Praxistest: Nokia 5700 Xpress Music

26.07.2007
Praxistest: Nokia 5700 Xpress Music

Lieferumfang / Verarbeitung

Während Samsung und Co. in der gehobenen Liga der UMTS-Handys auf spacig glänzendes Hightech-Material setzen, schaltet Nokia einen Gang zurück und zeigt uns den in der Mobilfunkbranche bewährten Kunststoff in seiner Ur-Form, wie er vor 40 Jahren die Wohnzimmer zierte. Plastik, Pop und Flower Power: das 5700 überrascht mit mutigem Retro-Design, das man in dieser Form bei keinem anderen Hersteller findet. Die Zielgruppe wird damit allerdings stark eingeschränkt: dass ein Krawattenträger Nokias Plastikbomber mit lockerem Lächeln auf dem Meetingtisch platziert, ist in etwa so wahrscheinlich wie eine Punkrock-Combo mit BlackBerrys in den zerschlissenen Hosentaschen. Aber das ist auch gar nicht beabsichtigt, schon der Lieferumfang verdeutlicht, wen Nokia als Käufer anvisiert: Kabelfernbedienung und hochwertige Kopfhörer liegen in schickem iPod-Weiß neben einer 1GB großen microSD-Karte im Karton - welcher Teenager kann da noch nein sagen? Einziges Handicap ist der fehlende 3,5mm Klinkenanschluss. Nokia setzt stattdessen auf eine wenig verbreitete 2,5mm-Klinke. Konsequenz: normale Kopfhörer können mangels mitgeliefertem Adapter nur umständlich über die Fernbedienung angeschlossen werden. Als Alternative bieten sich Bluetooth-Stereo Kopfhörer an, die vom 5700 problemlos unterstützt werden.

Einmal ans Ohr gehalten, sticht das klotzige Handy schon aus aus der Ferne ins Auge. Ein echter Hingucker ist das 5700 dennoch nicht - mit dem glattpolierten Hartplastik, dem weichen Gummiüberzug und den rauhen, grau-silbernen Bedienelementen fühlt es sich leider genauso billig an, wie es aussieht. Schade, denn hinter der Plastikschale verbirgt sich ein Barrenhandy, das Telefon- und Musikfunktionen in einer cleveren Konstruktion zusammenführt. Ein halber Dreh der Tastaturunterseite aktiviert die seitlich eingelassene Kamera, ein kompletter Schwenk um 180 Grad lässt die Musiktasten zum Vorschein kommen. Auch der Akkudeckel wurde clever in die Drehkonstruktion eingebunden, er lässt sich nur abnehmen, wenn die Unterseite im rechten Winkel zum Gehäuse steht. Die Verarbeitung gewinnt keinen Blumentopf: trotz der lobenswert unter einter Gummiklappe verstauten Gehäuseöffnungen erschüttern ungleichmäßige und an vielen Stellen zu breite Spalte das Vertrauen des 5700-Trägers - Nokias Musikhandy ist ein leichtes Ziel für Staub und anderen Schmutz, der sich gelegentlich in den Tiefen der Hosentasche ansammelt.

Wer hätte gedacht, dass sich unter dem preiswerten Plastikmantel des 5700 ein Display verbirgt, das anspruchsvollste Multimedia-Standards bedient? Lassen wir zunächst die Zahlen sprechen: 16,7 Millionen Farben, QVGA-Auflösung (240x320 Pixel), verteilt auf eine Bildschirmdiagonale von 5,7 cm. Die Farben haben wir nicht gezählt, doch die scharfen Kontraste und glasklare Farbbrillianz sprechen für mehr als nur gute Qualität. Dank transflektiver Beschichtung lässt sich der Inhalt auch bei starkem Außenlicht noch gut ablesen. Die Tastatur kann da kaum mithalten. Dank goßflächiger Anordnung und präziser Druckpunkte steht einem flotten SMS-Tempo zwar nichts im Wege, doch zu stark wackeln die Tasten in der Einfassung und zu billig fühlt sich das mehr graue als silbrige Material an. Richtig schlimm wird's bei einem Sprung ins Hauptmenü, sofort fällt die Anordnung der wichtigen Menü- und der Löschen-Taste unangenehm auf. Seitwärts in die flexible Kunststoffoberfläche eingelassen, fordern sie dem Daumen einen weiten Bewegungsradius ab und bieten wesentlich tiefere Druckpunkte als die benachbarten Tasten. Der weiß umrahmte Joystick lässt die Bedienwerte des 5700 noch weiter in den Keller rauschen. Seine mangelhafte Präzision sorgt dafür, das man sich häufiger in einem Untermenü wiederfindet, obwohl man eigentlich nur nach oben steuern wollte. Doch es geht noch schlimmer: Im Kameramodus steht die angewinkelte Tastatureinheit den Fingern beim einfachen Zugriff auf Optionstasten und Joystick im Wege. Eine Einstellung im Kameramenü ist nur mit akrobatischen Fingerverrenkungen erreichbar. Einzig musikalisch zeigt die Tastatur des 5700 ihre Schokoladenseite. Die drei Tasten auf der Rück- bzw. Vorderseite sind großzügig bemessen und erlauben die "blinde" Ansteuerung der wichtigsten Musikfunktionen bequem aus der Hosentasche heraus.

