Gericht konkretisiert Anhörungspflicht

Neues zur Verdachtskündigung

21.07.2010
Für das Anhörungsverfahren wurden neue Maßstäbe aufgestellt. Dr. Christian Salzbrunn stellt sie vor.

In der Praxis tritt immer wieder die Fallkonstellation ein, dass ein Arbeitnehmer konkret verdächtigt wird, eine Straftat (z. B. einen Diebstahl) oder eine sonstige schwere Pflichtverletzung begangen zu haben, ohne dass ihm die Tat aber letztlich mit der notwendigen Gewissheit nachgewiesen werden kann. Gerade solche Verdachtsmomente können das zur Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses notwendige Vertrauen in die Redlichkeit des Arbeitnehmers erheblich zerstören und damit zu einer unerträglichen Belastung des Arbeitsverhältnisses führen.

Für solche Fälle hat die Rechtsprechung die sogenannte Verdachtskündigung entwickelt. Damit kann nicht nur die vollendete Tat, sondern auch der schwerwiegende Verdacht einer strafbaren Handlung oder sonstigen schweren Pflichtverletzung den wichtigen Grund im Sinne des § 626 BGB für eine außerordentliche Kündigung eines Arbeitsverhältnisses bilden. Allerdings sind die Anforderungen an eine solche Verdachtskündigung sehr hoch. Sie ist nur dann gerechtfertigt,

- wenn aufgrund objektiver Anhaltspunkte eine große Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen einer schwerwiegenden Straftat oder Pflichtverletzung besteht,

- wenn die Verdachtsmomente geeignet sind, das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen erheblich zu zerstören,

- wenn der Arbeitgeber alle zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhaltes unternommen hat und

- wenn der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hat.

Der Arbeitgeber muss also den verdächtigen Arbeitnehmer vor dem Ausspruch der Kündigung zu den erhobenen Vorwürfen angehört haben. Die Anhörung ist zwingende Wirksamkeitsvoraussetzung.

In einem Urteil vom 06.11.2009 hatte das LAG Berlin-Brandenburg über die Wirksamkeit einer Verdachtskündigung zu urteilen, wobei es auch die Anforderungen an die Anhörung eines Arbeitnehmers konkretisieren musste. In dem Fall stand der Filialleiter eines Einzelhandelsgeschäftes unter dem Verdacht, am 28.01.2009 einen Fünf-Euro-Schein, den er zuvor aufgefunden hatte, unterschlagen zu haben. Der Filialleiter wurde an diesem Tage auch vonseiten des Bezirksverkaufsleiters auf den Sachverhalt pauschal angesprochen.

Verdacht auf Unterschlagung geäußert

Als sich für den Bezirksverkaufsleiter der Verdacht verstärkte, brach dieser das Gespräch jedoch unvermittelt ab und bestellte den Kläger für den 29.01.2009 zu einem neuen Gespräch in die Zentrale des Unternehmens ein. Erst in diesem Gespräch am 29.01.2009 teilte der Bezirksverkaufsleiter dem Filialleiter mit, dass gegen ihn der dringende Verdacht der Unterschlagung von Fundgeld bestehe. Der Filialleiter äußerte daraufhin seine Bereitschaft, sich zu den zur Sprache gebrachten Verdachtsmomenten über einen Anwalt zu äußern. Gleichwohl sah der Bezirksverkaufsleiter keinerlei Notwendigkeit, kurzfristig einen neuen Anhörungstermin anzusetzen, um dem Filialleiter die Gelegenheit einzuräumen, einen Rechtsanwalt hinzuziehen oder ihm eine Frist für die angebotene schriftliche Stellungnahme durch einen Rechtsanwalt zu setzen. Stattdessen wurde am 30.01.2009 der Betriebsrat zur außerordentlichen Kündigung angehört. Am 02.02.2009 wurde dem Filialleiter dann fristlos gekündigt.

