Praxistest: LG Shine

24.04.2007

Lieferumfang / Verarbeitung

Schmal ist das Handy nur in Tiefenrichtung (14mm); aufgeschoben misst der knapp 5cm breite Slider stattliche 13,5cm. Stattlich ist auch das Gewicht: da das Grundgehäuse aus gebürstetem Stahl gefertigt wurde, bringt das Gerät üppige 125 Gramm auf die Waage - ganz klar nichts für die Hemdtasche. Vielmehr bietet sich ein Schminkköfferchen als Aufbewahrungsort an, denn im zugeschobenen Zustand geht das LG Shine glatt als Taschenspiegel durch. Den Edelslider nun als "Frauenhandy" abzustempeln wird dem stählernen Äußeren allerdings nicht gerecht, denn das schwere Material, die harte Linienführung und die schmucklosen geradlinigen Tasten und Bedienelemente werden im Gegenteil wohl eher die Herren der Schöpfung ansprechen.

Wie beim Chocolate Phone setzen die Koreaner auf hochwertige Materialien und eine bedingungslos saubere Verarbeitung. Ein straff gefederter Slidermechanismus und ein perfekt sitzender Akkudeckel aus Aluminium sind Zeugen von LG's langjähriger Erfahrung im Handybau. Ärgerlich nur, dass es keine Hilfe für den Daumen gibt, um das Handy aufzuschieben: Man muss unweigerlich aufs Display fassen, um den Slider zu bedienen. Klar, dass so permanent Fingerabdrücke auf dem Shine landen. Schlimmer wirds, wenn man ein paar Minuten mit dem Handy telefoniert - dann schmiert das gesamte Gehäuse voll. Der kleine mitgelieferte Mikrofaser-Putzer sollte also immer zur Hand sein, um den schönen Shine zu bewahren, denn das Abreiben mit Pulli- oder Hemdsärmeln verteilt das Fett nur auf der glatten Frontseite. Die besteht übrigens aus einseitig transparentem gehärteten Mineralglas. Das sollte allerdings nicht zu Sorglosigkeit im Umgang mit dem Shine verleiten: trägt man das Handy zusammen mit Schlüsseln oder Kleingeld in der Hosentasche, lassen sich unschöne Kratzer nicht vermeiden.

Als Display kommt eine QVGA-große Komponente mit maximal 262.144 darstellbaren Farben zum Einsatz, die mit klaren Kontrasten, scharfen Details und guter Sättigung aufwartet. Auch wenn man seitlich aufs Display schaut, verfälschen die Farben nur minimal; die Ablesbarkeit unter starkem Außenlicht leidet aber unter der verspiegelten Oberfläche beträchtlich. Bei der Ansicht längerer Listen etwa im Adressbuch oder beim Browsen sorgt eine innovative Rolltaste für gesteigerten Komfort. Doch dieses Bedienelement leidet an mangelnder Präzision: jeder Dreh bewegt den Cursor maximal drei Felder weiter oder zurück, sodass man bei schnellen Menüwechseln manchmal versehentlich ins falsche Menü springt. Trotzdem gelingt es LG, mit der Rolltaste die Vorzüge von 5-Wege-Steuerkreuz und Scrollrad in einer einzigen Komponente zu vereinen - dafür sorgen nicht zuletzt die beiden völlig unscheinbaren glatten Erweiterungen an den Seiten des Rädchens, die als seitliche Softkeys dienen. Weniger praxistauglich präsentiert sich dagegen die Zifferntastatur, die fraglos perfekt in das optische Gesamtkonzept integriert wurde, doch leider ist dabei eine haptische Trennung der einzelnen Tasten auf der Strecke geblieben: jeder Versuch, blind auf dem LG Shine eine SMS zu tippen, ist zum Scheitern verurteilt.

Ausstattung

Die Kamera bringt es auf eine Auflösung von zwei Megapixeln und nimmt Fotos mit einer Autofokus-Optik auf, die man beim namhaften deutschen Traditionshersteller Schneider-Kreuznach eingekauft hat. Sie sorgt dafür, dass Fotos besser gelingen als noch beim blaustichigen Chocolate Phone, kann aber nicht verhindern, dass auch mit ruhiger Hand und unter besten Außenbedingungen aufgenommene Fotografien etwas unscharf wirken und Details vor kontrastreichen Farbübergängen auffällig stark verschwimmen. Da hilft auch der Autofokus nicht mehr weiter - aber wer erwartet schon von einem stylischen Fashion-Phone, dass es Bestnoten in puncto Imaging einfährt.

