Trügerische Entwicklungen bei Preis und Leistung

So beugen Sie Kostenrisiken bei dynamischen Projekten vor

23.08.2010
Warum vertragliche Regelungen unverzichtbar sind, sagen Dr. Jochen Notholt und Dr. Jan Geert Meents.

Zu Beginn eines IT-Projektes führt die Anfangseuphorie der Beteiligten oft dazu, vertraglichen Regelungen nur wenig Aufmerksamkeit zu schenken. Welche Auswirkungen diese Haltung für den Verlauf eines IT-Projektes, insbesondere für die Entwicklung von Preis und Leistung, haben kann, zeigt unser Beitrag auf.

Ein mittelständischer Automobilzulieferer entschließt sich zur Einführung eines ERP-Systems. Das Unternehmen betraut deshalb einen Dienstleister mit der Einrichtung eines Standardsystems sowie dessen Weiterentwicklung und Wartung. Alle Vorkehrungen für eine erfolgreiche Umsetzung des Projektes scheinen getroffen: Die Anforderungen an die Weiterentwicklung der Software sind bereits definiert, und ein Standardsystem wird zügig ausgewählt. Auch die Budgetfrage wird geklärt: Neben einem Festbetrag zu Beginn wird eine laufende Zahlung für die Weiterentwicklung und Wartung vereinbart. Das passt in den Budgetrahmen des Kunden und entspricht ebenso den Gewinnerwartungen des Anbieters.

Dennoch steht das Projekt nun nach mehreren Jahren erfolgreicher Projektarbeit plötzlich vor dem Aus. Die Folge: beide Vertragspartner halten ihre jeweiligen Leistungen zurück und streiten sich über jede Kleinigkeit. Die Fronten scheinen derart verhärtet, dass neben dem Projektstillstand nun eine langwierige und kostspielige rechtliche Auseinandersetzung droht.

Wie sich im Nachhinein schnell herausstellt, ist der lückenhafte Projektvertrag die eigentliche Ursache des Problems. Für den Fall einer dynamischen Entwicklung des Projektes waren die Regelungen zu grob getroffen. Damit haben die Vereinbarungen bei Projektstart dessen dynamischen Verlauf nicht genau genug geregelt. Die Weiterentwicklung und Individualisierung der Software waren aufwendiger als ursprünglich geplant. Die anfänglichen Schätzungen haben sich mit der Zeit als völlig unzureichend erwiesen.

Anbieter stellt Nachforderungen

Aus Sicht des Zulieferers ist das ein nicht ungewöhnlicher Vorgang, denn er musste, wie in der Branche üblich, durchaus damit rechnen, dass sich das Anforderungsprofil des Projektes aus seiner Sicht im Laufe der Zeit wesentlich ändern könnte.

Der Anbieter steht da allerdings auf einem ganz anderen Standpunkt. Er sieht solche Mehraufwände nicht mehr als Vertragsbestandteil an und stellt die Zusatzkosten zum vertraglich vereinbarten Betrag in Rechnung. Und nicht nur das: Er verlangt auch einen Aufschlag auf seine bisherigen Tagessätze auf Grundlage der Inflation der letzten Jahre.

Diese nachträglichen Forderungen des Anbieters sind kein Einzelfall. Viele Auftraggeber sitzen dem Irrglauben auf, dass sich aufgrund einmalig definierter Leistungen die Zahlung an den Anbieter komplett erledigt habe.

Das Problem ist die Dynamik von IT-Projekten, die im Vertrag nicht durch entsprechende Regelungen erfasst wurden. Durch schnelle technologische und wirtschaftliche Entwicklungen ändern sich während der Durchführung eines Projektes auch dessen Anforderungen und Erwartungen an die vereinbarten Leistungen.

Derart veränderte Umstände während eines auf mehrere Jahre angelegten Projekts sind dabei für jede der Vertragsparteien von Bedeutung. Denn neben der Veränderung der Anforderung an die IT-Hauptleistung (wie z.B. die individuelle Erstellung oder laufende Anpassung von Software, das Outsourcing und/oder Hosting von IT-Anwendungen) muss auch die Inflation berücksichtigt werden, die durch die Entlohnung im Verlauf eines Projekts immer mehr an Wert verliert. Genau diese Veränderung gilt es bereits zu Projektbeginn in einem IT-Vertrag zu berücksichtigen und zu regeln - nur so werden Unstimmigkeiten im Verlauf eines längeren Projektzeitraumes vermieden.