Hiergegen erhob der Filialleiter eine Kündigungsschutzklage und bekam sowohl in erster als auch in zweiter Instanz vor dem LAG Berlin-Brandenburg recht. Die Richter befanden die fristlose Kündigung für unverhältnismäßig, weil der Filialleiter nach ihrer Ansicht nicht ausreichend angehört worden sei.

Denn die Aufklärungsversuche des Bezirksverkaufsleiters am 28.01.2009 könnten schon deswegen nicht als eine Anhörung des Filialleiters angesehen werden, weil der Bezirksverkaufsleiter das Gespräch abgebrochen hat und den Filialleiter am Folgetage in die Zentrale bat. Damit habe der Verkaufsleiter deutlich gemacht, dass das bisher mit dem Filialleiter geführte Gespräch noch keine Grundlage für eine abschließende Beurteilung der Vorgänge geliefert habe. Zudem genüge es für die Anhörung als Wirksamkeitsvoraussetzung einer Verdachtskündigung nicht, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer zu den ihm bekannt gewordenen Verdachtsmomenten überhaupt befragt. Vielmehr müsse im Rahmen der Anhörung deutlich gemacht werden, dass die Anhörung dem Ziel dient, einen konkreten Verdacht aufzuklären und dass der Arbeitgeber generell beabsichtigt, eine Kündigung hierauf zu stützen. Nur so könne der Arbeitnehmer erkennen, welche Bedeutung die von ihm erwartete Stellungnahme habe.

Eine solche Anhörung sei im vorliegenden Fall aber erst am Folgetag, d. h. am 29.01.2009 erfolgt. Aber auch diese Anhörung entsprach wiederum nicht den Anforderungen für eine ordnungsgemäße Anhörung, weil der Arbeitgeber versäumt habe, kurzfristig einen neuen Anhörungstermin anzusetzen, um dem Kläger Gelegenheit zu geben, einen Rechtsanwalt hinzuziehen oder ihm ein Frist für die angebotene Stellungnahme durch einen Rechtsanwalt zu setzen. Stattdessen habe der Arbeitgeber bereits am nächsten Tag den Betriebsrat zu der beabsichtigten Kündigung angehört und bereits vier Tage später (in die noch ein Wochenende fiel) die fristlose Kündigung ausgesprochen. Zumindest wenn ein Arbeitnehmer dies ausdrücklich wünsche, müsse ihm Gelegenheit gegeben werden, sich vor seiner Einlassung anwaltlich unterstützen zu lassen. In diesem Zusammenhang stellten die Richter des LAG auch klar, dass dabei zugleich der Lauf der zweiwöchigen Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB gehemmt ist, solange ein Arbeitgeber vor Aussprache einer Verdachtskündigung das notwendige Anhörungsverfahren vorantreibt (LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 06.11.2009, Az.: 6 Sa 1121/09).

Hohe Sorgfalt erforderlich

Dieses Urteil zeigt, dass die Arbeitsgerichte bei Verdachtskündigungen den Arbeitgebern eine hohe Sorgfalt abverlangen. Diese steht regelmäßig aber im Spannungsverhältnis mit dem bei Ausspruch einer außerordentlichen Verdachtskündigung bestehenden Zeitdruck des Arbeitgebers, aufgrund der laufenden Zweiwochenfrist des § 626 BGB. Zwar hat sich das LAG Berlin-Brandenburg für eine Hemmung des Laufs dieser Frist während des Anhörungsverfahrens ausgesprochen. Gleichwohl bleibt nach wie vor anzuraten, ein Anhörungsverfahren unter Beachtung der nun vom LAG aufgestellten Maßstäbe zügig durchzuführen und die laufende Zweiwochenfrist möglichst einzuhalten, um in einem gerichtlichen Verfahren etwaige Diskussionen allein um die Beachtung dieser Frist zu vermeiden. (oe)

Der Autor Dr. Christian Salzbrunn ist Rechtsanwalt.

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