Ausstattung

Zum guten Lifestyle-Ton gehört auch eine leistungsfähige Kamera. 5700-Fotografen ziehen schon beim "Dreh" alle Augen auf sich, die ungewöhnliche Anordnung von Linse und Tastatureinheit erinnert schnell an einen miniaturisierten Camcorder aus der Hightech-Werkstatt von James Bonds Exklusivausstatter Q. Die blanke Technik des Drehsliders lässt uns dann aber schnell in die reale Welt des Jahres 2007 zurückkehren. 2 Megapixel löst die Optik maximal auf, die Qualität entlockt Bond und Co. mit Sicherheit nur ein müdes Lächeln; der ganz normale Handyfotograf von Nebenan dürfte trotz relativ blasser Farben und sichtbarer Helligkeitssprünge gerade noch zufriedengestellt werden. Einige der bisher überaus zahlreichen Einstellungsmöglichkeiten von S60-Kameras wurden beim XpressMusic-Handy weggelassen, Nokia konzentriert sich stattdessen auf wichtige Funktionen: Panoramaaufnahmen und Bildfolgemodus ermöglichen witzige und gern gesehene Aufnahmen. Wichtig für die junge Zielgruppe: mit dem leistungsstarken LED-Blitzlicht, das Motive noch auf mehr als 2m gut ausleuchtet, ist das 5700 für feierfreudige Nachteulen besonders geeignet.

Wo "XpressMusic" draufsteht, sollte auch musikalisch einiges drinstecken. Beim 5700 werden die Erwartungen nicht enttäuscht: dank microSD-Steckplatz und der mitgeliefereten 1GB-Speicherkarte (bis zu 2GB werden laut Hersteller unterstützt) schluckt das Handy auch umfangreiche Musiksammlungen im MP3-, AAC-, oder WMA-Format. Der multitaskingfähige Musikplayer erinnert entfernt an die iPod-Bedienlogik, die auch Sony Ericssons Walkman-Phones adaptieren - einzig die Optik wirkt auf dem 5700 weit weniger peppig. Nokias Listen gewährleisten zwar gute Übersicht, jegliche "Hingucker", etwa schnelle Fading- oder Überlagerungseffekte, vermisst man jedoch. Funktional bietet Nokias Musikhandy dagegen alles, was auch einen normalen MP3-Player auszeichnet. Der Nutzer kann seine Songs gezielt nach Interpreten, Alben, Genres oder Komponisten durchforsten, sich Wiedergabelisten anzeigen lassen, völlig frei selbst erstellen oder einfach alle auf dem Telefon bzw. der Speicherkarte abgelegten Songs auflisten. Die reichhaltige Playlistverwaltung erlaubt die Anpassung der Titelreihenfolge, darüber hinaus werden Cover-Arts im JPG-Format souverän erkannt bzw. können wie ID3-Tags auch selbst festgelegt werden.

Wir haben nicht nachgeschaut, ob die Finnen dem 5700 tatsächlich einen speziellen Audiochip für "kristallklaren HiFi-Sound" (so Nokia) eingepflanzt haben - wir können nur feststellen, dass das Handy eine Soundqualität bietet, die locker mit Sony Ericssons Walkmännern mithalten kann. Der 5-Band Equalizer ermöglicht die individuelle Anpassung des Klangbildes. Es müssen nicht immer Kopfhörer sein: Wer seine Umgebung gerne mit Musik beglückt, kann sich über Stereolautsprecher freuen, die auch bei ihrer beeindruckenden Maximallautstärke kaum übersteuern. Wer keine Lust mehr auf die eigene Musiksammlung hat, kann auch aufs eingebaute UKW-Radio ausweichen.

In den unendlichen Weiten des Internet ist man mit dem 5700 schnell unterwegs. Denn hier kommt der systemtypische KHTML-MiniMap-Browser zum Einsatz, der als einer der komfortabelsten und funktional umfangreichsten mobilen Webclients gilt und ursprünglich für die Nseries entwickelt wurde. Der Seitenaufbau geht ziemlich flott vonstatten und wird spürbar vom Datenturbo UMTS beeinflusst. Mit Birdview und Visual History behält man die Übersicht, dank Feedreader bleibt man immer auf dem Laufenden. Vielfältig sind auch die Messaging-Möglichkeiten. Neben SMS/MMS versteht sich das 5700 auf Audiomessages (im Prinzip nichts anderes als eine MMS mit angehängter Sprachdatei) und natürlich EMails. Der EMail-Client kann auf POP3- und IMAP(idle)-basierte Postfächer zugreifen und holt Nachrichten bei Bedarf alle 5 Minuten automatisch ab. Das vertikale Display wird im Posteingang allerdings nicht besonders gut ausgenutzt; maximal 4 Mail- bzw SMS-Überschriften passen untereinander auf den Schirm.

