Software Engineering: Es mangelt an qualifizierten Mitarbeitern

24.04.2007 von Fraz Xaver
Software Engineering hat sich zu einem entscheidenden Wettbewerbsfaktor entwickelt. Hochqualifizierte Mitarbeiter aber sind rar. Berufsbegleitende Fortbildungskurse eröffnen Interessenten neue Chancen.

Nach Ansicht des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) entwickelt sich Software Engineering zur "Produktionstechnik des 21. Jahrhunderts". Doch in Deutschland gibt es derzeit viel zu wenig Fachkräfte, die den Bedarf an innovativen und ingenieurmäßigen Softwareentwicklungsmethoden befriedigen könnten. Experten fordern daher zu mehr Kompetenz und Weiterbildung für diese Schlüsseltechnologie auf.

Software Engineering beschäftigt sich mit dem Einsatz bewährter Techniken, Methoden und Werkzeugen aus klassischen Ingenieurswissenschaften wie Maschinenbau oder Elektrotechnik, um die Entwicklung von großen Softwaresystemen zu unterstützen.

Die wichtigsten Hauptkategorien sind:
- Software Requirements (Software-Anforderungen),
- Software Design (Software-Entwurf),
- Software Construction (Software-Implementierung),
- Software Testing (Software-Testen),
- Software Maintenance (Software-Wartung),
- Software Configuration Management (Software-Konfigurationsmanagement),
- Software Engineering Process (Software-Entwicklungsprozess),
- Software Engineering Tools and Methods (Software-Engineering Werkzeuge und Methoden),
- Software Quality (Software-Qualität).

In der Kfz-Industrie sind Softwaresysteme als sogenannte Embedded Systems in Motorsteuerungen eingebettet und somit ein entscheidender Innovationstreiber. Außerdem steuern spezielle Softwarelösungen Navigationssysteme, geben Informationen über Staus, Tankstellen oder Restaurants. Neben den Branchen der Finanzdienstleistungen und Kfz-Industrie gehören die Automatisierung, Maschinenbau, Anlagenbau, Automotive, Medizintechnik und der öffentliche Sektor zu weiteren wichtigen Bereichen, bei denen Software-Engineering-Know-how zunehmend an Bedeutung gewinnt.

In nahezu allen bedeutsamen Branchen ist die Fähigkeit zur ingenieurmäßigen Entwicklung von zuverlässiger, adaptierbarer und dabei kostengünstiger Software zur entscheidenden Kernkompetenz geworden. Im Banken- und Versicherungsgeschäft beispielsweise stützt sich die komplette Informationsverarbeitung auf Software. Ist diese fehlerhaft, kommt es zum stundenlangen Stillstand mit millionenschweren Schäden, wie vor gut einem Jahr an der Börse in Tokio geschehen.

Das Marktvolumen der Produkte, die von der Softwareentwicklung abhängen, schätzte die Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) bereits vor fünf Jahren auf 250 Milliarden Euro in Deutschland. In vielen Branchen, so die GfK, sei der gesamte Umsatz von der Softwareentwicklung abhängig.

Hochqualifizierte Mitarbeiter aber sind rar für diese Schlüsseltechnologie, die mittlerweile zum entscheidenden Wettbewerbsfaktor für Unternehmen geworden ist. "Wir suchen händeringend nach qualifizierten Softwareingenieuren", sagt Kerstin Aigner von der Materna GmbH. Dieses Schicksal teilt der Dortmunder IT-Dienstleister mit vielen anderen Unternehmen. Auf rund 15.000 technische Fachkräfte, darunter viele aus dem Engineering-Bereich, beziffert der Verein Deutscher Ingenieure (VDI) den Bedarf der Unternehmen. Dem steht ein krasser Rückgang der IT-Studierenden gegenüber. Mit großer Sorge beobachtet daher die Gesellschaft für Informatik e.V. (GI) die inzwischen im sechsten Jahr in Folge rückläufigen Immatrikulationszahlen in der Informatik. Nach neuesten Erhebungen des Statistischen Bundesamtes haben im Wintersemester 2006/2007 erneut 5 Prozent weniger junge Leute ein Studium der Informatik aufgenommen. "Dieser Rückgang ist dramatisch", warnt GI-Präsident Prof. Dr. Matthias Jarke.

Bereits jedes vierte deutsche Unternehmen hat erhebliche Schwierigkeiten, geeignete IT-Kräfte zu finden. Zu diesem niederschmetternden Ergebnis kommt die aktuelle Studie "Recruitment Trends 2006" der europäischen Jobbörse StepStone. Die Branche wächst demnach dabei deutlich schneller als qualifizierte Mitarbeiter zur Verfügung stehen. Dies untermauert auch die jährliche Analyse, die der Personaldienstleister Adecco für den Stellenmarkt 2006 erstellt hat. Sie konnte bei den Offerten für Softwareentwickler einen Zuwachs um ein Drittel feststellen. "Es ist fünf vor zwölf, wenn wir im Wettbewerb um die wichtigsten Software-Produktionsstandorte nicht verlieren wollen", sagt Prof. Dr. Dieter Rombach, Leiter des Fraunhofer-Instituts für Experimentelles Software Engineering mit erhobenem Zeigefinger.

Um in der obersten Liga mitspielen zu können, benötigen Unternehmen Spezialisten, die ganzheitliches Denken in Systemzusammenhängen mit ingenieurgemäßer Modellierung verbinden können. "Der Arbeitsmarkt braucht mehr Absolventen", fordert der renommierte Softwareentwicklungsexperte Prof. Dr. Manfred Broy von der Technischen Universität München. Der Max-Planck-Fellow und Leibniz-Preisträger postuliert, die Informatikkompetenz der Menschen hierzulande insgesamt zu verbessern. Nach Meinung von Prof. Dr. Barbara Paech, Sprecherin des Fachbereichs Softwaretechnik der Gesellschaft für Informatik, haben Hochschulabsolventen gerade dann sehr gute Chancen auf dem Arbeitsmarkt, "wenn sie eine Weiterqualifizierung im Bereich Software Engineering absolviert haben".

