Open Source statt nur Linux

10.07.2007 von Ludger Schmitz
Es ist da und selbstverständlich: Linux. Immer mehr Firmen entscheiden sich für das freie Betriebssystem. Das verschärft den Konkurrenzkampf der Distributoren und Dienstleister.

Mit Microsoft und Oracle haben sich zwei Schwergewichte der IT-Szene zu Linux bekannt und versuchen mit aller Macht, in den lukrativen Markt mit Linux-Services zu drängen. Oracle hat seine Distribution „Unbreakable-Linux“ Ende Oktober 2006 veröffentlicht und rührt seit dem kräftig die Werbetrommel.

Mit mäßigem Erfolg, wie ein Vergleich mit Novell Suse Linux Enterprise Desktop 10 und Fedora Core 6 zeigt: Oracle kam in der ersten 30 Tagen auf rund 9000 Downloads, Novell und Fedora hingegen auf über 300.000.

Support-Kosten

Doch steckt hinter der Linux-Initiative von Oracle unternehmerisches Kalkül: Denn Oracle bietet auch Support-Services für Red-Hat-Umgebungen an und verlangt dafür nur rund die Hälfte der jährlichen Abogebühren, die Red Hat seinen Kunden in Rechnung stellt. Red-Hat-Enterprise-Linux-Abonnements für Server-Lösungen sind auf einer jährlichen Pro-System-Basis erhältlich.

Fast wie bei Microsoft: Red Hat lässt sich den Support für seine Linux-Lösungen von Unternehmen teuer bezahlen.

Es gibt drei Abonnement-Editionen: Basic, Standard und Premium – jede mit unterschiedlichen Support-Stufen und Lieferoptionen. So kostet dann etwa Red Hat Enterprise Linux AS Premium Edition rund 2400 Euro im Jahr. Für Client-Support berechnet Red Hat 170 Euro für die Basic-Edition und 285 Euro für die Standard-Edition. Hinter vorgehaltener Hand gibt es Stimmen, die es durchaus begrüßen würden, wenn Oracle Red Hat dazu bewegen könnte, Mängel im Support des Distributors zu beheben.

Gesunde Koexistenz

Oracle wolle den Distributor nicht zerstören, sondern brauche ihn als Erstentwickler für sein geplantes Linux. Laut Oracle lässt sich auch eine bestehende RHEL-Installation durch einen Wechseln des Update-Servers vom Red Hat Network auf das Unbreakable Linux Network (ULN) umstellen. Die niedrigste Support-Stufe kostet 99 US-Dollar pro System und Jahr und bietet Zugang zu den Updates. Zusätzlich gibt es den Premier-Support für 1199 US-Dollar beziehungsweise 1999 US-Dollar pro Jahr, der auch unbegrenzte Patches für ältere RHEL-Versionen umfasst. Oracle-Kunden können das Support-Programm kostenlos testen. An Oracles Unbreakable Linux sind außerdem Intel als Entwicklungspartner und HP sowie Dell als Reseller und Support-Partner beteiligt.

RHEL-Alternative: Oracle bietet seine Enterprise-Distribution als Satz mit acht ISO-Images zum kostenlosen Download an.

In Bezug auf Linux werde eine Umschichtung der Marktverhältnisse allenfalls geringfügig zu Ungunsten von Red Hat ausfallen. Die Stoßrichtung von Oracle könne vielmehr eine ganz andere sein: Microsoft. Denn mit dem durchaus attraktiven Angebot von Support und Services für das Betriebssystem und die Datenbank aus einer Hand würde Ellisons Team den SQL-Server-Vertriebsbeauftragten aus Redmond ein vorteilhaftes Argument zunichte machen.

Allianz: Microsoft und Novell

Unbestimmbar sind die Folgen der Allianz zwischen Microsoft und Novell. Letzterer Anbieter hat sein Image als „Netware-Company“ dadurch bestätigt, dass er in Sachen Patente mit Redmond Frieden geschlossen hat. Die Absolution von Microsoft könne manche Anwender eher zu Novell als zu Red Hat neigen lassen. Aber nur vielleicht. Denn Novell rede zwar viel von Linux, in der Praxis aber verdiene jeder Vertriebsbeauftragte ein Vielfaches mehr mit einem Vertrag über „eDirectory“ als über Suse. Damit wäre Linux als Thema eigentlich durch gewesen, wäre da nicht Dirk Hohndel gewesen. Der einstige Cheftechniker von Suse und heutige oberste Open-Source-Stratege von Intel widerspricht der zu euphorischen Ansicht: „Linux ist ein alter Hut, der keine Mühe mehr wert ist.“ Gut bis sehr gut seien die Perspektiven für das Betriebssystem im Embedded-Bereich und selbst bei noch problematischen Umgebungen mit tausenden Servern. Allerdings müsse das Thema Sicherheit bei Linux mit seiner zunehmenden Verbreitung und damit wachsenden Attraktivität für Hacker auf die Tagesordnung.