Für die Termin- und Kontaktverwaltung bietet das 5700 dank S60-Betriebssystem einen Funktionsumfang, der jeden Privatnutzer geradezu erschlägt. Wir haben nachgezählt: 46 Feldelemente können einem einzigen Kontakt zugewiesen werden. Namen trennt das 5700 praktischerweise in Vor- und Nachnamen - das erleichtert die Synchronisation mit dem Adressbuch des PCs. Während die schnelle Bluetooth 2.0-Schnittstelle die Daten via mitgelieferter PC Suite nahtlos mit Outlook abgleicht, sollte man bei Musikdateien aufs mitgelieferte USB2.0-Kabel zurückgreifen. Dank ihm wechselt ein Album in weniger als einer Minute aufs Handy. Neben der Musik bietet das 5700 auch spielerisch gute Voraussetzungen: die hohe JAVA-Leistung des Handys lässt auch anspruchsvollere 3D-Games ruckelfrei übers Display gleiten.

Telefonfunktionen / Ausdauer

Abgesehen von einem trägen Aufbau der Vorschaubilder in der Mediengalerie reagieren S60-System und Applikationsprozessor schnell auf Nutzereingaben - ein "Dreh" schaltet nahezu verzögerungsfrei zum Musikplayer um. Zuviel drehen sollte man allerdings nicht: wir verzeichneten mitunter Abstürze beim Umschalten zwischen Kamera und Musikplayer. Im Ausgangszustand sorgt der bewährte Active Standby-Screen für die intelligente Befüllung des Startbildschirms mit aktuellen Informationen. So findet man hier ausführliche Informationen über die Termin- und Aufgabenlage oder die aktuelle Titelanzeige des MP3-Players. Ebenfalls schnell unverzichtbar: die am Kopfende des Menüs befindliche Shortcut-Leiste, die Verknüpfungen zu den wichtigsten Anwendungen bietet. Es empfiehlt sich, sie schnell ans eigene Nutzungsverhalten anzupassen, so umgeht man oftmals den langen Weg durchs Menü, wenn man nur schnell Bluetooth aktivieren oder das Radio einschalten möchte. Alle Symbole des Hauptmenüs lassen sich frei verschieben, in Ordner sortieren und ändern je nach Theme-Wahl auch ihr Aussehen. Neu am 5700 ist die erweiterte Theme-Auswahl: der Nutzer kann nicht nur ein globales Thema aktivieren, das die gesamte Optik des Betriebssystems nach einem vorgefertigten Schema ändert, sondern Menüs, Hintergünde oder Klingelverhalten unabhängig voneinander anpassen.

Die Antenne des 5700 bietet guten Empfang: wir waren auch in schwächer abgedeckten Regionen und Problemzonen wie etwa Tiefgaragen noch erreichbar; Zellwechsel, etwa beim Gang in die U-Bahn, bewältigt das Handy schnell und souverän. Die Sprachqualität des 5700 kann nicht ganz auf diesem Niveau mithalten, zu deutlich wird die Stimme vom Prozessor gefiltert, dementsprechend dumpf klingt die Stimme des Gegenübers. Ungeahnten Komfort bietet das UMTS-Handy bei Videotelefonaten: mit gedrehter Kamera stellt man das 5700 im Querformat vor sich auf den Tisch - aufgrund der gewinkelten Tastatureinheit ist dafür keine extra Halterung erforderlich - und steht seinem Gesprächspartner dann im Querformat auf dem großflächigen Display gegenüber. Die Akkulaufzeit kommt ebenfalls nicht zu kurz: 5700-Nutzer können sich auf eine mittelkräftige 900mAh-Komponente verlassen, die dem Handy gute Laufzeiten beschert. Bei täglich ca. einer halben Stunde Musik und "normalem" Telefonverhalten - 3-4 Gesprächen à 5 Minuten -, deaktiviertem Bluetooth und sporadischer Kameranutzung kamen wir auf ca. 5 Tage Nutzungsdauer. Kein Marathonlauf, aber ein guter Wert.

Fazit

Selten ist uns ein Handy untergekommen, bei dem Innen- und Außenwelt so weit auseinanderklaffen. Im cleveren Drehslider-Gehäuse des 5700 stecken ein brilliantes Display, UMTS-Connectivity, hervorragende Musik- und Java-Fähigkeiten, das bewährte Smartphone-Betriebssystem S60 3rd Edition und eine mittelprächtige Kamera. Leider wird die Hightech in einer schlechten Verpackung serviert; das auffällige Retro-Design wird vom Low-End-Material und seinen Verarbeitungsschwächen nahezu zerstört. Das ist Ihnen egal, für Sie zählen nur die inneren Werte? Nun, dann versuchen Sie doch einfach, die Blitzlichteinstellungen im Kameramodus aufzurufen. Ein hakeliger Joystick und die unsinnige Anordnung der Navigationstasten überschatten die musikalischen Vorteile, die die Drehsliderbedienung bietet. Usability bezeichnet buchstäblich den Stolperstein des 5700 - letztendlich scheitert ein innovatives Produktkonzept an seiner halbherzigen Umsetzung. Schade, es hätte so schön werden können.

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