Mit den 45 MB, die ab Werk im Shine stecken, wird der Musikliebhaber nicht weit kommen, das Aufstocken ist aber problemlos mit Hilfe von MicroSD-Karten möglich. Praktisch: die Speicherkarte lässt sich austauschen, ohne das Gerät abzuschalten. Die musikalischen Fähigkeiten sind nicht gerade überwältigend: das Shine kann zwar mit MP3- und AAC-Files umgehen, verträgt sich aber nicht mit Microsofts WMA-Format oder DRM-geschützten Musikdateien. Ein weiteres Manko teilt sich das Gerät mit vielen Nokia-Handys: man kann keine eigenen Playlisten erstellen - dafür aber wenigstens den Player in den Hintergrund schalten. Jedes MP3-File lässt sich als Klingelton bzw. individueller Anruferton definieren, über SMS wird man lediglich mit Hilfe von vier fest verdrahteten Sounds benachrichtigt. Mangels Zweitlautsprecher schallt der Sound des Medienplayers ausschließlich aus dem kleinen Speaker, den man auch beim Telefonieren nutzt. Dieser erweist sich zwar als erfreulich schnarrsicher, erreicht aber nur ein Mindestmaß an Lautstärke.

Der mitteilungsbedürftige Nutzer ist im Messaging-Menü gut aufgehoben, denn SMS lassen sich dank der Rolltaste kinderleicht mit dem Edelslider erstellen. Überschreitet man die für eine Kurzmitteilung zulässigen 160 Zeichen, wird am oberen Displayrand deutlich, dass das Handy mehrere Nachrichten miteinander verketten muss. Intuitiv bedienbar, aber optisch nicht übermäßig attraktiv, präsentiert sich der MMS-Editor, mit dem sich bis zu 300kB große Multimedia-Mitteilungen verfassen lassen. Ihnen kann man neben Fotos und Sounds auch Kontaktinformationen und Kalendereinträge anheften. Wem das noch nicht reicht, der kann mit dem Gerät auch EMails versenden und empfangen. Die Posteingangsansicht wirkt aufgeräumt, lässt aber für geschäftige Nutzer nur wenig Übersicht zu: maximal 4 Mails werden in der nicht anpassbaren Ansicht dargestellt, die gleiche Einschränkung trifft auf alle Mitteilungsformate zu. Regelmäßige Abrufe des Postfachs oder Push-Funktionen werden nicht unterstützt. Auch das mobile Internet ist nicht unbedingt eine Stärke von LGs Shine. Der obigo-WAP2.0-Browser kommt zwar mit XHTML-kompatiblen Websites genau so gut zurecht, wie mit an mobile Endgeräte angepassten WAP-Sites, mit steigender Komplexität einer Website genehmigt sich der Browser jedoch extrem lange Bedenkzeiten, sodass für Desktop-PCs gedachte Webseiten nahezu unbedienbar werden. Doch in diese Verlegenheit wird der Nutzer ohnehin kaum kommen: Daten schleichen nur mit EDGE-/GPRS-Geschwindigkeit durch den Funkkanal.

Maximal 1000 Kontakte lassen sich mit dem Shine verwalten, die Datentiefe liegt weit unter Smartphone-Niveau, kann aber mit einer überlegten Darstellung punkten von der sich alle Hersteller ein Scheibchen abschneiden sollten: sie zeigt auf der linken Seite eine sechsstellige Liste aller Namen, stellt großflächig eventuell vorhandene Anruferbilder dar und nutzt im unteren Bereich eine Reiteransicht, um durch alle gespeicherten Daten eines Kontakts zu blättern. Zu jedem Adressbucheintrag lassen sich vier Telefon-/Faxnummern, eine Email-Adresse, die Gruppenzugehörigkeit und individuelle Anruferbilder bzw. -klingeltöne definieren. Zwischen Vor- und Nachnamen macht das Gerät leider keine Unterschiede. Noch eingeschränkter gibt sich der Kalender, der allenfalls rudimentären Ansprüchen genügt - das wird schon daran deutlich, dass er sich unter dem Menüpunkt "Extras" versteckt. Umso erstaunlicher wirkt es, dass LG seinem Spiegelslider einen vollwertigen Office-Viewer aus dem Hause Picsel auf den Weg gibt, der in der Lage ist, .doc-, .xls-, .ppt- und .pdf-Dokumente in einer Desktop-getreuen Ansicht darzustellen und beliebig hinein- und herauszuzoomen. Das hat man sich zweifellos vom Hauptkonkurrenten Samsung "abgeguckt", der auf nahezu jedem Midrange-Handy den schottischen Dokumentenbetrachter installiert.

