"ZEIT Online"

NSA und CIA spionieren auch mit Technik von SAP

11.03.2015 von Thomas Cloer
SAP hat laut Medienberichten durch Zukäufe von kleineren Unternehmen und Verträge mit anderen Softwareherstellern gezielt amerikanische Geheimdienste als neue Kunden gewonnen.

Das berichtet "ZEIT Online" unter Berufung auf Recherchen des ARD-Politmagazins "Fakt". Vor allem SAPs Datenbanktechnologie "HANA" macht demnach das Unternehmen für die Spionage-Dienste NSA und CIA interessant. Das In-Memory-System ermögliche wohl die derzeit schnellste Datenverarbeitung überhaupt. "ZEIT Online" hatte schon früher aufgedeckt, dass auch der deutsche Auslandsgeheimdienst BND HANA anschaffen will, um große Datenmengen in Echtzeit auswerten zu können.

SAP kaufte dem Bericht zufolge bereits 2007 den amerikanischen Suchtechnik-Entwickler Inxight. Mit dessen Technik lassen sich große Datenmengen bei Massenüberwachungen in kürzerer Zeit und mit weniger Personal durchsuchen. "Inxight löst das Problem der amerikanischen Überwachungsprogramme, die enormen Mengen an Daten durchsuchbar zu machen und relevante Ergebnisse zu erhalten", wird der belgische Unternehmer Jo Lernout zitiert, der jahrelang selbst Software für Geheimdienste entwickelte (einige seiner ehemaligen Angestellten gingen zu Inxight und sind jetzt bei SAP).

Mit weiteren NSA-Dienstleistern wie Palantir und Attensity soll SAP exklusive Verträge abgeschlossen haben. Beide Firmen wurden vom CIA-Investment-Arm In-Qtel mitaufgebaut. Das aktuell auf neun Milliarden Dollar geschätzte Startup Palantir ist spezialisiert darauf, große Datenmengen aus verschiedenen Informationsquellen zusammenführen, aufzubereiten und darzustellen, um sie für Analysten auswertbar zu machen. Attensity wiederum stellt SAP die Inxight-Technologie zur Verfügung. Die Lösungen des Suchsoftware-Spezialisten sind meist individuell angepasst für US-Regierungsstellen; man kann damit unter anderem E-Mails automatisiert nach bestimmten semantischen Inhalten zu durchsuchen.

Durch seine Zukäufe und Verträge war SAP dem Bericht zufolge so aufgestellt, dass es 2012 eine Tochterfirma gründete, die sich hauptsächlich auf den US-Sicherheits- und Geheimdienst-Markt konzentriert. Über SAP National Security Services (NS2) wickelt SAP die Aufträge der US-Regierung ab, die Vorstandsvorsitzende war vorher Chefin der Heimatschutzbehörde. NS2 unterliege als US-Unternehmen Sicherheitsgesetzen wie dem U.S. Patriot Act, heißt es weiter, der die Offenlegung von unternehmenseigenen Informationen gegenüber Geheimdiensten möglich mache. Wirtschaftlich lohne sich das Geschäft für SAP: Im Gründungsjahr machte die US-Tochterfirma bereits 130 Millionen Dollar Umsatz.

"In diesen Markt einzutreten ist eine Strategie, die SAP seit Jahren fährt, da sie nur Komponenten und Firmen kaufen, die nur in diesem Überwachungsmarkt eine sinnvolle Anwendung finden", sagt dazu Linus Neumann, Sprecher des Chaos Computer Clubs (CCC).

Auf ingesamt 13 Fragen von "Fakt" an den Walldorfer Konzern zu seinem Engagement für amerikanische Geheimdienste antwortete Firmensprecher Marcus Winkler pauschal mit der Aussage, SAP würde zu "Kundenbeziehungen keine Informationen veröffentlichen." Den ganzen Beitrag zur Zusammenarbeit von SAP und den US-Geheimdiensten sendet die ARD heute Abend ab 21.45 Uhr.

