E-Commerce versus stationärer Handel

Sind Deutschlands Innenstädte noch zu retten?

29.01.2015
Für den Einkaufsbummel ins Auto oder an den Rechner? Immer öfter entscheiden sich Kunden für den Online-Shop. Händler in der Stadt gehen leer aus. Es sei denn, sie folgen den Kunden ins Netz.

Dieser Kunde hat Markus Kuhnke besonders Spaß gemacht: Ein Unternehmer kommt in den kleinen Süßwarenladen in Wuppertal, stellt sich am Ladentisch förmlich vor und dann bestellt der Mittelständer Weihnachtsgeschenke für seine ganze Belegschaft - für Kuhnkes Familiengeschäft ein richtig großer Auftrag. "Früher hätte der mich nie gefunden", sagt Kuhnke.

"Früher", das ist für den Händler die Zeit vor "OnlineCity Wuppertal". So heißt der Online-Shop, mit dem 45 kleiner Händler aus der Stadt nun gemeinsam Umsatz im Netz machen. Er führte den Unternehmer in den Laden.

Wuppertal - der Name der Stadt fällt seit Kurzem häufiger, wenn Fachleute bei Tagungen darüber rätseln, wie sie den Tod der Innenstädte durch den Online-Handel abwenden. Ob Blumenladen, Zoo-Markt, Optiker oder Küchenstudio - sie alle präsentieren in Wuppertal ihre Angebote gemeinsam, koordiniert von der örtlichen Wirtschaftsfördergesellschaft. Wer bis 17 Uhr bestellt, bekommt die Lieferung im Stadtgebiet am selben Tag. Oder er kommt in den Laden.

Seit November ist Markus Kuhnke mit seinem Laden "Naschkatzenparadies" dabei - schon im Monat darauf ging der Umsatz um zehn Prozent nach oben, wie der Inhaber sagt. Handgeschöpfte Schokolade, Pralinen aller Arten, Wein und Liköre, das bietet das kleine Geschäft seit 25 Jahren - solche Umsatzsprünge gab es bislang nicht. "Es macht doch viel mehr Spaß, wenn man Erfolg hat."

Es wird höchste Zeit, dass Handel und Kommunen sich etwas einfallen lassen. Das Institut für Handelsforschung Köln (IFH) hat 33.000 Menschen in den deutschen Innenstädten befragt und nun der Branche die längst befürchte Antwort geliefert: Jeder Fünfte komme seltener zum Einkaufen in die Innenstädte, weil er sich online eindecke.

Institutschef Boris Hedde sagt, in den nächsten fünf Jahren werde sich der Handel stärker verändern als in den 40 Jahren zuvor - Jahrzehnte, in denen immerhin der Tante-Emma-Laden verschwand und die Discounter die Spielregeln neu bestimmten.

Heute geben die Bundesbürger jeden elften Euro online aus, 2020 wird es schon jeder vierte sein, wie der Handelsforscher Werner Reinartz von der Uni Köln glaubt. Der Handelsverband Deutschland fürchtet in den nächsten fünf bis sechs Jahren um jeden zehnten der bundesweit 500 000 Läden.

"Wenn die großen Warenhäuser und die Filialen aus den Innenstädten rausgehen, können sie eine Planierraupe holen und alles plattmachen", warnt Galeria-Kaufhof-Chef Lovro Mandac bei der Vorstellung der IFH-Umfrage in Berlin.

Was also tun? Längere Öffnungszeiten, den Sonntag freigeben, um mit der rund um die Uhr verfügbaren Online-Konkurrenz mitzuhalten - dieser wichtigsten Forderung des Handels erteilt die Bundesregierung bislang eine Absage. Kunden mit mehr Erlebnis und Unterhaltung in die Stadt locken, lautet eine andere Forderung - etwa mit Festen oder Museumsnächten. Doch oft hapere es an der Zusammenarbeit mit Politik und Verwaltung, kritisiert Kaufhof-Mann Mandac.

Jeder Händler müsse online gehen, meint er. "Einfach nichts zu tun, ist tödlich." Viele kleinere Händler rollen aber beim Wort Internet noch immer mit den Augen, wie Stadtmarketing-Experte Michael Gerber sagt. Nicht jeder hat die Gelegenheit, sich mit anderen zusammen zu tun wie der Wuppertaler Süßwarenhändler.

"Durch OnlineCity hat sich die Zahl der Zugriffe verzehnfacht", sagt Kuhnke, der es zuvor seit über zehn Jahren mit einer eigenen Website versucht hatte. Für das Gemeinschaftsprojekt musste er 327 Produkte fotografieren und beschreiben, eine Menge Arbeit, wie er sagt. Doch die guten Umsatzzahlen spornen an. Bis Jahresende sollen es 1000 Produkte sein. (dpa/tc)