Eine solche Weiterqualifizierung in Form eines Masterstudiengangs kann in Vollzeit an Universitäten und Fachhochschulen oder aber - und das ist ein Novum in der deutschen Hochschulgeschichte - auch berufsbegleitend von einem privaten Institut organisiert werden (siehe Interview-Kasten).

Einen solchen Weiterbildungsstudiengang zum Software-Ingenieur mit international anerkanntem Master-Abschluss hat beispielsweise die Georg-Simon-Ohm-Fachhochschule Nürnberg mit der Nürnberger Verbund IQ gGmbH entwickelt und organisiert (siehe Kasten). Der berufsbegleitende Weiterbildungsstudiengang zum professionellen Software-Ingenieur umfasst vier Semester Regelstudienzeit, wobei drei Semester den Lehrveranstaltungen und der Projektarbeit gewidmet sind. Das vierte Semester dient der Erstellung der Abschlussarbeit. Betreut durch einen kompetenten Dozenten kann die Masterarbeit alleine oder im Team erstellt werden. Mit erfolgreichem Studienabschluss qualifizieren sich die Teilnehmer durch den international anerkannten akademischen Grad "Master of Engineering" ohne Karriereknick und Verdienstausfall für den Arbeitsmarkt von morgen.

Der Masterstudiengang kombiniert die Vorteile von Fern- und Präsenzstudium. Teilnehmer können das Studium daher flexibel an die berufliche Belastung anpassen. Aktuelle Projekte aus dem Berufsalltag zum Beispiel können in das Studium einfließen. Aber auch umgekehrt können die Teilnehmer neue Erkenntnisse aus dem Studium im Beruf direkt umsetzen wie zum Beispiel Matthias Köck. Der Entwicklungsingenieur belegt seit Oktober letzten Jahres den Masterstudiengang in Nürnberg. "Ich möchte meine Kenntnisse des konkreten Entwicklungsprozesses einer Software vertiefen", sagt der 39-Jährige, der bei dem international agierenden Karlsbader Unternehmen Harmann/Becker Automotive Systems GmbH ein Software-Entwicklungsteam für Infotainmentlösungen leitet. "Bei uns werden die Softwareprojekte immer komplexer, das lässt sich nur mit Software Engineering beherrschen", sagt Köck, der in dem Studium einen logischen Aufbau seines persönlichen Lebenslaufes sieht: Elektrolehre, Studium Elektrotechnik, Softwareentwickler, Teamleiter Softwareentwicklung.

Mit dem sogenannten Blended-Learning-Konzept aus Lehrbriefen, Präsenzphasen und einer Infrastruktur für "virtuelle Teams" können Köck und seine Kommilitonen Beruf, Privatleben und Studium sinnvoll in Einklang bringen. "Studierende, die im Berufsleben stehen und eine Familie haben, müssen sich auf das Studium konzentrieren können. Wir entlasten die Studierenden durch unsere umfassenden Leistungen und garantieren eine professionelle Organisation", meint Dr. Ursula Baumeister, Geschäftsführerin von Verbund IQ.

Die insgesamt zwölf Präsenzphasen des Studiengangs erstrecken sich in der Regel von Donnerstag bis Samstag. Dabei vertiefen die Dozenten - bestehend aus praxisorientierten Professoren, erfahrenen Führungskräften und Wirtschaftsexperten - die Inhalte der von den Teilnehmern selbstständig bearbeiteten Fernlehrmaterialien und betreuen deren Projektarbeiten, praktische Laborübungen und Masterarbeiten.

"Die Konzeption des Studiums zielt auf eine praxisnahe Lehre ab und lässt sich optimal in den Berufsalltag einfügen", sagt Stefan Breckle, der ebenfalls bei der Harman/Becker Automotive Systems GmbH arbeitet und dort als Senior Manager die Qualitätsaktivitäten am Standort Ulm leitet. In Nürnberg will sich der 31-Jährige ebenfalls zum Softwareingenieur ausbilden lassen, um künftig Softwareprojekte noch besser durchleuchten zu können.

Nach Meinung von Experten wie Hans-Joachim Weis haben aber nicht nur Mitarbeiter für ihre Qualifikation und Leistung zu sorgen. Der Teamleiter Bereich IT und Telekommunikation beim Vorstand der IG Metall kritisiert ebenso wie Winfried Materna, Gründer des gleichnamigen IT-Traditionsunternehmens, dass sich die Unternehmen immer weiter aus der Veranwortung ziehen.

Der künftige Softwareingenieur Matthias Köck setzt noch eins drauf: "Wer auf dem Arbeitsmarkt interessant bleiben will, für den ist eine solche Weiterbildung ein absolutes Muss." Sein Arbeitgeber hat die Hälfte der Studiengebühren übernommen, den Rest bezahlt Köck aus eigener Tasche. Ein Investment, das sich lohnen kann: Seit 2003 sind die Gehälter im Bereich Software Engineering um über 22 Prozent gestiegen. Projektleiter bringen es mittlerweile bereits auf ein Jahressalär von rund 83.000 Euro. Und: Je besser der Abschluss, desto besser die Bezahlung. Einsteiger mit einem Mastertitel haben mit den Doktoren gleichgezogen und erhalten durchschnittlich 60.000 Euro. (Franz Xaver Fuchs/mf)