Fragen und Rügen seitens des Bieters erlaubt

So können Sie Ausschreibungen beeinflussen

11.11.2008
Die Einflussmöglichkeiten des Bieters bei EU-weiten Ausschreibungen von IT-Leistungen erscheinen auf den ersten Blick gering. Doch das ist ein Trugschluss.

Der erste Anschein, dass ein Bieter nur wenig Beeinflussungsmöglichkeiten hat, bestätigt sich in der Ausschreibungspraxis nicht. Aufgrund der zunehmenden Komplexität der Ausschreibungen von IT-Leistungen, sei es Hardware oder Software, gewinnen Fragen vor Ablauf der Angebotsfrist zunehmend an Bedeutung. Thomas Feil und Alexander Fiedler nennen Einzelheiten und Hintergründe.

Fragen erlaubt - die rechtliche Basis

§ 17 Nr. 6 VOL/A regelt den Umgang mit von Bietern geforderten Auskünften. Wenn Bewerber zusätzliche sachdienliche Auskünfte über die Verdingungsunterlagen und das Anschreiben erbitten, sind diese Auskünfte unverzüglich zu erteilen. Eine gleichlautende Regelung findet sich auch in § 17 Nr. 7 VOB/A. Werden einem Bewerber wichtige Aufklärungen über die geforderte Leistung oder die Grundlagen seiner Preisermittlung gegeben, so sind sie auch den anderen Bewerbern gleichzeitig mitzuteilen (§ 17 Nr. 6 Abs. 2 VOL/A).

Diese Anforderungen leiten sich aus dem Transparenzgebot ab. Sachdienlich ist jede Auskunft, die mit der Vergabe oder der Ausführung der Leistung im Zusammenhang steht, beispielsweise Auskünfte über technische Fragen oder Auskünfte, die für die Preiskalkulation des Bewerbers von Bedeutung sind. Die Auskunftspflicht des öffentlichen Auftraggebers soll der Einhaltung eines fairen, mit möglichst großer Beteiligung geführten Wettbewerbs und damit der Gleichbehandlung der beteiligten Bewerber dienen.

Aufgrund der Anfrage eines Bieters ist der Auftraggeber zu sachdienlichen Auskünften verpflichtet. Seine Antwort muss inhaltlich zutreffend sein, und er muss die Frage so präzise und ausführlich beantworten, dass seine Ausführungen lückenlos sind.

Diese geschilderten Vorgaben der VOL/A führen häufig dazu, dass ein öffentlicher Auftraggeber vorsichtshalber alle Fragen von Bietern beantwortet, unabhängig von der Bewertung als "sachdienlich". Die Praxis zeigt, dass einige Bieter mit einer massiven Häufung von Anfragen versuchen, Druck auf den Auftraggeber auszuüben. Hier muss ein Auftraggeber steuernd eingreifen. Bei nicht sachdienlichen Fragen kann zum Beispiel mit einer wörtlichen Wiedergabe der Bekanntmachung geantwortet werden. Auf der anderen Seite zeigt die Praxis, dass sachdienliche Fragen zu technischen Details zu einer Optimierung der Ausschreibungsunterlagen führen können.

Unverzügliche Auskunft

Nach der VOL/A muss der Auftraggeber die Auskunft unverzüglich erteilen, sobald die Anfrage des Bieters bei ihm eingegangen ist. Bei der Definition des Begriffes "unverzüglich" wird auf die Regelung des § 121 Abs. 1 BGB zurückgegriffen. Dort wird unverzüglich als Handeln ohne schuldhaftes Zögern definiert. In den meisten Fällen sollte daher eine Auskunft des Auftraggebers innerhalb einer Woche, maximal innerhalb von 14 Tagen, erfolgen. Durch diese Fristbindung wird eine Verkürzung der Angebotsfrist des Bieters verhindert, wenn ihm eine entsprechende Auskunft nicht zur Verfügung gestellt wird.

Gemäß § 18a Nr. 1 Abs. 6 VOL/A muss ein Auftraggeber rechtzeitig angeforderte zusätzliche Auskünfte über Verdingungsunterlagen spätestens sechs Tage vor Ablauf der Angebotsfrist erteilen.

Keine Formvorschrift

Sowohl die Anfrage des Bieters als auch die durch den Auftraggeber erteilte Auskunft unterliegen keiner Formvorschrift. Eine mündliche Anfrage sowie eine mündliche Auskunft sind also möglich. Um Missverständnisse zu vermeiden und die Antwort zu dokumentieren, sollte der Auftraggeber schriftlich antworten. Da immer auch mit einer rechtlichen Überprüfung der Ausschreibung zu rechnen ist, empfiehlt sich ebenfalls eine schriftliche Dokumentation von Anfragen und ergänzenden Ausführungen des Auftraggebers.