Am anderen Ende, im Desktop-Bereich, schaue die Lage trister aus, so Hohndel: „Linux auf dem Desktop ist weit davon entfernt, den Anforderungen der Benutzer gerecht zu werden.“ Es sei „absolut unbrauchbar“, wo Microsoft-Office-Dokumente verarbeitet werden müssen. Unproblematisch sind Linux-Desktops da, wo es nur um Dateneingabe geht, wo also im Prinzip wie zu Mainframe-Terminal-Zeiten Eingabefelder – heute in einer schicken Benutzeroberfläche – gefüllt werden. Das ist beispielsweise bei vielen Anwendungen in der öffentlichen Verwaltung oder bei Banken, Versicherungen und im Handel der Fall.

Jetzt geht’s um Anwendungen

Nicht um Linux, auch nicht um Linux-fähige Applikationen, sondern um quelloffene Anwendungen ging es den meisten auf der Kölner Kongressmesse. So zeigte sich der langjährige Oracle-Topmanager und heutige Ingres-Technikchef Dave Dargo überzeugt, „der einst mit Linux begonnene Trend findet seine Fortsetzung bei OSS-Anwendungen“. Deren unschlagbar niedriger Preis werde die Lizenzkosten proprietärer Software deutlich drücken und die Qualität des Supports zum kaufentscheidenden Kriterium machen. Das sei ohnehin an der Zeit: „Heute zahlt man mit Lizenzen nicht für Innovationen, sondern man finanziert Firmenübernahmen.“

Laut Fraunhofer-Institut Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO) verfolgen 59 Prozent der öffentlichen Verwaltungen die Umstellung auf Open Source als Teil ihrer mittel- oder langfristigen IT-Strategie.

Chance für kleine IT-Anbieter

Fast jede vierte Einrichtung hat, vor allem auf Server-Ebene, proprietäre Betriebssysteme abgelöst. 21 Prozent führen mit neuen Fachanwendungen quelloffene Lösungen ein. 56 Prozent verfolgen einen schrittweisen Übergang, wobei Desktops und Office-Anwendungen an erster Stelle stehen. Nur ein Viertel der öffentlichen Verwaltungen hat für ihre Projekte IT-Anbieter in Anspruch genommen. In 83 Prozent dieser Fälle kamen kleine regionale Firmen zum Zuge. Immerhin sparten 47 Prozent der öffentlichen Verwaltungen mehr als die Hälfte ihrer Lizenzkosten ein.

Außer dem finanziellen Aspekt heben die Verantwortlichen die größere Unabhängigkeit von Herstellern hervor. Auf der Seite der IT-Anbieter hat Open Source ebenfalls zu starken Veränderungen geführt. Bei rund einem Viertel macht quelloffene Software heute mindestens 25 Prozent ihres Umsatzes aus. Ein Drittel dieser Anbieter halten sich ohne Open-Source-Programme im Angebot für nicht mehr überlebensfähig. 71 Prozent bieten quelloffene Applikationen als Alternative zu proprietären an. Auch von den Open-Source-ab¬stinenten Anbietern glauben zwei Drittel, dass Open Source an Bedeutung gewinnt.

Strukturwandel im IT-Markt

Von einem „tief greifenden Strukturwandel im IT-Markt“ redet Hans-Ulrich Schmid von der Wirtschaftsförderung Region Stuttgart GmbH: „Open Source ist kein Strohfeuer.“ Die Gewichte auf IT-Anbieterseite hätten sich verlagert: von einst wenigen großen Firmen zu immer mehr und kleineren Dienstleistern, die näher am Kunden seien. Für Schmid heißt das: „Open-Source-Ökonomie bedeutet Software-Versorgung à la carte statt Stammessen.“ Die bundesdeutschen und EU-Fördermittel müssten nicht erhöht werden; Schmid fordert eine andere Verteilung: „Man sollte die Gelder auf Open-Source-Software umschichten. Wenn Code schon öffentlich gefördert wird, dann sollte er auch öffentlich zugänglich sein.“ Schmid bemängelt ferner die Verwendung proprietärer Dateiformate durch die öffentliche Hand. „Das ist durch nichts zu rechtfertigen.“ Die Bundesregierung solle wie in Belgien und den Niederlanden die Verwendung offener Standards vorgeben. „Wir brauchen über die Open-Source-Pioniere hinaus mehr Bewegung auf der Anwenderseite. Es ist Zeit, auf den Open-Source-Zug aufzuspringen. Der Weg ist frei.“ (Computerwoche; Ludger Schmitz/ wl)

Dieser Beitrag stammt von computerwoche.de, der führenden deutschsprachigen Website für den gesamten Bereich der Informationstechnik - aktuell, kompetent und anwendungsorientiert.