Änderungsoption einbauen

Betrachtet man die IT-Leistungen an sich, müssen sich die Beteiligten im Klaren sein, dass sich die Anforderungen an die ursprüngliche Leistung rasch ändern können. Der Anwender sollte daher darauf bestehen, zu Beginn des Vertrages eine "Änderungsoption" zu integrieren. Sinn und Zweck eines solchen sogenannten "Change-Request-Regelung" ist es, den Umgang mit Mehraufwand zu regeln, der konkret bei Vertragsschluss noch nicht feststand.

Da zu diesem Zeitpunkt jedoch bereits absehbar ist, dass es im Projektverlauf zu Mehraufwand durch Veränderung der Leistungsanforderung kommen kann, bedarf es dringend einer solchen Regelung. Wenn beide Parteien dies versäumen, ist der Ärger im Nachhinein vorprogrammiert. Da für den Anbieter immer die Leistung die maßgebliche Grundlage für die Preiskalkulation ist, wird er sich entschieden dagegen wehren, eine Leistung zu erbringen, zu der er laut Vertrag nicht verpflichtet ist.

Für den Prozess der nachträglichen Leistungsbeschreibungen sollte der IT-Vertrag eine entsprechende Klausel für ein förmliches Verfahren festlegen. Es ist empfehlenswert, bestimmte Fristen für die Antwort zum Änderungsverlangen zu vereinbaren. Ferner sollte diese Änderung wie auch das Change-Request-Verfahren selbst schriftlich dokumentiert werden.

Inhaltlich müssen die Change-Request-Klauseln Regeln und Kriterien festlegen, wonach die Auswirkungen und der Umfang eines Änderungsverlangens quantifiziert werden können. So kann es z.B. sinnvoll sein, in so genannten Impact-Stufen Kriterien zu bestimmen, die eine Kategorisierung der Änderungswünsche anhand Ihrer Auswirkungen und des entstehenden Arbeitsaufwandes ermöglichen. So können minimale Änderungen am Projekt weniger förmlich behandelt und leichter beschlossen werden, als grundlegende Umstrukturierungen.

System von Impact-Stufen

Nach einer Einordnung des Änderungsverlangens in ein System von Impact-Stufen kann mit Bezug auf das Vergütungsmodell des übrigen Vertrages eine interessengerechte Preisfindung vereinbart werden, ohne im Zeitpunkt des Vertragschlusses den genauen Gegenstand der Vertragsänderung kennen zu müssen.

Mit einer Einigung auf ein solches Change-Request-Verfahren wird vermieden, dass Streit über nicht vereinbarte Leistungen entsteht. Diese Klausel ermöglicht es, Leistungen nachträglich zum Gegenstand des Vertrages zu machen und damit in das Gefüge von Leistung und Gegenleistung gerecht zu integrieren.

Auch die Preisseite ist einer Dynamik ausgesetzt. Ein Anstieg des Preisniveaus zieht einen Preisverfall nach sich. Das bedeutet, dass ein als Gegenleistung vereinbarter starrer Geldbetrag im Verlauf des Projekts immer weniger wert ist. Auch die Auswirkungen der Inflation kann man mit einer geschickten Vertragsgestaltung im Zaum halten.

Mit der Aufnahme von Wertsicherungs- oder Preisklauseln in einen IT-Vertrag kann dem Wertverfall entgegengewirkt werden. Aber Vorsicht bei der Formulierung solcher Klauseln. Oftmals wird darin auf Indizes wie z.B. solchen vom Statistischen Bundesamt verwiesen. Solche Klauseln sind in den meisten Fällen gerichtlich angreifbar, da sie gegen das Preisklauselgesetz verstoßen. Dieses nicht unumstrittene Gesetz verbietet es schlicht, "Äpfel mit Birnen zu vergleichen". Wird das doch getan, kann die Klausel vom Gericht für unwirksam erklärt werden.

Es besteht jedoch die Möglichkeit, unangreifbare Klauseln zu formulieren. Erlaubt ist es etwa, Indizes als Richtwerte für Verhandlungen zu verwenden. Möchte man aus Gründen der Rechtssicherheit auf Indizes verzichten, bietet es sich an, direkt bei Vertragsschluss die voraussichtliche Inflation der nächsten Jahre mit einzupreisen oder Staffelpreise für die folgende Vertragslaufzeit zu verwenden. (oe)

Der Autor Dr. Jochen Notholt ist Associate der Wirtschaftskanzlei DLA Piper in München, Tel.: 089 23237210, E-Mail: jochen.notholt@dlapiper.com. Der Autor Dr.Jan Geert Meents ist Partner der Wirtschaftskanzlei DLA Piper in München, Tel.: 089-23237210, E-Mail: jan.meents@dlapiper.com, Internet: www.dlapiper.com