Die Lehren aus der NSA-Affäre
Viktor Mayer-Schönberger, Professor für Internet Governance and Regulation
"Es geht nicht mehr um das Ausspähen der Gegenwart, sondern um einen Einblick in die Zukunft. Das ist der Kern von Prism. Präsident Obama hat schon recht, wenn er sagt, die von Prism gesammelten Daten seien doch für sich genommen recht harmlos. Er verschweigt freilich, dass sich daraus statistische Vorhersagen gewinnen lassen, die viel tiefere, sensiblere Einblicke gewähren. Wenn uns nun der Staat verdächtigt, nicht für das was wir getan haben, sondern für das was wir – durch Big Data vorhersagt – in der Zukunft tun werden, dann drohen wir einen Grundwert zu verlieren, der weit über die informationelle Selbstbestimmung hinausgeht."
Prof. Dr. Gunter Dueck, Autor und ehemaliger CTO bei IBM
"Ich glaube, die NSA-Unsicherheitsproblematik ist so ungeheuer übergroß, dass wir uns dann lieber doch gar keine Gedanken darum machen wollen, so wie auch nicht um unser ewiges Leben. Das Problem ist übermächtig. Wir sind so klein. Wir haben Angst, uns damit zu befassen, weil genau das zu einer irrsinnig großen Angst führen müsste. Wir haben, um es mit meinem Wort zu sagen, Überangst."
Oliver Peters, Analyst, Experton Group AG
"Lange Zeit sah es so aus, als würden sich die CEOs der großen Diensteanbieter im Internet leise knurrend in ihr Schicksal fügen und den Kampf gegen die Maulkörbe der NSA nur vor Geheimgerichten ausfechten. [...] Insbesondere in Branchen, die große Mengen sensibler Daten von Kunden verwalten, wäre ein Bekanntwerden der Nutzung eines amerikanischen Dienstanbieters der Reputation abträglich. [...] Für die deutschen IT-Dienstleister ist dies eine Chance, mit dem Standort Deutschland sowie hohen Sicherheits- und Datenschutzstandards zu werben."
Dr. Wieland Alge, General Manager, Barracuda Networks
"Die Forderung nach einem deutschen Google oder der öffentlich finanzierten einheimischen Cloud hieße den Bock zum Gärtner zu machen. Denn die meisten Organisationen und Personen müssen sich vor der NSA kaum fürchten. Es sind die Behörden und datengierigen Institutionen in unserer allernächsten Umgebung, die mit unseren Daten mehr anfangen könnten. Die Wahrheit ist: es gibt nur eine Organisation, der wir ganz vertrauen können. Nur eine, deren Interesse es ist, Privatsphäre und Integrität unserer eigenen und der uns anvertrauten Daten zu schützen - nämlich die eigene Organisation. Es liegt an uns, geeignete Schritte zu ergreifen, um uns selber zu schützen. Das ist nicht kompliziert, aber es erfordert einen klaren Willen und Sorgfalt."
James Staten, Analyst, Forrester Research
"Wir denken, dass die US-Cloud-Provider durch die NSA-Enthüllungen bis 2016 rund 180 Milliarden Dollar weniger verdienen werden. [...] Es ist naiv und gefährlich, zu glauben, dass die NSA-Aktionen einzigartig sind. Fast jede entwickelte Nation auf dem Planeten betreibt einen ähnlichen Aufklärungsdienst [...] So gibt es beispielsweise in Deutschland die G 10-Kommission, die ohne richterliche Weisung Telekommunikationsdaten überwachen darf."
Benedikt Heintel, IT Security Consultant, Altran
"Der Skandal um die Spähprogramme hat die Akzeptanz der ausgelagerten Datenverarbeitung insbesondere in den USA aber auch in Deutschland gebremst und für mehr Skepsis gesorgt. Bislang gibt es noch keinen Hinweis darauf, dass bundesdeutsche Geheimdienste deutsche IT-Dienstleister ausspäht, jedoch kann ich nicht ausschließen, dass ausländische Geheimdienste deutsche Firmen anzapfen."
Viktor Mayer-Schönberger, Professor für Internet Governance and Regulation
"Die NSA profitiert von ihren Datenanalysen, für die sie nun am Pranger steht, deutlich weniger als andere US-Sicherheitsbehörden, über die zurzeit niemand redet. Das sind vor allem die Bundespolizei FBI und die Drogenfahnder von der DEA. [...] Es gibt in der NSA eine starke Fraktion, die erkennt, dass der Kurs der aggressiven Datenspionage mittelfristig die USA als informationstechnologische Macht schwächt. Insbesondere auch die NSA selbst."
Aladin Antic, CIO, KfH Kuratorium für Dialyse und Nierentransplationen e.V.
"Eine der Lehren muss sein, dass es Datensicherheit nicht mal nebenbei gibt. Ein mehrstufiges Konzept und die Einrichtung zuständiger Stellen bzw. einer entsprechenden Organisation sind unabdingbar. [...] Generell werden im Bereich der schützenswerten Daten in Zukunft vermehrt andere Gesichtspunkte als heute eine Rolle spielen. Insbesondere die Zugriffssicherheit und risikoadjustierte Speicherkonzepte werden über den Erfolg von Anbietern von IT- Dienstleistern entscheiden. Dies gilt auch für die eingesetzte Software z.B. für die Verschlüsselung. Hier besteht für nationale Anbieter eine echte Chance."
ein nicht genannter IT-Verantwortliche einer großen deutschen Online-Versicherung
"Bei uns muss keiner mehr seine Cloud-Konzepte aus der Schublade holen, um sie dem Vorstand vorzulegen. Er kann sie direkt im Papierkorb entsorgen."