGB n.F.) zu übermitteln. Das bedeutet, dass der Verbraucher alle seine Informationen schon bei der Bestellung vor Augen haben muss.

2. Wo muss informiert werden?

Nach der alten Rechtsprechung des OLG Frankfurt aus dem Jahr 2001 kommt der Unternehmer bei Fernabsatzverträgen der vorvertraglichen Informationspflicht auf seinen Internetseiten nur nach, wenn der Nutzer die erforderlichen Informationen aufrufen muss, bevor er den Vertrag schließt. Ein Link auf die Anbieteradresse oder die Widerrufsbelehrung soll nicht reichen. Diese Auffassung ist durch die aktuelleren Urteile des BGH überholt. Der Kunde muss erkennen können, dass es sich um einen Link handelt und durch Hinweise ersehen können, welche Informationen er dahinter findet. Dann lassen sich mit fachlicher Hilfe viele Hinweispflichten erledigen, indem man auf die entsprechenden Seiten verlinkt.

3. Neue Preisangabenregelungen im Fernabsatz

Ende 2004 und auch kürzlich wieder gab es Abmahnwellen im Internethandel wegen Änderungen der PAngV im Juli 2004, die plötzlich die Angabe forderte, dass im Preis der Ware Umsatzsteuer und sonstige Preisbestandteile enthalten sind.

Zuvor war dies gerade als Werbung mit Selbstverständlichkeiten verboten. Das OLG Hamburg entschied in mehreren Urteilen zu dieser neuen Rechtslage, dass sich die Angaben zu Umsatzsteuer und Versandkosten bei der Bewerbung von Angeboten im Internetversandhandel in unmittelbarer räumlicher Nähe zu den beworbenen Artikeln finden müssen. Auch Hinweise am unteren Rand der Präsentation sollen nicht ausreichen.

Ganz anders dagegen das Urteil des OLG Frankfurt, welches die Angaben von zusätzlich anfallenden Liefer- und Versandkosten - wie bislang im klassischen Versandhandel - nur in den AGB ausreichen ließ. Wer sichergehen will, der passt seine Preisangaben (inklusive gesetzlicher Umsatzsteuer und zuzüglich Versandkosten von x Euro) an.

Probleme beim Widerrufs- und Rückgaberecht

1. Wichtige Ausnahmen

Gerade die Möglichkeit des Verbrauchers, eine Bestellung ohne Angabe von Gründen zu widerrufen, kommt den Handel häufig teuer zu stehen. Deshalb haben die Ausnahmetatbestände hohe praktische Bedeutung. So gilt das Widerrufsrecht nicht für "nach Kundenspezifikation angefertigt" und "eindeutig auf die persönlichen Bedürfnisse zugeschnittene" (§ 312d Abs. 4 Nr. 1 BGB) Waren.

Der BGH hatte im Jahr 2003 hinsichtlich so genannter "Built-to-Order(BTO)-Produkte, festgelegt, dass der Aufwand und die wirtschaftlichen Einbußen für die Entkonfiguration dem Unternehmer hinzunehmen sind. Dies soll jedenfalls dann gelten, wenn diese fünf Prozent des Warenwerts ausmachen und unschwer erfolgen können.

Befreit vom Widerrufsrecht sollen auch Gegenstände sein, die sich nicht zur Rücksendung eignen. Hier ist noch vieles unklar. Für Software hat der Gesetzgeber in § 312b Abs. 3 Nr. 2 BGB eine abschließende, eng auszulegende Spezialregelung geschaffen, es kommt auf die Entsiegelung an. Der enge Entsiegelungs-Tatbestand kann bei Kombinationsprodukten nicht einfach auch auf mitverkaufte Hardware erstreckt werden.

Der Ausnahmetatbestand des Vertragsschlusses bei einer Auktion war lange umstritten. Der BGH hat jetzt entschieden, dass bei Kaufverträgen zwischen einem gewerblichen Anbieter und einem Verbraucher, die im Rahmen einer so genannten Internetauktion nicht durch einen Zuschlag nach § 156 BGB zustande kommen, das Widerrufsrecht des Verbrauchers nicht nach § 312 d Abs. 4 Nr. 5 BGB ausgeschlossen ist.