Telefonfunktionen / Ausdauer

Die gesamte Menüführung des Shine wurde aufs Rollrädchen optimiert und hier erntet LG die Früchte eines durchdachten Produktkonzepts. Sieht man einmal von Sony Ericssons Walkmännern ab, gehört die Shine-Software zu den am besten durchdachten und auf die mechanischen Bedienelemente angepassten proprietären Systemen, die man derzeit auf Handys bewundern kann. Das fängt an bei der optischen Versilberung der hüpfenden Icons, geht über die geriffelte Texturierung der Scrollbalken, die entfernt ans Rollrädchen auf der Oberseite erinnern, bis zur stimmigen Vertonung jeglicher Menüaktionen mit Hilfe sphärischer Zen-Klänge, einem feminin gehauchten "Babababamm" beim Aufschieben des Sliders oder dem permanenten schnarrenden Geräusch bei der Betätigung des Scrollwheels. Für die Hauptmenüansicht kann man sich zwischen Listen- und 3x3-Gitteransicht entscheiden, die Listendarstellung wird dem Scrollwheel-Bedienkonzept aber gerechter. Das Menüsystem basiert auf Flash-Technologie, die man auch unabhängig von Systemfunktionen ansprechen kann. So lassen sich beispielsweise fürs Handy angepasste SWF-Dateien als Hintergrund- oder Anruferbild definieren. Der Vorteil: sie sind viel kleiner als 3GP-Filme oder GIF-Animationen und werden gleichzeitig kantengeglättet wiedergegeben, was die Illusion einer extremen Bildschärfe erzielt. Einen vom Nutzer steuerbaren Theming-Mechanismus kennt das LG Shine übrigens nicht; wem das schwarze Menüdesign nicht gefällt, wird sich zwangsläufig nach einem anderen Handy umschauen müssen.

Zwar fiel die Empfangsleistung von Zeit zu Zeit mit nervösen Zuckungen auf, aber wir fühlten uns von der im Stahlgehäuse steckenden Antenne selten allein gelassen. Dabei testeten wir das Handy ausschließlich im Netz von O2 und konnten hier erfreulicherweise auch den Homezone-Status auf dem Display ablesen. Die Sprachqualität hinterließ einen guten Eindruck - Aussetzer oder stärkere Verzerrungen haben wir in keinem Fall wahrgenommen. Auch der Qualitätsunterschied zwischen Festnetz- und Handytelefonaten machte sich dank gutem Soundprozessor kaum bemerkbar und beschränkt sich auf einen etwas gedämpften Klang bei Gesprächspartnern im Handynetz. Während des Gesprächs lässt sich eine Freisprecheinrichtung hinzuschalten, die aber kläglich am leistungsschwachen Speaker des Telefons und am vergleichsweise unempfindlichen Mikrofon scheitert. Die Ausdauer des Handys liegt dank des 800 mAh starken Li-Ionen-Akkus auf hohem Niveau. Wir verzeichneten durchschnittlich eine Erreichbarkeit von über 3 Tagen; der Hersteller selbst gibt offiziell 8 Tage Standby an, was sich durchaus erzielen lässt, wenn man das Handy ungenutzt an einem mit guter GSM-Abdeckung versehenem Platz liegen lässt.

Fazit

Betrachtet man LGs Shine aus Sicht der derzeit stattfindenden Entwicklung auf dem Mobilfunkmarkt, handelt es sich um ein Handy der letzten Generation. Featuremäßig ist zwar nicht viel aus dem schicken Slider herauszuholen, aber er hat alles an Bord, was man als durchschnittlicher Handytelefonierer im Alltag braucht: angefangen bei einer 2MP-Kamera, über einen mittelmäßigen Musikplayer bis zu einem gut funktionierenden Messaging-Teil, Bluetooth und Internet-Browser. Seine Lorbeeren verdient sich das Shine ausschließlich in der Disziplin Design: während Konkurrent Samsung bei seinen neuen Fashion-Slidern ausschließlich auf leichte Kunststoffgehäuse mit Metalliclackierung setzt, wirkt LGs Slider haptisch geradezu herausragend professionell. Hochwertige Materialien und eine kompromisslos gute Verarbeitung machen das Shine zu einem der edelsten (und schwersten) Handys am Markt, das sich stilistisch allenfalls mit Nokias Luxusmodell 8800 vergleichen lässt. Das gilt glücklicherweise nicht für die Preisgestaltung: Das LG Shine ist schon zur Markteinführung ohne Vertrag weniger als halb so teuer wie sein finnisches Vorbild!

powered by AreaMobile