Information an alle

Wichtige Aufklärungen über die geforderte Leistung und die Grundlagen der Preisermittlung sind allen Bewerbern gleichzeitig mitzuteilen. Wichtig ist eine Aufklärung dann, wenn die Information über den Inhalt oder den Umfang der Vergabeunterlagen aus objektiven Gründen notwendig ist, beispielsweise Auslegungsschwierigkeiten aufgrund von tatsächlichen Ungenauigkeiten oder Unzulänglichkeiten der Vergabeunterlagen. Alle Bewerber müssen die inhaltlich gleiche Information erhalten.

Rügepflicht

Die Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens vor der Vergabekammer als erste Stufe des vergaberechtlichen Rechtsschutzes erfolgt nur auf Antrag. Gemäß § 107 Abs. 3 GWB ist ein solcher Antrag unzulässig, wenn ein Antragsteller den gerügten Verstoß gegen Vergabevorschriften bereits im Vergabeverfahren erkannt und gegenüber dem Auftraggeber nicht unverzüglich gerügt hat. Nach den gesetzlichen Vorschriften ist ein Antrag außerdem unzulässig, soweit Verstöße gegen Vergabevorschriften, die aufgrund der Bekanntmachung erkennbar sind, nicht spätestens bis zum Ablauf der in der Bekanntmachung benannten Frist zur Angebotsabgabe oder zur Bewerbung gegenüber dem Auftraggeber gerügt werden.

Das Gesetz fordert eine positive Kenntnis. Ein Unterlassen einer Anzeige trotz Vermutungen begründet keine Rügepflicht. In besonderen Konstellationen kann bei grob fahrlässiger Unkenntnis allerdings eine Rügepflicht des Antragstellers und Bieters bestehen. Eigene Nachforschungen muss ein Bieter nur unter engen Voraussetzungen durchführen.

Es wird nicht erwartet, dass aufgrund eines Verdachtes in Bezug auf rechtliche Wertungen eine Rüge auszusprechen ist. Die Rechtsprechung und die Vergabekammern verweisen darauf, dass eine solche Rüge das Verhältnis zur Vergabestelle belastet. Ein beanstandetes Vergabeverhalten muss in rechtlicher Hinsicht als problematisch einzustufen sein, und der Sachverhalt muss für einen Antragsteller in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht hinreichend geklärt sein. Zweifel an einer Rechtslage schließen eine positive Kenntnis aus. Es besteht seitens des Bieters bei ungewissen rechtlichen Bedenken keine Pflicht, anwaltliche Beratung in Anspruch zu nehmen. Eine Grenze besteht dann, wenn sich ein Bieter mutwillig gegen die Erkenntnis eines Vergaberechtsverstoßes verschließt. Diesen Ausführungen ist zu entnehmen, dass die Grenze zwischen dem "Erkennen eines Verstoßes" und dem "Nicht-Erkennen" fließend ist. Die endgültige rechtliche Bewertung kann nur im jeweiligen Einzelfall erfolgen.

Der Gesetzgeber erwartet eine unverzügliche Rüge. Es soll damit sichergestellt werden, dass ein Auftraggeber aufgetretene Fehler noch korrigieren kann.

Soweit Verstöße gegen Vergabevorschriften aufgrund der Bekanntmachung erkennbar sind, sind diese spätestens bis zum Ablauf der in der Bekanntmachung benannten Frist zur Angebotsabgabe oder zur Bewerbung ebenfalls zu rügen. Ungeklärt ist dabei die Frage, ob auf einen objektiven Maßstab eines durchschnittlichen Antragstellers oder auf den subjektiven Maßstab des konkreten Antragstellers abzustellen ist, um zu klären, ob ein Vergabeverstoß erkennbar war. Die Rechtsprechung ist in diesem Zusammenhang widersprüchlich.

Für eine Rüge existiert keine Formvorschrift. Sie kann also per E-Mail oder mündlich erfolgen. Im Rahmen einer weitergehenden rechtlichen Auseinandersetzung ist der Bieter darlegungs- und beweispflichtig, dass er die Rügeobliegenheit erfüllt hat.

Aufgrund der Rüge hat ein Auftraggeber die Möglichkeit, beanstandete Fehler zu erkennen und zu korrigieren. Die Rüge sollte klar und deutlich formuliert sein und möglichst den Sachverhalt und den konkreten Vergaberechtsverstoß benennen. Allerdings wird nicht eine umfassende rechtliche Würdigung erwartet. Insgesamt genügt es, wenn aus den Äußerungen des Bieters aus Sicht der Vergabestelle eine Beanstandung zu entnehmen ist. Die zunehmend verbreitete Unsitte, Anträge zur Verlängerung von Angebotsfristen zu stellen oder eine allgemeine und pauschale Kritik am Vergabeverfahren zu äußern, sind nicht als Rügen anzusehen. (oe)

Die Autoren: Rechtsanwalt Thomas Feil, Fachanwalt für IT-Recht, feil@recht-freundlich.de, www.recht-freundlich.de und Dipl.-Jur. Alexander Fiedler, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Rechtsinformatik der Universität Hannover, fiedler@iri.uni-hannover.de, www.iri.uni-hannover.de.