2. Informationspflichten und Widerrufsbelehrung

Nach § 312c Abs. 1 BGB n.F. muss der Unternehmer dem Verbraucher bereits vor Abgabe von dessen Vertragserklärung die Informationen nach § 1 Abs. 1 Nr. 10 BGB-InfoV n.F. zur Verfügung zu stellen. Die neue Pflicht führt in der Praxis dazu, dass die vollständige Widerrufsbelehrung dem Verbraucher bereits vor Abgabe der Vertragserklärung informationshalber zur Verfügung gestellt werden muss.

Die Information kann aber durch einen "sprechenden Link" "Widerrufsrecht" auf eine Seite mit den einzelnen Angaben erfolgen. Nicht ausreichend beim Verkauf über Ebay ist eine Information, die nur über einen Link "Angaben zum Verkäufer" beziehungsweise "mich" erreicht werden kann.

Bei der neu eingeführten Information über das Nichtbestehen des Widerrufsrechts muss die Wiederholung des § 312 d Abs. 4 BGB allenfalls mit einer exem-plarischen Nennung der mit Sicherheit vom Widerrufsrecht ausgenommenen Artikel genügen, um die Informationspflicht zu erfüllen.

Allerdings kann im Einzelfall eine bloße Wiederholung auch ein Ausnutzen der Rechtsunkenntnis des Verbrauchers i.S.d. § 4 Nr. 2 UWG oder eine Irreführung i.S.d. § 5 UWG darstellen.

Das am 1. August 2002 seitens des Bundesministeriums für Justiz (BMJ) eingeführte amtliche Muster für die Widerrufsbelehrung wird bis heute wegen der mangelnden Handhabbarkeit und Zweifeln über die Vereinbarkeit mit den gesetzlichen Vorgaben kritisiert. Die Belehrung geht teilweise ohne Notwendigkeit zulasten des Unternehmers über das Gesetz hinaus. In anderen Punkten bleibt das Muster zulasten des Verbrauchers hinter den gesetzlichen Vorgaben zurück. Generell bestehen Bedenken, ob das AGB-rechtliche Transparenzgebot gewahrt ist.

Durch die Aufnahme der Neufassung des Musters in das Gesetz zur Änderung der Vorschriften über Fernabsatzverträge für Finanzdienstleistungen hat es in der derzeitigen Fassung jedoch selbst Gesetzesrang erlangt. Ein Verstoß der Regelung des § 14 Abs. 1 BGB-InfoV gegen höherrangiges Recht ist daher im Gegensatz zu früher nicht mehr zu befürchten. Das Muster kann nun trotz inhaltlicher Mängel rechtssicher eingesetzt werden, das heißt, der Unternehmer muss nicht befürchten, dass er einem zeitlich unbefristeten Widerrufsrecht ausgesetzt ist.

3. Ausübung des Widerrufsrechtes

Nach § 355 Abs. 1 Satz 2, 2. Alt. BGB kann der Widerruf nicht nur in Textform, sondern auch durch Rücksendung der Sache erklärt werden. Bei der Rücksendung defekter Ware ohne klare Erklärung muss der Unternehmer nicht immer von einem Widerruf ausgehen, sondern kann auch einen Nacherfüllungsversuch unternehmen. Der Verbraucher kann aber seine Erklärung gegebenenfalls wegen Inhaltsirrtums nach § 119 Abs. 1 BGB anfechten.

4. Rückabwicklung der Bestellung

Der Gesetzgeber hat im Dezember 2004 erst im Vermittlungsverfahren eine neue Kostentragungsregelung (so genannte 40-Euro-Klausel) eingeführt, die nach wie vor in den meisten Konstellationen noch zu einer Vielzahl von Missbrauchsfällen führt und in ihrer Komplexität kaum praktikabel ist. Die Notwendigkeit, die Rücksendekosten in jedem Fall selbst zu tragen, würde Missbrauch weniger attraktiv machen. Die an die Zahlung anknüpfende Neuregelung entlastet vor allem die traditionellen Versandhäuser, die auf Rechnung liefern. Bei Verkaufsplattformen wie Ebay ist Vorauszahlung die Regel. Hier greift die Kostenübertragungsmöglichkeit in weiten Teilen überhaupt nicht.

Da der Unternehmer nach deutschem Recht die Gefahr der Rücksendung trägt, hat er ein berechtigtes Interesse daran, dass der Verbraucher bei der Rücksendung eine Versandart wählt, die ihn in die Lage versetzt, Regressansprüche gegen das Transportunternehmen nach § 421 Abs. 1 S. 2 HGB geltend zu machen. Hier gibt es noch keine Rechtsprechung. Daher sind Regelungen in AGB riskant. Es erscheint angemessen, wenn der Kunde verpflichtet wird, die Ware als versichertes Standard-Postpaket zurücksendet und in einigen Fällen auch eine Transportversicherung abschließt. Darüber hinaus kann nach aktueller Rechtssprechung die Verwendung einer Verpackung verlangt werden, welche die Ware gegen die typischen Risiken der Versendung schützt. Gleiches gilt für Rücksendeaufkleber. Zumindest kann man dem Kunden die Rücksendekosten auferlegen, wenn er die Aufkleber nicht verwenden möchte.

Der Händler sollte auf keinen Fall das Widerrufsrecht oder das Rückgaberecht auf Waren beschränken, die noch unbenutzt oder originalverpackt sind. Diese Einschränkungen sind unwirksam und unzulässig und können daher auch abgemahnt werden. Selbst Regeln, die in Bitten formuliert sind, werden nach dem Prinzip der kundenfeindlichsten Auslegung behandelt. Das OLG Hamm sieht daher in der Bitte, einen Retourenschein bei der Rückgabe zu verwenden, eine unzulässige Einschränkung des Widerrufs- beziehungsweise Rückgaberechtes.

Ersatz gibt es bei Beschädigung oder Verlust der Produktverpackung. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Verpackung nicht allein dem Schutz der Ware dient, sondern etwa als Verkaufsverpackung mit aufgedruckten Informationen Warenbestandteil ist.

Nutzungs- und Wert- ersatz nach Widerruf

Hier ist noch vieles unklar. So erhält die zum 1.1.2002 eingeführte verschärfte Verbraucherhaftung mit der Möglichkeit den Schaden der Wertminderung aufgrund bestimmungsgemäßer Ingebrauchnahme ersetzt zu bekommen, viel Kritik. Der Ausgleich des Wertverlustes des Verkäufers soll im Widerspruch zur Fernabsatzrichtlinie stehen. Danach dürfen dem Kunden keine weitergehenden Belastungen auferlegt werden, als im Gesetz geregelt.

Große Probleme bereitet die Regelung, wonach Wertminderungsmöglichkeiten laut Gesetz nicht bestehen, wenn die Sache nur geprüft und nicht in Gebrauch genommen wurde. Oft ist eine Prüfung ohne Ingebrauchnahme gar nicht erst möglich. Nach Erwägensgrund 14 der Fernabsatzrichtlinie sollen die Möglichkeiten des Verbrauchers im Fernabsatz möglichst nahe an diejenigen angeglichen werden, die er im stationären Handel hätte.

Folgerungen für die Praxis

Auch mehr als fünf Jahre nach Einführung der neuen Regelungen im Fernabsatz sind viele Fragen der Versandhandelsrechtspraxis noch ungeklärt. Dies bietet Abmahnern reiche Möglichkeiten zuzuschlagen.

Kaum ein Rechtsgebiet bietet derart viele Fallen und Tretminen. Selbst gewiefte Einzelhändler haben kaum eine Chance, alles richtig zu machen, wenn sie erstmals im Distanzhandel für Verbraucher anbieten. Im B2B-Geschäft gibt es nicht ganz so viele Hürden. Aber auch hier lauern meist unbekannte Regelungen und sei es nur die Pflicht darauf hinzuweisen, in welcher Sprache ein Vertragsschluss erfolgen kann. Wer sich hier den Prüfungen von Garantiegebern unterzieht und spezialisierten Rechtsrat einholt, ist auf der sicheren Seite.

Der Schutz des Händlers vor Missbrauch wurde bei der sinnvollen Ausgestaltung der neuen Verbraucherrechte bislang nur unzureichend berücksichtigt. So muss unbedingt vor dem Hintergrund der BGH-Entscheidung zur Internetauktion eine Missbrauchsdogmatik entwickelt werden, da hier der Händler aufgrund des anonymen Käufers und des sofortigen Vertragsschlusses keinen angemessenen Schutz vor so genannten "Hochretournierern" hat. Auch in der Zukunft ist also mit zahlreichen Änderungen des Rechts durch den Gesetzgeber zur rechnen, denn Korrekturbedarf besteht nach wie vor.